Karte von Shikoku mit den 88 Haupt- und 20 Nebentempeln


Mittwoch, 7. Oktober 2009

Samstag, 04.04.2009, Kochi, Ainan Town, Business Hotel Irin/Aelin

Der 20. Tag in Japan

Heute bin ich um 7.00 Uhr aufgestanden, aber schon um 6.30 Uhr aufgewacht. Leider ist es bewölkt und die ersten Regentropfen sind auch schon gefallen. Hoffentlich setzt jetzt nicht das Wetter ein, vor dem man mich gewarnt hat: von sieben Tagen sollte es mindestens drei Tage regnen. Ich habe nicht viel geschlafen, da ich bis spät in die Nacht Karaoke Musik gehört habe. Es haben sich wohl auf dem Hotel Parkplatz junge Leute getroffen, um bis spät in die Nacht die Kirschblüte zu feiern. Um nicht zu verschlafen benutze ich einen einfachen Trick, ich lasse die Vorhänge auf, damit mich das erste Tageslicht wecken kann. Da mit Hajo auch der einzige Wecker unser Pilgergemeinschaft verlassen hat, muss man sich was einfallen lassen.
Schnell bin ich wieder auf der Piste, da ich meinen Rucksack schon abends gepackt habe, brauche ich das Zahnputzzeug nur noch in die Seitentasche packen und los geht’s. Ich treffe das Ehepaar vom Vortag im Sunkus wieder. Die sind wohl auch nicht früher weggekommen als ich. Ich kaufe einen Bouze, ein hackfleischgefüllte Teigtasche, zum Frühstück und für die Füße, die durch das Wandern und abendliche heiße Bad trocken und spröde werden, die gute alte Nivea Creme.
Jetzt fängt es an richtig zu regnen, und der Ehemann erklärt mir, dass es nur einen Tag dauern wird bzw. die Regenwahrscheinlichkeit laut TV Wetterbericht hier in der Gegend bei 50 % liegt. Wetterbericht - den sollte ich auch sehen, denke ich so bei mir, dann kann man die Tagesetappen noch besser planen. Man muss immer einen Plan B, C und auch D bereithalten. Meist setze ich mir ein Ziel so in 20 bis 30 km Entfernung (Plan A), wähle mir eine Unterkunft. Wenn ich dann dieses Ziel erreicht habe, gucke ich auf die Uhr und ist es dann noch früh am Nachmittag, tritt Plan B in Kraft und ich wandere noch ein paar Kilometer bis zum nächsten Unterkunftsmöglichkeit. Ich plane dann schon im Voraus, wenn der Ryokan komplett belegt sein sollte, wo ich dann unterkommen könnte (Plan C) und reißen dann alle Stricke, hoffe ich, dass mir jemand auf der Straße aufliest und mit nach Hause nimmt (Plan D). Aber letzteres ist glücklicher Weise nie eingetreten.

