Karte von Shikoku mit den 88 Haupt- und 20 Nebentempeln


Samstag, 22. August 2009

Sonntag, der 22. März 2009, Tokushima, Tokushima City, Ryokan Sakura-ko

Der siebte Tag in Japan

Um 7.00 Uhr klingelt Hajos Wecker. Ich habe trotz Zuglärms und Bahnschrankengebimmel, doch recht gut geschlafen. Wer den ganzen Tag mit Gepäck an der frischen Luft durch die Gegend rennt, muss zwangsläufig gut schlafen! Wir nehmen noch kurz ein Kombini Frühstück ein und machen uns kurz nach 8.00 Uhr auf den Weg zum Busbahnhof. Er liegt direkt vor dem Hauptbahnhof hier in Tokushima. Da wir uns am Vorabend informiert haben, wissen wir, dass wir mit dem Bus (basu) Nummer 37 von der Bushaltestelle (noriba) 2 zurück nach Bando fahren können. Die Fahrt kostet 390 Yen, die man erst am Ende der Fahrt in den Automaten beim Fahrer einwirft. Hier gibt es auch einen Wechselautomaten für Münzen und Geldschreine, damit man immer passendes Kleingeld hat. Aber Vorsicht, man sollte immer 1000 Yen Scheine parat haben, da größere Scheine meist nicht angenommen bzw. gewechselt werden können. Normalerweise steigt man bei einem japanischen Nahverkehrsbus hinten ein, zieht eine Haltestellenmarke mit einer Nummer. Auf einer Tafel am vorderen Ausstieg kann man dann sehen, was man beim Aussteigen zu entrichten hat. In anderen Bussen bezahlt man beim Aussteigen eine Pauschale von 100 oder 200 Yen und kann dann an jeder Haltestelle bis zur Endstelle aussteigen. Der Bus kommt pünktlich um 8.26 Uhr. Schnell sind wir wieder an unserem Ausgangspunkt, Tempel Nr. 1, angekommen. Während Hajo zum Deutschen Haus läuft, er hatte sich gestern telefonisch angekündigt, sitze ich im Bushäuschen vorm Tempel und bewache unser Gepäck. Nicht, dass hier was zu holen wäre – mein Bargeld trage ich immer in meinem Geldgürtel am Körper. Aber auch was Diebstähle angeht, fühle ich mich hier in Japan relativ sicher. Wer bestiehlt schon einen Pilger – obwohl ich von jemandem gewarnt worden bin, auf mein Pilgerbuch zu achten, besonders, wenn ich die letzten Tempel ansteuere. Vollständig ausgefüllte Pilgerbücher sind begehrte „Sammelobjekte“, da allein die Materialkosten sich schon auf 30.000 Yen (ca. 220 Euro) belaufen. Als Hajo zurück kommt, macht er noch ein paar Fotos von Tempel Nr.1 – ihm war doch der Film im Tempel Nr. 13 gerissen. Ich kaufe mir im Pilgerladen ein Tenugui, eine Stück Baumwollstoff, das man als Kopf- oder Wischtuch benutzt und ein Set von Stoffstücken, in die man die Arme einschlägt, damit sie von der Sonne nicht verbrannt werden. Kaum bin ich zurück aus dem Laden, winkt mich doch eine Dame am Eingangstor zu sich und übergibt mir ein Osettai (Pilgergeschenk). Und was bekomme ich da geschenkt – richtig genau so ein Tenugui, wie ich es mir gerade gekauft habe und zwei Päckchen Taschentücher. Natürlich rechne ich mit jedem Gramm, dass ich schleppen muss. Das Tenugui habe ich mir gekauft, damit ich es als Kopftuch nutzen kann, da, wenn ich den Pilgerhut abnehme, ständigen meine Haare im Gesicht habe und aussehe, als hätte ich in die Steckdose gegriffen. Ich möchte den Pilgerhut nicht missen, er verhindert, dass ich mir einen Sonnenbrand hole und bei Regen muss ich mir nicht ständig die Brille putzen.

Wir warten nur kurz auf den Bus und schon sind wir wieder auf dem Rückweg nach Tokushima. Wir wollen vom Hauptbahnhof aus mit dem Zug weiterfahren, da Hajo seine Füße etwas schonen möchte. Als Marathonläufer kennt er diese Überlastungsreaktion, erklärt er mir, dann schaltet er einfach einen Gang zurück. Natürlich liegt es mir etwas quer, dass wir schon so früh unsere guten Vorsätze über Bord werfen, aber warten wir erst mal ab, was die nächsten Tage so bringen. Wir essen noch eine Kleinigkeit im Bahhof: Wir teilen uns eine Portion Takoyaki, dass sind Gemüsebällchen mit Tintenfischfüllung (Tako = Tintenfisch), mit Trockenfischflocken (Bonito) und Mayonaise.

Mit dem Zug fahren wir nach Tatsue, das ist die Bahnstation, die direkt am Tempel Nr. 19 (Tasueji) liegt. Am Bahnhof winkt uns ein Japaner entusiastisch, als wir aussteigen. Es ist der Japaner, den wir zwischen Tempel Nr. 13 und Nr. 14 getroffen haben und der uns Maronen (Esskastanien) angeboten hat. Er ist erfreut, uns wiederzusehen. Vielleicht grinst er auch nur, weil wir aus dem Zug steigen, denn das ist streng genommen ein Schummeln. Er erklärt uns, dass er jetzt mit dem Zug nach Hause zurück nach Tokyo fahren will, da sein Urlaub zu Ende ist. Es gibt nicht nur Fußpilger, die die Pilgertour in einem Rutsch machen (kechigan), sondern viele, vor allem Berufstätige, die jeweils ihren gering bemessenen Urlaub dazu nutzen, ein Teilstück des Pilgerwegs zu laufen. So kann es auch schon mal 5 Jahre dauern, bis man die Runde beendet hat. Wir wollen hier im Tempel Nr. 19 heute übernachten, Hajo hatte Patrick gebeten, für uns telefonisch zu reservieren. Wir können so unser Gepäck hierlassen und mit leichtem Gepäck, d.h. Pilgerbuch und kleiner Wegzehrung, Tempel Nr. 18 in Angriff nehmen, der nur ca. 4 km entfernt liegt. Als wir das Tempelgelände betreten, treffen wir auf alte Bekannte: Pink Lady, die mit dem Fotoapparat von Tempel Nr. 16 und Herr Blaukopf, den wir immer mal wieder auf dem Trail gesehen haben.

Exkurs Tempel Nr. 19 Tatsueji (立江寺)
„Der Tempel der ankommen Bucht „ klingt als Übersetzung aus dem englischen „Temple of Arising a Bay“ etwas holprig, aber ich denke es ist der Ortname „Tatsue“ gemeint. Da auch der Fluss so heißt, wir der Ort wohl nach dem Fluß benannt worden sein und der verlängert die Bucht bis sie in der Ortschaft ankommt. Der Tempel wurde von Gyōgi auf Geheiß des Kaisers Shōmu gegründet, um der Gattin des Kaisers, Kōmyō, eine leichte Geburt zu ermöglichen. Aus diesem Grund fertigte Gyōgi auch die Figur des Jizō Bosatsus aus einer speziellen Goldart (jambuna) und machte sie zum Honzon (Hauptgottheit). Später schnitze Kōbō Daishi noch eine größere Enmei Jizō Statue, in der er die ältere, aber nur 5,5 cm große Figur aufbewahrte. Diese Statue überstand auch als einzige die Niederbrennung durch Chōsokabe Truppen und einen Unfall 1974, bei dem ein Großbrand alle Gebäude in Schutt und Asche legte. 1977 wurde der Hondō (Haupthalle) wiederaufgebaut. Sowohl im 9. als auch im 16. Jahrhundert wurde der Tempel verlegt.

Auch hier gibt es wieder interessante Legenden über die Gründung bzw. Begebenheiten über Bekehrungen durch Kōbō Daishi. Bei der Gründung des Tempels soll ein weißer Reiher (shirasagi), sich auf eine naheliegende Brücke niedergelassen haben. Er ist ein Bote des Glücks und die Brücke heißt noch heute nach ihm „Shirasagi Brücke“.
Eine Legende aus dem 19. Jahrhundert berichtet von einem verbrecherischen Liebespaar, das nachdem sie gemeinsam den Ehemann der Frau ermordet haben, sich getarnt als Pilger unter die Leute von Shikoku gemischt haben, um sich der Strafverfolgung zu entziehen. Doch als die Frau namens Okyō, den großen Gong (waniguchi) vor der Haupthalle läuten will, verfangen sich ihre Haare im Seil und drohen sie zu strangulieren. Sie kann gerettet werden, doch bis auf eine mönchsartige Tonsur verbleibt ihr Skalp im Seil. Das Paar nimmt es als Warnung Kōbō Daishis und sie werden Nonne und Mönch, die den Rest ihres Lebens dem Tempel weihen. Das abgerissene Haar kann noch heute in einem Glaskasten bewundert werden.

