Heute ist zwar Sonntag, aber um 7.00 Uhr klingelt Hajos Wecker. Schnell sind wir aufgestanden und haben unser japanisches Frühstück genossen. Ein japanischer Herr, den Hajo gestern kennengelernt hat, hat uns „Ume boshi“, eingelegte Pflaumen, angeboten. Die sollen hervorragend für den Magen sein, so preist der Herr seine super sauren Säurebomben an. Ich bin schon von früheren Japanaufenthalten gewarnt, was hier im Bezug auf Pflaumen als Delikatesse oder Naschwerk angeboten wird, aber diese Dinger ziehen einem echt alles zusammen. Also Vorsicht – diese hellroten Pflaumen zählen ebenso wie Natto (fermentierte Sojabohnen) und die Bitterorangen für den Gaijin (Ausländer) in die Kategorie „Einmal probiert ist noch zu viel“. Dabei sind diese Pflaumen eigentlich in Salz eingelegte und einer Milchsäuregärung unterzogene grüne Aprikosen. Sie werden von Japanern zu zweit, mehr kriegt man wohl nicht runter, zum Frühstück gegessen, und auch im Bentō (jap. Fast Food) symbolisiert eine solch hellrote Aprikose zusammen mit dem Reis die japanische Fahne (hinomaru bentō).
Unsere Pläne für heute sehen wie folgt aus: Besuch der Burg Kōchi, über den Sonntagsmarkt zurück zur Chikamori Klinik laufen, wo Hajo einen Termin um 11.00 Uhr hat, und danach keinesfalls Ausruhen, denn es müssen noch Tempel Nr. 34 und Nr. 32 besucht werden. Aber für mich ist erstmal wichtig, mein Portemonnaie wiederzufinden, d.h. ich weiß genau wo ich es verloren haben muss (Getränkeautomat) bzw. wenn es nicht mehr dort liegt, werde ich es im Bahnhofsschalter wiederfinden. Japaner sind, was verlorene Sachen angeht, sehr gewissenhaft. Da ich schon mal meinen Reispass an einem Kopierer in einem Kombini verloren habe, weiß ich aus erster Quelle, dass verlorene Sachen hier relativ einfach den Weg zurück zum Besitzer finden, nur die Bürokratie danach kostet einen Nerven. Und – siehe da, man hat mein Portemonnaie gefunden, ich kann auch den Inhalt beschreiben, ca. 4000 Yen, und Hajo unterstützt meine Aussagen und will als Zeuge fungieren. Umständlich erklärt man mir, dass der Finderlohn 10 % beträgt und ich mich doch beim Finder bedanken möge. Ein persönlicher Kontakt zum ehrlichen Finder, dass ist besonders wichtig, auch wenn ich gestehen muss, dass ich nicht glaube, dass es mit der Verständigung geklappt hätte, wenn ich denn ein Handy dabei haben würde. Froh, mein erstes Osettai (Pilgergeschenk) wiederzuhaben, hinterlasse ich dann auch 2000 Yen Finderlohn. Hauptsache, die Beamten hier fangen jetzt nicht noch mit mir an zu diskutieren, dass ich mehr bezahle, als eigentlich nötig ist. Aber ich habe Glück und alle sind zufrieden, ich will auch nicht davon anfangen, wie lange das jetzt wieder gedauert hat. Auf alle Fälle machen wir uns jetzt auf den Weg zum Schloss bzw. der Burg von Kōchi, immer die Augen nach einer Möglichkeit aufhaltend, Geld abzuheben. Im Bahnhof sind sogar die Streckenpläne der JR Shikoku ausgelegt, wir hatten erst vor kurzer Zeit so einen Plan von einem abgelegenen Bahnhof mitgehen lassen, aber jetzt habe ich einen in Reserve. Wir fragen uns so durch die Einkaufspassage von Kōchi, Hajo hatte gestern noch Adressen aus dem Internet gesucht, aber leider sind die Banken geschlossen und in den Kaufhäusern funktionieren unsere Karten nicht. Im Takashimaya, einer berühmten japanischen Kaufhauskette, bemüht sich eine Dame aus der Kosmetik Abteilung ganz rührend um uns. Sie spricht Englisch und rennt doch fast eine Stunde mit uns durch die Gegend, um neue Möglichkeiten aufzutun, wo wir Geld ziehen könnten. Leider erfolglos, aber das nenne ich Gastfreundschaft, dabei haben wir bei ihr noch nicht einmal was gekauft! Vielleicht hätten wir aber, wenn wir denn Geld gehabt hätten – würden – hätten – wollten…