Ich folge also dem erwähnten Ehepaar, da muss man nicht so viel Aufmerksamkeit aufs Navigieren lenken, es ist auch mal sehr entspannend einfach nur hinterher zu laufen. Aber am Matsuo Tunnel trennen sich unsere Wege. Die beide wählen den Pilgertrail über den Tunnel, doch da es mittlerweile Bindfäden rechnet, bevorzuge ich den zwar trockenen, aber lauten Weg durch Tunnel. Das kann schon zum Nerventest werden, wenn man mehrere Kilometer in so einem schlecht beleuchteten, schmutzigen Tunnel laufen muss. Auf dem Festland ist das übrigens anders, da gibt es für Fußgänger und Fahrradfahrer meist separate Tunnel. Es gibt hier im Matsuo Tunnel zwar einen kleinen „Bürgersteig“, der ist aber so eng, dass nur eine Person darauf laufen kann. Man sollte außerdem die richtige Richtung gewählt haben. Da hier in Japan Linksverkehr herrscht und ich die Fahrzeuge gerne vorher sehe, bevor mich und mein Hut der Windstoß erfasst, laufe ich kontinuierlich rechts auf der Straße. Am Tunneleingang fällt mir noch eine Henrohütte auf, am Tunnelausgang gibt es eine Coinlaundry, einen Waschsalon, der nicht nur von Pilgern genutzt wird. Ich laufe weiter, bis ich in die Stadt Uwajimo City komme, auf den Weg dorthin passiere ich viele Pachinko Hallen, die hier mit dem Namen „Century 21“ werben. Pachinko ist eine weitere Leidenschaft der Japaner, nur um die Seele baumeln zu lassen, oder seinen Lebensunterhalt damit zu verdienen. Es ist eine Kombination aus Spielautomat „Einarmigem Bandit“) und Flipperautomat, bei dem über den Spielautomaten Multiplikationsfaktoren gewonnen werden, die die Punkte, die im Flipperspiel erzielt werden, vervielfachen. Man kann da, außer an einem kleinen Rädchen zu drehen, das den Winkel der auf ein Nagelgitter treffenden Metallkugeln bestimmt, nicht viel verändern. Die Punkte werden einem inform von Metallkügelchen „ausgezahlt“, die wiederum den Automaten am Laufen halten. Überschüssige Kugeln werden meist in kleinen Wannen, die einem der Stewart des jeweiligen Spielbebereichs reicht, gesammelt. Es ist schon ein Glücksspiel, was in Japan eigentlich verboten ist, aber durch einen Trick umgeht man das Gesetz: Es werden in der Spielhalle keine Geldbeträge ausgezahlt, man bekommt kleinere Sachpreise und Gegenstände, es soll sich laut Literatur um Feingoldbarren handeln, ausgehändigt, die für einen bestimmten Geldwert stehen. Mit diesen Gegenständen verlässt man das Gebäude und tausche sie an einer, in der Nähe liegenden Kasse ein. Die eigentliche Kasse besteht meist nur aus einer Art Schalter, vielmehr eine Klappe, bei der man die Gegenstände in Geld umtauscht.

Ich treffe die beiden Frauen vom Vortag wieder bzw. eigentlich habe ich sie in ihrer Regenkleidung mit dem Ehepaar verwechselt. Nein - Regen macht keinen Spaß, alles ist nass und da ich mir auch keine Gamaschen besorgt hatte. Was nützen mir atmungsaktive Wanderschuhe, wenn es keine atmungsaktive Gamaschen gibt. Der Regenponcho ist super, er umhüllt mich und meinen Rucksack, nur die Beine und vor allem die Schuhe sind jetzt durchgeweicht wie ein Schwamm. Vielleicht hätte ich mir auch eine Regenhose besorgen sollen. Hier in Japan sind sie was Regenkleidung betrifft Spezialisten, wer eine jährliche Regenzeit im Juni und Juli durchstehen muss, der sollte doch bestimmt wissen, wie man es möglichst trocken hinter sich bringen kann. Aber ich glaube, ich könnte da so Probleme mit der Größe bekommen. Ich komme an einem Sportgeschäft vorbei und halte inne, die müssten doch Handgelenksbandagen führen. Schnell habe ich ein Paar elastische Handbänder bekauft und hoffe, dass sie meine, jetzt beidseitig, entzündeten Handgelenke entlasten mögen.
Da es immer noch regnet, ich habe selten so ein gleichmäßig starkes Geplätscher gesehen, werde ich mir wohl gleich in Uwajima ein Business Hotel suchen und morgen meinen Weg fortsetzen. Ich wandere vorbei am Tenshaen Park und Uwajima Castle, wenn das Wetter besser gewesen wäre, hätte ich hier eine Stippvisite eingelegt. Aber endlich finde ich den Weg zu Bangai Tempel Nr. 6.

