Karte von Shikoku mit den 88 Haupt- und 20 Nebentempeln


Montag, 7. Juni 2010

Dienstag, 07.04.2009, Ehime, ōzu City, B.H. Ota

Der 23. Tag in Japan
Gegen 6.00 Uhr stehe ich auf. Ich habe die Vorhänge nicht zugezogen und dem entsprechende weckt mich das erste Morgenlicht. Zum Frühstück gibt es mal wieder viel Zucker, um auf die Sprünge zu kommen – Cola und mit Schokopudding gefülltes Teigteilchen. Ich mache ein paar Dehnübungen, denn die letzten Kilometer stecken mir noch in den Beinen. Mit der Zeit verkürzt sich die Muskulatur - ich kann schon jetzt kaum mehr barfuss laufen. Um das Verkürzen der Muskeln beim Wandern zu verhindert, macht man vorher immer ein paar Streckübungen. Ohne Stretching würde ich morgens auch gar nicht aus dem Bett kommen. Leider wusste ich nicht, dass das Dehnen der beanspruchten Muskulatur nach der Belastung umso wichtiger ist. Wenn ich also nach meiner Tour nach Hause kommen werde, bin ich zwar im Bezug auf Ausdauer topfit, muss aber leider meine anstehende Karate-Prüfung absagen, da ich während der Tour einfach „zu kurz“ geworden bin. Ich packe meine Sachen, überprüfe noch mal das Zimmer, ob ich auch nichts vergessen habe. Nicht auszudenken, wenn ich meinen Hut oder meinen Wanderstock vergessen würde! Heute sitzt wieder der nette Portier von gestern Abend an der Rezeption und ich frage ihn, ob ich ein Foto von ihm machen darf. Ich verabschiede mich und mache mich auf, den Bangai Nr. 8 zu besuchen. Er liegt keine 4 km entfernt und auf dem Weg fotografiere ich die Gullideckel der Stadt ōzu. Was ist denn an einem Gullideckel denn schon ein Foto wert, wird man sich fragen, aber die immer recht hübsch gestalteten Gullideckel hier in Japan geben immer über Sehenswürdigkeiten oder lokale Spezialitäten Auskunft. So zeigt der Gullideckel der Stadt „große Sandbank“ (ōzu), Hibiskusblüten und Kormorane und Fische. ōzu ist nämlich eine der drei größten Kormoranfischerei Gebiete in Japan. Zum Fischen bekommen die Vögel einen Ring um den Hals, so dass sie die gefangenen Fische nicht abschlucken können. Meist sind sie zusätzlich mit einer Leine gesichert und werden von ihrem „Dompteur“ mithilfe einer langen Stande aus dem Wasser gehoben. Saison ist zwischen Juni und September, wobei nach Sonnenuntergang gejagt wird. Auch Touristen haben die Möglichkeit, diesem Schauspiel während einer Bootstour auf dem Hiji Fluss beizuwohnen. Die Hibiskusblüten sind wohl als Wappen oder Symbol für die Stadt ōzu zu verstehen. Jede japanische Stadt, die was auf sich hält, hat irgendwelche Pflanzen, Tiere oder andere Sehenswürdigkeiten zum stadtspezifischen Wappen oder Symbol erklärt. Ich laufe am ōzu Plaza Hotel vorbei und wundere mich, dass direkt daneben ein Münzwaschsalon (koin randori) steht. Als ob man in einem „Plaza Hotel“ seine Wäsche selber waschen würde und auch einen McDoof gibt es hier. Aufgrund des kurzen Weges zum Tempel, ist es noch relativ früh als ich ihn betrete.

Exkurs Bangai Tempel Nr. 8 Toyogabashi/Eitokuji (十夜橋/永徳寺)
„Der Tempel der ewigen Tugend“ bzw. „zehn Nächte Brücke“ hat seinen ungewöhnlichen Namen von einer Legende, bei der Kōbō Daishi in einer Winternacht kein Quartier bei den Einwohnern dieser Gegend finden konnte und so gezwungen war, unter einer Brücke zu schlafen. Der erste Name ist der offizielle Name des Tempels, der der gleiche ist wie der Tempel zu dem er als Subtempel zählt. Der Tempel hier an einem kleinen Flüsschen, das in den Hiji Kawa, dem längsten Fluss der Präfektur Ehime, mündet, wurde von Kōbō Daishi gegründet und es wird auch Kōbō Daishi als Honzon (Hauptgottheit) verehrt. Als unser Daishi also die Nacht unter der Brücke in bitterlicher Kälte verbringen musste dichtete er: „Yuki no yamu ukiyo no hito wo watasazuba hitoya mo tōya to omohoryu“. Was so viel wie: „Sie werden einem Reisenden in Not nicht helfen – diese Nacht erscheint wie zehn“, bedeutet und heute noch die Goeika (Hymne) des Tempels ist. Bevor der Tempel in Beton errichtet worden ist, wurde er unzählige Male von Fluten zerstört. Er liegt direkt am Fluss, wo man in Erinnerung an die Legende einen, unter dicken Futons liegenden, Kōbō Daishi (Nojuku Daishi) vorfinden kann. Darin ist wahrscheinlich auch die Pilgerregel begründet, nie mit dem Pilgerstock lärmend über eine Brücke zu gehen. Eingeweihte wissen, wenn man auf einer Brücke geht, bleibt der Stock in der Hand, ohne lärmend auf dem Asphalt aufgesetzt zu werden.

Exkurs Pilgeretikette: Pilgergruß, 3 Versprechen, 10 Gebote, Beschriftungen
Neben dieser Brücken-Regel für Pilger, gibt es noch einige Regeln und Gebote, die einen Exkurs wert sind. Pilger grüßen sich untereinander, ob nun ein „guten Tag“ (konnichi wa), ein „Geben Sie ihr Bestes“ (gambattee) oder ein „Herzliches Dankeschön“(dōmo arigatou gozaimasu). Man übersieht sich nicht auf dem Pilgerweg, denn man ist eine Gemeinschaft mit dem gleichen Ziel. Wenn man die Pilgertour läuft, nimmt man am asketischen Training Kōbō Daishis teil und während dieser Zeit sollte man 3 Versprechen und die 10 Gebote beherzigen. Zu den diese drei Versprechen zählen:

1. Ich glaube während meiner Pilgerreise, dass Kōbō Daishi alle lebenden Geschöpfe erretten wird und er auch mich begleitet. Anmerkung: Der Wanderstock symbolisiert den Fuß des Daishi!


2. Ich verspreche, dass ich mich während meiner Pilgerreise nicht beklagen werde, wenn die Dinge nicht wie gewollt laufen, denn dies ist Teil meiner asketischen Übungen.

3. Ich glaube während der Pilgerreise, dass alle in der jetzigen Welt errettet werden können und ich werde stets nach der Möglichkeit der Erleuchtung streben. Anmerkung: Der Shingon Buddhismus verspricht eine Erleuchtung und Buddhaschaft in diesem Leben, nicht erst in einem folgenden, die durch gute Taten erworben werden können wie andere buddhistische Strömungen.

Die 4 Sätze zur Erleuchtung, die neben der Sanskrit (altindische Sprache) Silbe für Kōbō Daishi auf dem Seggenhut (sugewasa) geschrieben sind, hatte ich schon erwähnt.