http://www.pref.kochi.lg.jp/english/tourism-castle.html
Die Burg von Kōchi (Kōchi-jō; engl. Kōchi Castle) ist eine Burg bzw. ein Schloss, das 1601 bis 1611 erbaut wurde. Bemerkenswert ist hier, dass es keine Replik aus der Nachkriegszeit ist, wie so viele Burgen in Japan, sondern eine der wenigen, die noch im Original erhalten ist. „Hat man eine Burg gesehen, hat man sie alle gesehen“, diesen Spruch musste ich mir mal von einem Touristen hier in Japan anhören. Natürlich sehen die Burgen alle recht ähnlich aus, das gilt aber auch für die Tempel. Auf die Kleinigkeiten kommt es an. Die meisten Burgen lassen sich auf einen Grundbauplan wie folgt zurückführen: Ein großer Wassergraben umgibt einen Sockel von Felsblöcken, auf dem die eigentliche Burg, meist in Holz, gebaut worden ist. Die Modulbauweise, d.h. ein rechteckiger Raum auf dem anderen bis hin zum Turm ist ebenfalls Form bestimmend, sowie die hochgezogenen Dächer und die weißen Wände. Allein vom Aufbau könnte ich nicht sagen, um welche Burg es sich handelt, da es hier auf Shikoku noch in Uwajima, ōzu, Matsuyama und Marugame Burgen gibt. Meist bleiben einem vor allem die schönen, goldenen Dachreiter im Gedächtnis. Sie sollen die Burg vor Feuersbrünsten schützen, da ihnen nachgesagt wird, sie könnten Regen machen. Es ist so eine typisch japanische Tiermischung (Chimera) aus Tigerkopf und Karpfenkörper und wird shachihoko (鯱; Fischtiger) genannt. Die Burg ist von einem Park umgeben, in dem sich zurzeit die Kirschblüte voll entfaltet. Es ist zwar noch vormittags, aber die Leute strömen in Scharen hierher, um hier Hanami (Blütenschau) unter den Kirschbäumen zu betreiben bzw. ein Picknick zu veranstalten. Es sind Stände aufgebaut, an denen man von Getränken, Süßigkeiten bis hin zu kompletten Mahlzeiten alles kaufen kann, was man für ein Picknick benötigt. Aber wir wollen das Schloss besichtigen und müssen am Eingang erstmal aus unseren Schuhen in Plastikslipper tauschen. Das ist hier in Japan leider so – entweder muss man Plastiklatschen anziehen, oder so Schuhüberzieher anlegen, wenn man die alten Gemäuer besuchen möchte. Hat man sich erst mit den Schlabberlatschen die viel zu engen und steilen Treppen hinaufgekämpft, man beachte die Laufrichtung, sonst kommt man in den Gegenverkehr, und ist jedem zu tief liegendem Dachbalken mit dem Kopf ausgewichen, dann hat man vom Turm aus eine tolle Aussicht über die ganze Stadt. Aber die Burg beherbergt auch eine Art Museum mit Rüstungen, Waffen, Kleidung und einem Modelle, wie die Burg und das Ländereien im Mittelalter ausgesehen haben. Es werden Szenen aus der damaligen Zeit dargestellt, wie die Bauern auf dem Acker arbeiten, wie ein Wal gefangen und zerlegt wird. Ich kann von hier sogar einen Blick auf den Sonntagsmarkt werfen, den wir als nächstes besuchen werden. Auf dem Weg dorthin fallen mir wieder zwei Pilger auf, die hier mit ihrer Schale in der Hand stehen und so um Almosen bitten. Der Kōchi Sunday Market ist einer der berühmtesten Märkte in Japan, auf dem von Lebensmitteln über Kunsthandwerk und Antiquitäten bis hin zu Dingen des täglichen Bedarfs alles verkauft wird. Es sind Freiluftstände, die jeweils sonntags aufgebaut werden. Das ist nicht üblich hier in Japan, wo die Märkte meist in dafür vorgesehene überdachten Passagen abgehalten werden. Wir sind etwas spät dran, aber deshalb muss Hajo noch lange nicht hier so durchpreschen. Ich kann mich an den Ständen gar nicht satt sehen, aber kaufen kann ich leider nichts, da ich das sonst die ganze Tour mit mir herumschleppen muss. Es gibt Baumstümpfe, an denen man Pilze ziehen kann, Messerstände, Stände von denen einen Tanuki (mythologischer Marderhund) Figuren anlachen, Stände mit unübersehbar vielen Sorten von Bohnen, Würzfischchen, Pilzen, Zitrusfrüchten und eingelegten Gemüse (tsukemono). Hajo rennt voran, ich kann ihn aufgrund seiner Größe zwar gut sehen, doch der Abstand wird immer größer, da ich selber bei dem Gewusel nicht so recht vorankomme. Ich weis, wo das Krankenhaus ist, zur Not werde ich ihn da wiederfinden, wenn er denn bis dahin bemerkt, dass er mich verloren hat
Aus dem Krankenhaus sind wir schnell wieder raus, aber da am Sonntag die Klinikapotheke nicht geöffnet hat, müssen wir in eine andere Apotheke, die außerhalb des Gebäudes liegt, um Hajos Medikamente zu besorgen. Leider ist da wohl irgendetwas schief gelaufen, da Hajo schon im Krankenhaus bezahlt hat oder soll er hier nochmals zahlen. Die beiden Damen rücken nicht mit der Sprache raus und telefonieren wie wild. Schließlich und endlich dürfen wir dann doch mit den Medikamenten diese Örtlichkeit verlassen und ich bin heilfroh, denn ich weiß wie Japaner an ihren Vorschriften festhalten und wie Chaos entsteht, wenn die Sachen eben nicht nach „Schema F“ laufen. Aber jetzt geht es auf zu Tempel Nr. 34!
Mit dem Bus fahren wir zu Tempel Nr. 34, da wir jetzt wissen von wo die Busse abfahren, haben wir auch keine Probleme so wie gestern. Wir steigen allerdings an der falschen Haltestelle (irgendwo an der Straße 56) aus und müssen dafür umso weiter laufen. Wir passieren wieder ein Samurai-Denkmal, aber Ryoma Sakamoto ist es nicht. Kurz vorm Tempeleingang steht mal wieder ein Eisverkäufer, der hofft wohl auf einen Bus mit Pilgern, denn von den paar Leuten, die sich hier gerade herumtreiben, wir er wohl nicht leben können. Eine ganz besondere Art von Pilger sehen wir auf dem Tempelgelände, nein leider nicht den Pilger, aber sein Wägelchen, dass er hier abgestellt hat. Aber ob nun Pilger oder Landstreicher, wie gesagt, der Unterschied hier auf Shikoku ist fließend.
Exkurs Tempel Nr. 34 Tanemaji (種間寺)
„Der Tempel des Säens“ wurde von Kōbō Daishi gegründet und so benannt, da er nach seiner Rückkehr aus China hier Samen (tane) von 5 verschiedenen Getreidesorten gepflanzt (maku) haben soll. Der Tempel ist Yakushi Nyorai, dem Medizinbuddha, gewidmet, dessen Statue von einem koreanischen Künstler um das Jahre 578 geschaffen worden ist, als der vom damaligen Kaiser Bidatsu (30. Tennō, 538-585) zusammen mit anderen Künstlern, Architekten und Priestern eingeladen worden war, um mit am Tennoji Tempel in Naniwa (heute ōsaka) zu arbeiten. Als er dann nach Korea zurückkehren wollte, kam er kurz vor Kōchi in Seenot, aus der er aber wohlbehalten gerettet worden ist. Aus diesem Grunde schnitzte er eine Statue des Yakushi als den Beschützer der See, die später als Honzon (Hauptgottheit) im Tanemaji diente. Viele Male wurde der Tempel von Taifunen heimgesucht und zerstört. In der frühen Meiji Periode (1867-1912) verfiel der Tempel zunehmend, wurde aber 1888 wiederaufgebaut. Der Medizinbuddha, Yakushi Nyorai, soll denjenigen Frauen, die ihm huldigt eine leichte Niederkunft bescheren. Hierzu bringt die Schwangere eine Schöpfkelle in den Tempel. Der Priester vollzieht ein Ritual, bei dem der Schöpfkelle der Boden durchschlagen wird. Danach kann die zukünftige Mutter die kaputte Schöpfkelle in der Tokonoma (Ziernische) ihres Zuhauses aufbewahren. Nach einer leichten Geburt bringen die Frauen die Schöpfkellen zum Dank zurück zum Tempel, wo sie als Ermutigung zur Schau gestellt werden. Interessant sind hier ferner eine erhalten gebliebene Kopie der Tripitaka, eine Sammlung buddhistischer Schriften, sowie die Tatsache, das ein Teil der Tempelgemeinde nach Amerika ausgewandert ist und dort nun Mitglieder des Koya-san Tempels in Kalifornien sind.