Exkurs Bangai Tempel Nr. 6 Ryūkōin (龍 光院)
„Der Tempel des Drachenlichts“ liegt zwischen dem Tempel Nr. 40 und Nr. 41, gehört aber als Okunoin zu Tempel 40. Tempel haben meist die Endung „-ji“ für Tempel und Subtempel die Endung „-in“ als Institution. Er soll ursprünglich auf einer Insel namens Kushima gestanden haben, doch dann an seinen jetzigen Ort, Uwajima City, versetzt worden sein. Für die Gründung des Tempels kommen laut Literatur gleich drei Personen in Frage: Natürlich Kōbō Daishi, eine Person mit Namen Ganjōji und von einem Eiyu Jōnin ist auch die Rede. Leider kann ich keine weiteren Infos im Netz auftreiben und muss mich so an meine Vorlage halten. Laut Bishof Taisen Miyata, dessen jüngerer Bruder oberster Priester dieses Tempels ist, wurde er von Kōbō Daishi unter dem Namen Ganjōji gegründet und ist Jūichimen Kannon, der elfgesichtigen Kannon, gewidmet. Im letzten Jahrhundert brannte der Tempel zweimal aus, das letzte Mal 1945 durch den Abwurf eines amerikanischen N-29 Bombers ausgelöst.
Es wird empfohlen, den Berg hinter dem Hondō (Haupthalle) zu besteigen, da dort eine riesige Kannon Statue steht und auch einen Stein mit einem Haiku von Basho soll sich auf dem Tempelgelände befinden.
Die Kannon Statue finde ich später auf einem Foto, da sie recht weit entfernt auf dem angrenzenden Friedhof steht. Da habe ich wohl vor Ort nicht so wahrgenommen, weil er Begriff „riesig“ doch auch etwas recht großes impliziert. Dafür hat man vom Tempel aus eine tolle Aussicht auf das Schloss von Uwajima, eines von wenigen Schlössern bzw. Burgen, die noch im Originalzustand stehen. Und auch eine Miniaturausführung der 88-Tempel-Tour kann hier absolviert werden.

Exkurs Bashō und Haiku
Matsuo Bashō gilt als bedeutenster japanische Dichter der Versform Haiku. Traditionell besteht das Haiku aus drei Gruppen von jeweils 5, 7, 5 Silben. Mit insgesamt 17 Silben ist das Haiku die kürzeste Gedichtform der Welt. Es beschreibt traditionell ein Bild aus der Natur und gibt anhand sogenannter Jahreszeitenwörter (Kigo) den Handlungszeitraum zu erkennen. Matsu Bashō, eigentlich Matsuo Munefusa, er wählte seinen Künstlernamen nach der Bananenblatt (bashō)-Hütte, in der er zeitweise wohne, wurde in eine Samuraifamilie niederen Ranges geboren. Er widersetzte sich jedoch der Tradition und zog als Wanderer, der den Weg und die Geschichte des Zen studierte und sich klassischer chinesische Poesie widmete, umher. Basho gab dem Haiku eine ganz neue Anmut. Er vertiefte im Haiku den Zen-Gedanken und begriff Poesie als einen ganz eigenen Lebensstil (Kado, der Weg der Poesie). Basho war der festen Überzeugung, Poesie könne eine Quelle der Erleuchtung sein.

Sein berühmtestes Haiku, das Frosch-Haiku, besticht durch seine Einfachheit:

古池や furu ike Ein alter Weiher
蛙飛び込む kawazu tobi komu Ein Frosch springt hinein
水の音 mizu no oto Der Klang des Wassers

Das Kigo (Jahreszeitenwort) des Frosches ist die Frühlingsmitte, der Japaner (und auch Europäer) erwartet das Froschquaken, aber ein ganz anderer Laut dringt durch unseren Geist.


Ich kann kein einzigen Pilger hier im Tempel sehen, kein Wunder bei dem Regenwetter. Plötzlich öffnet eine Frau das Fenster vom Pilgerbüro, wir halten einen kleinen Klönschnack, so gut es eben geht. Zum Abschied bekomme ich als Osettai (Pilgergeschenk) ein Tütchen mit 300 Yen, ich habe meine Kosten für den Pilgerbucheintrag sozusagen erstattet bekommen. Morgen werde ich hier nochmals herkommen, um eine paar Fotos zu machen. Der Regen verhindert leider das Fotografieren, da immer wieder Regentropfen auf das Objektiv fallen. Da der Tempel fast direkt am Bahnhof liegt, versuche ich hier eine Unterkunft zu finden. Es sind in meinem Plan genügend Unterkünfte eingetragen, doch muss ich über eine Stunde suchen, um endlich ein trockenes Plätzchen zu finden. Das Shoshiku hat geschlossen, in der Touristeninformation gegenüber der Uwajima Station (Bahnhof) erklärt man mir, dass auch das Business Hotel Makoto-ya und Teuroshima geschlossen sind. Ob nun wegen der unpassenden Saison oder für immer, das bekomme ich leider nicht raus. Ich irre also durch den Regen, hier im Kikusui Gebiet, finde jedoch nach langem Suchen doch noch einen Ryokan. Business Hotel Kikusui heißt der Laden, aber er wirkt alles andere als ein Business Hotel.
Es wird von einem alten Mütterchen und ihrer Schwester geführt. Es ist ein altes, schmuddeliges Gebäude, aber ich bin froh, dass ich bei dem Regen ein Dach über dem Kopf habe. Da es erst 14.00 Uhr ist, erklärt mir das Muttchen, nicht vor 15.00 Uhr zu baden, das habe ich dann auch verstanden, obwohl die Kommunikation extrem schwer ist, da ich die beiden alten Damen so gut wie nicht verstehen kann. Ich beziehe also mein Zimmer und kuschle mich zum Aufwärmen ins Bett. Ja - ein richtiges Bett mit Holzgestell und viel zu weicher Matratze. So verbringe ich den Nachmittag mit Fernsehgucken und amüsiere mich mit Beyonce Knowles, die Werbung für Crystal Geysir Mineralwasser macht und Penelope Cruze, die NesKaffee in Dosen verkaufen will. Es gibt sogar einen Bericht über die Sushi Fair (Sushi Messe) in London und eine Reportage über Judo.
Gegen 18.00 Uhr macht sich bei mir ein Hungergefühl breit und ich beschließe etwas zu Essen zu kaufen. Es regnet immer noch und die beiden Damen zeigen mir, dass ich nach rechts gehen soll, wenn ich was zu Essen kaufen möchte. Eigentlich hätte ich jetzt Appetit auf Takoyaki (Tintenfischbällchen), aber es gibt hier nur Oekonmiaki (japanische Pizza), auch am Bahnhof gibt es keinen Kombini, aber schließlich und endlich finde ich doch noch ein Lädchen, in dem ich mir mein Abendessen zusammenstellen kann. Nach dem Essen wollte ich eigentlich heiß Duschen, aber es kommt keine heißes Wasser. Die Damen hatten nur was von 15.00 Uhr geschnackt, aber dass es jetzt abends auch kein Heißwasser gibt. Als ich nachfrage, entgegnet die Alte was von „Boira“ und ich bitte inständig, dass sich der Ausdruck auf einen Heißwasserboiler bezieht und ich so doch noch zu meinem heißen Bad komme. Sie fragt auch noch was, was wie „Auto“ klingt, nach einigem Hin und Her, komme ich auf die Idee, es könnte „check outo“ heißen, also wann ich das Hotel wieder verlassen möchte. Roku-ji (6.00 Uhr) ist den Damen zu früh, also einigen wir uns auf 7.00 Uhr. Später am Abend kommt dann noch ein Gast und der Wetterbericht verkündet, dass es hier ab 12 Uhr wieder Sonnenschein geben soll.

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