Die 10 Gebote, die man mit den christlichen 10 Geboten vergleichen kann lauten wie folgt:
1. Ich werde dem Leben kein Leid zufügen.
2. Ich werde nicht stehlen.
3. Ich werde nicht ehebrechen.
4. Ich werde nicht lügen.
5. Ich werde nichts übertreiben.
6. Ich werde weder schimpfen noch beleidigen.
7. Ich werde nicht zweideutig reden.
8. Ich werde nicht gierig sein.
9. Ich werde nicht hasserfüllt sein.
10. Ich werde die Zeichen der Wahrheit nicht leugnen.

Als ich den Tempel betrete, hetzt da so eine japanische Familie über das Gelände. Sie rezitieren ihre Sutren, lassen im Pilgerbüro ihren Tempelbesuch dokumentieren, aber Würdigen die Brücke mit den Standbildern keines Blickes. Dabei impliziert schon der Tempelname, dass es hier mit der Brücke eine besondere Bewandtnis hat. Aber was gehen mich die rasenden Pilger in ihren Blechbüchsen an. Ich fröne viel mehr, nachdem ich meine Herz Sutra rezitiert habe, meiner Suche nach interessanten Details und von diesen hat der Tempel viele zu bieten. Die schönen Schnitzereien zum Beispiel, neben den üblichen Drachen gibt es hier Tiger, Hasen, Wildschweine und auch Menschenfiguren. Der Tempel liegt direkt neben dem Matsuyama Expressway, eine Art Autobahn, die direkt über die Brücke führt, unter der der Daishi geschlafen haben soll. Und wieder ist mein Kartenmaterial, diesmal das englische nicht exakt genug, da die große Brücke nicht links vom Tempel vorbeiführt. Aber dafür gibt es die großen blauen Verkehrsschilder, die sowohl in Kanji (Symbolschrift) als auch Romanji (lateinische Letter) einen Tempel ankündigen.
Man muss eben die Augen aufhalten, zumal wenn man nicht unbedingt viel Japanisch lesen kann. So habe ich viel Spaß unter der Brücke. Ich bestaune die Standbilder vom liegenden Kōbō Daishi, sie sind fast so selten wie die vom liegenden Buddha, und auch die Jizō Figuren und die Ketten mit Origami Kranichen sind einfach fantastisch. Hier steht auch eine Kiste mit Futter für die Kois, die hier abgetrennt vom restlichen Fluss, gehalten werden. Da ich in der Tradition der Pilger stehe – tue Gutes und dir wird Gutes widerfahren – bekommen auch die lungernden Tauben noch was ab. Prophylaktisch gehe ich hier auch noch mal aufs Klo – wieder so ein furchteinflößendes Plumpsklo, was alles auf nimmer Wiedersehen verschluckt, und das mitten in der Stadt! Ich mache mich wieder auf den Weg, es liegt eine lange Strecke auf der Asphatstraße vor mir. Grob gepeilt sollten es so 55 km bis zum Tempel Nr.44 sein. Das werde ich wohl heute nicht mehr schaffen und ich beschließe verschärft auf die Pilgerhütten und die Zeit zu achten, damit ich bei Sonnenuntergang nicht irgendwo gottverlassen und ohne Unterkunft in der Pampa stehe. Meine Wade zwickt mich oder ist es die Achillessehen? Ich lege eine Pause bei einem Lawson Kombini ein, esse einen Thunfisch gefüllten Reisball (onigiri) und benutze das WC. Das ist wohl auch einer der Gründe weshalb man die Kombini-Ketten mit ins Kartenmaterial genommen hat. Im Wald kann man mal „verschwinden“, aber in den Städten ist es schon schwieriger, ein „Stilles Örtchen“ zu finden. Kurz vor Uchiko Town verlässt der Pilgerweg die Asphaltstraße. Hier geht es durch ein kleines Stückchen unberührt erscheinende Natur, bevor ich an einem Teich mit Enten und Schwänen wieder auf städtisches Leben treffe. Uchiko Town ist berühmt für seine antike Einkaufsstraße und das Drachenmuseum. Leider ist in Städten, durch die der Pilgerweg führt, dieser nicht immer gut gekennzeichnet. Dabei sollte man davon ausgehen könnte, das die Zeichen hier von Einwohnern öfters erneuert werden bzw. der Weg deutlicher markiert werden müsste, da man in den Stadtstraßen keinem Trampelpfad folgen kann. Man wird aber von anderen Schildern überschwemmt und sucht konzentriert nach den kleinen, roten Pilgerfiguren. Der Wetterbericht hatte was von 20 °C berichtet. Da die Sonne hier in Japan aber ganz anders vom Himmel brennt und sich kein Lüftchen regt, wird es dann doch sehr heiß. Autoabgase und Baustellen fördern nicht gerade meine Begeisterung für Städte. Ich laufe jetzt immer am Oda Fluss, der im Tal verläuft, entlang. Mir fallend die schönen Bushaltestellen auf, die einen guten Schlafplatz abgeben würden, auch die hier überall aufgestellten Container mit Reismühlen gäben einen, vielleicht etwas engen, aber dennoch trockenen Schlafplatz ab. Ich passiere den Nagoakyama Tunnel und halte die Augen nach einem Schlafplatz offen. Nachdem ich den Wada Tunnel passiert habe, und mich den leichten Anstieg hoch quäle, hält doch neben mir so ein lärmendes Mofa. Bevor ich noch recht überlegen kann, was der alte Herr von mir will, hat der doch sein Kleingeld zusammengesucht und mir in die Hand gedrückt. Völlig verdattert, weiß ich nicht was ich sagen soll, doch schon hat er wieder Gas gegeben und knattert davon. Sein Pilgergeschenk von immerhin 844 Yen kann ich an einer naheliegenden Bretterbude gleich in ein Getränk umsetzen. Nach einem weiteren Stück Weg denke ich, dass das Häuschen vor mir für eine Übernachtung geeignet wäre, doch wer sitzt denn da in meiner potentiellen Schlafstatt. „Herr Siam“ und ein weiterer Pilger. Ich schließe mich den beiden an, obwohl der Weg nahezu geradeaus geht und ich keine Probleme mit der Navigation haben sollte. An einem Getränkeautomaten macht der ältere Herr eine Pause und will sich eine Flasche Grüner Tee ziehen. Er stützt sich aber aus Versehen beim Hochkommen an den Tasten ab, und Drück so die Taste für die Weintraubenlimonade. Kurz entschlossen packt er die Dose ein und folgt „Herrn Siam“, der nicht auf uns wartet. Da ich nicht glaube, dass der Herr auf übersüßte Limonade steht, will ich ihm eine Flasche Tee ziehen, wir können dann die Getränke tauschen. Aber der Automat ist verklemmt, und anstelle des Tees fummle ich erst eine Flasche Wasser und erst dann den Tee raus. Jetzt muss ich mich aber sputen, da die beiden Japaner schon einen großen Vorsprung haben. Als ich sie einhole, hat der alte Herr die Weintraubenbrause schon getrunken, aber ich schenke ihm die Flasche mit Grünem Tee als Osettai (Pilgergeschenk). Wasser ist mir lieber als der herbe Tee. Die beiden Männer hatten einen strammen Schritt vorgelegt, es ist jetzt aber viel zu früh, um schon im Ryokan (jap. Pension) einzuchecken. Im Fujia Ryokan haben sie reserviert und da ich keinen bestimmten Plan habe, werde ich dort fragen, ob sie auch für mich ein Zimmer haben. Wir legen eine Pause im Odanosata Sera Bus Eki, eine Art Rastplatz, ein. Hier können wir ausgiebig die Sonne genießen, die Toilette benutzen und was zu essen kaufen. Der alte Herr hat mich nicht vergessen, und gibt mir als Osettai (Pilgergeschenk) zwei gefüllte Brötchen. Wir beobachten noch einen Fischreiher, der hier am Fluss an so eine Art Wehr auf seine Beute lauert.

Als wir im Fujia Ryokan eintreffen, erklärt mir die Besitzerin im astreinen Englisch, dass zwar kein Zimmer mehr frei ist, aber meine beiden Pilgerkollegen hätten sich dazu entschlossen, ein Zimmer zu teilen, damit ich heute nicht noch weiterziehen muss. Ich bin begeistert von meinen „Zieh-Vätern“, denke aber auch bei mir, dass sie dies für eine japanische Frau wohl nicht getan hätten. Aber ich bin glücklich in diesem alten und ehrwürdigen Ryokan, die Besitzerin erklärt mir, es sei über 100 Jahre alt und nicht ganz so modern ausgestattet, unterzukommen. Ich habe zwar keine Klimaanlage im Zimmer, dafür aber einen Ölofen, den ich allerdings nicht zu bedienen versehe. Aber die vielen Details, wie Schiebetüren (soji), Innengärten und das, nur über diverse Treppchen und Gänge zu erreichende, Ofuro (Bad) sind schon ein Besuch wert. Ganz zu Schweigen vom dem leckeren Abendessen, dass ich nach dem Bad genießen darf. Beim Essen wollte ich meinen Pilger-Wohltätern eigentlich ein Bier spendieren, leider hatten sie sich damit schon selber versorgt. Neben uns dreien sind nur noch ein japanisches Ehepaar und ein weiterer Herr beim Abendessen. Meinem Motto gemäß „Alles probieren – man weiß erst hinterher was einem nicht schmeckt“ esse ich alles, was man mir auftischt und es schmeckt hervorragend. Nur bei einer Meeresschnecke, die man vorsichtig auf einen Zahnstocher gefädelt und dann zu dekorativen Zwecken wieder in ihr Häuschen gesteckt hat, habe ich Probleme. Das kleine Deckelchen, mit dem sie den Zugang zu ihrem Häuschen verschließt, muss vor dem Genuss entfernt werden. Da ich das nicht wusste, beiße ich natürlich mit einem Knacken zu. Die Japanerin, die das gehört oder gesehen hat, zeigt mir, wie man das harte Teil entfernt und so ohne Zahnarztbesuch die japanischen Köstlichkeiten des Meeres genießen kann. Bevor ich heute zu Bett gehe bzw. in meinen Futon krieche, schmiere ich meine beanspruchten Füße dick mit Niveau Creme ein, schlage sie, damit die Creme nicht im Futonbezug landet, in mein feuchtes Handtuch ein. Das kühlt die Füße zusätzlich - ein Ritual, das ich beibehalten werde.

Montag, 06.04.2009, Ehime, Uwa City, Uwa Park Hotel

Der 22. Tag in Japan

Um 6.00 Uhr klingelt der große Standwecker in meinem Tatami-Raum, aber ich bin schon vorher wach, da die Klimaanlage mich nur unruhig hat schlafen lassen. Zum Frühstück gibt es heute, die von mir gestern im Sunkus Kombini gekauften, Gepäckteilchen und Cola. Der Zucker gibt morgens Energie, um den Tag zu beginnen. Beim japanischen Frühstück habe ich immer Problem, in die Gänge zu kommen. Als ich mein Zimmer verlasse, um auszuchecken, wer kommt da aus der Tür nur zwei Zimmer entfernt? Herr Siam – begrüßt mich und wir fahren gemeinsam im Fahrstuhl nach untern. Er erklärt mir, dass er heute ins Krankenhaus bzw. zum Arzt geht (engl. „hospital“). Wohl wegen Sehnenscheidenentzündung, die hier viele Pilger trifft, denke ich so bei mir, aber, wenn ich ihn richtig verstanden habe, vermutet er eine Allergie. Eine Allergie und das ausgerechnet auf einer Pilgertour, dabei ist er noch nicht mal ein Ausländer, bei dem man eher eine solche Krankheit vermuten könnte, da es hier doch Pflanzen, Tiere und Speisen gibt, mit denen man als durchschnittlicher Mitteleuropäer noch nicht in Kontakt gekommen ist. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass hier z.B. Erkältungskrankheiten weitaus heftiger bei uns Gaijins (Ausländer) verlaufen, da in Japan andere Stämme von Erkältungsviren und anderen Bakterien vorherrschen. Als „Herr Siam“ sich nach meinen Plänen erkundigt, erkläre ich ihm, dass bei mir als nächstes die Bangai Tempel Nr. 7 und Nr. 8 anstehen. Er selber will nur die Haupttempel besuchen. Er wird also, wenn er keinen längeren Aufenthalt im Krankenhaus bzw. beim Arzt einlegen muss, mich demnächst überholen haben und ich werde ihn wohl nicht wiedersehen. In der Lobby trennen sich unsere Wege und als ich vor die Tür trete, erwartet mich eine dicke „Nebelsuppe“. Besser Nebel als Regen, denke ich, und mache mich flotten Schrittes auf den Weg. Der nächste Haupttempel liegt in ca. 70 km entfernt, aber die beiden Bangai Tempel sind in der nächsten Stadt ōzu. Bangai Nr. 7 (Shūsekiji) könnte ich heute noch erreichen, der Hinweg beträgt 20 km oder weniger, da diese Angabe sich auf den Abstand vom Meisekiji (Tempel Nr. 32) bezieht, dann noch mal ca. 10 km zurück in die Stadt, um eine Unterkunft zu suchen.

Noch ist es recht kalt und ich versuche, im dichten Nebel meinen Weg zu finden. Ich habe heute früh den Wetterbericht im Fernsehen geschaut und wenn ich richtig verstanden habe, waren in allen Ortschaften Sonnen eingetragen, nur an einem Ort, der sich mit den Kanji für „groß“ und „Sandbank“ schreibt, war mit Wolken und 0 bis 10 °C zu rechnen. Und in Richtung diesen Ortes namens ōzu oder „Große Sandbank“ befinde ich mich gerade. Es herrscht zwar Nebel, aber dennoch schieße ich einige Fotos, als ich an einem Steinmetz Betrieb vorbei komme. Von Grabstätten über Götterstatuen bis hin zu Doraemon, Hello Kätzchen und anderen Modefiguren, steht hier alles Mögliche, um von den potentiellen Kunden in Augenschein genommen zu werden. Ich bin noch nicht lange unterwegs, aber meine rechte Wade zwickt mich. Ich ziehe die Schnürsenkel nach, aber mal stich es – und mal wieder nicht. Es ist recht kalt heute. Hätte ich die Nacht in einer Hütte verbracht, hätte ich ganz schön gefroren. Mein Atem bildet kleine Wölkchen vor meinem Mund, die machen die „Nebelsuppe“ um mich herum auch nicht mehr dicker. Zum Glück klart es langsam auf, ich freue mich auf die wärmenden Sonnenstrahlen, die dann doch mit Kraft den Nebel zerreißen. Die heutige Tour gefällt mir bis jetzt noch nicht so, das sie hauptsächlich über asphaltierte Straßen, glücklicher Weise mit Fußgängerweg, führt. Ich muss aufpassen, dass ich nicht an meinem Orientierungspunkt, den ich mir in der englischen Karte eingetragen habe, vorbeilaufe, da ich ab hier auf das japanische Kartenmaterial umsteigen muss, da die Nebentempel nur hier verzeichnet sind. Nachdem ich den Tosaka Tunnel durchwandert habe, leider hatte dieser Tunnel keinen Fußgängerweg, macht der Trail jetzt doch noch einen Abstecher durch den Wald. Hier sind fleißige Japaner damit beschäftigt, kleine Bäumstämme auf ca. 1 m Länge zu sägen und Löcher hineinzubohren. Einige Frauen mit Kopftuch füllen diese Löcher mit einer Art Paste. Was ich anfangs für die Präparierung von Treppenhölzern für den Trail hielt, stellt sich später als Vorbereitung zur Shiitake-Pilz Zucht heraus, einem nicht nur in Japan beliebten Speisepilz. Die Paste enthält Pilzsporen, die später den ganzen Stamm durchwuchern und dann nach außen Pilzkörper bilden. Man stellt die Stämmchen an einen schattigen Ort, der die Feuchtigkeit der Stämme hält, gegeneinander, so dass es wie ein improvisierter Jägerzaun wirkt.

Ich folge dem Pilgerweg weiter durch den Wald. Hier finde ich ein japanisches Pornoheft mit Bondage (Fesselspielen), pfui – doppelte Umweltverschmutzung! Als ich bei einer kleinen Ortschaft wieder aus dem Wald komme, steht da ein verlassener Tempel. Fudakake Daishido (Matsushita-an) könnte es laut Karte sein. Dem Namen nach war er wohl Kōbō Daishi gewidmet und auch eine verwitterte Daishi Statue im Vorgarten lässt diesen Schluss zu. Ich passiere den „ōzu Gold Club“ und sehe eine Pilgerhütte und ein WC-Häuschen, die nicht in der Karte vermerkt sind. In der Ferne kann ich eine Kathedrale erkennen, wie sie auch in Europa hätte stehen können. Vielleicht komme ich auf dem Rückweg an ihr vorbei, doch jetzt sehe ich ein Love-Hotel, das sich „Forrest“ nennt. Ich habe mein Orientierungspunkt passiert und mache an einem steinernen Denkmal vor einem Tempel ein Päuschen. Kurz vor einem Tunnel hält doch ein Auto neben mir. Ich erkläre dem Fahrer, der den Kopf durch das Fenster der Wagentür gesteckt hat, dass ich den Bangai Shūsekiji besuchen will, und hier nicht auf dem „Holzweg“ bin. Nachdem er meine japanische Karte, die ich ihm hingehalten habe, eingehend studiert hat, entlässt er mich dem Wort „OK“. Ich wandere weiter, aber das Auto fährt nicht etwa an mir vorbei, sondern wendet und fährt wieder zurück. Meine Güte, denke ich, war der jetzt besorgt, dass ich den falschen Weg laufe oder wollte er nur ein bisschen ausländische Konversation üben?
Mit der japanischen Karte habe ich immer Probleme, da Norden nicht oben ist und der Maßstab auch eher relativ als absolut zu sein scheint. Das ist hier in Japan durchaus üblich, bringt mich aber jetzt nicht weiter. Ganz im Gegenteil, wenn man den Abstand bzw. die Weglänge nicht einschätzen kann, biegt man entweder zu früh oder zu spät ab. Und eben das passiert heute und anstatt dem Trail weiter folgen zu können, er ist hier aber auch verdammt schlecht ausgeschildert, lande ich in einem Obstgarten eines verlassenen Hauses. Es gibt zwar noch weitere Häuser, aber die sehen auch nicht gerade bewohnt aus. Aber Vorsicht, man sollte sich nicht vom äußeren Schein trügen lassen, auch in Häusern, deren Sperrmüll fast den Zugang verhindert, können noch alte Leute hausen. Da Wohnraum immer knapp ist und eine Abstellkammer Luxus, stehen auch mal ausrangierte, aber wetterfeste Dinge im Garten oder vor dem Haus. Nach etlichen Kilometer des Herumirrens, ich hatte mich entschlossen der Hauptstraße zu folgen, treffe ich auf zwei Männer, die wie Vertreter auf mich wirken. Ich frage sie zwar nach dem Weg, merke jedoch schnell, dass auch Japaner mit der Orientierung anhand japanischer Karten Probleme haben. Irgendwie finde ich dann doch zurück auf den Trail und beschließe, zusammen mit meinem imaginäre Kōbō Daishi, der mich inform meines Wanderstocks begleitet, den Rückweg motorisiert anzutreten. Das heißt, ich werden den nächsten Pilger, den ich auf dem Tempelgelände treffe, fragen, ob er mich mit nach ōzu nehmen kann. Nochmals hier durch den Wald irren, mit Spinnenweben im Gesicht durch die Vegetation stacksen, ohne zu wissen, wo der Weg mich hinführt, ist einmal am Tag noch zu viel. Endlich weist mich ein Schild darauf hin, dass es noch 500 m bis Bangai Nr. 7 sind und ich atme auf, vielleicht gibt es hier sogar eine Tempelunterkunft. Vor dem Tempel begrüßen mich ganze Herscharen von Jizōs auf terrassenartig angelegten Podesten, doch schließlich, nachdem ich die lange Treppe überwunden habe, befinde ich mit auf knapp 800 m Höhe und im Tempel Shūsekiji.

Exkurs Bangai Tempel Nr. 7 Shūsekiji (出石寺)
„Der Tempel des Felsausgangs“ klingt etwas holprig in der Übersetzung, aber leider konnte ich bis auf die Information, dass der Tempel auf 815 m Höhe liegt, von einer Person namens Kōkyō Hōshi gegründet worden ist und Senju Kannon Bosatsu gewidmet ist, kaum weiteren Infos auftreiben. Ach ja, der Berg heißt ebenfalls so, aber unter folgender Adresse können Bilder eines japanischen Rad-Pilgers eingesehen werden: http://www.geocities.jp/mkuni2/tr_20070623_kinzan-shusekiji.html

Fragenden Blickes überquere ich hier den Parkplatz, wer könnte mich mitnehmen? Aber ich habe Pech, der Tempel ist menschenleer. Als ich meine Sachen ablege, um in Ruhe meine Sutra zu rezitieren, merke ich, dass es hier oben trotz Sonne doch recht kalt ist. Als ich mein Tempelbuch abzeichnen lasse, bekomme ich als Pilgergeschenk (osettai) ein Baumwolltuch (tenugui) geschenkt. Ich durchstreife das Tempelgelände, das mit seinen Statuen eines Pferdes, eines Hirsches und eines Ochsen eher wie ein Schrein wirkt. Auch der riesige, steinerne Kōbō Daishi vor der Tempeltreppe, der neben eine roten Tōri steht, unterstützt diesen Eindruck. Auf einem Schild wird erklärt, dass es hier sogar eine Mini-88-Tempeltour gibt, die einem um den Gipfel herumführt, aber mir soll die tolle Aussicht von hier ins Tal erst mal genügen. Es ist immer wieder faszinieren, wie man so mit eigener Muskelkraft und immerhin an die 14 kg Gepäck, einen Berg erklimmen kann. Leider ist hier ein Gebäude in Renovierung, so dass ich den Tempel nicht in seiner vollen Schönheit bewundern kann. Dafür finde ich die Windrädchen, die hier an Schnüren aufgehängt sind und aus Plastikflaschen gebastelt worden sind, umso interessanter. Da mir kalt ist und auch mein Magen eine kleine Erwärmung brauchen kann, esse ich in der tempeleigenen Suppenküche eine Portion Udon-Nudeln. Das ist eine willkommene Gelegenheit nicht nur von innen (Suppe), sondern auch von außen, durch die aufgestellten Öfen, aufzutauen und für den Rückweg durchzuwärmen. Da es gerade mal 15.00 Uhr ist und es hier leider keine Tempelunterkunft gibt, zumindest nicht unangemeldet, mache ich mich wieder auf den Weg.

Als ich den Tempel verlasse, ich muss jetzt in Ermangelung von Mitfahrgelegenheiten doch wieder laufen, schleppt sich eine gehbehinderte Frau die Treppen hoch. Mein Gott, denke ich, die hätte auch ihren Mann vorschicken können und müsste sich nicht selbst hier herauf quälen. Ich habe jetzt aber doch Bedenken, den langen Weg bis ōzu bei Tageslicht zu schaffen und lege, solange es bergab geht, den Laufschritt ein. Mittlerweile habe ich eine derartige Ausdauer, dass ich problemlos, zumal wenn es bergab geht, für eine gewisse Zeit mit meinem vollen Marschgepäck joggen kann. Aber als der Trail auf eine Straße trifft, bin ich wieder total orientierungslos. Diese blöde Karte, fluche ich innerlich, doch „wenn Du denkst es geht nicht mehr, dann kommt von irgendwo ein Lichtlein her!“ Mein Lichtlein personifizierte sich an besagter Kurve, als ich vom Trail auf selbige rutschte und gerade ein kleiner Van die Straße bergab raste. Verdattert bleibe ich und auch das Auto stehen, doch dann erkenne ich die behinderte Frau, die hinten im Wagen sitz wieder. Sie winkt mich zu sich und reißt die Schiebetür des Autos auf. Ich fragte noch, ob sie nach ōzu fahren, doch schon sitze ich noch mit Rucksack bestück auf dem Sitz neben ihr und die Achterbahnfahrt kann losgehen. Leider sprechen sie und ihr Mann kein Wort Englisch, aber so wie ihr Mann hupender Weise um die Kurven biegt, immer bergab rasend, mal links, dann nach rechts ausweichend, hätte ich wohl sowieso mich auf kein Gespräch konzentrieren können. Ich kämpfte damit, mich fest zu halten und nicht seekrank zu werden. Kurz vor der Stadt ōzu hält die liebe Frau mir einen japanischen Pilgerführer unter die Nase, da ich aber nicht gleich zum nächsten Bangai mitfahren will, setzten die beiden mich vor der Stadtverwaltung von ōzu ab. Wir tauschten noch unsere Pilgerzettel (osame fuda) aus und nach einer kurzen Verabschiedung, bei der ich mich ausgiebig bedankte, raste der Van auch schon weiter in Richtung Bangai Tempel Nr. 8.

Der Tag begann mit Orientierungsproblemen und endete auch so. Bis ich das Business Hotel Ota gefunden hatte, laufe ich die Straße mal hoch und mal runter. Hatte ich jetzt schon den Fluss Hiji überquert und wo lag jetzt gleich der Bahnhof? Eigentlich ist die Jungendherberge mein Ziel gewesen, aber ich hatte heute genug Aufregung, deshalb ist für mich das gut zu findende Ota Hotel „der Spatz in der Hand“, den ich „der Taube auf dem Dach“ vorziehe. Obwohl mich die Taube wohl nicht 6000 Yen nur für die Übernachtung gekostet hätte. Aber man ist froh, ein Dach über dem Kopf zu haben. Als ich mir die Haare fönen will, fällt der Strom aus. Mit einem Wörterbüchlein bewaffnet gehe ich zur Rezeption. Der nette Portier, der mich schon eingecheckt hat, schickt einen jungen Mann, vielleicht ein Koch, mit nach oben, um die Sicherung zu kontrollieren. So kann auch das Problem behoben werden. Zum Abendessen hole ich mir aus dem, in der Karte eingetragenen, „Circul K“ Kombini (24-h- Shop) einen Okonomiaki (jap. Pizza) und eine Erdbeermilch. Von meinem Zimmer im japanischen Stil, kann ich das ōzu Castle (Burg von ōzu) sehen. Leider sind Masten und Kabel der oberirdisch verlaufenden Stromversorgung im Weg, sonst wäre die Burg mit den blühenden Kirschbäumen ein Anblick für die Götter.

Sonntag, 05.04.2009, Ehime, Uwajima City, B.H. Kukusui

Der 21. Tag in Japan

Um ca. 6.00 Uhr wache ich auf, jetzt muss ich mein schönes warmes Bett verlassen. Draußen ist es Grau in Grau, zum Glück regnet es nicht mehr in Strömen, sondern tröpfelt nur noch gelegentlich. Ich lege mir meine Sachen immer für den nächste Tag bereit: Als erstes die Haarbänder zum Zopfflechten, Zahnbürste und Zahnpasta sowie Sonnenblocker, meine Handgelenksschoner und zum Schluss mein Frühstück, dass heute aus Cola und einer Apfeltasche besteht. Das Omchen von Wirtin lässt mich gegen 7.00 Uhr raus und ich laufe nochmals zum Bangai Tempel, um noch einige Fotos zu schießen. Sonnenschein wäre mir zwar lieber gewesen, aber ich kann schon froh sein, dass ich nicht wieder im strömenden Regen laufen muss. Da heute Sonntag ist, ist die Stadt Uwajima menschenleer, selbst hier am Bahnhof. Wäre das Wetter besser gewesen, hätte ich vielleicht das Uwajima Castle, ehemaliger Sitz des Date Klans, oder den Tenshaen Park, berühmt für seine 14 verschiedenen Bambussorten, besucht. So mache ich mich aber wieder auf den Weg und suche das Warei Jinja, das hier ganz nahe am Trail liegen soll. Ich habe mich zuerst verlesen und gedacht, dass der jüngere Brüder von Bishop Miyata, der Autor meines Tempelführers, hier Schreinvorstand ist. Der ist natürlich Tempelvorsteher im Bangai Tempel Ryūkoin (Nr. 6), aber trotzdem ist der Schrein einen Besuch wert. Er liegt hier irgendwo ganz in der Nähe, aber ich kann ihn nicht finden. Ich frage noch einen alten Japaner, der mit seinem Hund „Gassi geht“. Zurücklaufen – an der Schule vorbei. Die ist hier gar nicht verzeichnet, denke ich, und frage die Baseball spielenden Schulkinder, weil die Straße hier so nach oben führt. Ich hoffe doch nicht, dass ich für den Schreinbesuch in die Berge wandern muss. Endlich sehe ich eine Brücke mit auffälligen Steinsäulen und davor ist ein kleiner Park mit einem shintoistischen Tōri (Tor mit Säulen und Querbalken). Die Kirschbäume stehen in voller Blüte und die rot-weißen Lampions im Park geben schon ein tolles Bild ab, dann noch die detailreichen Steinsäulen, die Bogenbrücke und der Tempeleingang. Es ist noch früh, dennoch besucht schon ein Jogger den Schrein. Als ich das Tor durchschreite, fallen mir das dicke Strohseil, die großen Nō-Masken (trad. jap. Maskentheater) der Okame (stilisierte Bauersfrau) und eines Oni (Teufel) auf. Kaum bin ich die lange Treppe zum Schrein hinaufgestiegen, da entdecke ich eine Katze. Ich bin eine Katzenliebhaberin, obwohl ich seit Jahren keine eigene Katze mehr habe und mich bei meinen Katzen haltenden Freunden durchschmusen muss. Aber ich fotografiere japanische Katzen dennoch relativ selten, weil einige doch zu erbärmlich aussehen. Man darf gerne als Hund in Japan wiedergeboren werden, so als kleiner verpäppelter Schoßhund, aber als Katze fristet man hier ein klägliches Dasein, vor allem wenn man keine Wohnungskatze ist. Das tut mir immer in der Seele weh, wenn ich die kaputten Schwänzchen sehe. Mir ist zwar gesagt worden, dass es hier in Japan eine spezielle „Stummelschwanzkatze“ gibt, die offiziell „Japanese Bobtail“ genannt wird, aber ich kann ein gezüchtetes Stummelschwänzchen von einem verletzten unterscheiden und die meisten Katzen laufen hier mit Verletzung herum. Aber der Tiger, der jetzt das Treppengeländer zu mir hochgepirscht kommt, ist gesund und munter. Zur Begrüßung gibt es eine Runde Streicheleinheit, auch das mache ich nicht bei jedem potentiellen Flohzirkus! Auf dem Schreingelände stehen eine Pferdestatue, ein Anker und ein Gestell mit unzähligen Orakelzetteln. Auch für die Gottheit hier im Schrein habe ich einige Yen über. Ich klatsche in die Hände, verbeuge mich, wünsche mir eine gute Reise und ein klein bisschen mehr Sonnenschein, verbeuge mich erneut. Im Nebengebäude kann man Talismane kaufen und auch sein Pilgerbuch, wenn man denn ein shintoistisches Goshoin (Pilgerbuch) hätte, ausfüllen lassen. Im Shinto Schrein, ebenso wie im Tempel, gibt es ein Wasserbecken zur rituellen Reinigung, auf einem Schild wird sogar der Ablauf erklärt. Jetzt muss ich aber weiter, damit ich mein Etappenziel, Seiyo City, heute noch erreiche. Auf dem Weg dorthin treffe ich einen Herrn, den ich aufgrund seiner eigenartigen Augenstellung „Herrn Siam“ nenne, da er mich an meinen alten Siamkater erinnert, der etwas schielte. Leider spricht Herr Siam kein Englisch und auch bei unser vereinfachten Konversation habe ich Probleme, da ich nicht weiß mit welchem seiner beiden Augen, die sich nie gemeinsam in die gleiche Richtung bewegen, ich nun reden soll. Ich glaube, ich habe ihn schon mal in der Nähe von Bangai Nr. 6 getroffen, obwohl er mir später erklärt, dass er nur die offiziellen Tempel besucht. Ich laufe ihm eine Weile hinterher. Man verliert sich wieder, doch da treffe ich auf die zwei Frauen, die ich gestern schon mal gesehen habe. Ein nettes Lächeln, ein kurzer Gruß unter Pilgern und schon bin ich an den beiden, die gerade an einer Pilgerhütte Pause machen, vorbeigezogen. Der Weg zu Tempel Nr. 41 führt bei einer Ortschaft namens Muden über eine mit Kanälen bewässerte Anbaufläche. Die Strecke verlief bis jetzt ziemlich flach. Heute scheint hier Frühjahrsputz gemacht zu werden, da viele Bewohner in den Kanälen arbeiten und Grünzeug sowie Steine und Schlamm an der Straße anhäufen. Arbeiten am Sonntag, das ist hier nicht ungewöhnlich, vor allem die älteren Japaner scheinen mir geradezu arbeitswütig zu sein. Als ich den Weg zum Tempel Nr. 41 entlang laufe stutze ich einen Augenblick, da ich mir nicht sicher bin, ob das da vor mir nun ein Tempel oder doch ein Schrein ist. Ich sehe kein Tempeltor, nur ein steinernes Tōri und von weitem leuchtet mir ein rotes Shinto Tōri entgegen. Ein Japaner bemerkt mein Zögern und auf meine Frage, ob das nun ein Tempel (tera) oder Schrein (jinja) sei, erklärt er mir „Ryukōji“.

Exkurs Tempel Nr. 41 Ryūkōji (竜光寺)
„Der Tempel des Drachenstrahls“ wurde 807 von Kōbō Daishi gegründet, nachdem er hier laut Legende auf die shintoistische Gottheit Inari (Inari Myōjin) in Gestalt eines alten, weißhaarigen Mannes traf. Inari, Gott des Ackerbaus und Fruchtbarkeit, der normalerweise von Füchsen (kitsune) als Diener und Boten begleitet wird, sagte nur: „Ich lebe hier und ich werde alle Menschen erretten, die der Lehre des Buddhismus folgen.“ Alsbald verschwand der Mann und ließ nur ein Bündel Reisstroh zurück. Deshalb wird der Tempel auch volkstümlich „O-inari-san“ genannt. Neben dem Hondō (Haupthalle), welcher der Gottheit Jūichimen Kannon (Elfgesichtige Kannon) gewidmet ist, schnitzte Kōbō Daishi auch die Begleitstatuen des Fudō-Myōō und Bishamonten. Ein angrenzender Schrein trägt der Wichtigkeit Inaris Rechnung, die während der Edo-Periode (1603-1868) sowohl bei Kaufläuten als auch Samurai populär wurde und als oberster Tempel der Inari-Verehrung in Japan gegolten hat.

Man steigt hier die Treppen zum Tempel hoch, auf eine weitere Treppe folgt der Schrein an oberster Stelle. Es gibt neben Jizō Figuren auch die 7 Glücksgötter (shichi fukujin). Die Aussicht von hier über die durchwanderte Ebene wäre noch mal so schön, würde die Sonne scheinen, aber ich muss mich heute wohl mit Kirschblüten zufrieden geben. Wieder einmal nur ein Plumpsklo – bei den Löchern habe ich immer Angst, mir könnte etwas Wichtiges hineinfallen, z.B. meine Kamera oder meine Brille. Als ich dem Trail gemäß englischer Pilgerkarte folgen will, brüllt ein Japaner aus seinem Laden, dass ich in die andere Richtung gehen soll. Der eigentliche Trail scheint hier gesperrt zu sein und man muss links am Tempel vorbei und nicht rechts. Schade, denn der andere Weg hätte am Nakayama Teich vorbeigeführt, das wäre landschaftlich sehr reizvoll gewesen. Jetzt muss ich an der Straße Nr. 57 entlang laufen. Prinzipiell bevorzuge ich den Trail, der über Stock und Stein durch die Natur geht. Wenn ich lange Strecken Straße laufe, tun mir immer so die Füße weh, da meine Treckingschuhe zwar Schutz vorm Umknicken bieten, aber leider keine stoßgedämpfte Sohlen wie Joggingschuhe haben. Auf dem Weg zu Tempel Nr. 42 komme ich dann zum „Schmunzler des Tages“. Ich nenne es „Holländer Kurve“, da das Blumenbeet in diese langgestreckten Kurve vor dem Tempel aus hunderten von Tulpen besteht, die erst farblich abwechselnd, dann in Reih und Glied wie die Soldaten den Weg zum Tempel begleiten. Wer hat sich wohl die Mühe gemacht, diese Unzahl von Tulpen so exakt zu pflanzen. Sicherlich eine Schulklasse oder ein Dorfverein.
Ich betrete den Tempel durch den Hintereingang, ein paar Stufen und schon bin ich auf dem Gelände. Als erstes fallen mir die 7 Glücksgötter (shichi fukujin) auf, der Glockenturm und die viele Hallen. Ich weiß gar nicht, was hier Tempel und was Schrein ist. Wo ist die Haupthalle und wo die kleinere Daishi-Halle? Aber nach einiger Zeit finde ich mich dann doch zurecht. Als Gegenstück zu den 7 Glückgöttern sehen hier auch 7 Jizō Figuren, Ausgewogenheit zwischen Buddhismus und Shintoismus. Wenn nicht gerade wieder eine Busladung Pilger den Tempel überschwemmt, ist es hier ganz gemütlich und ich kann das große Eingangstor fotografieren. Hier gibt es unzählige Ecken und Winkel, Bäumchen und Gedenksteine, leider kann ich die Inschriften nicht lesen und fotografiere so, was mir interessant erscheint.

Exkurs Tempel Nr. 42 Butsumokuji (佛木寺)
„Der Tempel des Baumes von Buddha“ hat seinen Namen von einer Legende, die sich 807 zugetragen haben soll, bei der Kōbō Daishi ein „Wunschjuwel“ (jap. hōshu/engl. mani jewel), das er von China aus geworfen hatte, hier in einem Kampferbaum wiederfand. Zuvor war ihm noch von einem Bauern angeboten worden, auf einer Kuh zu reiten, da der Daishi wohl einen sehr erschöpften Eindruck auf den Einheimischen gemacht hat. Beides zusammen führte dazu, dass Kōbō Daishi aus dem Kampferbaum die Statue des Dainichi Nyorai als Honzon (Hauptgottheit) schnitzte, dessen Stirn er mit dem Wunschjuwel schmückte und den Tempel dem Wohlergehen von Haustieren widmete. Nachdem er das Kegon-Kyō (Avatamsaka Sutra; Blumengirlanden-Sutra der Kegon Sekte des Buddhismus) kopiert hatte, welches besagt, dass „Alles in Einem - Eines in Allem“ ist, widmet er diesen Ort der Verehrung des Kaisers Heijō (auch Heizei (806–809); 51. Tennō). Die Goeka, eine Art Hymne, diese Tempels lautet ungefähr: „Wenn selbst ein Baum und ein Grasshalm erleuchtet werden können, warum dann nicht auch Asuras (eifersüchtige Halbgötter), Hungergeister (gequälte Seelen), Tiere, Menschen und göttliche Körper? („Kusa mo ki mi, butsu ni nareru. Butsumokuji, naota no moshiki, kichiku ninten“). Es können im Tempel dem entsprechend Talismane für die Gesunderhaltung von Nutz- und Haustieren erworben werden, auch ist ein spezielles Mausoleum für Tiere errichtet worden, wo die Besitzer für ihre Lieblinge beten können. 1236 wurde der Tempel zum Familientempel des Saionji Clans, nördlichen Zweigs der Fujiwara-Familie, der im 13. Jahrhundert zu großem Einfluss am kaiserlichen Hof kam. Der Tempel wurde jedoch in den Wirren des Krieges zerstört und erst 1648 mithilfe des 1. Lord von Uwajima, Hidemune Date, wiederaufgebaut. 1688-1703 wurde der berühmte Glockenturm mit seinem Strohdach errichtet, die Haupthalle (Hondō) wurde im Jahre 1728 vom dritten Lord von Uwajima, Wakasa Date, gebaut. Sehenswert sind ebenfalls die 7 Glücksgötter, die Shichi Fukujin, im Tempelvorhof.

Ob das Bäumchen, das einen sehr zurückgeschnittenen Eindruck auf mich macht, wohl besagter Kampferbaum ist – ich weiß es leider nicht. Aber um 12.30 Uhr kommt die Sonne raus, das erhellt auch mein Gemüt. Der Trail läuft noch ein Stück flach, aber jetzt geht es wieder in die Berge. Ich hole Herrn Siam ein und wir machen gemeinsam eine Pause am Hanaga-Toge Pass. Hier ist eine steinerne Hütte errichtet worden und in der Umgebung gibt es viele Gedenksteine. Hier erklärt mir Herr Siam auch, dass ich meine Segenhut (sugegasa) mit der Silbe in Sanskrit (Altindische Sprache) nach vorne aufsetzten muss. Es ist die Silbe, die für Kōbō Daishi steht, und 4 weitere Gebote, mithilfe derer man die Erleuchtung und die Buddhaschaft erlangen soll. Sie lauten wie folgt und haben in folgende Bedeutung:

„Mayou ga yue ni sangai no shiro“ (Wenn man sich verliert, dann sind die drei großen Welten des Verlangens Schuld – Wir leiden, denn wir hängen an unserem Verlangen.)

„Satoru ga yue ni juppou ku nari „ (Mit der Erleuchtung kommen 10.000 Himmel – Man kann jedoch das Herz reinigen, z.B. mit einer Pilgerreise und von der Welt des Leidens befreit werden.)

„Honrai tozai nashi“(Ursprünglich gibt es keinen Osten und Westen – Doch wenn wir unser Selbst ablegen, uns ergebend dem Üben widmen und die Gunst Kōbō Daihis erlangen, werden alle Gegner verschwinden und es wird eine friedvolle Gesellschaft bilden.)

„Izukunika nanboku aran“ (Warum gibt es einen Norden und Süden? Wenn wir uns nicht an Dinge hängen, werden alle Sehnsüchte, Leiden und Elend vergehen. Eine gewaltige Welt wird sich vor uns auftun – die Welt der Erleuchtung.)

Bis wir den Tempel Nr. 43 erreichen, kommen wir noch an mindestens drei Pilgerhütten und Gedenksteinen vorbei, dabei sind es zwischen Tempel Nr. 42 und 43 nur 10 km, von denen der Anfangsteil allerdings steil durch die Berge führt. Der Abstand zwischen mir und Herrn Siam wird immer größer, da ich es mir nicht nehmen lasse, in Ruhe die Blumen am Wegesrand zu fotografieren. Und auch einen riesigen Regenwurm, den ich zuerst mit einem weggeworfenen, blauen Kleiderbügel verwechselt habe, hat mein Interesse geweckt. Aber als der Japaner, mit der japanischen Karte ausgestattet, die Einwohner nach dem Weg fragt, hole ich ihn wieder ein und wir betreten gemeinsam den Meisekiji Tempel.

Exkurs Tempel Nr. 43 Meisekiji (明石寺)
„Der Tempel des brillianten Steins“ wurde im 6. Jahrhundert von Shōchō Enjun auf Geheiß des damaligen Kaisers Kinmei (539–571; 29. Tennō) gegründet und Senju Kanzeon Bosatsu gewidmet. Der Legende nach soll eine junge Frau in einer Nacht eine gewisse Anzahl Steinen den Berg hinauftragen. Als jedoch jemand den Ruf des Hahns nachamte, ein Zeichen das der Morgen angebrochen war, verschwand die Frau spurlos. Es wird vermutet, dass Kannon Bosatsu eben diese Frau gewesen ist. Basierend auf dieser Geschichte war der ursprüngliche Name des Tempels „Ageishiji“ („Tempel des emporgehobenen Steins“).
734 baute ein Asket namens Jugen 12 weitere Gebäude, widmete sie den 12 Göttern der Kumano-Schreine und gründet hier ein Dōjō (Trainingshalle) für die Mitglieder des Shugendo (Bergasketentum), einer Mischung aus magischen Shinto und buddhistischer Lehre. Auf Anweisung des Kaisers Saga kam 822 Kōbō Daishi hierher, brachte das Lotos-Sutra (Hokke-kyō), in dem das Leben des historischen Buddhas Shakyamuni beschrieben wird, mit und belebte den Tempel neu. 1194 baute Yoritomo Minamoto (1147-1199), Gründer und erster Shogun der Kamakura Zeit (1185–1333), ein Gebäude zur Verehrung von Ike no Zenni, einer Person, der er im gewissen Sinne sein Leben verdankt. Da sie als Stiefmutter des damaligen Machthabers Kiyomori, den der Vater von Yoritomo in der gescheiterten Heiji Rebellion (1160) entmachten wollte, überreden konnte, den 13-jährigen Knaben zu verschonen und ihn nur ins Exil in die Provinz Izu zu schicken. Yoritomo soll auch einen Sutren-Hügel (kyōzuka) errichtet haben. Zwischen 1600 und 1867 beteten hier die Oberhäupter des Date Clans für Glück und Reichtum, aber der Tempel verfiel zunehmend. 1672 wurden die Gebäude wiederaufgebaut und 1874 der Hondō (Haupthalle) errichtet. Bemerkenswert sind die rötlichen Dachpfannen (sekishun-kawara), die sehr gut mit der grünen Umgebung harmonieren. Die Goeika (Hymne) des Tempels lautet „Kikunaraku Senju fushigino Chikaraniwa Daibanjakumo Karoku age-ishi“ und bedeutet so ungefähr „Die berühmte Kraft von Senju Kannon hebt die Felsen mit Leichtigkeit“.

Exkurs Yoritomo Minamoto (1147-1199) Gründer und erster Shogun der Kamakura Zeit
Minamoto no Yoritomo (1147-1199) war der erster Shōgun (Militärmachthaber) Japans und Begründer des Kamakura Shogunats (1185–1333), benannt nach dem neuen Regierungssitz in Kamakura, den er vom damaligen Kaisersitz in Kyoto (früher Heian-kyō; deshalb auch Heinan-Zeit von 794 bis 1192) verlegte. Er entstammte dem Minamoto Klan (bzw. Seiwa Genji), einer der vier großen Adelslinien neben den Taira, Fujiwara und Tachibana, die in der Hofpolitik mitmischten. Der Tennō (Kaiser) Go-Shirakawa (1127-1192; 77. Tennō Japans) übertrug ihm 1192 die militärische Macht über Japan, nachdem die Kaisermacht bzw. der die Hofpolitik bestimmende Taira Klan in einer Seeschlacht von Dan-no-ura (während der Gempei-Kriege (1180-1185)) geschlagen wurden. In der Heian-Zeit dominierte der kaiserliche Hof in Kyōto die Politik, doch allmählich verlagerte sich die Macht auf die Provinzfürsten, die vom Kaiser abstammten. Der Kaiser konnte diese Machtzerstreuung nur kompensieren, indem er die lokalen Fürsten gegeneinander ausspielte.

Minamoto Yoritomo gilt als Begründer des Yabusame, eine ritualisierten Form des berittenen Bogenschießens, dass alljährlich z.B. am Hachimangu Schrein in Kamakura zelebriert wird. Yoritomo war ein großzügiger Geldgeber vieler buddhistischer Tempel und Shinto Schreine Er wird noch heute als Shinto-Gottheit (kami) unter anderem im Kamakura Shirahata-Schrein und in zwei Hanawo-Schreinen in der Präfektur Kagoshima verehrt.


Im Tempel fällt mir das alte Tor auf, von dem man über eine Treppe direkt zur Haupthalle gelangt. Wenn man diese betritt, sollte man ein Blick an die Decke werfen, die mit einer Vielzahl von kleinen bemalten Täfelchen, die Naturmotive zeigen, geschmückt ist. Leider sind sie wohl schon sehr alt, so wie die Farben verblasst sind. Manche sind auch schon gerissen. Nichtsdestotrotz bewundere ich die schönen Schnitzereien an den Tempelgebäuden, es sind nicht die üblichen Motive, die mir sonst in den Tempeln auf Shikoku begegnet sind. Ich gehe nicht davon aus, dass Kannon hier die Felsbrocken für die Sicherung der Tempelstufen hoch getragen hat, aber diese, zu Teil bemoosten, Mauern lassen den Tempel noch älter und rustikaler wirken. Es gibt hier einen kleinen Teich und auch ein Blick hinter die Tempel lohnt sich, da hier Pilger kleine Figürchen augestellt haben. Bei meinem Besuch stand hier sogar eine in Plastik verpackte Beinschiene.

Wir verabschieden uns voneinander, da Herr Siam jetzt zu seinem Ryokan (jap. Pension) laufen will und dies der letzte Tempel für ihn an diesen Tag sein soll. Mit einem „Good luck“ wünschen wir uns noch eine gute Weiterreise. Unsere Wege trennen sich erst mal, doch sollen wir uns morgen früh überraschend wiedertreffen. In Seiyo City will ich eigentlich im „2nd Business Hotel Matsu-ya“ nach einem Zimmer fragen. Auf dem Weg dorthin sondiere ich schon mal die Lage und freue mich, dass ein McDoof ganz in der Nähe liegt. Leider ist das Business Hotel verschlossen und kein Mensch zu sehen. Ich laufe also zum Matsu-ya Ryokan – ebenfalls Fehlanzeige. Nach einer Stunde in der menschenleeren Eingangshalle, klären mich die spielenden Kinder im Hof darüber auf, das das Hotel „yasumi“ – Ferien macht. Es gibt hier noch andere Ryokans, doch als ich eine Person frage, die ich an einem Haus arbeiten sehe, erübrigt sich eigentlich schon die Frage nach dem Hotel. Denn hier gibt es Parkplätze direkt unter dem Gebäude, die noch dazu mit eine Art Vorhang vor allzu neugierigen Blicken abgeschirmt werden können. Ich frage zwar noch „Hoteru desu ka“ (Ist das ein Hotel?) und bekomme die Antwort „Hai, love hotel desu“ (Ja, ein Liebeshotel) und erhalte so die Bestätigung, das es sich hier um ein Love-Hotel handelt. Das ist eine Art Stundenhotel für japanische Ehepaare, die in den kleinen Häusern mit den dünnen Wänden nie so richtig „aus sich heraus gehen“ können.
Ich wandere weiter, meine letzte Chance ist das Uwa Park Hotel. Der Name schreckt mich schon ab, da es nach einem teueren und exklusiven Hotel klingt, aber in Wirklichkeit nicht ganz so vornehm ist, wie der Name vermuten lässt. Es ist vielmehr ein Zwischenstopp für Touristenbusse bzw. da es mitten in einer Ansammlung von Pachinko Hallen (jap. Spielautomaten) liegt, wohl auch eine Unterkunft für spielsüchtige Nachtschwärmer. Es spricht hier zwar niemand Englisch, aber ich kann mich dann doch verständlich machen und ein Tatami Zimmer für eine Nacht (4000 Yen) mieten. Ein „Westler Zimmer“, wahrscheinlich mit Bett, hätte mich 5000 Yen gekostet, so habe ich die Kosten für ein Abendesse und Frühstück raus, welche ich gleich im naheliegenden Sunkus Kombini in ein Fertig-Okonomiaki (jap. Pizza) und Weintrauben Limonade umsetze. Mein Zimmer hat zwar kein eigenes Badezimmer, aber ich warte einfach die Hauptzeit im Ofuro (jap. Bad) kurz vorm Abendessen ab und so habe ich meist das ganze Bad für mich. Auf den Zimmern gibt es sogar kleine Wäscheständer, die die meisten Bewohner vor die Tür stellen. Das ist schon ein Anblick, wenn man vom Bad kommt – lauter kleine Gestelle vor den Türen.