Da der Tempel zu ebener Erde liegt, müssen wir also keine Treppen erklimmen. Eine willkommene Erleichterung für Hajos ohnehin geschädigte Gehwerkzeuge. Endlich mal ein Tempel für wirklich Kranke, die wohl kaum so einen Berg mit tausenden von Treppen erklimmen können – heute schon mit dem Bus, aber damals. Dem Medizinbuddha gewidmet, liegt der Tempel inmitten von Reisfeldern. Die kaputten Schöpfkellen hängen hier überall, sogar den Glockenturm - pardon - es ist wie ein Glockenturm aufgebaut, beherbergt aber eine Yakushi Nyorai Statue, ziert eine Galerie von Kellen. Als wir den Tempel verlassen, wollen wir noch etwas Wegzehrung wie Kekse kaufen und besuchen den Laden, der direkt vor dem Eingang liegt. Als Hajo gelbe Bunta Früchte auf dem Tisch liegen sieht, fragt er ob er mal probieren dürfte, aber er futtert sie so schnell weg, das der Japaner ihm nicht zeigen kann, wie man sie aus der weißen Hülle bekommt. Der japanische Fachmann benutzt dazu so ein kleines Werkzeug, das wie ein Brieföffner aussieht, aber mit versteckter Klinge, damit man sich nicht in die Finger schneidet. Er erklärt uns, dass die Früchte „Bunta“ genannt werden. Auch ich probiere und die Bunta macht mich munter, nein – die schmecken richtig lecker, nicht so sauer, wie die hellgelbe, pampelmusenartige Schalenfarbe vermuten ließe. Wenn wir jetzt noch Tempel Nr. 32 besuchen wollen, müssen wir uns sputen, da wir noch nicht wissen, wie wir hier wieder weg kommen sollen. Wir laufen deshalb bis Haruno zurück und wollen eigentlich vom Haruno-yakuba-mae Busstopp wieder nach Kōchi fahren. Leider ist diese Bushaltestelle verweist und auch angesprochene Passanten können uns keine Auskunft darüber geben, ob der Bus gar nicht oder nur sonntags nicht fährt. Wir wandern erstmal die Straße 36 zurück in Richtung unserer ursprünglichen Bushaltestelle. Es kommt uns ein Auto entgegen und wir nutzen die Gunst der Stunde, halten es an und fragen nach der nächstmöglichen Bushaltestelle. Aber die Fahrerin fordert uns kurzerhand auf, einzusteigen und fährt uns zu unserer Bushaltestelle. So kommen wir aus der Pampa dann doch wieder nach Kōchi, wo wir abermals einen Bus besteigen, um für heute unser letztes Ziel, Tempel Nr. 32, in Angriff zu nehmen. Es stellt sich eine ältere Damen zur Verfügung, um uns gegebenenfalls Bescheid zu sagen, sollten wir nicht an der richtigen Bushaltestelle aussteigen. Und das ist auch nötig, da die Strecke doch recht lang ist und wir von Kōchi bis Nankoku City fahren müssen. Über mehrere Brücken und Tunnel, vorbei am Sekido Teich, steigen wir am Mineiji-dori Bus Stopp aus, der direkt vor einem Tunnel liegt. Auf diesem Tunnel bzw. den darüberliegenden Berg steht der Tempel Nr. 32. „Wir haben aber nur knapp eine Stunde, wenn wir mit dem letzten Bus zurück nach Kōchi fahren wollen“, mahnt mir Hajo und wir hetzen los. Im Laufschritt voran, nehmen wir den kleinen Hügel innerhalb von wenigen Minuten, auch wenn wir in der Eile fast den Weg zum Tempel verpassen.
Exkurs Tempel Nr. 32 Zenjibuji (禅師峰寺)
Dies ist ein Tempel mit vielen Namen. Eigentlich der „Tempel der Meister der Chan-Spitze“ oder auch kurz „Tempel der Meister“, wird er von Einheimischen nur Minedera, „Gipfeltempel“ genannt. Er hat auch den gleichen Namen wie der Berg, auf dem er steht. Da der Berg wie ein achtblättriger Lotos aussieht, wird der Tempel auch Hachiyōzan genannt oder nach dem Gumonji-Ritus, das Kōbō Daishi hier abgehalten hat, „Gumonjiin“.
Die besondere Struktur des Berges, dem Lotus ähnlich, drängt einem auch den Vergleich mit dem Wohnsitz der Gottheit Kannon Bosatsu auf, die in Südindien, in einer Art Paradies, dem „Reinen Land Kannons“, wohnen soll. Und so ist dieser Tempel auch Kannon Bosatsu gewidmet, die als elfgesichtige Kannon die Oberherrschaft über die Schiff und das Meer hier haben soll. Während Gyōgi zwischen 724 und 728 die Hauptgottheit geschaffen und ein Gebäude errichtet haben soll, hat Kōbō Daishi später auf Geheiß des Kaisers Saga (52. Tenno Japans; 786-942) diesen Tempel etabliert und den Gumonji Ritus gelehrt.
Zwischen dem 16. und 17. Jahrhundert betete Yamauchi Kazutoyao, Lord von Tosa, hier für eine sichere Seereise. Die Kannon Statue wird deshalb noch heute Funadama Kannon („Geist der Schiffe Kannons“) genannt. Die Haupthalle (Hondō) stammt aus dem frühen 19. Jahrhundert, die Daishi-Halle (Daishi-dō) aus dem Jahre 1984 und das Tor mit den Wächterstatuen wurde 1291 von einem Künstler namens Jōmei geschaffen. Diese Statuen zählen heute zum wichtigen nationalen Kulturgut.
Exkurs Gumonji Ritual - auch Morgenstern-Meditation (gumonji-hō)
Die Morgenstern-Meditation ist eine Übung, bei der das Mantra (Wortformel) des Bodisattva Kokūzō in einer festgelegten Zeitspanne ein Million und achtzigtausend Mal rezitiert wird:
„Nōbō akyasha kyarabaya on arikya mari bori sowaka“ (Japanisch)
„Ehre Dir, großer Träger der Leere, der eine Blume in der Hand hält, geschmückt mit Girlande und einer juwelenbesetzten Krone – svâhâ“ (das Sanskritwort svâhâ lässt sich nicht übersetzen)
Der Begriff „gumonji-hō“ bedeutet wörtlich „Technik, das Gehörte zu behalten“, das heißt, nach dieser Übung soll man fähig sein, sich alles, was man sieht und hört, zu merken. In der Tat wurde die Morgenstern-Meditation in Japan schon früher mit dem Ziel geübt, das Gedächtnis zu schulen und Sutren besser auswendig zu lernen. Sie wird auch Morgenstern-Meditation genannt, weil sie die Visualisierung der Gottheit Kokūzō beinhaltet, und zwar in Gestalt des Planeten Venus, des Morgensterns. Nachdem der Übende Zeremonien zur Körper- und Geist-Reinigung vollzogen (Aka/Nußeibe-Wasserritual), den Morgenstern verehrt hat, betritt er die spezielle Meditationshalle, deren Wände den Blick auf eine unberührte Naturlandschaft in der Ferne freilässt und ein verhängtes Bildnis Kokūzōs aufweist. Nachdem der Gottheit Ehrerweisungen und Opfergaben dargeboten wurden, das Bildnis wird enthüllt, beginnt die Meditation, mit einer gegenseitigen Kraftübertragung zwischen Übenden und Gottheit. In Kokūzōs Brust visualisiert man eine Mondscheibe, in der die Silben des Mantra (Wortformel) erscheinen. Das Mantra stahlt goldenes Licht aus und strömt so von der Gottheit weg durch den Scheitel des Übenden hinein, verlässt ihn durch den Mund und tritt durch die Füße wieder in Kokūzō ein. Stets mit derselben Mudra-Haltung der Hände (rechts „Wunscherfüllungsjuwel“; links „Vajra-Faust“) visualisiert der Übende seine eigene Rezitation in dieser Art, bis die vorgeschriebenen Anzahl von Mantras erreicht ist, die durch einen speziellen, 54 Holzperlen aufweisenden, Rosenkranz (juzu) und ein Steckbrett mitgezählt werden. Früher liefen solche Meditationen über 100 Tag, heute sind es meist 50 Tage. Diese werden mit einem speziellen Einführungs- und Abschlussritus beendet, ansonsten jedoch gleichförmig und auch nach der eigentlichen Meditation, Essen, Baden, Schlafen laufen ebenfalls ritualisiert weiter. So z.B. jeden Morgen um 2.00 Uhr aufstehen und nach Eingangsritualen zwei Perioden von insgesamt 10 Stunden meditieren.
Traditionell wird die Halle für die Morgenstern-Meditation in einer einsamen, unberührten Gegend errichtet, an einem Ort, wo man Himmel und Sterne sehen kann. In alter Zeit wurde sie im Freien durchgeführt. Es gibt heutzutage nur noch wenige Tempel wo man diese Meditation übt: Tairyuu-ji (Tempel Nr. 21) in der Region Awa auf Shikou, Kongō-ji in Kōchi, der Berg Misen auf der Inlandsee-Insel Miyajima und Shinbessho auf dem Koyasan.
An klaren Tagen soll man hier sowohl Kap Muroto als auch Kap Ashizuri sehen können, aber mir fallen vor allem die, die Küste säumenden, Gewächshäuser ins Auge. Im Tempel entdecke ich eine Tanuki Figur (Dachshund) im Mönchsgewand und sogar die hinter den Gebäuden liegenden „shio no senman“ Felsen entgehen mir heute nicht. Wir hetzen durch den Tempel, holen uns Stempel und Kalligraphie im Pilgerbüro und sprinten wieder den Berg runter. Das ist Gift für Hajos Bein, denke ich, und als ich auf die Uhr gucke, haben wir bis zum letzten Bus noch eine halbe Stunde. Wir fahren also pünktlich mit dem Bus nach Kōchi zurück, inspizieren noch den Weg zum Postamt, welches wir morgen, gezwungener Maßen, besuchen müssen, da wir bis jetzt noch keinen Geldautomaten gefunden haben, der unsere Kreditkarten akzeptiert. Auch auf den Zug nach Engyojiguchi müssen wir wieder warten, aber kommen doch noch rechtzeitig zum leckeren Abendessen. Wir machen unsere Wäsche, damit wir die nächsten Tage Ruhe haben und kalkulieren unsere Route. Wenn wir so weitermachen, sind wir Ende April mit unserer Shikoku Tour fertig. Und was soll ich die restlichen 3 Wochen machen? Hajo will noch zum Koya-san, Kyōto, Tokyo und Nikko besuchen, um dann vom Tokyoter Flughafen Narita wieder nach Deutschland zu fliegen. „Ich lad’ Dich nach Kyōto ein“, sagt Hajo großkotzig, aber erstens kenne ich Kyōto schon und zweitens weiß ich auch, dass wir mit dem Budget, was wir hier verbrauchen auf dem „Festland“ nicht hinkommen werden. In Kyōto musst du für jeden Tempel Eintritt bezahlen, für jede Extraausstellung oder Tempelgebäude wird zusätzlich Yen verlangt, mal ganz davon abgesehen, dass wir hier die günstigsten Unterkünfte und Restaurants in unseren Karten verzeichnet haben. Da hetzt man sich nur, um dann zu erfahren, dass man viel zu schnell ist. Am späteren Abend trudeln dann noch Amerikaner in der Jugendherberge ein, die fragen wir auch nach Kartenautomat.
Ich fühle mich durchgefroren, das ganze Warten auf die Busse und die paar Sonnenstrahlen wärmen einen bei der steifen Briese, die hier weht, auch nicht mehr auf. Da hilft auch eine heiße Dusche am Abend nicht mehr. Buspilgern ist Sch…! Man kann nicht fotografieren, man sitzt nur rum und wartet…
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