Karte von Shikoku mit den 88 Haupt- und 20 Nebentempeln


Sonntag, 23. August 2009

Montag, der 23. März 2009, Tokushima, Komatsushima City, Tatsue, Tempel Nr. 19

Der achte Tag in Japan

Um 6.00 Uhr ist Wecken angesagt, da es Frühstück ab 6.30 Uhr gibt. Pünktlich sitzen wir mit allen Leuten vom Abendbrot wieder am flachen Tischchen im Esszimmer. Hier wird uns auch gezeigt, dass man die Seetangstreifen auf den Reis legt, sie dann vorsichtig um ein bisschen Reis hüllt und die Rolle geschickt mit den Essstäbchen in den Mund befördert. Das japanische Frühstück ist gewöhnungsbedürftig, da nicht jeder Fisch und eingelegtes Gemüse (tsukemono) schon so früh herunterkriegt. Ich liebe japanisches Essen, aber ich glaube mein Stoffwechsel läuft am besten, wenn ich morgens Brot und Butter zu mir nehme. Was Süßes im Austausch gegen die doch recht kräftige Frühstückssuppe oder die Scheibe Lachs, da hätte ich kein Problem. Heute gönne ich mir sogar eine Tasse Kaffe, wenn es auch nur Instand- Kaffee ist, aber man wird anspruchsloser mit der Zeit.

Nachdem wir unsere Sachen gepackt haben und nochmals einen Kontrollblick ins Zimmer geworfen haben, zum Glück verstellen einem nicht allzu viele Möbel die Sicht, brechen wir um 7.00 Uhr auf. Herr Hinkebein erklärt Hajo, dass er noch zu Tempel Nr. 20 (Kakurinji) wandern wird, dann aber nach Hause zurückkehren muss. Da wir aber den Bangai Tempel Nr . 3 besuchen wollen, trennen sich hier wohl unsere Wege. Es ist schade, dass man so die vertrauten Gesichter aus den Tempeln aus den Augen verliert. Während die einen die 88 Tempel Tour laufen, gibt es Maßlose wie uns, die den Hals nicht voll kriegen und auch noch die 20 Bangai Tempel besuchen wollen. Aber man hat uns an Herz gelegt, wenn wir schon die Anstrengungen nicht scheuen, die Nebentempel zu besuchen, da sie den Besuch wert sind. Leider sind viele, aber nicht alle Bangai Temple so abgelegen, dass es meist einen ganzen Tag braucht, sie zu besuchen. Und einen ganzen Tag gegenüber einem anderen Wanderer aufzuholen, braucht des schon die doppelte Geschwindigkeit, dass ist kaum zu schaffen.

Auf unserem Weg zu Bangai Tempel Nr. 3 treffen wir Herrn Akadama wieder, der 70-jährige Japaner mit der „LR“ Aufschrift auf der Kappe. Er will ebenfalls zum Bangai Tempel und so bilden wir für kurze Zeit eine Wandergemeinschaft. Da die Bangai Tempel nicht in unserem englischsprachigem Kartenmaterial verzeichnet sind und wir auf die japanische Version unseres Kartenmaterials zurückgreifen müssen, ist es für uns ja fast lebensnotwendig, jemanden dabei zu haben, der auch Japanisch spricht bzw. zwischendurch vielleicht einmal nach dem Weg fragen kann. Da Hajo mal wieder eine Hüttenübernachtung geplant hat, kehren wir noch schnell bei einem Lawson Kombini ein und stocken unseren Proviant auf.

Im Tempelführer habe ich etwas von einer Hina-Ausstellung gelesen. „Hina“ sind Puppen, die anlässlich des Hina-Matsuris, dem japanischen Mädchenfest am 3. März, auf so eine Art Treppe aufgebaut und ausgestellt werden. Sie symbolisieren den mittelalterlichen Hofstaat mit Kaiser und Kaiserin, Gediensteten und Samurai. Es sind kostbare, meist handgefertigte Puppen, die entweder von Generation zu Generation weitervererbt oder auch als Sammelversion Stück für Stück zusammengekauft werden. Obwohl wir an einem Schild vorbeikommen, das das Ende der Ausstellung mit dem 22.03., also gestern nennt, sind viele Läden in der Kleinstadt, durch die wir kommen, noch voller Puppen. Die haben wohl noch nichts von der Legende gehört, nach der, wenn man die Puppen über den 3. März hinaus stehenlässt oder vergiss sie abzubauen, sich das Eheglück erst später einstellen wird. Wir treffen zufällig auf unsere Bekannten aus dem Tempel Nr. 19: Junior, der Student, und Herr Hinkebein. Wir fotografieren uns gegenseitig vor einer Puppentreppe, danach können wir ein Stück zusammen wandern, da sich die Wege erst in einem Örtchen namens Katsuura trennen.

Hier hat auch Herr Akadama im Ryokan Kanekoya reserviert. Kurzerhand ändern wir unsere Pläne mit der Hüttenübernachtung und fragen, ob noch zwei Plätze frei sind. Es gibt kein Problem und so lassen wir unsere Rucksäcke im Vorraum (genkan) stehen, während wir mit leichtem Gepäck Herrn Akadama in Richtung Bangai Tempel Nr. 3 folgen. Der Trail führt zwar über Straßen, ist aber so einsam, dass wir niemandem begegnen. Wir kommen an einer ehemaligen Schule (Sakamoto) vorbei, die man zur Henro (Pilger) Unterkunft umgewandelt hat. Kein Wunder, die liegt derartig abgelegen. Jetzt geht der Trail steil bergauf, zu steil für Hajo, der immer noch mit seinem Fuß bzw. der Achillessehne zu tun hat. Dann geht auch noch Hajos Wanderstock, so ein zusammenschiebbarer Treckingstock, kaputt. Wir müssen also den längeren Weg über die Straße nehmen, während unser Japaner flux den schnellsten Weg über den Trail nehmen kann. Wir wollen uns oben am Tempel treffen.

Exkurs Bangai Tempel Nr. 3 Jigenji (慈眼寺)
„Der Tempel der Augen der Barmherzigkeit“ ist eigentlich eine Zweigstelle des Tempels Nr. 20 (Kakurinji), der etwa 12 km entfernt liegt. Nach einer Legende soll Kōbō Daishi hier im Alter von 19 Jahren einen Drachen mit Gebeten und Ritualen bezwungen und in eine Höhle gesperrt haben. War uns ein solcher Drache nicht schon bei Tempel Nr. 12 begegnet? Er hat ihn also in einer Höhle gefangen und eine 11-köpfige Kannon Statue als Honzon (Hauptgottheit) geschnitzt. Die Höhle gibt es heute noch und kann auch besichtigt werden, aber nur mit Kittel, den es im Pilgerbüro gibt und für 1000 Yen Eintrittsgeld. Das ist uns dann doch zu teuer, zumal davor gewarnt wird, wenn man zu groß oder zu dick ist. Die drei Kammern, von denen die letzte sich ca. 100 m hinter dem Eingang befindet, sollen derart eng sein, dass es als spiritueller Test gesehen wird, sich hier durchzuquetschen. Am Ende locken einen die Fähigkeit böse Geister aus seinem Körper zu vertreiben, eine leichte Geburt, Erfolg in Prüfungen, Gesundheit, Reichtum und allgemein großes Glück. Aber wer braucht das schon, wenn man riskieren muss, stecken zu bleiben. Für Japaner ganz OK, für uns Europäer eher nicht zu empfehlen, obwohl ich sonst für alles sehr aufgeschlossen bin.

Mich beeindruckt vor allem das seltsam anmutende Tor mit der Kannon Statue und der große Baum am Eingang. Hier treffen wir auch Herr Akadama wieder, der natürlich längst den Tempel erreicht hat. Es stand zwar im Tempelführer, dass es hier im Tempel eine Pilgerunterkunft gibt, aber das ist eine Fehlinformation. Vielleicht gibt es diese auch nur nach Voranmeldung, damit die Leute im Tempel eine Mindestanzahl zusammenkriegen, damit sich der Aufwand auch lohnt. Auf alle Fälle sind wir froh, einen Platz im Kanekoya gefunden zu haben und weder hier noch in irgendeiner Hütte unterkommen zu müssen. Wir wollen die Höhle hier nicht besuchen und auch für die Haupthalle, für die man noch etliche Stufen steigen muss, ist es heute keine guter Zeitpunkt, da Hajo immer noch mit seiner Hackse hadert und total kaputt ist. Wir versuchen für ihn einen Stock zu organisieren. Hier stehen auch eine ganze Menge hölzerner Wanderstöcke (kongozue) in einer Ecke, die von allzu eiligen Pilgern vergessen worden sind. Aber von denen will uns der Mönch aus dem Pilgerbüro keinen verkaufen und neue Stöcke gibt es hier auch nicht zu erwerben. Hajo „organisiert“ sich trotzdem einen und dann machen wir uns ganz schnell auf den Rückweg. Da der Trail für Hajo zu steil ist, lässt sich auch unser Japaner dazu überreden, mit uns gemeinsam den Rückweg über die Asphaltstraße anzutreten. Das ist zwar länger, ab auch sicherer. Also klingt es klack, klack, klack im Wanderstock Takt - hinab ins Sekigatani Tal.

Auf halber Strecke kommen wir an einem „Ding“ vorbei: Ein Turm aus Holzstämmen, die nur durch Keile gehalten werden. Auf einem Schild steht der Titel „Water Pagoda“, obwohl ich hier nicht viel Wasser sehen kann. Natürlich gibt es in der Umgebung viel Flüsse und auch einige kleine Wasserfälle, aber ob es sich um ein Kunstwerk oder lokales Brauchtum handelt ist mir schleierhaft. Bei einer späteren Internetrecherche stellt sich heraus, dass es eine Holzfäller Installation anlässlich des Nationalen Kulturfestival von Tokushima handelt, welches 2007 stattfand. Da wir jetzt einen anderen Weg zurück gehen, als den wir gekommen sind, gibt es einige Orientierungsprobleme. Aber unser Herr Akadamer kann sich durchfragen und so landen wir spät, aber wohlbehalten, im Kanekoya Ryokan.

Vor dem Essen wollen wir noch schnell ein Bad nehmen, da es hier ein Gemeinschaftsbad gibt, natürlich Männlein von Weiblein getrennt, muss man nicht warten, bis das Bad frei ist.
Ich entkleide mich also im Vorraum, lege meine Klamotten in den dafür vorgesehen Korb. Mit einem kleinen Handtuch als Waschlappen gewaffnet mache ich mich auf in den Waschraum. Bevor man sich im fast 40 Grad heißen Becken entspannen darf, muss man sich vorher gründlich einseifen und abspülen. Leider habe ich einige Probleme, das Wasser in Gang zu bringen, aber eine junge Japanerin zeigt mir, wie weit ich an der Armatur drehen darf, damit ich Wasser aus dem Duschkopf und nicht aus dem, in Kniehöhe liegenden, Hahn bekomme. Eigentlich holt man sich einen Hocker und schaufelt mit einer Schüssel das Wasser über den Kopf, doch da ich etwas in Eile bin, ziehe ich die schnelle Dusche dem Waschritual vor. Schnell noch ein paar Minuten im großen Becken entspannt, das schützt vor Muskelkater und tut auch sonst gut, und dann die Haare kurz angefönt, schnell angezogen, damit man fertig für das Abendesse ist. Aber ich habe mich ganz umsonst beeilt, gelangweilt sitzt Hajo auf so einem Massagesessel, der von den Füßen über den Rücken bis zum Hals alles massieren kann, und spielt damit rum. Wir holen uns aus einem Automaten schon mal, zur Einstimmung auf das Abendessen, eine Tasse Tee. Wir werden nicht enttäuscht: Das Essen ist lecker, reichlich und so hübsch dekoriert, das einem schon beim Anblick das Wasser im Mund zusammenläuft. Aber wir benötigen reichlich Kalorien, um die nächsten „Kilometer fressen“ zu können. Hajo bestellt sich Sake, den japanischen Reiswein, und stößt mit Herrn Akadama an. Leider landet der Reiswein, der in kleinen Flaschen serviert wird, größtenteils neben den viel zu kleinen Sake Schälchen, aber zum Probieren reicht es. Kanpai – Prost!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen