Karte von Shikoku mit den 88 Haupt- und 20 Nebentempeln


Samstag, 22. August 2009

Sonntag, der 22. März 2009, Tokushima, Tokushima City, Ryokan Sakura-ko

Der siebte Tag in Japan

Um 7.00 Uhr klingelt Hajos Wecker. Ich habe trotz Zuglärms und Bahnschrankengebimmel, doch recht gut geschlafen. Wer den ganzen Tag mit Gepäck an der frischen Luft durch die Gegend rennt, muss zwangsläufig gut schlafen! Wir nehmen noch kurz ein Kombini Frühstück ein und machen uns kurz nach 8.00 Uhr auf den Weg zum Busbahnhof. Er liegt direkt vor dem Hauptbahnhof hier in Tokushima. Da wir uns am Vorabend informiert haben, wissen wir, dass wir mit dem Bus (basu) Nummer 37 von der Bushaltestelle (noriba) 2 zurück nach Bando fahren können. Die Fahrt kostet 390 Yen, die man erst am Ende der Fahrt in den Automaten beim Fahrer einwirft. Hier gibt es auch einen Wechselautomaten für Münzen und Geldschreine, damit man immer passendes Kleingeld hat. Aber Vorsicht, man sollte immer 1000 Yen Scheine parat haben, da größere Scheine meist nicht angenommen bzw. gewechselt werden können. Normalerweise steigt man bei einem japanischen Nahverkehrsbus hinten ein, zieht eine Haltestellenmarke mit einer Nummer. Auf einer Tafel am vorderen Ausstieg kann man dann sehen, was man beim Aussteigen zu entrichten hat. In anderen Bussen bezahlt man beim Aussteigen eine Pauschale von 100 oder 200 Yen und kann dann an jeder Haltestelle bis zur Endstelle aussteigen. Der Bus kommt pünktlich um 8.26 Uhr. Schnell sind wir wieder an unserem Ausgangspunkt, Tempel Nr. 1, angekommen. Während Hajo zum Deutschen Haus läuft, er hatte sich gestern telefonisch angekündigt, sitze ich im Bushäuschen vorm Tempel und bewache unser Gepäck. Nicht, dass hier was zu holen wäre – mein Bargeld trage ich immer in meinem Geldgürtel am Körper. Aber auch was Diebstähle angeht, fühle ich mich hier in Japan relativ sicher. Wer bestiehlt schon einen Pilger – obwohl ich von jemandem gewarnt worden bin, auf mein Pilgerbuch zu achten, besonders, wenn ich die letzten Tempel ansteuere. Vollständig ausgefüllte Pilgerbücher sind begehrte „Sammelobjekte“, da allein die Materialkosten sich schon auf 30.000 Yen (ca. 220 Euro) belaufen. Als Hajo zurück kommt, macht er noch ein paar Fotos von Tempel Nr.1 – ihm war doch der Film im Tempel Nr. 13 gerissen. Ich kaufe mir im Pilgerladen ein Tenugui, eine Stück Baumwollstoff, das man als Kopf- oder Wischtuch benutzt und ein Set von Stoffstücken, in die man die Arme einschlägt, damit sie von der Sonne nicht verbrannt werden. Kaum bin ich zurück aus dem Laden, winkt mich doch eine Dame am Eingangstor zu sich und übergibt mir ein Osettai (Pilgergeschenk). Und was bekomme ich da geschenkt – richtig genau so ein Tenugui, wie ich es mir gerade gekauft habe und zwei Päckchen Taschentücher. Natürlich rechne ich mit jedem Gramm, dass ich schleppen muss. Das Tenugui habe ich mir gekauft, damit ich es als Kopftuch nutzen kann, da, wenn ich den Pilgerhut abnehme, ständigen meine Haare im Gesicht habe und aussehe, als hätte ich in die Steckdose gegriffen. Ich möchte den Pilgerhut nicht missen, er verhindert, dass ich mir einen Sonnenbrand hole und bei Regen muss ich mir nicht ständig die Brille putzen.

Wir warten nur kurz auf den Bus und schon sind wir wieder auf dem Rückweg nach Tokushima. Wir wollen vom Hauptbahnhof aus mit dem Zug weiterfahren, da Hajo seine Füße etwas schonen möchte. Als Marathonläufer kennt er diese Überlastungsreaktion, erklärt er mir, dann schaltet er einfach einen Gang zurück. Natürlich liegt es mir etwas quer, dass wir schon so früh unsere guten Vorsätze über Bord werfen, aber warten wir erst mal ab, was die nächsten Tage so bringen. Wir essen noch eine Kleinigkeit im Bahhof: Wir teilen uns eine Portion Takoyaki, dass sind Gemüsebällchen mit Tintenfischfüllung (Tako = Tintenfisch), mit Trockenfischflocken (Bonito) und Mayonaise.

Mit dem Zug fahren wir nach Tatsue, das ist die Bahnstation, die direkt am Tempel Nr. 19 (Tasueji) liegt. Am Bahnhof winkt uns ein Japaner entusiastisch, als wir aussteigen. Es ist der Japaner, den wir zwischen Tempel Nr. 13 und Nr. 14 getroffen haben und der uns Maronen (Esskastanien) angeboten hat. Er ist erfreut, uns wiederzusehen. Vielleicht grinst er auch nur, weil wir aus dem Zug steigen, denn das ist streng genommen ein Schummeln. Er erklärt uns, dass er jetzt mit dem Zug nach Hause zurück nach Tokyo fahren will, da sein Urlaub zu Ende ist. Es gibt nicht nur Fußpilger, die die Pilgertour in einem Rutsch machen (kechigan), sondern viele, vor allem Berufstätige, die jeweils ihren gering bemessenen Urlaub dazu nutzen, ein Teilstück des Pilgerwegs zu laufen. So kann es auch schon mal 5 Jahre dauern, bis man die Runde beendet hat. Wir wollen hier im Tempel Nr. 19 heute übernachten, Hajo hatte Patrick gebeten, für uns telefonisch zu reservieren. Wir können so unser Gepäck hierlassen und mit leichtem Gepäck, d.h. Pilgerbuch und kleiner Wegzehrung, Tempel Nr. 18 in Angriff nehmen, der nur ca. 4 km entfernt liegt. Als wir das Tempelgelände betreten, treffen wir auf alte Bekannte: Pink Lady, die mit dem Fotoapparat von Tempel Nr. 16 und Herr Blaukopf, den wir immer mal wieder auf dem Trail gesehen haben.

Exkurs Tempel Nr. 19 Tatsueji (立江寺)
„Der Tempel der ankommen Bucht „ klingt als Übersetzung aus dem englischen „Temple of Arising a Bay“ etwas holprig, aber ich denke es ist der Ortname „Tatsue“ gemeint. Da auch der Fluss so heißt, wir der Ort wohl nach dem Fluß benannt worden sein und der verlängert die Bucht bis sie in der Ortschaft ankommt. Der Tempel wurde von Gyōgi auf Geheiß des Kaisers Shōmu gegründet, um der Gattin des Kaisers, Kōmyō, eine leichte Geburt zu ermöglichen. Aus diesem Grund fertigte Gyōgi auch die Figur des Jizō Bosatsus aus einer speziellen Goldart (jambuna) und machte sie zum Honzon (Hauptgottheit). Später schnitze Kōbō Daishi noch eine größere Enmei Jizō Statue, in der er die ältere, aber nur 5,5 cm große Figur aufbewahrte. Diese Statue überstand auch als einzige die Niederbrennung durch Chōsokabe Truppen und einen Unfall 1974, bei dem ein Großbrand alle Gebäude in Schutt und Asche legte. 1977 wurde der Hondō (Haupthalle) wiederaufgebaut. Sowohl im 9. als auch im 16. Jahrhundert wurde der Tempel verlegt.

Auch hier gibt es wieder interessante Legenden über die Gründung bzw. Begebenheiten über Bekehrungen durch Kōbō Daishi. Bei der Gründung des Tempels soll ein weißer Reiher (shirasagi), sich auf eine naheliegende Brücke niedergelassen haben. Er ist ein Bote des Glücks und die Brücke heißt noch heute nach ihm „Shirasagi Brücke“.
Eine Legende aus dem 19. Jahrhundert berichtet von einem verbrecherischen Liebespaar, das nachdem sie gemeinsam den Ehemann der Frau ermordet haben, sich getarnt als Pilger unter die Leute von Shikoku gemischt haben, um sich der Strafverfolgung zu entziehen. Doch als die Frau namens Okyō, den großen Gong (waniguchi) vor der Haupthalle läuten will, verfangen sich ihre Haare im Seil und drohen sie zu strangulieren. Sie kann gerettet werden, doch bis auf eine mönchsartige Tonsur verbleibt ihr Skalp im Seil. Das Paar nimmt es als Warnung Kōbō Daishis und sie werden Nonne und Mönch, die den Rest ihres Lebens dem Tempel weihen. Das abgerissene Haar kann noch heute in einem Glaskasten bewundert werden.

Und auch über den Binzuru, der heilungversprechenden Buddha Statue, die in vielen Tempeln zu finden ist, erfahre ich mehr. Er ist mit roter Farbe bemalt, weil sein Vorbild dem Alkohol sehr zugesprochen hat. Als er nun ein Gefolgsmann Buddhas wurde, versprach er dem Laster abzuschwören. Als Buddha nun gebeten wurde einen bösen Geist zu vertreiben, schickte er wegen Zeitmangels Binzuru, der den Geist auch bezwingen konnte. Doch bei einem Bankett zu Ehren Binzurus, das der Hausherr ausgerichtet hatte, um sich zu bedanken, verfiel Binzuru abermals dem Alkohol. Das Ende vom Lied war, dass Binzuru seine Kräfte verlor, der Geist zurückkehrte und Buddha Binzuru aus seiner Gefolgschaft verstieß. Doch Binzuru reiste Buddha hinterher, lauschte seinen Lehrreden in einigem Abstand und ließ auch sonst nicht vom Buddhismus ab. Als Buddha starb, rief er Binzuru zu sich und verzieh ihm, erklärte ihm jedoch, dass er niemals Nirvana (Ende des Wiedergeburtszyklus) erreichen könne und als Wächter über die Menschen in dieser Welt verbleiben müsse.

Der Pilger soll, wenn er im Tempel Nr. 19 ankommt innehalten und sich fragen, ob er bis jetzt den rechten Weg gegangen ist. Wenn nicht, es ist fast wie im Mensch-ärger-Dich-nicht Spiel, soll er zu Tempel Nr. 1 zurückkehren und erneut beginnen. Da wir aber noch Tempel Nr. 18 auf unserer heutigen Tagesliste haben, fragen wir uns später, ob wir das eingehalten haben, was wir (uns) versprochen haben.

Nachdem wir also unsere Herz-Sutra rezitiert haben, gehen wir ins Pilgerbüro und lassen unser Nokyochō ausfüllen. Hier fragen wir auch gleich, ob wir schon einchecken und unser Gepäck auf unser Zimmer bringen dürfen. Nachdem wir 7000 Yen für Übernachtung, Abendessen und Frühstück bezahlt haben, führt uns ein junger Mönch sogleich auf unsere Zimmer. Zeigt uns noch wo die Toiletten und das Bad sind und spricht die Badezeiten mit uns ab. Nach einer kurzen Teepause machen wir uns auf den Weg zu Tempel Nr. 18, dem Onzanji. Da das Wetter bedeckt ist, nehme ich vorsichtshalber meinen Regenponcho mit, der baumelt zusammengelegt im Beutel zwar etwas herum, wird sich aber noch als sehr nützlich erweisen.

Nachdem wir die "Brücke des Weißen Reihers" hinter uns gelassen haben, wandern wir durch die Wälder. Wir kommen durch einen herrlichen Bambushain, doch der Weg ist leider nur mäßig beschildert. In einem Tal mit Bauernhof, hier kann ich einen Blick auf die verdutzt guckenden Rindern werfen, müssen wir uns ausgiebig umschauen und nach dem Weg suchen. Am anderen Ende des Tals sehe ich eine Treppe und von oben kommen uns zwei Pilger entgegen. Mein Herz klopft immer, wenn der Trail direkt über die Grundstücke führt. Das ist mir immer etwas peinlich, denn es könnte gerade der Hausherr raukommen. Aber wenn es die Einheimischen stören würde, würden sie den Trail einfach etwas verlegen. Außerdem schätzen die Anwohner die Pilger, so haben sie manchmal Stühle und Tische für ein Päuschen aufgestellt oder Kannen mit Tee oder Kaffe bereitgestellt, so nehmen sie immer ein Stückchen an der Pilgerreise des anderen teil.

Exkurs Tempel Nr. 18 Onzanji (恩山寺)
„Der Tempel des Berges der Dankbarkeit“ wurde von Gyōgi gegründet, der auch die Statue des Yakushi Nyorai geschnitzt hat. Ursprünglich hieß der Tempel Mitsugenji und war ein Ort, wo man sein Unglück bannen konnte. Als Kōbō Daishis Mutter ihn jedoch hier besuchen wollte, zu diesem Zeitpunkt war es Frauen verboten heilige Orte wie Koya-san, Tempel Nr. 13 oder auch andere heilige Berge zu betreten, hielt er ein 17-tägiges Ritual ab. Danach wurde das Verbot aufgehoben und seine Mutter Tamayori durfte den Tempel betreten. Sie ließ sich die Haare abrasieren und sich zur Nonne weihen. Kōbō Daishi kümmerte sich hier um seine Mutter, schnitzte eine Statue von ihr und eine von sich selbst, die noch heute in der Daishi-Halle und in der daneben liegenden Mutter-Halle aufgewahrt werden. So unterstrich er die Dankbarkeit, die er gegenüber seiner Mutter empfand, was sich im Namen der Halle widerspiegelt. Auch soll er beim Empfang seiner Mutter einen Baum in der Nähe des Tores gepflanzt haben, der 1954 zum Natur Monument der Präfektur Tokushima ernannt worden ist. Nach ihrem Tod sollen ihre Knochen im Tempel begraben worden sein. Es können im Tempel u. a. frauenspezifische Glückbringer erworben werden, die zu einer leichten Geburt, Genesung von Frauenkrankheiten und eine erfolgreiche Schwangerschaft führen sollen.

Als wir endlich das Tor von Tempel Nr. 18 sehen, uns fallen sofort die riesigen Strohsandalen (waraji) am Tor auf, glauben wir den Tempel erreicht zu haben, aber gefehlt, der liegt noch um einiges weiter weg. Das Tor ist von einem Bienenschwarm in Besitz genommen worden und wir sind vorsichtiger als sonst, als wir uns verbeugen und das Tor durchschreiten. Der Tempel wimmelt von kleinen Jizō Figuren, aber auch eine Reihe von Arhats (Buddhas Jünger) kann man hier, geschützt durch ein kleines Dach, bewundern.

Auf dem Rückweg überrascht uns ein Regenguss, jetzt hat sich das Wetter so lange gehalten, aber bevor wir trockenen Fußes in den Tempelunterkunft gelangen, muss es noch eine Husche geben. Ich hatte meinen Poncho dabei, nur Hajo ist nass geworden. Er nimmt auch als erster ein Bad. Um 17.00 Uhr soll es ein Ritual im Hauptgebäude geben, während die sonst übliche Morgenmesse um 6.00 Uhr morgen nicht abgehalten wird. Glücklicher Weise, es regnet noch, kann man von der Pilgerunterkunft über Gänge direkt in den Altarraum gelangen. Hier treffen wir auf alte Bekannte. Herr Hinkebein, der uns beim Päuschen zwischen Tempel 11 und 12 Honigbonbons geschenkt hat, ist hier ebenso wie ein älterer Herr, den wir auf dem Trail gesehen haben und eine Kappe mit der Aufschrift „LR“ getragen hat. Man sitzt auf flachen Stühlen bzw. man könnte sich auch auf den weichen Boden setzen. Ein Büchlein, das bei unserer Ankunft auf dem niedrigen Tischlein in unserem Zimmer lag, haben wir leider vergessen, dafür haben wir die Übersetzung der Herz-Sutra (Hannya Shingyo) dabei. Das Büchlein enthält den Ablauf und die Texte der Zeremonie, die jetzt durchgeführt wir. Als die Herz-Sutra rezitiert wird, können wir im natürlich im Chor mitsprechen. Beim abschießenden, ich nenne es mal „Weihrauchritual“, nimmt man etwas Gewürzpulver zwischen die Fingerspitzen, führt sie zur Stirn und nickt mit dem Kopf, spricht leise ein Gebet und streut es dann auf einen kleinen glimmenden Hügel, den der Priester vorher in einer kleinen Schale angehäufelt hat. Das ganze Ritual wird mit einer Verbeugung eingefasst. Man sieht am besten seinem Vordermann zu und macht es einfach nach. Nach Abschluss der Abendandacht, eine Morgenandacht ist nicht geplant, zeigt uns der Priester die Mandala, die hier aufgehängt sind. Mandala sind bildhafte Darstellungen der buddhistischen Götter und Hierarchien und erklären dem Eingeweihten, wie die Welt funktioniert. Für uns Nichteingeweihte, sind es lediglich detailreiche Darstellungen von Buddhas, die in ihrer Anordnung irgendwie quadratisch, aber doch rund wirken. Im Shingon Buddhismus, dem Buddhismus des „Wahren Wortes“, welchen Kōbō Daishi gegründet hat, nachdem er von China zurückgekehrt war, sind mündliche Überlieferungen von Meister zu Schüler immer noch sehr wichtig. Er wird auch esoterischer Buddhismus genannt, da die Lehren, die für die Erkenntnis des Kerns der Lehre notwendig ist, verborgen gehalten werden. Nichteingeweihte kratzen lediglich an der Schale und eine Erleuchtung in diesem Leben kann nur durch eine geistige Durchdringung der ganzen Lehre erfolgen. Während der Zen-Buddhismus eine Erleuchtung durch Abschalten des Oberflächendenkens, geprägt durch Erfahrungen und Emotionen, versucht, konzentriert sich der Shingon Meditierende auf die Buddhas. Er versucht in der Meditation eins zu werden mit dem Buddha bzw. dessen Keimsilbe, die den Buddha repräsentiert. Beide Meditationsformen versuchen den Praktizierenden von seiner Ich-Gebundenheit zu befreien. Auf alle Fälle gibt es im Shingon Buddhismus ein Doppel-Mandala, das "Diament-Mandala" (kongo-kai) und das "Mandala des Mutterschosses" (taizo-kai), die hier beide im Tempel hängen.

Beim Essen sind wir eine kleine, gemütliche Runde von 10 Personen. Wir sitzen also im Essraum eines Tempels und ich erwarte vegetarische Speisen, wie es für Buddhisten üblich ist. Nicht, dass ich selbst überzeugte Vegetarierin bin, aber so ein bisschen Speck im Rührei oder etwas Putenbrust im Salat, das möchte ich nicht missen. Da wird mir doch Sushimi, roher Fisch, serviert und einer meiner Mitpilger hat sich eine Flasche Bier bestellt! Fleisch und Alkohol im Tempel, ich bin etwas verblüfft. Aber vielleicht hat man sich den Bedürfnissen der Pilger angepasst, die nicht nur Pilger, sondern auch Reisende sind. Wenn man sich schon den Tag über hat quälen müssen, dann sollte doch der japanischen Leidenschaft zum guten Essen nachgegeben werden, sonst pilgert am Ende gar keiner mehr zu Fuß. Wir bedienen uns gegenseitig, füllen unsere Reis- und Teeschälchen. Ein Mönch bespricht mit mir noch meine Badezeit. Ein älterer Herr, der auch an unserem Tisch sitzt, soll vor mir baden und höflich wie ich bin, zeige ich mich einverstanden. Da ich sowieso erst nach Hajo bade, wir haben es uns so angewöhnt, dass er als erster baden geht, während ich aufs Gepäck achte bzw. meine Fotos aufs Netbook lade und mir ein paar Notizen zum Tag mache.
Es wird zwar wenig Englisch gesprochen, doch mein Japanisch reicht aus, um die älteren Herrschaften zu verstehen, die mir den jungen Mann neben mir als Student vorstellen. Hajo plaudert angeregt mit Herrn Hinkebein. Zwar spricht Hajo kein Japanisch und der Japaner kein Englisch, dafür verstehen aber beide Spanisch. Es stellt sich heraus, das Herr Hinkebein, trotzt total versteiften Knies schon den Jacobsweg oder Camino nach Santiago de Compostelle in Spanien gelaufen ist und hierzu vorher Spanisch gelernt hat. Uns war Herr Hinkebein schon auf dem Trail zwischen Tempel 11 und 12 begegnet, wobei ich mich gefragt habe, da er ja nur mit dem einen Bein Treppen steigen kann, wie dieser dünne Kerl es schafft den Berg hochzukommen, wo wir mit unseren zwei gesunden Beinen schon Probleme haben. Und auch der Herr mit der Kappe, mit Namen „Akadama“ wie ich später erfahre, ist schon 70 Jahre alt und läuft auch uns später davon, da wir bei seinem Tempo nicht mithalten können. Da wird man plötzlich ganz klein, wenn ich bedenke wie lange ich mich vorbereitet habe, um fit für den Trail zu sein, im Vergleich zu diesen „Leistungssportlern“ muss man sich ja fast schämen noch so jung bzw. so langsam für sein Alter zu sein. Ich muss allerdings einräumen, dass die Herrschaften wirklich nur mit dem nötigsten Gepäck inform eins 35 l Rucksacks (6 kg) reisen, während sich unsere 80 l Rucksäcke mit 12 bzw. 17 kg einen, vor allem in den Bergtrails, doch recht bremsen. Wir müssen aber auch immer damit rechnen, dass wir keine Unterkunft finden und so unser Gepäck mit Isomatte und Schlafsack schon mal fast die Hälfte des Gewichts ausmacht.

Samstag, der 21. März 2009, Tokushima, Ishii Town, B&B Yasuragi

Der 6. Tag in Japan

Ich habe von 22.00 bis 6.30 Uhr geschlafen, trotz Klimaanlage und Lüfter, der im Badezimmer lief, um die Wäsche zu trocknen. Um 7.30 Uhr klingelt Hajos Wecker und mahnt uns zum Aufstehen. Leider ist Wäsche nicht ganz trocken. Während die Funktionskleidung wie T-Shirts und Treckingbluse relativ schnell trocknen, sind meine Unterhosen aus Baumwolle und die Treckingsocken immer noch feucht.
Ich habe nur leichten Muskelkater in den Waden, was mich bei der gestrigen Bergetappe doch recht erstaunt. Dafür entdecke ich eine Scheuerstelle an meiner Schulter. Ich hatte meine orange Umhängetasche mit im Rucksack, damit sie mir beim Steigen nicht an den Oberschenkeln baumelt, so dass das gesamte Gewicht auf den Schulterriemen gelastet hat und jetzt wurde mir die Naht im T-Shirt zum Verhängnis. Hajo bietet mir an, eine von seinen Einlegesohlen als Scheuerschutz unter das T-Shirt zu klemmen, aber ich denke, dass das erst recht scheuern wird. Außerdem haben wir die Bergetappe erstmal hinter uns und ich kann mein Packgewicht wieder auf Rucksack und Umhängetasche verteilen. Meine Füße weisen nicht eine Blase auf, dafür fühlen sich meine Großen Zehen etwas taub an und sind irgendwie weißer als die anderen Zehen. Hajos Schuh ist jetzt auch noch an der Sohle gebrochen, dass er schon vorher kaputt war, hatte er mir bereits erzählt. Er war ihm schon zuhause an der Hacke eingebrochen, da hat er ihn mit Zellstoff aufgepolstert und mit einer Einlegesohle verstärkt. Das ist der Horror eines jeden Japanreisenden mit großen Füßen – kaputtes Schuhwerk und keine Möglichkeit hier in Japan, dem Land der doch etwas kleineren und zarteren Füße, ein Paar Schuhen in der richtigen Größe finden zu müssen. Aber mal ehrlich, wer reist denn auch schon mit kaputten Schuhen an? Ich selber habe meine Treckingschuhe zwar eingelaufen, aber nicht ausgelatscht. Nicht auszudenken, wenn das wichtigste Werkzeug auf dieser Tour plötzlich kaputt geht. Ich bin schon auf die Männerschuhgröße 43 ausgewichen, weil ich so große Füße habe.

Zum Frühstück werden uns rohe Eier serviert. Das weiche oder hartgekochte Frühstücksei ist im japanischen Frühstück nicht vorgesehen. Man schlägt die rohen Eier hier über den Reis, der zusätzlich mit einigen Schnipseln getrockneten Seetangs gewürzt wird. Wir versuchen der Köchin klar zu machen, sie möge doch die Eier kochen, damit wir sie als Wegzehrung einstecken können. Eine grauhaarige Dame von der Gruppe mit der wir gestern Abend gescherzt haben, kommt uns zur Hilfe, so dass wir doch noch zu unseren „boiled eggs“ kommen. Leider sind die aber eher pouchiert und ohne Schale, so dass sie als Snack auf dem Weg ausfallen.

Zum Frühstück gibt es sogar Natto, das sind gekochte und mit Natto-Kinase fermentierte Sojabohnen. Sie riechen etwas streng und ziehen käseartige Fäden, wenn man die zerquetschten Bohnen mit den Essstäbchen durchrührt. Natto spaltet die japanische Nation: Während die einen sich ein Frühstück ohne Natto nicht vorstellen können, lehnen die anderen Natto strikt ab. Auch ein zusätzliches Würzen mit Frühlingszwiebeln und Senf (!) kann diese Leute nicht überzeugen, ja nicht einmal der gesundheitliche Nutzen kann sie motivieren, das Zeug in ihren Speiseplan aufzunehmen. Meine Wenigkeit übergießt Natto immer mit etwas Grünen Tee, dann schmeckt es ganz passabel. Es zieht dann keine Fäden, die überall kleben bleiben, nimmt aber eine etwas gewöhnungsbedürftige, gelartige Konsistenz an. Itadakimasu – guten Appetit!

Wir verlassen unsere gastliche Herberge und laufen durchs Dorf. Als wir an einem kleinen Lädchen vorbeikommen, will Hajo Kleber für seine Schuhe kaufen. Wir zeigen der Ladenbesitzerin die gebrochene Sohle von Hajo und abermals wird die freundliche Art der Leute deutlich. Da sie keinen geeigneten Kleber im Angebot hat, holt sie kurzer Hand eine Tube Gummikleber aus ihrem Privatbesitz. Nun sitzt Hajo vor ihrem Laden und versucht mit einem Spatel den Kleber in die Risse zu füllen. Leider wartet er nicht die angegebenen 10 Minuten und so nimmt das Unglück seinen Lauf. Wir wollen heute noch bis Tempel Nr. 17 kommen und vom Bahnhof Tokushima zurück nach Bando fahren, um die Ersatzschuhe von Hajo zu holen, die er im Deutschen Haus deponiert hat. Für den Superkleber verlangt die gute Dame keinen Yen, aber das schlechte Gewissen plagt uns und so kaufen wir noch etwas Wegzehrung bei ihr.
Als erstes steht der Bangai Tempel Nr. 2 auf unserer Liste, den können wir nur durch den Dōgakuji Tunnel erreichen. Unser erster Tunnel auf unserer Pilgertour, von denen noch etliche folgen werden.

Exkurs Bangai Tempel Nr. 2 Dōgakuji (童学寺)
Der Name „Tempel des Lernen in der Kindheit“ bezieht sich darauf, das Kōbō Daishi hier im Alter von acht oder neun Jahren seine erste Schulerziehung genoss haben soll bis er zum Universitätsstudium in die Hauptstadt ziehen musste. Obwohl es bezweifelt wird, dass Kōbō Daishi das berühmte Iroha Gedicht verfasst hat, gibt es hier eine Quelle, deren Wasser von Kindern der Umgebung für ihre Kalligraphie (Shodō) benutzt wird. Das Iroha Gedicht benutzt jede Silbe des japanischen Kana Silbenalphabets (47 Zeichen) nur ein einziges Mal und wurde früher verwendet, um Kindern dieses Alphabet beizubringen. Es fasst die Buddhistische Lehre mit einfachsten Worten zusammen:

i ro ha ni ho he to
chi ri nu ru wo
wa ka yo ta re so
tsu ne na ra mu
u yi no o ku ya ma
ke fu ko e te
a sa ki yu me mi shi
ye hi mose su

Obwohl die Farben (die Blüten) duften,
sie sind abgefallen.
Was ist im Laufe unserer Welt beständig?
Die fernen Berge des Wandels überschreiten,
gibt es keinen leichten Traum,
keine Haften im Rausch.

Auch dieser Tempel wurde im 16. Jahrhundert von Chōsokabe und seiner Armee niedergebrannt. Die heutige Daishi-Halle, welche früher die Haupthalle gewesen ist, stammt aus dem 16. Jahrhundert und die Figur des Yakushi Nyorai aus dem Hondō (Haupthalle) wird als "Nationaler Schatz" geführt. In einem kleinen Garten gibt es eine Quelle, in der schon Kōbō Daishi sein Pinsel getaucht haben soll, um das Iroha Gedicht zu schreiben.

Es gibt hier sehr viele Steinstatuen, so u.a. eine Sammlung, welche die 88 Tempel der Shikoku Pilgerreise symbolisiert, eine Sammlung der 20 Bangai Tempel und der 33 Tempel der Kannon Pilgerreise im Gebiet Kanto (um ōsaka; Saikoku Sanjūsan-sho). Es soll auch eine Darstellung eines schlafenden Kōbō Daishi zu finden sein, die zurückgeht auf eine Begebenheit, bei der er als Bettelmönch keine Unterkunft finden konnte und gezwungen war, unter einer Brücke zu schlafen. Doch dies ist eigentlich die Legende des Bangai Tempels Nr. 8, des Eitokuji. Als ich mir die Figur näher ansehe, denke ich so bei mir, dass das wohl eher ein schlafender Buddha als Kōbō Daishi ist. Neben der Haupthalle steht noch ein Gebäude das „Kankidō“ genannt wird, es ist der sexuellen Ekstase gewidmet, die der religiösen sehr verwandt sein soll. Die ist bei männlichen Pilgern sehr beliebt – natürlich der religiösen Ekstase wegen!

Da ich von Natur aus neugierig bin, teste ich einen Automaten auf dem „Omikuji“ steht. Doch anstatt einen Bund Weihrauchstäbchen für meine 100 Yen in Händen zu halten, die doch so gut riechen, erhalte ich einen Orakelzettel. Da ich nicht davon ausgehe, dass dieser Orakelzettel eine englische Übersetzung hat, wie ich es aus großen Schreinen kenne, stecke ich ihn ein. Vielleicht werde ich ihn, wenn ich besser Japanisch kann einmal lesen können, aber bis dahin wird das, was er mir vielleicht unter einer Abstufung von „Großer Segen“ bis hin zum „Großer Fluch“ verkünden wollte, wohl sein Geheimnis bleiben. Wir laufen zurück durch den Dōgakuji Tunnel und dann immer am Akui Fluss entlang bis wir zum Tempel Nr. 13, dem Dainichi, nebst angeschlossenem Schrein kommen.

Exkurs Tempel Nr. 13 Dainichiji (大日寺)
Dieser Tempel wird wie schon Nr. 4, „Tempel der großen Sonne“ genannt. Er wurde von Kōbō Daishi gegründet, dem bei einem sogenannten Goma Ritual, der kosmische Buddha Dainichi Nyorai auf einer lilafarbenen Wolke erschienen ist. Es gab zwei Nyorai Statuen, eine von Kōbō Daishi, die andere von dem Wandermönch Gyōgi beschnitzt. Ursprünglich waren Tempel und der Ichinomiya Schrein auf der anderen Seite der Straße eng miteinander assoziert, wurden jedoch in der Meiji Zeit, bei der offiziellen Trennung von Buddhismus und Shintoismus, wieder getrennt. Es gab eine Zeit, da wurden die shintoistischen Gottheiten als buddhistische Bosatsus verehrt. Aus dieser Zeit stammt auch die Hauptgottheit des Dainichiji, die 11-köpfige Kannon, die ursprünglich im Schrein verehrt worden ist. Während heute also Juuichimen Kannon Bosatsu (11-köpfige Kannon) im Tempel verehrt wird und Dainichi Nyorai eine Art Nebenstatue darstellt, ist die Nyorai Statue von Gyōgi im Schrein untergebracht. Auf dem Tempelgelände gibt es eine Shiawase Kannon (Kannon des Glücks) genannte Statue, die in zwei riesigen Händen untergebracht ist. Hier können die Pilger um Glück beten, ebenso wie beim Binzuru Daishi, der Wünsche erfüllen soll, wenn man ihn gleichzeitig reibt.

Binzuru ist einer der Arhats, also ein Jünger Buddhas, dem heilende Kräfte zugesprochen werden. Meist ist er in Form einer, leuchtend Rot bemalten, Statue dargestellt, die, wenn man die korrespondierenden Körperteile reibt, die Krankheit aus den betroffenen Bereichen vertreiben soll. Ebenso wie der Wächter der Kinder, Jizō, mit Lätzchen und Mützchen versehen, soll er Babys und Kleinkinder vor Krankheiten beschützen. Nun fürchte ich weder Krankheiten, noch hätte ich zurzeit irgendeinen anderen Wunsch, den es zu erfüllen gibt. Diese Tour gesund zu beenden hängt von mir ab und mit Kōbō Daishi als Wanderstock an meiner Seite, vertrau ich in meine und seine Stärke. Aber ein kleines Geschenk lasse ich dennoch beim Binzuru Daishi: Meine grüne Gebetskette (jōzu), die ich seit meinem letzten Japanaufenthalt trage. Sie ist das Symbol für mein Versprechen, nach Japan zurückzukehren. Jetzt muss ich mich aber etwas sputen, denn mir müssen, wenn wir heute noch nach Tokushima City kommen wollen, noch die Tempel 14 bis 17 besuchen. Bei der Stippvisite im tempeleigenen Toilettenhäuschen besteht übrigens die Gefahr, dass man sich den Kopf stößt, da der Weg durch einen Gang unter dem Tempelgang lang läuft.

Exkurs Tempel Nr. 14 Jōrakuji (常楽)
„Der Tempel des ewig Friedens“ wurde von Kōbō Daishi gegründet, nachdem ihm der "Buddha der Zukunft", Miroku Bosatsu, erschienen ist. Der Tempel brannte (Chōsokabe) mehrfach nieder, nur die Statue des Miroku überstand die Feuersbrünste unbeschadet. Der Legende nach trug eine Frau ihren verkrüppelten Ehemann fünfmal die Pilgerreise entlang, immer in der Hoffnung, der Ehemann würde geheilt werden. Bei der sechsten Runde schworen sie gemeinsam Selbstmord zu begehen, doch oh Wunder – als sie Tempel Nr. 14 betraten, war der Mann geheilt und sie konnten beide, gesunden Fußes, den Rest der Pilgerreise absolvieren. Der felsige Untergrund hier wird auch „Garten der Felsen des laufenden Wassers“ (Ryusuigan no niwa) genannt, man hat den Eindruck als befinde man sich auf dem Mond. Zwischen Haupthalle (Hondō) und Daishi-Halle (Daishidō) wächst ein Baum mit der lächelnden Statue des Araragi Daishi über den ich aber nichts finden konnte. Weitere „Wundertätige“ sind hier ein roter Binzuru (Medizin Arhat) und die 11-köpfige Kannon Statue, die der Pilgerin eine leichte Geburt gewähren soll. Als Souvenir kann man hier Essstäbchen erwerben, die einem ein langes Leben schenken sollen.

In diesem Tempel fragt mich eine Japanerin mit pinkem Fotoapparat, ob ich ein Foto von ihr machen kann. Natürlich komme ich der Bitte nach, da ich endlich mal wieder einen Satz in Japanisch verstanden habe. Pink schein ihre Lieblingsfarbe zu sein, da ihr komplettes Outfit diese Farbe hat. Ich führe sie unter dem Namen Pink Lady, ohne an die Apfelsorte zu denken, da ich ihr später nochmals begegnen werden.
Wir wollen gerade den Felsentempel verlassen, als ein Japaner mit Karton uns heranwinkt. Er verteilt Osettais – Pilgergeschenke - in Form von handgearbeiteten Stoffbeuteln, die mit Bonbons gefüllt sind. In meiner Karte habe ich mir Bangai Nr. 3 (Jigenji) gleich nebenan notiert, aber das ist wohl eine Fehlinformation. Wir fragen noch einige Pilger, die sich in der Gegend aufhalten, doch Fehlanzeige. Als ich eine lange Treppe finde, steige ich natürlich rauf, während Hajo es vorzieht ein Päuschen zu machen. Leider Sackgasse, am Ende der Treppe befindet sich zwar ein Rasthütte, aber kein Tempel. Ich habe ein Handy auf den Stufen gefunden, dass ich, in Ermangelung von anwesenden Personen, auf eine im Unterstand liegende Tasche lege. Vielleicht gehören beide Sachen dem gleichen Besitzer? Wenn nicht, dann wird derjenige hoffentlich wissen, wo man hier Fundsachen abgeben kann. Wir verwerfen die Idee, dass es hier den Bangai Tempel Nr. 3 gibt und laufen etwas gehetzt weiter, da wir noch bis Tempel Nr. 17 kommen müssen, wenn wir morgen von Tokushima aus die Ersatzschuhe für Hajo bei Tempel Nr. 1 holen wollen.

Exkurs Tempel Nr. 15 Kokubunji (国分寺)
„Der Tempel des offiziellen Staates“ wie es in der Übersetzung heißt, wurde von Gyōgi auf Geheiß des Kaisers Shomu gegründet, der für jede der damals 66 Provinz Japans einen offiziellen Provinztempel haben wollte. So war der Kokubunji für die Provinzen Awa/Tokushima zuständig, Tempel Nr. 29 für Tosa/Kochi, Tempel Nr. 59 für Iyo/Ehime und Tempel Nr. 80 für Sanuki/Kagawa zuständig. Ursprünglich ein Tempel des Hossōshu Budddhismus, unter Kōbō Daishi zum Shingon Buddhismus gewechselt und nach Niederbrennung durch Chōsokabe Truppen als Sōtō Zen Tempel (1742) wiederaufgebaut, wird bis heute die von Gyōgi geschnitzte Figur des Yakushi Nyorai verehrt. Es können hier Papier Amulette erworben werden, die an die Badezimmerwände geklebt, vor Termiten und anderem Unglück schützen sollen.

Wir wollen uns die Sache etwas einfacher machen und laufen einem Japaner mit orangem Rucksack hinterher. Als der jedoch quer durch die Felder stapft, müssen wir erkennen, dass er sich hier nicht auskennt. Er fragt noch ein paar Einheimische wie man zum Tempel Nr. 16 (Kannonji) kommt und wird uns nach dem Tempel verlassen, da er vom Bahnhof Kou aus nach Tokushima möchte und nicht wie wir noch Tempel Nr. 17 besuchen will.

Exkurs Tempel Nr. 16 Kanonji (観音寺)
„Der Tempel des Avalokitesvara“ bzw. Kannon Bosatsu wie er hier in Japan heißt, wurde 741 auf Befehl des Kaisers Shōmu gegründet, da er den Buddhismus im Land fördern wollte. Als Kōbō Daishi 816 hierher kam, schuf er die lebensgroße Kannon Statue mit den elf Gesichtern und als Wächter Statuen noch Fudō Myōō und Bishamonten.
Fudō Myōō ist der „Bewahrer der Lehre“. Er ist meist dreiäugig, mit zornverzehrtem Gesichtsausdruck und mehrarmig. Seine Werkzeuge sind das Schwert, zur Verteidigung der Lehre und der Hilfsbedürftigen, die Vajra (Donnerkeil) eine Art Kampfzepter, das Beil und Seil, um Dämonen zu bannen. Bishamonten, einer der 6 japanischen Götter des Glücks, ist eigentlich der Gott des Krieges bzw. Schutzpatron der Krieger. Er verteilt Reichtum, schützt vor Dämonen und Krankheiten und wird als Wächter der Himmelsrichtungen dem Norden zugeordnet. Er trägt volle Rüstung und einen Speer, meist tritt er auf einen am Boden liegenden Dämon. Beides keine friedvollen Bosatsus, sondern Wächter und harte Kämpfer für den Glauben. Weitere Statuen im Tempelgelände sind Yonaki Jizō, der Wächter der weinenden Kinder, und Mizuko Jizō, Wächter der ungeborenen Kinder. Wenn Yonaki Jizō ein rotes Lätzchen trägt, ist das der Dank eines Elternpaares, weil ihr Kind des Nachts nicht mehr weint. Hier gibt es auch wieder eine Legende, die auf eine Begebenheit im 19. Jahrhundert zurück geht. Damals wäre eine Pilgerin namens Shiyo fast bei dem Versuch verbrannt, die nasse Pilgerkleidung trocknen zu wollen. Sie nahm es als Strafe Kōbō Daishis auf, da sie in der Vergangenheit wohl nicht sehr rechtschaffen gelebt und ihre Schwiegermutter mit einem brennenden Stock maltretiert hatte. Sie spendete dem Tempel das Bild einer brennenden Frau, das andere davon abhalten sollte, die gleichen Fehler zu begehen wie sie.
Laut Tempelführer sollen hier immer wieder Krücken aufgestellt worden sein, die von geheilten Pilgern stammen. Doch bei meinem Besuch habe ich keine gesehen, ebenso wie ich das Bild nicht finden konnte. Dafür habe ich aber noch den roten Binzuru (Medizin Arhat) gesehen, den man kaum in seinem kleinen Häuschen erkennen kann, und einen Fußabdruck Buddhas (bussokuseki). Leider drängt die Zeit und ich habe keine Muße, mich weiter umzuschauen. Schnell noch schnell noch zum Tempel Nr. 17 (Idoji) und dann mit Bus nach Tokushima in die Jugendherberge.

Exkurs Tempel Nr. 17 Idoji (井戸寺)
Der Name „Der Tempel des Brunnens“ geht auf eine Begebenheit zurück, bei der Kōbō Daishi einen Brunnen mit seinem Wanderstab bohrte und so die Wasserknappheit der Gegend beheben konnte. Er soll seine Reflexion im Wasser auf einen Stein übertragen haben, dem Hikagiri Saishi. Der Brunnen ist 5 m tief und es bringt Glück, wenn man seine Spiegelung sehen kann und Unglück, wenn man es nicht sehen kann. Gegründet 673 von Kaiser Tenmu beherbergt der Tempel eine Vielzahl von Statuen. Die Hauptgottheit Shichibutsu Yakushi Nyorai, der Medizin Buddha, soll von einem Prinz Shōtoku geschnitzt worden sein, er u. a. auf dem 10.000 Yen-Schein abgebildet ist. Da er von 574 bis 622 lebte, bin ich mir aber nicht sicher, ob es die gleiche Person ist, oder ob man es wieder unter der Rubrik Mythen und Sagen abhaken sollte. Gyōgi hat die Statue von Nikko und Bakko Bosatsu geschnitzt, als Begleiter des Yakushi Nyorai, stehen sie für Sonnen- und Mondlicht.

Kōbō Daishi selbst hat eine 2,4 m große 11-gesichtige Kannon Statue, 12 Himmlische Generäle, die ebenfalls Yakushi Nyorai unterstützen, und 4 Himmelskönige geschnitzt, die für die vier Himmelsrichtungen stehen und zu denen auch, oben erwähnter Bishamonten zählt.
Zweimal komplett heruntergebrannt, brannte der Hondō (Haupthalle) das letzte Mal 1967 nieder und wurde 1970 nach Plänen eines modernen Architekten aus Beton wieder aufgebaut. Das Haupttor (Niōmon) mit den Wächterfiguren (Niō) soll das größte auf ganz Shikoku sein.

Als wir von der Telefonzelle auf dem Tempelgelände aus in der Jugendherberge anrufen, wird uns gesagt, dass sie für heute voll sind. Schade, aber im Tempelführer stehen noch weitere Adressen, die man vor Ort abklappern kann. Da es schon spät ist und langsam dunkel wir, wollen mit dem Bus, die Bushaltestelle liegt direkt um die Ecke, nach Tokushima fahren. Leider können wir den Fahrplan nicht lesen und fragen insgesamt 4 Japaner, vom älteren Herrn bis zum Fahrrad fahrenden Teenager, ob und wann der Bus fährt. Langsam wird es kalt, aber dann kommt endlich doch noch ein Bus. Aber zu früh gefreut, der Busfahrer winkt ab, vielleicht nimmt er uns auf der Rücktour mit? Schließlich und endlich landen wir dann doch noch in einem Bus, der uns zum Hauptbahnhof von Tokushima bringt. Auf dem Weg lernen wir einen jungen Japaner kennen, den wir fragen, ob er uns ein preiswertes Hotel empfehlen kann. Hajo lässt nicht locker, so dass der hilfsbereite Japaner uns zum Ryokan Sakura-ko führt, und noch bei der Auskunft den Bus für morgen nach Bando erfragt. Wir bedanken uns natürlich sehr herzlich und checken im Sakura-ko ein. Hier gibt es erstmal, wie in Japan üblich, Tee und Kekse, obwohl der Nachmittag schon lange vorbei ist. Für den größeren Hunger finden wir im Hauptgebäude des Bahnhofs ein Nudelsuppen Restaurant. Nach einem kurzen Abstecher in ein Sunkus Kombini, wo wie unser Frühstück dür morgen und Proviant einkaufen, kehren wir ins Sakura-ko zurück. Anhand der Schuhe, die hier stehen, folgere ich, dass hier viele Ausländer zu Gast sind, der Blick ins Gästebuch bestätigt meine Annahme: Fast nur Ausländer – kaum japanische Namen. Nach einer schnellen Dusche, das Ofuro war mir einfach zu heiß, geht es wieder in die Futons.