Und auch über den Binzuru, der heilungversprechenden Buddha Statue, die in vielen Tempeln zu finden ist, erfahre ich mehr. Er ist mit roter Farbe bemalt, weil sein Vorbild dem Alkohol sehr zugesprochen hat. Als er nun ein Gefolgsmann Buddhas wurde, versprach er dem Laster abzuschwören. Als Buddha nun gebeten wurde einen bösen Geist zu vertreiben, schickte er wegen Zeitmangels Binzuru, der den Geist auch bezwingen konnte. Doch bei einem Bankett zu Ehren Binzurus, das der Hausherr ausgerichtet hatte, um sich zu bedanken, verfiel Binzuru abermals dem Alkohol. Das Ende vom Lied war, dass Binzuru seine Kräfte verlor, der Geist zurückkehrte und Buddha Binzuru aus seiner Gefolgschaft verstieß. Doch Binzuru reiste Buddha hinterher, lauschte seinen Lehrreden in einigem Abstand und ließ auch sonst nicht vom Buddhismus ab. Als Buddha starb, rief er Binzuru zu sich und verzieh ihm, erklärte ihm jedoch, dass er niemals Nirvana (Ende des Wiedergeburtszyklus) erreichen könne und als Wächter über die Menschen in dieser Welt verbleiben müsse.

Der Pilger soll, wenn er im Tempel Nr. 19 ankommt innehalten und sich fragen, ob er bis jetzt den rechten Weg gegangen ist. Wenn nicht, es ist fast wie im Mensch-ärger-Dich-nicht Spiel, soll er zu Tempel Nr. 1 zurückkehren und erneut beginnen. Da wir aber noch Tempel Nr. 18 auf unserer heutigen Tagesliste haben, fragen wir uns später, ob wir das eingehalten haben, was wir (uns) versprochen haben.

Nachdem wir also unsere Herz-Sutra rezitiert haben, gehen wir ins Pilgerbüro und lassen unser Nokyochō ausfüllen. Hier fragen wir auch gleich, ob wir schon einchecken und unser Gepäck auf unser Zimmer bringen dürfen. Nachdem wir 7000 Yen für Übernachtung, Abendessen und Frühstück bezahlt haben, führt uns ein junger Mönch sogleich auf unsere Zimmer. Zeigt uns noch wo die Toiletten und das Bad sind und spricht die Badezeiten mit uns ab. Nach einer kurzen Teepause machen wir uns auf den Weg zu Tempel Nr. 18, dem Onzanji. Da das Wetter bedeckt ist, nehme ich vorsichtshalber meinen Regenponcho mit, der baumelt zusammengelegt im Beutel zwar etwas herum, wird sich aber noch als sehr nützlich erweisen.

Nachdem wir die "Brücke des Weißen Reihers" hinter uns gelassen haben, wandern wir durch die Wälder. Wir kommen durch einen herrlichen Bambushain, doch der Weg ist leider nur mäßig beschildert. In einem Tal mit Bauernhof, hier kann ich einen Blick auf die verdutzt guckenden Rindern werfen, müssen wir uns ausgiebig umschauen und nach dem Weg suchen. Am anderen Ende des Tals sehe ich eine Treppe und von oben kommen uns zwei Pilger entgegen. Mein Herz klopft immer, wenn der Trail direkt über die Grundstücke führt. Das ist mir immer etwas peinlich, denn es könnte gerade der Hausherr raukommen. Aber wenn es die Einheimischen stören würde, würden sie den Trail einfach etwas verlegen. Außerdem schätzen die Anwohner die Pilger, so haben sie manchmal Stühle und Tische für ein Päuschen aufgestellt oder Kannen mit Tee oder Kaffe bereitgestellt, so nehmen sie immer ein Stückchen an der Pilgerreise des anderen teil.

Exkurs Tempel Nr. 18 Onzanji (恩山寺)
„Der Tempel des Berges der Dankbarkeit“ wurde von Gyōgi gegründet, der auch die Statue des Yakushi Nyorai geschnitzt hat. Ursprünglich hieß der Tempel Mitsugenji und war ein Ort, wo man sein Unglück bannen konnte. Als Kōbō Daishis Mutter ihn jedoch hier besuchen wollte, zu diesem Zeitpunkt war es Frauen verboten heilige Orte wie Koya-san, Tempel Nr. 13 oder auch andere heilige Berge zu betreten, hielt er ein 17-tägiges Ritual ab. Danach wurde das Verbot aufgehoben und seine Mutter Tamayori durfte den Tempel betreten. Sie ließ sich die Haare abrasieren und sich zur Nonne weihen. Kōbō Daishi kümmerte sich hier um seine Mutter, schnitzte eine Statue von ihr und eine von sich selbst, die noch heute in der Daishi-Halle und in der daneben liegenden Mutter-Halle aufgewahrt werden. So unterstrich er die Dankbarkeit, die er gegenüber seiner Mutter empfand, was sich im Namen der Halle widerspiegelt. Auch soll er beim Empfang seiner Mutter einen Baum in der Nähe des Tores gepflanzt haben, der 1954 zum Natur Monument der Präfektur Tokushima ernannt worden ist. Nach ihrem Tod sollen ihre Knochen im Tempel begraben worden sein. Es können im Tempel u. a. frauenspezifische Glückbringer erworben werden, die zu einer leichten Geburt, Genesung von Frauenkrankheiten und eine erfolgreiche Schwangerschaft führen sollen.

Als wir endlich das Tor von Tempel Nr. 18 sehen, uns fallen sofort die riesigen Strohsandalen (waraji) am Tor auf, glauben wir den Tempel erreicht zu haben, aber gefehlt, der liegt noch um einiges weiter weg. Das Tor ist von einem Bienenschwarm in Besitz genommen worden und wir sind vorsichtiger als sonst, als wir uns verbeugen und das Tor durchschreiten. Der Tempel wimmelt von kleinen Jizō Figuren, aber auch eine Reihe von Arhats (Buddhas Jünger) kann man hier, geschützt durch ein kleines Dach, bewundern.

Auf dem Rückweg überrascht uns ein Regenguss, jetzt hat sich das Wetter so lange gehalten, aber bevor wir trockenen Fußes in den Tempelunterkunft gelangen, muss es noch eine Husche geben. Ich hatte meinen Poncho dabei, nur Hajo ist nass geworden. Er nimmt auch als erster ein Bad. Um 17.00 Uhr soll es ein Ritual im Hauptgebäude geben, während die sonst übliche Morgenmesse um 6.00 Uhr morgen nicht abgehalten wird. Glücklicher Weise, es regnet noch, kann man von der Pilgerunterkunft über Gänge direkt in den Altarraum gelangen. Hier treffen wir auf alte Bekannte. Herr Hinkebein, der uns beim Päuschen zwischen Tempel 11 und 12 Honigbonbons geschenkt hat, ist hier ebenso wie ein älterer Herr, den wir auf dem Trail gesehen haben und eine Kappe mit der Aufschrift „LR“ getragen hat. Man sitzt auf flachen Stühlen bzw. man könnte sich auch auf den weichen Boden setzen. Ein Büchlein, das bei unserer Ankunft auf dem niedrigen Tischlein in unserem Zimmer lag, haben wir leider vergessen, dafür haben wir die Übersetzung der Herz-Sutra (Hannya Shingyo) dabei. Das Büchlein enthält den Ablauf und die Texte der Zeremonie, die jetzt durchgeführt wir. Als die Herz-Sutra rezitiert wird, können wir im natürlich im Chor mitsprechen. Beim abschießenden, ich nenne es mal „Weihrauchritual“, nimmt man etwas Gewürzpulver zwischen die Fingerspitzen, führt sie zur Stirn und nickt mit dem Kopf, spricht leise ein Gebet und streut es dann auf einen kleinen glimmenden Hügel, den der Priester vorher in einer kleinen Schale angehäufelt hat. Das ganze Ritual wird mit einer Verbeugung eingefasst. Man sieht am besten seinem Vordermann zu und macht es einfach nach. Nach Abschluss der Abendandacht, eine Morgenandacht ist nicht geplant, zeigt uns der Priester die Mandala, die hier aufgehängt sind. Mandala sind bildhafte Darstellungen der buddhistischen Götter und Hierarchien und erklären dem Eingeweihten, wie die Welt funktioniert. Für uns Nichteingeweihte, sind es lediglich detailreiche Darstellungen von Buddhas, die in ihrer Anordnung irgendwie quadratisch, aber doch rund wirken. Im Shingon Buddhismus, dem Buddhismus des „Wahren Wortes“, welchen Kōbō Daishi gegründet hat, nachdem er von China zurückgekehrt war, sind mündliche Überlieferungen von Meister zu Schüler immer noch sehr wichtig. Er wird auch esoterischer Buddhismus genannt, da die Lehren, die für die Erkenntnis des Kerns der Lehre notwendig ist, verborgen gehalten werden. Nichteingeweihte kratzen lediglich an der Schale und eine Erleuchtung in diesem Leben kann nur durch eine geistige Durchdringung der ganzen Lehre erfolgen. Während der Zen-Buddhismus eine Erleuchtung durch Abschalten des Oberflächendenkens, geprägt durch Erfahrungen und Emotionen, versucht, konzentriert sich der Shingon Meditierende auf die Buddhas. Er versucht in der Meditation eins zu werden mit dem Buddha bzw. dessen Keimsilbe, die den Buddha repräsentiert. Beide Meditationsformen versuchen den Praktizierenden von seiner Ich-Gebundenheit zu befreien. Auf alle Fälle gibt es im Shingon Buddhismus ein Doppel-Mandala, das "Diament-Mandala" (kongo-kai) und das "Mandala des Mutterschosses" (taizo-kai), die hier beide im Tempel hängen.

Beim Essen sind wir eine kleine, gemütliche Runde von 10 Personen. Wir sitzen also im Essraum eines Tempels und ich erwarte vegetarische Speisen, wie es für Buddhisten üblich ist. Nicht, dass ich selbst überzeugte Vegetarierin bin, aber so ein bisschen Speck im Rührei oder etwas Putenbrust im Salat, das möchte ich nicht missen. Da wird mir doch Sushimi, roher Fisch, serviert und einer meiner Mitpilger hat sich eine Flasche Bier bestellt! Fleisch und Alkohol im Tempel, ich bin etwas verblüfft. Aber vielleicht hat man sich den Bedürfnissen der Pilger angepasst, die nicht nur Pilger, sondern auch Reisende sind. Wenn man sich schon den Tag über hat quälen müssen, dann sollte doch der japanischen Leidenschaft zum guten Essen nachgegeben werden, sonst pilgert am Ende gar keiner mehr zu Fuß. Wir bedienen uns gegenseitig, füllen unsere Reis- und Teeschälchen. Ein Mönch bespricht mit mir noch meine Badezeit. Ein älterer Herr, der auch an unserem Tisch sitzt, soll vor mir baden und höflich wie ich bin, zeige ich mich einverstanden. Da ich sowieso erst nach Hajo bade, wir haben es uns so angewöhnt, dass er als erster baden geht, während ich aufs Gepäck achte bzw. meine Fotos aufs Netbook lade und mir ein paar Notizen zum Tag mache.
Es wird zwar wenig Englisch gesprochen, doch mein Japanisch reicht aus, um die älteren Herrschaften zu verstehen, die mir den jungen Mann neben mir als Student vorstellen. Hajo plaudert angeregt mit Herrn Hinkebein. Zwar spricht Hajo kein Japanisch und der Japaner kein Englisch, dafür verstehen aber beide Spanisch. Es stellt sich heraus, das Herr Hinkebein, trotzt total versteiften Knies schon den Jacobsweg oder Camino nach Santiago de Compostelle in Spanien gelaufen ist und hierzu vorher Spanisch gelernt hat. Uns war Herr Hinkebein schon auf dem Trail zwischen Tempel 11 und 12 begegnet, wobei ich mich gefragt habe, da er ja nur mit dem einen Bein Treppen steigen kann, wie dieser dünne Kerl es schafft den Berg hochzukommen, wo wir mit unseren zwei gesunden Beinen schon Probleme haben. Und auch der Herr mit der Kappe, mit Namen „Akadama“ wie ich später erfahre, ist schon 70 Jahre alt und läuft auch uns später davon, da wir bei seinem Tempo nicht mithalten können. Da wird man plötzlich ganz klein, wenn ich bedenke wie lange ich mich vorbereitet habe, um fit für den Trail zu sein, im Vergleich zu diesen „Leistungssportlern“ muss man sich ja fast schämen noch so jung bzw. so langsam für sein Alter zu sein. Ich muss allerdings einräumen, dass die Herrschaften wirklich nur mit dem nötigsten Gepäck inform eins 35 l Rucksacks (6 kg) reisen, während sich unsere 80 l Rucksäcke mit 12 bzw. 17 kg einen, vor allem in den Bergtrails, doch recht bremsen. Wir müssen aber auch immer damit rechnen, dass wir keine Unterkunft finden und so unser Gepäck mit Isomatte und Schlafsack schon mal fast die Hälfte des Gewichts ausmacht.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen