Karte von Shikoku mit den 88 Haupt- und 20 Nebentempeln


Donnerstag, 10. Juni 2010

Mittwoch, 15.04.2009, Saijo City, BH Tamano-ya

Der 31. Tag in Japan
Der Tag beginnt heute für mich um 6 Uhr. Ich packe meine Sachen und stelle alles zusammen, damit ich ja nicht meinen Wanderstock

>> Würden Sie bei diesem Mann ihren Kaffee kaufen?<<


oder den Pilgerhut vergesse. Die Sonne scheint, aber an den Bergen hinter der Iyo Saijo Station (Bahnhof) hängen noch dicke, graue Regenwolken. Um 6.30 Uhr gibt es japanisches Frühstück im sogenannten „Boogie Woogie Cafe“, wo ich allerdings anstatt eines Tees oder Kaffees Eiswasser bekomme. Das Frühstück besteht aus einem Ei, welches über den Reis geschlagen wird, eine Schüssel mit Miso Suppe, einem Päckchen Seetang, einem Scheibchen Lachs, fein geschnittenem Eisbergsalat und eingelegtem Ingwer sowie der obligatorischen „Frühstücks-Ume-Boshi“ (eingelegte jap. Pflaume). Trotz des „Super-Wassers“, was es hier am Bahnhof kostenlos an einem Marmorbecken gibt, bevorzuge ich den Getränkeautomaten, um mir eine Cola zu ziehen. Ich stutze, da die Cola hier sowohl 120 als auch 150 Yen kosten soll, obwohl es jeweils die gleiche Flaschengröße ist. Da hat wohl jemand nicht aufgepasst! Aber Tommy Lee Jones, der hier Werbung für „Boss“, den Kaffee Dosen von der Getränkefirma Suntory macht, hat kein Lächeln für mich übrig. Kein Wunder, wenn man so einer Dose lauwarmen und superstarken Kaffee den Vorzug gibt, macht das Kaffeetrinken keine Spaß mehr. Wo bleibt den da der Genuss? Wenn die Kaffeesorte dann noch „morning shot“ heißt, weiß man, dass es den Japanern weniger um Genuss als vielmehr ums Aufwachen bzw. Coffein geht. Das ein Volk, welches sich stundenlang der Teezeremonie widmen kann, und für die Genuss beim Essen an oberster Stelle steht, sich an Fertigtee und -kaffee laben kann, wird mir immer unverständlich bleiben.

Jetzt muss ich aber zurück auf den Pilgerpfad. Gar nicht so einfach den wiederzufinden, so verfehle ich leider den richtigen Abzweiger und muss die Straße Nr. 11 entlang laufen. Mir begegnen Schüler in Uniform und gelben Mützen, sie überqueren eine Straße mit einer älteren Schülerin als Schülerlotse. Beim dem Verkehr hier wäre das eigentlich nicht nötig, aber Japaner sind immer sehr auf Sicherheit bedacht. Ich passiere einen Wassergraben, über dem die Spinnen ihre Netze gewebt haben, im Sonnenlicht glitzert alles so schön. Aber beim Gedanken an die vielleicht doch etwas größeren, japanischen Spinnen schaudert es mich. Hier sind auch überall Schilder aufgestellt, auf denen kulleraugige Hunde den Hundebesitzer daran erinnern, die Hinterlassenschaften zu beseitigen. Da es hier nur Straßen, Betongräben, aber keinen Grünstreifen gibt, ist das durchaus angebracht. Aber es gibt hier auch die Einrichtung von Trinkbrunnen, da das Wasser wie gesagt besonders gut sein soll, hat man für den Pilger gleich einen Becher dazugehängt. Aber mein Weg führt mich weiter am Matsuyama Expressway (Autobahn) entlang. Ich sehe ein seltsames Gebäude, das nicht wie ein Tempel aussieht. Hoch am Berg steht es und hat so ein Gestell auf dem Dach montiert.
Ich komme an einem Automaten mit der Aufschrift „Potato Boy“ vorbei, das ist wohl ein Automat für Kartoffelchips und auch einer für Kaugummi steht daneben. Bei einer gemütlichen Hütte, die sehr fantasievoll dekoriert ist, mache ich ein kleines Päuschen. Oder ist es ein kleiner Schrein, das weiß ich nicht so genau. Ein Schild über der Straße gibt mir Auskunft, dass jetzt Niihama City kommt und aus der Ferne kann ich das Ehime Präfekturmuseum für Naturwissenschaften sehen. Es ist so ein kegelförmiger Bau, in dem man etwas über Dinosaurier und andere naturwissenschaftliche Themen erfahren kann. Es rühmt sich mit dem größten Planetarium der Welt, aber für eine Stippvisite ist es noch zu früh.
Ich komme an einem Gebäude vorbei, was mich an ein Schloss erinnert. Ob das wieder so ein Love Hotel, ein Stundenhotel für Liebespaare ist, welches genutzt wird, da die Wohnverhältnisse zuhause doch recht beschränkt sind und vor allem die Wände zu den Nachbarn doch recht dünn? Ein Schild weist es als „Cindarella’s Castle“ aus, aber was es im Endeffekt ist, ein Love Hotel oder nur ein opulentes Touristenhotel, bleibt mir verborgen. Kurz nach dem Schloss liegt da ein Haus auf meinem Weg, im Vorgarten bewundere ich eine alte Pinie und das Dach sowie Gartenmauer ist mit wunderschönen Dachreiter wie Drachen und Glückgöttern versehen. Als ich ein Fotogeschäft sehe, nutzte ich die Gunst der Stunde und frage, ob sie Linsentücher bzw. „lense cleaner“ führen. Der Chef des Ladens legt gleich selbst Hand an. Zu verkaufen hat er diese Einwegtücher mit Reinigungsflüssigkeit, wie ich sie aus Deutschland kenne, nicht, aber er könne mir die Linse durchaus gleich hier vor Ort reinigen. Als ich ihn nach dem Preis für seine Dienstleistung frage, entgegnet der „osettai“ also Pilgergeschenk. Ich bedanke mich recht herzlich und auch im nächsten Laden, einem kleinen „Tante Emma Laden“, wo ich Proviant aufstocken will, hält mich die Japanerin hinter der Ladentheke mit den Worten „chotto matte“ („Bitte warten Sie einen Augenblick“) zurück. Sie stellt mir eine Tüte mit Dorae keki, so eine Art Biskuitwaffel mit Bohnenmus Füllung und eine Flasche Grünen Tee als Pilgergeschenk zusammen. Ich muss jetzt aufpassen, da der Pilgertrail demnächst abknickt. Mein englischsprachiger Plan hat einen „meat shop“ (Schlachter) an diesem Punkt eingetragen, dann bis zum COOP Laden. Nein - Ausnahmsweise ist es nicht die Deutsche COOP-Kette, obwohl ich schon Läden wie „Spar“ in Japan gesehen habe. Ich wandere so an der Straße lang, hier gibt es keinen Bürgersteig und ich muss aufpassen, dass ich nicht mit meinem Wanderstock in eines der vielen Löcher der Kanalisation einfädle. In Japan ist die Kanalisation mit Betonplatten abgedeckt, die jedoch alle ein Griffloch haben So kann man sie bei Bedarf einfach anheben, sollte da mal was verstopft sein. Aber man muss sich wundern wie oft man als Pilger dann doch einen Volltreffer direkt ins Loch landet. Ist die Reaktion dann nicht schnell genug, kann man sich bei solchem Missgeschick dann durchaus den Pilgerstab abbrechen. Aber mein Kōbō Daishi (symbolisiert durch meinen Wanderstock) wird die ganze Tour überstehen, wenn ich auch zugeben muss, dass er am Ende dann doch erheblich kürzer ist als am Anfang.

Über den Ashitami Fluss führt mich mein Weg in den Yamane Park, wo ich an einem Toilettenhäuschen eine Pause einlege. Ich lasse mir meinen „Dorae Keki“, von dem Doraemon, die Roboterkatze aus der Zukunft ihren Namen hat, da sie seine Leibspeise sind, schmecken. Es ist zwar erst Mitte April, aber man kommt schon richtig ins Schwitzen, mal ganz davon abgesehen, dass die Sonne hier ganz anders vom Himmel brennt als in Europa. Sieht man also Japaner mit Sonnenschirm und UV-dichten Handschuhen sowie Gesichtsschutz herumlaufen, hat das durchaus seine Berechtigung. Ich habe mich auch schon angepasst und versuche nie in der Sonne eine Pause zu machen, sondern immer erst ein schattiges Plätzchen aufzusuchen, damit ich mir keinen Sonnenbrand einfange. Ich laufe direkt am Matsuyama Expressway entlang, der Pilgerweg ist etwas erhöht, so kann ich von oben auf den Mishima Schrein mit seinem Beton Tōri (Tor) gucken. Doch für eine Stippvisite bin ich zurzeit einfach zu faul, da ich dann mein ganzes Gepäck wieder über die lange Betontreppe nach oben wuchten müsste. Danach wird es schwierig den Weg zu finden, da die Beschilderung nur mäßig ist. Als ich dem Weg weiter an der Autobahn folge, führt er mich über den Parkplatz eines Golfvereins. Von hier hat man zwar eine fantastische Aussicht, es ist aber ein Umweg, den ich wegen der schlechten Beschilderung eingeschlagen habe. Kurze Zeit später fährt ein silberfarbenes Auto langsam an mir vorbei. Hupt, stoppt, bleibt erst mal stehen – dann springt eine kleine Frau aus dem Auto und übergibt mir so ein eingepacktes Teeküchlein. Ich versehe nur, dass die Frau mich wohl am Golfplatz gesehen hat und in ihr Auto gesprungen ist. Die Ärmste heult fast vor Aufregung. „Ohenro“ (Pilger) nennt sie mich immer wieder und verschwindet so plötzlich wie sie aufgetaucht ist. Ich habe noch Adrenalin intus, da sie mich mit dem Hupfen dann doch ganz schön erschreckt hat. Ich laufe hier neben der lauten Autobahn in der prallen Sonne, es stinkt nach Abgasen, ich muss aufpassen, den Weg nicht zu verlieren und dann so was. Aber glücklicher Weise macht der Trail nach ca. 10 km einen Abzweig in die Stadt Shikoku-Chuuō, wo der nächst Bangai Tempel steht.

Als ich die Straße Nr. 11 überquere kann ich Gesänge hören, ob die vom Tempel kommen? Ich laufe hier nur nach Karte, da es keine Pilgerzeichen gibt. Ich erkundige mich noch bei einem kleinen Jungen nach dem Tempel Enmeiji, doch schließlich finde ich ihn dann doch. Ich habe immer wieder Probleme, wenn es durch Wohngebiete geht, da aus der Karte nicht unbedingt ersichtlich ist, ob die eingetragene Straße nur eine kleiner Weg oder doch eine mehrspurigen Asphaltstraße ist.

Exkurs Bangai Tempel Nr. 12 Enmeiji (延命時)
„Der Tempel der Langlebigkeit“ wurde von Gōgi (668-749)gegründet und Jizō Bosatsu gewidmet. Aber der Tempel wird auch nach einer Legende Izarimatsuji, „Tempel der Krüppelpinie“, oder nach den hier verkauften Amuletten (Senmai-dōshi), „Tempel der Senmai-dōshi“, genannt. Senmai Dōshi sind kleine Papierstreifen, auf denen der Name Buddhas steht. Es bedeutet buchstäblich „1000 Versenkungen“ und der Gläubige nimmt diese Papierblättchen mit etwas Wasser zu sich, während er das Gōhōgō Mantra (Wortformel; „Namu Daishi Henjo Kongō“) dreimal rezitiert. Diese Einnahme soll Krankheiten heilen und für eine leichte Geburt sorgen. Der Tempel verschickt die Blättchen in ganz Japan, da die Gläubigen sie auch als spirituelle Glücksbringer verwenden. Der Gebraucht geht auf eine Legende zurück, bei der Kōbō Daishi einen behinderten Mann durch Gabe eines solchen Senmai Dōshis geheilt haben soll. Zum Dank ließ sich der Mann vom Daishi zum Mönch ordinieren und bekam den Namen Hōnin. Eine weitere Legende erzählt von der Heilung eines gebehinderten Mannes, der sich an der „Krüppelpinie“ niedergelassen hatte. Alsbald war der Mann genesen, doch die überirdischen Teile des Baumes starben, nur die Wurzeln überlebten.

Der Tempel sieht recht bescheiden aus - alles spielt sich in einem kleinen Gebäude ab. Es gibt kein Tor, nur eine kleine Brücke, die Daishi-Halle ist auch gleichzeitig das Pilgerbüro oder ist es der Hondō (Haupthalle). Ein Schild weist mich auf die „Izarimatsu“ genannte Krüppelpinie hin, aber unter einer Überdachung liegt hier ein Baumstamm, wie ich ihn schon im Bangai Nr. 11 gesehen habe. Auf dem Schild ist eine viel größere Pinie abgebildet als jetzt hier vor mir steht. Ich muss also davon ausgehen, dass es sich wieder einmal um eine Neuanpflanzung handelt und nicht um das Original. Ich klingle nach dem Priester, der mir mein Pilgerbuch ausfüllt. Aber die Senmai Dōshis kann ich nirgends entdecken, obwohl hier eine ganze Vielzahl von Postern angeboten werden, in die man die Götterbildchen, die man bei jedem Nokyochō (Pilgerbuch) Eintrag erhält, einkleben kann.

Eigentlich wollte ich heute im „Ehime Truck Station“ übernachten, aber da ich der Karte entnehmen kann, dass es hier eine Jugendherberge (Youth Hostel) gibt, ändere ich meine Pläne. Ich habe jetzt noch ca. 8 Kilometer zu laufen und decke mit in einem Family Mart (24-h-Shop) mit Proviant ein. Ich muss wieder aufpassen, damit ich nicht zu früh oder zu spät die Autobahn kreuze, da es hier kein einziges Pilgerzeichen gibt. Als ich in der Nähe einer kleinen Holzhütte einen Arbeiter mit Schutzhelm treffe, frage ich ihn, ob die Jungendherberge eventuell auf dem Tempelgelände des Shin Chokkuji liegt, vor dem wir gerade stehen. Er bemüht das Internet auf seim Handy einige Minuten lang, kann mir dann aber doch nichts Näheres berichten. Ich steige also die lange Treppe zum Tempel hoch und habe Glück, nachdem ich wie Falschgeld durch die Gebäude geirrt bin, ich fälschlicher Weise eine Frau als „Herbergsmutter“ abgesprochen habe, treffe ich dann doch noch auf eine junge Frau. Eigentlich hätte sie Ferien und geschlossen, aber da ich sie bekniee, dass ich nur ein Zimmer benötige, willigt sie schließlich ein, mir ein Tatami-Zimmer für 3.300 Yen zu vermieten. Richtiges Ofuro gibt es heute nicht, da ich wohl der einzige Gast heute bin, aber mir reicht eine heiße Dusch. Allerdings hätte ich auch gerne Grünen Tee gehabt oder zumindest heißes Wasser, doch nach meinem Zimmerbezug, war die Dame verschwunden. Ich esse also Schokokekse und Wasser aus dem Wasserhahn zu Abendbrot. Ich hätte mir zwar von der Hütte am Tempeltor noch ein Getränk aus dem Automaten ziehen können, doch dazu bin ich einfach zu kaputt. Als die Sonne untergegangen ist, genieße ich den fantastischen Ausblick von meinem Zimmer über die beleuchtete Stadt Shikoku-Chuuō und die Seto Inlandsee.

Dienstag, 14.04.2009, Ehime, Saijō City, Iyo-Komatsu, B.R. Komatsu

Der 30. Tag in Japan
Um 6.15 Uhr stehe ich auf, da das Tempelbüro nicht vor 7.00 Uhr öffnen wird. Für heute habe ich geplant, erst den Tempel Nr. 62 zu besuchen, hier meinen Rucksack zu deponieren und dann über Tempel Nr. 61 den schwierigen Bergtempel Nr. 60 zu besuchen. Aber meine Pläne werden dadurch zur Nichte gemacht, dass es erstens regnet und zweitens Tempel Nr. 62 erst um 9.00 Uhr öffnet. Als ich nämlich den Hōjuji betrete, ist das Pilgerbüro noch geschlossen. Ein japanisches Pärchen gibt mir Auskunft darüber, dass der Tempel erst später gegen 9.00 Uhr öffnen wird. Ich besuche also zunächst Tempel Nr. 61, der hier keine 2 km entfernt in unmittelbarer Nachbarschaft liegt. Hier kann ich auch meinen Rucksack deponieren, der von den Mönchen, mit Zettel verstehen, im Pilgerbüro aufbewahrt wird. Nur mit meinem Regencape und einer kleinen Tasche mit Pilgerbuch und Pausenzehrung starte ich auf die fast 10 km zum Bergtempel. Im englischen Kartenmaterial wird sogar davor gewarnt, den einen oder anderen Trail bei Regen zu benutzen, da es hier am Berg extrem rutschig werden kann. Aber da ich den Weg vom Kouonji Tempel gewählt habe, sollte ich jetzt auf der sicheren Seite wandern, obwohl hier alles kreuz und quer durch den Wald geht. Ich komme an einem Wasserspeicher vorbei und unterquere den Matsuyama Expressway (Autobahn). Es regnet immer wieder, aber es ist nicht unbedingt kalt, so dass ich wie in einer Sauna unter meinem Regenponcho schwitze – von wegen atmungsaktiv! Der Nebel hängt hier noch in den Bäumen, aber der Weg ist gut beschildert. Ich kremple meine Ärmel hoch und ziehe den Regenponcho in meinen Nacken, so kann ich bei Bedarf, sollte der Regen stärker werden, mich mit einem Handgriff wieder komplett verhüllen. Aber der Weg ist steil und ich schwitze, mir läuft die Soße von der Stirn. Eigentlich bin ich komplett durchgeweicht, obwohl dies nicht vom Regen kommt. Während der Regen eine Pause macht, tropft es nass von den Bäumen und auch der Nebel schlägt sich hier nieder.

Ich amüsiere mich mit den Krabben, die hier und da auftauchen. Ich schimpfe mit ihnen, da sie ausgerechnet heute auf dem Pilgertrail krabbeln müssen. Da man während der Pilgerreise niemandem Leid zufügen soll und weil ich die Krabben ohnehin nicht zertreten würde, versuche ich beim Steigen, nicht unbedingt auf eine zu treten. Aber die kleinen Viehcher schießen bei Erschütterung des Bodens immer wieder aus ihren Höhlen und ich darf dann zusehen, dass ich beim Ausweichen nicht das Gleichgewicht verliere. Ich bin schon froh, dass ich nicht den dicken Rucksack mitschleppen muss, auf den Hut und den Stock möchte ich nicht verzichten. Auf dem Weg zu Tempel Nr. 60 gibt es zwei kleine Hütten, bei denen ich eine Pause einlege. Ich hatte allerdings mein „Schwitzpotential“ unterschätzt, so dass ich zu wenig zu Trinken mitgenommen habe. Das letzte Stück des Weges führt über eine Autostraße, obwohl hier Autos nicht fahren dürfen, die werden mit einem Schild und einer dicken Kette daran erinnert, dass hier Fußpilger Vorrang haben. Ich lausche in den Nebel hinein und plötzlich schälen sich Gestalten aus der weißen Wand, die nur durch Bäume unterbrochen wird. Es sind nicht wenige Pilger, die mir da entgegenkommen, nein, eine ganze Busladung mit einem Priester. Ich grüße freundlich und endlich habe ich den Tempel erreicht. Leider ist auch der Tempelbezirk total vernebelt, was hätte ich bei Sonnenschein hier schöne Fotos schießen können, aber das ist das Los des Pilgers. Er muss weiter egal ob Regen, Sturm oder gleißende Hitze. Wenn man nicht stramm wandert, kühlt man sehr schnell aus. Ich friere und finde zu meiner Rettung einen Automaten, aus dem ich mir ausnahmsweise eine Dose Kaffee ziehe.

Exkurs el Nr. 60 YokominTempeji (横峰寺)
„Der Tempel neben dem Berggipfel“ erhielt seinen Namen, da er dem höchsten Berg Shikokus, dem Ishizuchi (1982 m) vorgelagert ist, d.h. neben dem eigentlichen Gipfel auf 709 m liegt. Damit gehört er neben dem höchstgelegenen Tempel Nr. 65 (Unpenji) und dem Tempel Nr. 12 (Shōsanji) zwar nur zum dritthöchsten Tempeln, wird aber in der Kategorie am schwersten zu erreichender Bergtempel (nansho) geführt. Er wurde 651 von En no Gyoja (Ahnvater des Shugendō) hier gegründet, nachdem ihm Zaō Gongen eine shintoistische Gottheit (kami) an einem Ort names Hoshi-ga-Mori (Sternenwald) erschienen war. Er schnitzte eine Statue der Gottheit und brachte sie in einem kleinen Gebäude unter. Zaō Gongen ist eine Berggottheit, von der man glaubte, sie würde auch als Shakyamuni Buddha, Kannon Bosatu oder Miroku Buddha (Buddhas der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft) in Erscheinung treten. Zwischen 806 und 810 lebte Kōbō Daishi hier und vollzog das buddhistische Stern-Ritual, um Unglück abzuwenden. Er bestieg den Berg Ishizuchi 24 Tage nacheinander jeden Tag, um nahe der Bergspitze zu beten. Auch Kōbō Daishi erschien Zaō Gongen und der Daishi erkannte die Heiligkeit dieses Ortes. Er schnitze die Statue des Danichi Nyorai und baute hier Tempelgebäude. Später wurde dieser Tempel der Huldigung des Kaisers Kammu (781–806; 50. Tennō) geweiht und vielen anderen erfolgreichen Kaiser und Generälen. In der Meiji-Zeit (1868-1912), unter dem Gesetz zur Trennung von Buddhismus und Shintoismus wurde der Tempel geschlossen und erst 1909 wiederhergestellt. Der Berg Ishizuchi stellt hier eine eigene Shinto Gottheit (Kami) dar, er zählt zu den 7 spirituellen Bergen Japans. Der buddhistische Tempel wurde erst zu Beginn der Meiji-Zeit (1868) wirklich eigenständig.

Nachdem ich meine Sutren rezitiert habe, hole ich mir im Tempelbüro, das sehr schön geheizt wird, meinen Nachweis über den Besuch. Ich treffe auf einen älteren Herrn mit kleinem Pilgerhut. Er will mir wohl sagen, dass der Regen nur einen Tag dauern soll, aber ich kann anfangs nicht genau heraushören, ob er jetzt „tenki“ (Wetter), „genki“ (Gesundheit) oder „denki“ gesagt hat, welches elektrisches Licht meint. Japanische ist gar keine so komplizierte Sprache, wenn man mal vom Lernen der Symbolzeichen (Kanji) absieht. Auch die Grammatik ist nicht sehr kompliziert. Schwierigkeiten bereitet vor allem, wann ich welche grammatikalische Form benutzen soll, da mit der Grammatik auch immer ein Statement gemacht wird, was den Satz näher erklärt. Das Schwierigste jedoch scheint mir nicht mal die Aussprache zu sein, aber das Hörverständnis der oftmals gleich klingenden sogenannten Homophone, die aus Hashi eine Brücke oder Essstäbchen machen. Auch das oben erwähnte Beispiel lässt einen Ausländer verzweifeln. Es fällt ebenso schwer Vokabeln zu lernen für die man einfach keine Eselsbrücke findet, weil Silben wie cho, chō, sho und shō einen nicht nur in der Aussprache zur Verzweiflung bringen.

Als ich mich dann auf den Rückweg machen will, traue ich meinen Augen kaum. Ist das nicht „Herr Siam“, der eingehüllt in Regenkleidung, die Herz-Sutra vor der Tempelhalle rezitiert. Nachdem er geendet hat, begrüße ich meinen alten Freund. Er hat mich mal wieder eingeholt oder habe ich ihn eingeholt? Und auch er macht Augen, mich hier zu sehen. Nachdem er keine Bangai Tempel besuchen und ich sie allen erkunden wollte, überrascht es mich, ihn hier zu sehen. Aber nach ein paar Brocken englisch – japanischen Wortmixes, verabschieden wir uns. Er geht ins Pilgerbüro und ich setzte meinen Rückweg fort. Hoffentlich hält sich das Wetter wenigstens, und fängt nicht wieder zu regnen an. Regen kann hier gleichmäßig über mehrere Tage vor sich hin fallen, ohne größere Pause. Aber ich hoffe wieder auf ein Tagesereignis, so wie es mir vor einigen Tagen schon mal passiert ist. Auf meinem Rückweg, ich bin jetzt im Laufschritt talwärts unterwegs, hole ich die Pilgergruppe vom Hinweg wieder ein. Zuerst dache ich, sie würden nur den Weg vom Parkplatz zum Tempel laufen, aber anscheinend laufen sie den Trail bis zum Fuß des Berges. Die gucken ganz schön verdutzt, als ich mich so im Galopp mit weiten Schwüngen zwischen ihnen hindurch schlängle, jedoch nicht ohne ein „konnichi wa“ (Guten Tag) auf den Lippen. Auf dem Rückweg kehre ich noch im Shirataki Okunoin ein: Was vom Trail wie ein kleiner Park wirkt, stellt sich bei näherer Betrachtung als ein Tempel mit am Fluss erbauter Huldigungsstätte heraus. Hier an einem kleinen Wasserfall sind Statue von Fudō Myōō und seine Begleiter aufgestellt. Als ich im Tempel Nr. 61 auf meine Uhr schaue, bin ich erstaunt, da ich für den Weg zum Bergtempel (ca. 10 km) einen ganzen Vormittag gebraucht habe, für den Rückweg nur 1,5 Stunden.

Exkurs Tempel Nr. 61 Kōonji (香園寺)
„Der Tempel des wohlriechenden Gartens“ wurde von Shōtoku Taishi (573-621) Mitte des 6. Jahrhunderts gegründet, im 8. Jahrhundert weilte Gyōgi (729-749) hier und im 9. Jahrhundert (808-810) leistete Kōbō Daishi seine 4 Hilfs-Versprechen:
1. - Kindern zu helfen (ko sodate),
2. - eine leichte Geburt (anzan),
3. - anderen Menschen zu helfen (migawari) und
4. - Frauen zu erlauben, Buddhaschaft zu erlangen (nyonin jobutsu).
Nach diesen Versprechen wird der Tempel auch Koyasu-Daishi, also „Daishi, der die Kinder beschützt“, genannt. Laut Legende traf der Daishi hier eine schwangere Frau, die Schwierigkeiten bei der Geburt hatte. Nachdem er das Goma Ritual vollzogen und für sie gebetet hatte, brachte sie ohne Mühe einen gesunden Jungen zur Welt.
Den Honzon (Hauptgottheit), eine kleine goldene Dainichi Nyorai Statue soll Kōbō Daishi mit aus China zurückgebracht haben. Zwischen 1573 und 1592 wurden sämtliche Tempelgebäude von Chōsokabe Truppen niedergebrannt, der Tempel verfiel in aller Stille.
1923 gründete der Tempelvorsteher Yamaoka Zuien eine Organisation mit dem Namen „Koyasu Ko“. Basierend auf Kōbō Daishis Versprechen, beten sie für Frauen um eine leichte Geburt. Der Tempelvorsteher bereiste nicht nur Japan, sondern auch Korea, China und Amerika. Die Gruppe soll an die 20.000 Menschen umfassen.
Der Tempel wurde erst 1976 in Zement und in einem sehr westlichen Stil wiederaufgebaut. Er wirkt mehr wie eine Amerikanische Versammlungshalle, sowohl Hondō (Haupthalle) als auch Daishi-dō (Daishi-Halle) befinden sich in dieser zweistöckigen Gebäude, die der Pilger betreten und auf Stühlen Platz nehmen darf. Es befinden sich in der Haupthalle Statuen von Dainichi Nyorai, Fudō Myōō und Koyasu Daishi. Der Kōnji ist Beispiel dafür wie ein mittelloser Tempel in kürzester Zeit zu einem der reichsten Tempel der Pilgertour werden kann, nämlich indem man den Gläubigen eine leichte Geburt verspricht.

Ich hole meinen Rucksack wieder bei den netten Mönchen ab. Jetzt habe ich auch den seitlichen Eingang in das hypermoderne Kastengebäude entdeckt. Ich spähe vom Eingang zwar noch in die große Halle, möchte mir hier aber nicht die Schuhe ausziehen, um noch länger hier zu verweilen, da ich Tempel Nr. 62 noch einen kurzen Besuch abstatten muss, der heute Morgen noch geschlossen war.

Exkurs Tempel Nr. 62 Hōjuji (宝寿寺)
„Der Tempel von Glück und Reichtum“ wurde im 8. Jahrhundert ursprünglich als Schrein „Ichinomiya“ auf Geheiß des Kaisers Shōmu (701-756; 45. Tennō) errichtet. Der Kaiser ließ nicht nur für jede Provinz einen Tempel errichten, sondern auch für jede einen Schrein. Während also Tempel Nr. 59 (Kokubunji) der Provinz-Tempel (tera) war, ist der Ichinomiya der Provinz-Schrein (jinja) für die Provinz Iyo (heute Ehime) gewesen. Zwischen 810 und 824 weilte Kōbō Daishi hier, gründete den Tempel unter dem Namen Hōjuji und schnitzte den Honzon (Hauptgottheit), die elfgesichtige Kannon (Jūichimen Kanzeon Bosatsu) nach dem Vorbild der Kaiserin Kōmyō (Gattin des Shōmu). In dieser Zeit hatte die Ehefrau von Lord Ochi, Herr der Provinz Iyo, Schwierigkeiten bei der Geburt ihres Kindes. Doch als Kōbō Daishi ihr Wasser aus der Tempelquelle zu trinken gab, brachte sie ein gesundes Kind zur Welt. Aus diesem Anlass wurde eine Statue der einfachen Niederkunft geweiht. Aber der Tempel wurde immer wieder von Fluten heimgesucht. Er wurde erst 1923, als die Zuglinie „Yosan Line“ von Japan Railways gebaut wurde, an den derzeitigen Ort versetzt.1585 brannte der Tempel nieder, 1642 wurde er von einem Priester namens Yūden wiederaufgebaut. Während der Meiji-Periode (1868-1912) soll er leer gestanden haben, aber 1878 von dem Pilger Ōishi Ryūhen wiederaufgebaut worden sein. Bemerkenswert ist, dass vor dem Tempel die wohl älteste Wegmarkierung der Shikoku Pilgerroute steht, sie trägt folgende Inschrift:„ 一国一官別当宝寿“

Jetzt ist im Tempel schon mehr Betrieb als heute Morgen. Ich treffe auf eine kleine Reisegruppe von 12 Personen, die gerade mit ihrem Priester die Herz Sutra rezitiert. Doch bevor diese Herrschaften das Pilgerbüro stürmen, lasse ich mir einen Eintrag im mein Pilgerbuch geben und wandere an der Straße Nr. 11 in Richtung Tempel Nr. 63. Theoretisch muss ich den ganzen Tag eigentlich nur an der Straße Nr. 11 weiterlaufen, um zum nächsten Tempeln zu kommen. Nach einem Katzensprung von 1,5 km kann ich schon das Gelände des Kichijōjis (Tempel Nr. 63) betreten.

Exkurs Tempel Nr. 63 Kichijōji (吉祥寺)
„Der Tempel der Kichijōten“ bezieht sich auf die indische Göttin des Glücks und Wohlstands Laksmi, die als japanische Adaption „Kichijōten“ genannt wird. Kōbō Daishi soll sie zwischen 810 und 724 zusammen mit dem Ehemann Bishamonten und ihrem Sohn Zennishidōji geschnitzt haben. Doch schon 587 soll dem Prinzen Shōtoku Taishi (574-622), man kennt ihn im heutigen Japan als Kulturheld und vom 10.000 Yen Schein, Bishaomnten während eines Kampfes erschienen sein und ihn gerettet haben. Deshalb wählte Kōbō Daishi Bishamonten, Gott der Samurai, des Glücks und Wohlstands, als Honzon (Hauptgottheit). Er ist heute der einzige Tempel der Pilgertour mit dieser Hauptgottheit. Der Tempelkomplex auf dem Gipfel des Sakamoto Berges hat zu seinen besten Zeiten 21 Gebäude umfasst, wurde jedoch im 16. Jahrhundert bei einem Kampf zwischen Kobayakawa Takakage (1533-1597) und Chōsokabe Motochika niedergebrannt. Und 1659 an seiner jetzigen Stelle, zusammen mit einem Zweigtempel eines anderen Kichijōji Tempels, wiederaufgebaut. Bemerkenswert ist hier eine Kannon Statue im Hondō (Haupthalle), die wie schon im Tempel Nr. 53 als „Mariya Kannon“ verehrt wird und Chōsokabe Motochika von einem spanischen Kapitän anvertraut worden war. Es handelt sich um eine 30 cm große Porzellanfigur, die zusammen mit einer „versteckten Buddha“ Statue von Gentaku Kaneko, Herr von Takao Castle, dem Tempel gestiftet wurde. In einem achteckigen Gebäude, das „fujuju kaku“ genannt wird, werden die 7 Glücksgötter verehrt. Von einem Stein (jōju seki) wird behauptet, der könne Wünsche erfüllen, wenn man mit geschlossenen Augen vom Hondō (Haupthalle) bis zum diesem Stein gehen und seinen Wanderstock durch seine Öffnung stecken kann.

Vor dem Tempeltor wird man gleich von zwei kleinen Steinelefanten begrüßt, was sich wohl auf die indische Herkunft der Gottheit Laksmi zurückführen lässt. Es regnet zwar noch immer leicht, aber jetzt kann ich mit meiner Kamera von Dachüberstand zum nächsten springen und muss nicht befürchten, mit meinem Objektiv im Regen zu stehen. Aber allzu lange halte ich mich nicht hier auf, denn am Wetter kann ich ohnehin nichts ändern. Ich fotografiere zufällig noch den Wunschstein (jōju seki) und mache mich wieder auf den Pilgerweg. Als ich am Ishizuchi Onsen vorbeikomme, habe ich kurze den Gedanken, hier einzukehren und das Regenwetter auszusitzen. Doch der Onsen (Thermalbad) ist leider geschlossen bzw. sieht aus, als hätte man ihn für immer verlassen, da alles verrammelt und mit Ketten abgesperrt ist. Ich laufe weiter und überlege, ob und wo ich eventuell einkehren könnte. Das Regenwetter ist an sich nicht wirklich ungemütlich, so lange man läuft bleibt man warm und das Wetter ist, wenn man nicht gerade in den Bergen herumläuft, auch nicht kühl. Aber meine nassen Füße machen mir sorgen, ich fürchte mir so noch die Blasen zu holen, von denen ich bis jetzt verschont worden bin. Der Regen lässt nach und hört fast auf. Ich fasse wieder neuen Mut.


Exkurs Tempel Nr. 64 Maegamiji (前神寺)
„Der Tempel gegenüber der Gottheit“ bezieht sich wahrscheinlich auf seine Lage am Fuße des Berges Ishizuchi, der als Gesamtheit eine Gottheit (kami) im Shinto darstellt. Gegründet wurde dieser Komplex aus Tempel und Schrein vom Begründer des Shugendō (Bergasketentum) En no Gōja (634-?), als ihm während seines Trainings am Berg die Buddhas Shakyamuni und Amida in Gestalt von Zaō Gongen erschienen sind. Der Tempel beherbergt neben einer Zaō Gongen Statue auch eine Statue von Shaka Nyorai als Honzon (Hauptgottheit), die ebenfalls En no Gyō zugeschrieben wird. Im 8. Jahrhundert betete Kaiser Kammu (737 -806; 50. Tennō) hier um seine Genesung von einer Krankheit. Nachdem er wiederhergestellt war, stiftete er 7 Gebäude, eine Pagode und benannte den Komplex offiziell in Maegamiji um. Zwischen 774 und 835 hat Kōbō Daishi hier auf dem Berg Ishizuchi Goma-Feuerrituale abgehalten und widmete sich 21-Tage lang der Morgensternmeditation (Gumonji). 1889 wurde der Maegamiji an seinen jetzigen Ort verlegt, da er unter das Gesetzt zur Trennung von Buddhismus und Shintoismus fiel. 1967 brannte der Hondō (Haupthalle) nieder, wurde aber 1972 wiederaufgebaut. Bemerkenswert ist, dass das Betreten den Berges Ishizuchi früher für Frauen verboten war, heute dies nur für jeden 1. Tag im Monat gilt. An jedem 20. des Monats kann im Gongendō (Halle des Gongen) die kleine Statue des Zaō Gongen besichtigt werden. Wer den Priester um Erlaubnis bittet, kann sie an der Stelle berühren, an der er Schmerzen hat. Sie funktioniert also ähnlich wie eine von den roten oder schwarzen Binzuru (Jünger Buddhas) Figuren in den anderen Tempeln. Neben dem Daishidō (Daishi Halle) gibt es eine Fudō Statue (ontaki gyōba fudōson) unter einem Wasserfall, eine Übung aus dem Shugendo, und es bringt Glück, wenn eine Münze am Felsen kleben bleibt. Der Tempel ist heute Hauttempel des Ishitetsu Zweiges des Shingon Buddhismus und gleichzeitig Zentrum des Ishizuchi Shugendos rund um den höchsten Berg Shikokus, dem 1982 m hohen Ishizuchi.

Eigentlich hatte der Regen kurz hinter Tempel Nr. 63 schon fast aufgehört, als ich jedoch im Tempel Nr. 64 eintreffe, regnet es wieder wie aus Kübeln. Meine Fotos im Tempel muss ich wie schon in den vorangegangenen Tempeln „aus der Hüfte schießen“, d.h. ich lüfte den Regenponcho über Kamerahöhe und muss dann fast im Blindflug die Bilder aufnehmen. Die Bilder sind dann nicht so schön, zumal alles verregnet ist und auch Regentropfen auf dem Objektiv können einem die Freunde am Knipsen „verhageln“. Ich bewundere noch den erwähnten Fudō Myōō mit den hängengebliebenen Münzen und ein Hähnchen, welches eigentlich ein Phoenix darstellen soll. Ich mache mich dann aber auf den Weg in meine Unterkunft. In ca. 5 km Entfernung liegt Saijō City und in der Nähe des Bahnhofs Iyo-Saijō sind in meiner Karte etliche Hotels eingetragen. Ich werde mein Glück im Business Hotel Tamanoya versuchen. Doch zuvor mache ich einen Abstecher zum Bahnhof, da hier an einer öffentlichen Entnahmestelle das „uchinuki“, das berühmte Quellwasser von Saijō City gekostet werden kann, welches zu den 100 besten in Japan zählt. Wasser von außen hatte ich heute schon genug, jetzt wässere ich mich noch von innen und kann mir dann eine Unterkunft suchen. Im BH Tamanoya werde ich von einem freundlichen Mütterchen begrüßt und beziehe ein schönes Zimmer, das sogar einen großen Ohrensessel aufweist. Die Aussicht über die verregnete Stadt ist etwas trostlos, aber ich sitze im Trockenen und kann hier auch meine Wäsche waschen. Für die Übernachtung und Frühstück, welches es morgen um 6.30 Uhr im Restaurant im 2. Stock geben soll, bezahle ich 4570 Yen. Ich tat gut daran hier einzukehren, denn meine Füße sind von der Feuchtigkeit aufgequollen und weich, zu groß ist die Gefahr, sich so Blasen zu scheuern, die bei der Dauerbelastung nicht so einfach verheilen dürften.

Montag, 13.04.2009, Ehime, Imabari City, Hotel Tachibana

Der 29. Tag in Japan
In meinem Zimmer Nr. 315, Tsujima ist der japanische Name, was so viel wie „Hafen-Insel“ bedeutet, war die ganze Nacht über das Fenster auf. Hier direkt unter dem Dach hatte es sich gestern derart aufgeheizt, dass die Klimaanlage es wohl nicht geschafft hätte und mir die Nachtruhe von so einer Rattermaschine stören zu lassen, darauf hatte ich auch keine Lust. Als ich mein Zimmer räume, entdecke ich am Flurende einen roten Vorhang (noren) mit der Aufschrift „yu“. Es bedeutet „heißes Wasser“ und ist das allgemeine Zeichen für ein Spa (onsen) bzw. hier im Hotel ist es wohl ein Gemeinschaftsbad (ofuro), welches von einer Thermalquelle gespeist wird. Ach, hätte ich das vorher gewusst, dann wäre ich gestern Abend noch auf eine Runde ins Thermalbad gegangen. Aber gestern bin ich echt fertig gewesen, es wundert mich, dass man so schnell regenerieren kann! Aber das ist der Pilgerdreikampf: Essen – Schlafen – Wandern!

Um 6.15 Uhr verlasse ich das Hotel, jedoch nicht ohne noch ein paar Fotos von der Lobby zu machen. Hier in den Vitrinen des angrenzenden Restaurants stehen Plastikimitate der Speisen, die hier angeboten werden. Ein kleines Holzschiff mit einem Fisch, der als Sushimi (roher Fisch ohne Reis) dekoriert ist, und weiteren Meeresfrüchten haben es mir angetan. Die Japaner sind Meister im Dekorieren von Speisen, welche meist der Saison entsprechend ausgewählt werden. Aber hier in der Lobby gibt es auch einige Regale, in denen die lokalen Spezialitäten als Reisemitbringsel (omiage) angeboten werden. Meine Routenplanung, die ich gestern entworfen habe, sieht heute vor, Bangai Tempel Nr. 10 und Nr. 11 in Angriff zu nehmen. Nach meiner gestrigen Odyssee, habe ich allerdings Bedenken, die japanische Karte für Tempel Nr. 10 zu nutzen, da ich mich schon gestern mit der englischen verfranzt habe. Nr. 11 ist zum Glück in meinem englischen Kartenbuch eingetragen, aber den Übergang von der einen zur anderen Karte zu finden, wird wohl wieder schwierig werden.

Eigentlich wollte ich in der lokalen Raststätte Imabari Unoura mir was zum Frühstück kaufen, aber dafür scheint es noch zu früh zu sein, da noch alles verschlossen ist. Dem Sendaiji Tempel statte ich einen Kurzbesuch ab, da dieser direkt auf dem Pilgerpfad liegt. Die Neubaustraße mit breitem Bürgersteig ist nicht nur menschenleer, nicht ein einziges Auto sehe ich während hier die Straße entlang wandere. Ein Vogelkreischen reißt mich aus meinen Überlegungen und ich kriege eine Gänsehaut. Auf meinem Weg passiere ich nette Häuschen mit allerlei Blumenschalen vor der Tür und auch Karpfenfahnen (koinobori) und einen Eierautomaten kann ich fotografieren. Ich will in einem kleinen Laden mit der Aufschrift „natsuya“ was zu Essen kaufen, aber der Besitzer setzt mich mit der Begründung vor die Tür, dass es hier nur „Snacks“, kein richtiges Essen zu kaufen gäbe. Das ist doch meinem Magen egal, ob er nun mit Essen oder Snacks gefüllt wird! Kurze Zeit später komme ich am Tenguya Store, der in der Karte eingetragen ist, vorbei, leider hat auch der noch geschlossen. Ich folge der zickzackförmigen Straße 150 in die Ebene, vor mir erhebt sich schon wieder ein Hügel. Ich verlaufe mich abermals als ich von der einen Kartenseite zur nächsten wechseln muss. Ich laufe eine lange Strecke an Felder entlang, kein Haus, kein Mensch, den ich hätte fragen könnte. Doch endlich treffe ich auf ein Grüppchen älterer Herrschaften, die sich bei einer Art Krocket amüsieren. „Gateball“ wird es hier genannt und wurde 1947 in Japan erfunden. Eigentlich ist es für alle Altersstufen geeignet, es werden sogar Weltmeisterschaften ausgetragen, doch hier gilt es vor allem als Seniorensport. Leider verstehen mich diese älteren Japaner nicht und ich laufe weiter. Ein vollbesetztes Wahlkampf Auto fährt an mir vorbei, mit viel „konnichi wa und gozaimasu“(Guten Tag… ach bitte..) tönt es aus den Lautsprechern und freudig winkt die Kandidatin mit ihren weißen Handschuhen aus dem Fenster. Ich bin total aufgeschmissen, finde keine Orientierungspunkte. Ich kann nur raten, ob das vor mir die Kahoku Junior High School, die Nishi Junior High School oder die Elementary School ist. Pilgerschilder gibt es hier entweder nicht oder ich bin einfach zu weit vom Pilgertrail entfernt. Hundeskulpturen in einem Privatgärtchen muntern mich auf: Anfangs fragte ich mich, was das darstellen sollte, doch mit ein bisschen Fantasie kann ich dann doch die miteinander raufenden und laufenden Hund erkennen. Durch Zufall sehe ich ein großes Circle-K Schild, dem ich folge. Hier im Kombini (24-Stunden-Shop) kann ich erst mal meinen Hunger stillen, Proviant einkaufen und nach dem Weg fragen. Ich führe eine Standortbestimmung durch und muss feststellen, dass ich wirklich weit ab vom Schuss bin. Aber ich lasse mich nicht entmutigen. Da jetzt der Bangai Nr. 11 näher liegt als Nr. 10, beschließe ich zu Nr. 11, dem Ikiki Jizō, zu wandern und dann mithilfe der japanischen Karte weiter zu Nr. 10. Aber auch das erstere stellt sich als schwieriges Unterfangen heraus. Habe ich meinen Orientierungssinn verloren oder mangelt es einfach an Pilgerzeichen? In der Umgebung der Bangai Tempel sind die Pilgerzeichen meist ohnehin dünn gesät, da nur wenige Pilger diese Extra-Tempel ansteuern, zumal sie, für den Wanderpilger meist ein Tag Extraaufwand für Hin- und Rückweg bedeuten. Aber sie sind echt sehenswert und außerdem treibt einen die Sammellust. Auch ich werde nicht mit 19 Bangai Tempel Stempel nach Hause fahren, die anfangs verpasste Nr. 1 werde ich noch auf dem Rückweg nachholen.

Ich wandere jetzt an der vielbefahrenen Straße 48 entlang, unmerklich wandelt sich das städtische Aussehen der Landschaft wieder ins ländliche. Von weitem kann ich einen Hügel in der Landschaft ausmachen, wo wenn nicht hier kann der Tempel liegen? Als ich näher komme kann ich Gebäude auf dem Hügel ausmachen. Schließlich stehe vor dem Hügel, allerdings ist das Gebäude ein Schrein und kein Tempel. Ich beschließe, die vielen Treppen zum Schrein hoch zulaufen, um von oben vielleicht einen Blick auf den Tempel erhaschen zu können. Eigentlich muss er in unmittelbarer Nähe liegen. Vielleicht führt ein Weg vom Schrein dort oben irgendwie auf die andere Seite des Hügels, aber ich werde enttäuscht, zumindest was den Weg angeht, denn der Schrein und die Aussicht sind sehr schön. Ich hatte zwecks Gewichtsreduktion meinen Rucksack am steinernen Tōri (shintoistisches Tor) vor der lange Treppe deponiert. Als ich jetzt wieder herunterkomme, bemerke ich, dass sich im nächsten Gebäude etwas rührt. Aber das ist wohl das Schreinbüro und nicht das Tempelbüro. Als ich meinen Rucksack wieder auf meinen Rücken wuchte, fällt mein Blick in die andere Richtung. Hier führt der Weg rechts ab und was ich für eine Garage oder Car Port hielt, entpuppt sich als Schutz für die Reste eines riesigen Baumstamms, in dem Jizō, Beschützer aller Kinder und Reisender, wohl mal erschienen ist. Genaueres kann ich den Hinweistafeln nicht entnehmen, die einen Jizō in einem Baum zeigen, da mein Japanisch nicht ausreicht. Leider gibt es hier nur ein kleines Tempelgebäude, deshalb rezitiere ich meine Sutra einfach zweimal, einmal für Jizō und einmal für Kōbō Daishi. Ich klingele am Tempelbüro und als ein junger Mann die Scheibe zurückschiebt, grinst er mich breit an und erklärt mir, dass er mich schon vorher am Schrein gesehen hat. Ich entgegne, dass die Orientierung hier schwierig ist, weil der Schrein einen in die Irre lockt, obwohl man doch einen Tempel sucht. Der junge Mann zeigt mir noch den Weg zum Bangai Nr. 10 und als ich den Weg vom Tempel zur Hauptstraße hinter mir gelassen habe, prangt da ein großes Verkehrschild mit der Aufschrift „Ikiki Jizō“ in japanischen Symbolzeichen (Kanji) als auch in Romanji (lateinischen Lettern).

Exkurs Bangai Tempel Nr. 11 Ikiki Jizou/Ikikizan Shōzenji (生木地蔵/生木山正善)
Während Kōbō Daishi predigend über die Insel Shikoku zog, kam er auch hier vorbei. Er wollte die Nacht am Berge Shio verbringen, als ihn plötzlich ein Licht weckte und Bodhisattva Jizō in einem naheliegenden Baum erschien. Die restliche Nacht verbrachte der Wandermönch damit, die Vision, die er hatte, in den Baum zu schnitzen. Jedoch konnte er sein Werk nicht vollenden, weil er von einem Hahn davon abgehalten wurde oder der Hahn zu früh den Morgen ankündigte. Auf alle Fälle konnte er das Ohr des Jizō nicht mehr schnitzen. „Ikiki“ bedeutet auf Japanisch so viel wie „lebend“, da der Daishi die Jizō Figur in den lebenden Baum geschnitzt hat. Da der Baum heutzutage nicht mehr lebt, er wird unter einem Dach ohne Seitenwände verwart, erinnern nur noch die vertrockneten Überreste an diese Legende.

Ich biege hier gleich ab, frage mich aber wieder, ob ich den richtigen der beiden Abzweigungen gewählt habe, die hier unmittelbar aufeinander folgen. Nach einiger Zeit beruhigt mich ein blaues Verkehrschild mit der Aufschrift „Nishiyama Koryoji Temple“. Davor sehe ich noch einen Bauern, der sein Feld mit Reissetzlingen bestückt. Während früher die Keimlinge im Reisfeld selber gezogen und dann per Hand auseinander gepflanzt wurden, werden heute die Setzlinge im Gewächshaus hochgezogen und mithilfe von Maschinen im Reisfeld verteilt. Jetzt geht es aber wieder in die Berge, der Weg wird jetzt immer steiler und führt mich über einen Friedhof. Hier mache ich ein kleines Päuschen, denn es ist sehr warm und die Sonne sticht. Schnell habe ich eine Dose Cola ausgetrunken und ärgere mich, dass ich keine wieder verschließbare Flasche dabei habe, denn wenn man 0,3 l Blubberwasser hinunterstürzt, fühlt man sich ganz schnell kugelrund und träge. Aber der Zucker mobilisiert einen wieder und so habe ich die unzähligen Treppenstufen bis zum eigentlichen Tempel dann auch bald geschafft.

Exkurs Bangai Tempel Nr. 10 Kōryūji (興隆寺)
Auch für diesen Bangai Tempel lassen sich nur wenige Infos auftreiben. Es soll schon um das Jahr 645 in den lokalen Chroniken erwähnt worden sein. Kōbō Daishi soll an seiner Fertigstellen beteiligt gewesen sein und ihn zu einem Shingon Tempel konvertiert haben.

Das Tor zum Tempel weist wunderschöne Schnitzereien auf, aber die Tempelwächter, haben ihre besten Zeiten schon hinter sich: Sie wirken morsch und grau. Links und rechts des Treppenweges sind Figuren und Felsen aufgestellt. Pilger haben in die Risse in den Felsen glänzende 1-Yen-Münzen gesteckt und Schilder erkläre auf Japanisch worum es sich jeweils handelt. Selbst vor Baumstubben stehen Schilder, es handelt sich wohl um sehr alte Bäume, die man fällen musste, da sie aufgrund von Schäden zur Gefahr für Pilger hätten werden können. Ich passiere ein kleines Tor, direkt vor der Tempelmauer und ein weiteres als Eingang für den Tempelbezirk. Der Tempel scheint Kannon gewidmet zu sein, die hier die Aufgabe von Jizō, dem Beschützer der Kinder, übernommen hat, da die Gottheit überall im Tempel mit Kindern dargestellt wird. Auf so einer Art weißen Fundament steht eine Kannon Statue mit einer Wasserspritze in der Hand, dessen Wasser in eine Lotos-Schale spritzt, vor der ein Kind sitzt. Aber das Tempelareal ist weitläufig. Höher am Berg, über den Tempelgebäuden, entdecke ich kleine Dächer, die man über Baumstümpfen errichtet hat, ein achteckiges Gebäude und ein Steintürmchen, das nicht wie das vertraute Gorinto (5-Elemente-Pagode) aussieht, sondern mehrstöckig ist. Es gibt eine große, dunkle Haupthalle mit Pilgerbüro davor, die Daishi-Halle, welche wohl aus Beton erbaut ist und andere Gebäude, deren Funktion ich nicht zuordnen kann. Besonders beeindruckend finde ich das große Räucherbecken und die Quelle mit der Fudō Myōō Figur, die so richtig ausdrucksstark gestaltet worden ist. Leider gibt es für Tempel Nr. 10 und Nr. 11 so gut wie keine Informationen im Tempelführer, so dass ich beim Besuch meine Augen aufhalten und meine Fantasie spielen lassen muss, um mir einige Dinge zusammenzureimen. Ich halte hier noch einen Klönschnack mit einem Autopilger, der mir in Englisch erklärt, dass es auch für die Bangai Tempel spezielle Pilgerbücher (nokyochō) und Alben für die Götterbildchen gibt. Er selbst hat schon viele Male die Bangais besucht, da er auf Shikoku wohnt. Bei mehrfachem Besuch, erhält das Pilgerbuch nur noch zusätzlichen Stempel an der vorgesehen Stelle. Bei regelmäßigen Besuchen strotzt die Tempel-Seite im Pilgerbuch dann nur so vor roten Stempeln, dass man die Kalligrafie dann kaum noch erkennen kann. Die Seiten des Pilgerbuchs kleben dann förmlich aneinander. Aber ich muss mich wieder auf den Rückweg machen, da ich dem Kumiyouji, eine wunderschönen Tempel mit See, den ich auf dem Hinweg links liegen gelassen hatte, noch einen Kurzbesuch abstatten will. Ich hätte den Kumiyouji fast mit dem Koryuji Tempel (Bangai) verwechselt, aber zum Glück konnte ich die Kanji (Symbolzeichen) für die Tempelnamen miteinander vergleichen.

Und der nicht als Bangai gelistete Tempel ist es wert, besichtigt zu werden, zumal er jetzt menschenleer ist und ich in Ruhe alles durchstöbern kann. Von der Straße sieht man nur den See und dahinter liegende Tempelgebäude, über denen noch zwei kleine Türmchen oder Pavillons thronen. Die Wächterfiguren im Tor sind beeindruckend, kein Kabuff (kleine Abstellkammer) und kein Drahtzaun stören hier die Sicht auf die Statuen, neben denen große Strohsandalen, ein Symbol für die Pilgerschaft, hängen. Ich besichtige den Altarraum und in einem kleinen Häuschen finde ich eine Küche. Ob das jetzt nur als Ausstellungsstück gedacht ist, oder ob es tatsächlich noch für die Verpflegung von Pilgern genutzt wird, kann ich leider nicht sagen. Von den höher liegenden Gebäuden habe ich eine fantastische Aussicht auf die Ebenen, die von einer großen Brücke, vermutlich die des Imabari Komatsu Expressways, durchzogen wird und auch den Schreinhügel, der bei Tempel Nr. 11 liegt, kann ich von hier sehen. Ich laufe jetzt die Straße 151 herunter, muss aber aufpassen, dass ich den Abzweiger zum Bahnhof Iyo-Komatsu über die Straße 11 nicht verpasse. Ich überlege, ob ich heute vielleicht im Tempel Nr. 61 übernachten oder mir doch lieber ein Ryokan (Pension) suchen soll. Da ich ziemlich entkräftet bin und auch geistig etwas „am Rad drehe“, beschließe ich, im Ryokan „Komatsu“ den Tag ruhig ausklingen zu lassen. Vor meinem Tagesziel treffe ich allerdings noch zweimal eine Europäerin, die ich beim zweiten Treffen, sie ist mit dem Fahrrad unterwegs, anspreche. Sie ist Englischlehrerin hier in Saijo City, wie könnte es auch anders sein. Wenn man hier englischsprachige Ausländer trifft, sind es meist Sprachlehrer, da die Japaner, wie gesagt, verrückt danach sind, Fremdsprachen zu lernen. Wir wechseln noch kurz ein Paar Worte, dann muss sie allerdings los und ich muss eine Unterkunft finden. Die Straße zum Business Ryokan Komatsu müsste direkt vor dem Bahnhof abgehen. Leider finde ich sie nicht und spreche eine Japanerin an, die mir nicht nur Auskunft gibt, wo der Ryokan liegt, sondern mich auch gleich hinführt, damit ich mich nicht wieder verlaufen kann. Als ich hineingehe fallen mir gleich die vielen Schuhe auf, die hier ordentlich zusammengestellt in Reih und Glied stehen. Oh je, denke ich, heute ist das Haus voll und ich bin, für japanische Verhältnisse, spät dran. Aber die Wirtin hat zur meiner großen Überraschung noch ein Zimmer für mich. Da ich auf das Essen verzichte, ich kann mir abends den Bauch einfach nicht mehr so voll schlagen, bezahle ich 3400 Yen und eine Angestellte führt mich über einige Schleichwege in ein Privathaus. Hier beziehe ich ein Zimmer direkt neben der Küche, zwar mit Glasschiebetüren und ohne Schlüssel, dafür habe ich aber ein Badezimmer und eine Toilette direkt neben meinem Zimmer. Außer einem älteren Herrn, der mir zum Abendessen Bescheid sagt, wohnt hier sonst keiner. Aber da ich kein Essen gebucht habe, mache ich mich nach dem Bad auf den Weg zum Lawson Kombini (24-h-Shop), wo ich mir mein Abendessen kaufe. Auf dem Rückweg zu meiner Unterkunft, treffe ich doch auf die Angestellte vom Ryokan. Was die wohl gedacht hat, warum ich das leckere Essen im Ryokan der Fertigkost eines Kombinis vorziehe? Bei der Hitze habe einfach das Problem, dass ich viel trinken muss und dann keine Hunger mehr habe bzw. mich auch nicht zu voll hauen will, da ich sonst träge werde und nicht in die „Puschen komme“. Das heißt für mich, essen, wenn ich hungrig bin, aber nicht so viel, dass ich voll bin. Lieber mehrere kleine Snacks über Tag, als einmal ein großes Abendessen. Viel Trinken und wenn ich die Kalorien aus der Cola nutzen kann, dann umso besser für mich.