Karte von Shikoku mit den 88 Haupt- und 20 Nebentempeln


Mittwoch, 9. Juni 2010

Sonntag, 12.04.2009, Ehime, Imabari City, Onishi, B.H. Kurushima

Der 28. Tag in Japan
Wie gesagt, dass dies hier ein Businesshotel sein soll, ist lachhaft, da das Bad verdreckt ist, Shampoo gibt es auch keins und erst der Zigarettengeruch im Zimmer! Aber das wird mir auf meiner Tour noch öfters begegnen. Ich verstehe nicht, warum, wenn man schon nur Tatami Räume hat, es nicht möglich sein soll, diese gründlich zu reinigen. Staubfänger wie Mobiliar gibt es doch nicht, da kann man doch den Rest umso gründlicher bearbeiten? Nach einem schnellen Kombini Frühstück, hier sollte es das Morgenmahl erst um 7.00 Uhr geben, schleiche ich mich. Als ich am Vorderhaus vorbei komme, in dem sich anscheinend der Speisesaal (shokudō) befindet, springt ein Mann heraus und dankt mir für meinen Besuch. Das kann man aber auch nur mit Pilgern machen, die hier nie wieder vorbei kommen. Aber mit der Zeit wird man bescheiden, ein Dach über dem Kopf und vor allem ein heißes Bad, in dem man nicht gleich gekocht wird, und der Tag ist ein erfolgreicher gewesen. Während ich am Anfang meiner Tour noch vor lauter Anspannung Magenschmerzen hatte, bei dem Gedanken, mir jeden Abend eine Unterkunft suchen zu müssen, bin ich jetzt relativ locker drauf. Die Anspannung ist so einer lockeren Fokussierung auf das Ziel gewichen. Aber nicht im Sinne von Besessenheit, das Ziel zu schaffen. Vielmehr bin ich ohne jeden Zweifel davon überzeugt, die Tour bis zum 88. Tempel durchziehen zu können, da ich jeden Tag mein Bestes gebe und auch noch nicht auf wirkliche Probleme mit der Gesundheit, dem Wetter oder der Wegführung gestoßen bin. Es ist viel mehr eine Art Meditation im Gehen. Man macht das was man macht vollkommen: Wenn ich wandere, wandere ich, wenn ich Hunger habe esse ich und wenn ich kaputt bin mache ich eine Pause. Ich gucke nur noch selten auf die Uhr, immer nur dann, wenn ich entscheiden muss, ob ich heute noch weiterlaufen soll. Auf alle Fälle laufe ich jetzt der aufgehenden Sonne entgegen und stocke meinen Proviant am nächsten Lawson Kombini auf. Hier telefoniere ich auch mit Deutschland, damit meine Familie weis, dass ich noch immer putz munter bin und mich kein Yakusa-Gangster (japanische Mafia) „shanghait“ (entführt) hat. Wenn ich 8 Stunden zurückrechne, ist es in Deutschland später Abend, ich könnte auch am deutschen Vormittag anrufen, doch dann wäre es hier in Japan früher Abend und da checke ich gerade in meine Unterkunft ein bzw. schlafe schon, da ich morgens wieder mit der Sonne aufstehen muss. Schnell habe ich die paar Kilometer zu Tempel Nr. 54 überwunden. Das wird heute eine schöne Tempeljagd, insgesamt kann ich heute 6 weitere Einträge für mein Pilgerbuch (nokyochō) erbeuten, da die Tempel hier in Imabari City nur 3 bis allenfalls 6 km voneinander entfernt liegen.

Exkurs Tempel Nr. 54 Enmeiji (延命寺)
„Der Tempel des langen Lebens“ wurde ursprünglich unter dem Namen Enmyōji auf dem Berg Chikami (244 m) von Gyōgi (668-749) gegründet. Er baute zwischen 729 und 749 sieben Tempelhallen und schnitze als Honzon (Hauptgottheit) eine Fudō Myōō Statue. Zwischen 774 und 835 kam Kōbō Daishi auf Geheiß des Kaisers Saga (786-842; 52. Tennō) hierher und renovierte den verfallenen Tempel. Während des Krieges im 16. Jahrhundert zerstörten Feuer unzählig Male die Gebäude. Einer Legende nach wurde die 1704 vom Tempeloberhaupt gegossene Glocke gestohlen. Als man sie nun läuten wollte, soll sie nur ein leises „inuru – inuru“ von sich gegeben haben, was im lokalen Dialekt so viel wie „geh’ Heim“ bedeutet. Die verängstigten Räuber brachten die Glocke sogleich zum Tempel zurück. 1727 wurde der Tempel an seinen jetzigen Ort verlegt und während der Meiji-Zeit (1868-1912) von Enyōji in Enmeiji unbenannt, um Verwechslungen mit dem Emyoji (Tempel Nr. 53) zu vermeiden. Zwischen 1912 und 1926 wurde der gesamte Tempelbezirk erneuert. Das äußerste Tor des Tempels soll vom Imabari Castle hierher transportiert worden sein. Der Enmeiji Tempel ist der einzige Tempel der Shikoku Pilgerreise, der zwei Glockentürme aufweisen kann. Das hängt noch mit der Legende über die klagende Glocke zusammen. Aber wie der genaue Zusammenhang ist, ist sehr schwierig, da es verschiedene Abwandlungen dieser Geschichte gibt. Der Tempel ist auch dafür bekannt, dass der Buddhist Gyōnen (1240–1321), aus der Kegon Schule des Buddhismus, hier sein Buch Hasshū-kōyō, „Die Essens von der philosophischen Analyse der 8 buddhistischen Schulen“ geschrieben haben soll, in dem er sich mit der Geschichte der sechs Schulen des sogenannten Nara-Buddhismus und der zwei Schulen des Heian-Buddhismus auseinander gesetzt hat. Andere glauben, er habe dies in Tempel Nr. 53 getan. Auf alle Fälle gibt es hier einen steinerne Trailmarkierung (hyōseki), die von dem Priester Yuben Shinnen (1691; nicht Shinnen vom Todai-ji in Kyoto; 804–91!) errichtet worden ist. Um das 17. Jahrhundert hat er die Pilgerreise ungefähr 20 Mal unternommen und während dessen die Pilgerroute vermessen und unzählige Pilgerunterkünfte und Wegmarkierungen errichtet. Auf ihn geht auch das erste Pilgerbuch, „Shikoku Henro Michishirube“, von 1687 zurück. 1689 ergänzte er es um einen zweiten Band, „Shikoku Henro Kudokuki“, in dem er die Geschichten und Mythen um und über die Shikoku Pilgerreise zusammengetragen hat.

Der Tempel liegt auf einer kleinen Anhöhe, man muss nicht viel kraxeln, dafür hat man einen schönen Blick, wenn man abseits der Haupthalle den Platz mit den Kirschbäumen aufsucht. Es gibt hier eine Ladenzeile, die jedoch noch geschlossen ist. Die Hallen sind prächtig geschmückt, aber mir gefallen vor allem die hohen Bäume und die Palmen. Ich finde sogar beide Glockentürme, später auf den Fotos kann ich sie nur auseinanderhalten, weil der eine mit roten Laternen und der andere mit weißen Laternen geschmückt sind. Nicht so sehr nett finde ich hier die Jizō Figure, die umringt wird von kleinen „grünen Männchen“, die mich doch stark an ungeborene Foeten erinnern. Die „Pille“ ist in Japan nicht verbreitet und so werden ungewollte Schwangerschaften meist abgebrochen. Aber Jizō ist der Beschützer aller Kinder und so können die betroffenen Frauen zumindest den Seelen ihrer „Wasserkinder“, wie sie in Japan genannt werden, noch Gutes tun. Die Frauen fürchten nämlich die Rache der Seelen und so verdienen die Tempel an diesen Jizō-Kult nicht wenig.

Siehe http://www.tagesschau.de/ausland/wasserkinder102.html zu diesem Thema!

Exkurs Totenriten in Japan
In Zusammenhang mit Totenriten in Japan ist der angrenzende Friedhof, in der Karte wird er „Memorial Park“ genannt, umso beeindruckender. Der buddhistische Totenname vom Mönch Kukai lautet Kōbō Daishi, aber das ist kein Privileg für verehrensvolle Persönlichkeiten, sondern wird an jeden Verstorbenen vergeben, da er jetzt auf dem Weg ins Jenseits ist. Dieser Name wird auch auf Täfelchen (ihai) geschrieben, die zusammen mit einem Bild des Verstorbenen auf dem buddhistischen Hausaltar verehrt werden. In Japan werden die Toten innerhalb kürzester Zeit verbrannt und nicht deren Asche, sondern nur die übriggebliebenen Knochen gesammelt. Nachdem sie zuhause mit dem Kopf nach Norden aufgebahrt und eine Totenwache, geleitet vom ältesten Sohn, abgehalten wurde, übernimmt ein buddhistischer Priester die weiteren Zeremonien. Nach der Einäscherung werden von den Familienmitgliedern mithilfe extra langer Bambusstäbchen die Knochenreste in eine Urne überführt. Kotsuage („Aufnehmen der Knochen“) wird diese Zeremonie genannt und ist Grundlage dafür, dass man in Japan niemals Speisen von Stäbchen zu Stäbchen reicht. Diese Urne wird dann im Familiengrab eingelagert. Jede Tempelgemeinde hat ihren Friedhof, aber der Platz ist teuer und auch die darauf errichtete Gedenkstätte ist nicht billig. Die Trauerzeit beträgt 7 mal 7 Tage (49 Tage), innerhalb dieser Zeit soll die Seele des Verstorbenen die Reise ins Jenseits abgeschlossen haben, wobei nach jeder Woche eine weitere Zeremonie abgehalten wird. Danach folgen nach 3, 7, 13 und 33 Jahren nochmals Riten. Eine alljährliche Gedenkfeier ist das Obon-Fest Mitte August, bei dem die verstorbenen Ahnen zu ihren Gräbern zurückkehren und von ihren noch lebenden Verwandten mit Opfergaben geehrt werden. Es gibt viele Lichter, die den Ahnen den Weg vom Jenseits (mukae-bi; "Begrüßungslicht“) und nach drei Tagen wieder ins Jenseits zurück (okuri-bi; „Verabschiedungslicht") weisen sollen. Feuerwerk und das vor allem für Kyoto bekannte „Daimonji“, bei dem auf den 5 Bergen der Stadt Feuer inform der Symbolzeichen (Kanji) für „Buddhas große Lehre“ entfacht werden, sind für dieses Fest charakteristisch. Auf die in privaten Haushalten vorkommenden buddhistischen Hausaltäre (butsuden) und die shitoistischen (kamidana) will ich nur am Rande erwähnen. Hier sei nur angemerkt, dass der Tod buddhistisch gefeiert wird und das Leben (Geburt, Heirat etc.) shintoistisch. Und, da der Shintoismus sehr auf Reinheit beruht, und Tod sowie Blut zur Verunreinigung führen, werden die Kamidana Miniaturschreine während der Aufbahrung verhängt und die Anwesenden nachher mit Salz gereinigt.

Aber zurück zum Friedhof, dessen Gedenkstätten kein Ende nehmen wollen. Ich entdecke zwischen alle den typisch japanischen Marmorsteinen aber auch eine kleine Pyramide mit einem christlichen Kreuz und Grabmale, die wie aus Natursteine wirken. Es gibt hier eine große Gedenkstätte für die Gefallenen des Krieges. Ich kann zwar die Inschrift nicht lesen, doch ein großes Kanonenrohr, das hier vor dem Türmchen liegt, macht mir dies unmissverständlich klar. Ich folge dem Trail und verlasse den Friedhof, folge dem Fluss Asa-gawa und frage mich, wie man aus so einem flachen und trüben Rinnsal noch Fisch angeln will. Dass hier ein paar Schildkröten herumrudern überrascht mich nicht, aber den Angler, der hier steht und mit Futter die Fisch anlocken will, beobachtet ich dann doch gespannt, ob er während meiner Anwesenheit nicht doch einen Fang an Land ziehen kann. Aber Fehlanzeige – ich folge dem Fluss weiter, vorbei am Himesaka Schrein, denn einen Schrein werde ich gleich besuchen, den Ōyamazumi, der direkt neben dem Nankōbō liegen soll. Plötzlich brüllt ein vor mir auf der anderen Flussseite laufenden Pilger zu mir rüber. Ich verstehe zwar seine Worte nicht, da er aber immer wieder nach rechts winkt, gehe ich davon aus, dass ich spätestens an der nächsten Brück, die Flussseite wechseln sollte, um den Tempel nicht zu verpassen. Ja, die Orientierung in den Städten ist schwierig, da die Beschilderung entweder fehlt und infolge von anderen Schildern übersehen wird. Aber schließlich stehe ich vor dem Schrein, dessen Inari-Füchsen ich eine Stippvisite abstatte und laufe am Denkmal der Luftangriffe des 2. Weltkriegs vorbei zum Tor des Tempels Nr. 55.

Exkurs Tempel Nr. 55 Nankōbō (南光坊)
In der Vergangenheit gab es einen Tempel-Schrein auf der Insel Ōmishima, von dem man sagt, er sei von Gyōgi (668-749) gegründet worden. Die Insel Ōmishima liegt etwa 20 km von dem Ort entfernt, auf dem „der Tempel des südlichen Lichts“, wie der Nakōbō in der Übersetzung heißt, jetzt steht. Obwohl nicht mehr Teil von Shikoku, gehört diese Insel in der Seto Inlandsee mit dem Oyamazumi Shintō Schrein noch zur Präfektur Ehime. 703 wurden von Ochi Tamazumi, Bevollmächtigter der Provinz Iyo (später Ehime), 24 Halle für den buddhistischen Gottesdienst errichtet, von denen 712 acht Gebäude nach Ochi auf Shikoku transportiert wurden, da sie bei stürmischem Wetter nicht genutzt werden konnte. Der Nankōbō war also ursprünglich nur eine buddhistische Zweigstelle des Oyamazumi Schreins. Es ist durchaus nicht ungewöhnlich, dass Buddhismus und Shintoismus so stark miteinander verzweigt sind, da nach einer Theorie aus dem 9. Jahrhundert, die Honji-suijaku („Theorie der ursprünglichen Formen und der manifesten Spuren“) genannt wird, die shintoistischen Kami als Manifestationen von Buddhas oder Bodisattvas darstellt. So geschehen z. B. für die Kami an den Kumano-Schreinen in den Kii-Bergen, die vor allem im Shingon-Shinto und im Shugendo (siehe Tempel Nr. 47 Yasakaji) verehrt werden. Zwischen 810 und 824 besuchte Kōbō Daishi den Tempel, führte einen Ritus durch und erkannte die Heiligkeit dieses Ortes. Der Tempel wurde 1119 abermals versetzt und so vom eigentlichen Ōyamazumi Schrein getrennt, der heute noch nebenan liegt. Zwischen 1573 und 1592 wurden mindestens 8 Hallen von Chōsokabe Truppen niedergebrannt und um 1600 von Lord von Imabari, Tōdō Takatora (1556-1630) wiederaufgebaut. In der Meiji-Zeit (1868-1912) unter dem Gesetz zur Trennung von Buddhismus und Schintoismus wurden die Statue des Daitsū Chishō Nyorai, zwei Geleitstatuen und 16 andere Statuen in die Tempelhalle überführt. Damit war der Tempel unabhängig geworden. 1945 wurden alle Gebäude mit Ausnahme der Daishihalle und der Goma-Ritual-Halle zerstört, die Daishihalle von 1916 diente seitdem als Haupthalle und wurde erst 1981 durch eine neue Haupthalle ersetzt.
Der Honzon (Hauptgottheit) Daitsū Chishō Nyorai ist sehr ungewöhnlich, er gehört eigentlich nicht zu den 13 Buddhas des Shingon Buddhismus. Der Buddha, der in der Hokke-kyō (Lotus Sutra) erscheint, ist der Nichiren Schule des Buddhismus zuzurechnen, wobei er in dem Sutra als „der Erleuchtete Eine vor dem Shaka Nyorai“ beschrieben wird.

Während der Schrein mit seinen Inari-Füchsen doch recht hübsch war, vor allem mit den Schnitzereien, ist das Tor vom Tempel Nr. 55 eine Wucht. Mit insgesamt 4 Wächterfiguren, die alle relative neu wirken und durch ihr helles Holz sehr schön mit der Goldauflage harmonieren. Hier beginnt ein weitläufiges Terrain für einen „Stadttempel“ mit mächtigen Steinlaternen. Man darf hier sogar direkt auf dem Tempelgelände parken, was ich nicht so toll finde, da ein Automobil auf einem Foto eines alt-ehrwürdigen Tempels nichts zu suchen hat. Feuerlöscher übrigens auch nicht, da wird man der Illusion beraubt, dass schon Kōbō Daishi diesen Anblick genießen durfte. Aber auf dem Tempelgelände findet man immer wieder unschöne Dinge, die neben den bereits erwähnten Feuerlöschern auch stationäre Löschspritzen, ja komplette Löschfahrzeuge einschließen. Dürfen dann auch Autos und große Reisebusse im eigentlich heiligen Areal parken, kommt man sich eher wie in einer Innenstadt als wie in einem Tempel vor. Aber zum Glück treffe ich meist in den Tempeln ein, wenn nicht so viele Besucher das Gelände überschwemmen. Meist bin ich, bis auf zwei, drei Pilger sogar allein.
Auf dem Weg zu Tempel Nr. 56 habe ich mit der Orientierung keine Probleme, da ich nur die knapp 3 km geradeaus laufen muss. Vorbei am Imabari Bahnhof, vor dem schwarze Taxis auf Kundschaft warten, muss ich zum Betreten des Taisanji nur ein kleines Treppchen überwinden.

Exkurs Tempel Nr. 56 Taisanji (泰山寺)
„Der Tempel des friedlichen Bergs“ oder wie er ursprünglich übersetzt wurde „der Berg der leichten Geburt“, wurde 815 von Kōbō Daishi aufgrund einer Erscheinung, die er während eines 7-tägigen Ritus hatte, Jizō Bosatsu gewidmet. Der naheliegenden Fluss Sōja, trat damals regelmäßig über die Ufer und riss viele Menschen mit, er wurde von den Einwohnern auch Hitotori Gawa („Fluss, der die Menschen davon schwemmt“; Mörderfluss) genannt. Der Daishi wollte den Fluss zähmen und während des Rituals erschien ihm Jizō Bosatsu. Nachdem er einen Damm gebaut hatte, schnitze der die Statue von Jizō und gründete den Tempel, damals noch auf der Bergspitze. 824 wurden die Gebäude auf 7 erweitert und dieser Ort der Huldigung des Kaisers Junwa (786-840; 53 Tennō) gewidmet. 1690 wurde der Tempel von einem Feuer zerstört und diesmal am Fuße des Berges wiedererrichtet. Die Haupthalle wurde im Jahr 1954 errichtet, der Glockenturm, dessen Holz von der Trommelhalle des Imabrai Castle stammt, 1881 gebaut. Die Daishi-Halle (daishidō) ist von 1985. Kōbō Daishi hat noch Pinien zum Schutz gepflanzt, falls der Damm mal brechen sollte und von einem Baum wurde gesagt, dass er immer wieder neu sprießen konnte. Dieser Baum, wasurezu-no-matsu („Vergiß-nicht-Pinie“) genannt, starb aber 1982 und wurde durch eine neue Pflanze ersetzt.

Auf die Pinie war ich besonders gespannt, obwohl es sich um eine Neuanpflanzung handelt. Sie ist durch ein Bambusgitter und einen Stein mit Symbolzeichen (Kanji) auch nicht zu übersehen. Aber dieser Tempel wird mir in ganz anders in Erinnerung bleiben, da mich hier ein kleiner, weißer Hund begrüßt, als ich am „Pilgerschalter“ mein Pilgerbuch (nokyochō) signieren lassen will. Ich finde das für einen Tempel schon fast etwas unanständig, wie der Hund, zu dem sich noch ein zweiter gesellt, hier auf dem Ablagebrett rumturnen darf. Aber das ist hier in Japan wohl so. Kleine Kinder und kleine Tiere, die man als Kinderersatz hält, dürfen fast alles, werden verpäppelt und dann wundert man sich, dass man ihrer nicht mehr Herr wird. Andere Länder – andere Sitten. Man beachte in diesem Tempel noch die wunderschön gestaltete Steinlaterne, den improvisierten kleinen Teich und die Kōbō Daishi Statue, die vor einem Panorama aus Häusern steht.

Auf der nun folgenden Etappe zum Tempel Nr. 57 wird die Orientierung durch eine Baustelle vorm Tempel erschwert, ich finde nicht in den Trail und laufe nach Karte. Doch auf der Seitennaht des Kartenbuchs verliere ich meinen Weg, ich laufe durch Reisfelder, ich laufe hin – ich laufe her und finde schließlich doch noch einen Tempel. Das ist ärgerlich, wenn man voller Erwartung vor einem Tempel steht und dann feststellen muss, dass es sich um den falschen handelt. Dieser Tempel, der sich auf einem kleinen Berg befindet, ist in meinem Kartenmaterial nicht mal verzeichnet. Mir wird im Tempel gesagt, dass der gesuchte Tempel auf der anderen Seite des Berges liegt, aber wo ich jetzt bin, kann mir auch keiner zeigen. Als ich aber an der anderen Seite rauskomme, ist es der Weg, auf dem ich gekommen bin. Gefrustet mache ich eine Pause in einer Pilgerhütte, die ebenfalls nicht verzeichnet ist. Ich überlege, ob ich meine letzte Dose Traubenbrause öffnen soll oder sie lieber für den Notfall aufhebe. Sonst läuft man andauernd an Getränkeautomaten vorbei, aber wenn man mal einen dringend braucht, gibt es keinen. Eine Abkürzung den Abhang an einem Wasserreservoir hoch, führt mich durch den Wald. Verzweifelt suche ich nach einer Straße. Kann mich mein Orientierungssinne denn so sehr täuschen? Endlich entdecke ich ein kleines, blaues Verkehrsschild, dem ich folge und so endlich doch noch im Eifukuji lande. Ich hatte wohl meinen Bogen einfach zu groß gezogen und bin deshalb auf der anderen Seite des Berges gelandet.

Exkurs Tempel Nr. 57 Eifukuji (栄福寺)
„Der Tempel des Glücks“ wurde von Kōbō Daishi auf Befehl des Kaisers Sage (786-842; 52. Tennō) gegründet. Als der Daishi hier von einem im Sturm in Seenot geratenen Schiff hörte, bestieg er den Berg Futō und hielt ein Goma-Feuer-Ritual ab. Am letzten Tag des Rituals beruhigte sich die See und ein Licht strahlte vom Wasser her – Amida Nyorai erschien ihm. Zwischen 810 und 824 schnitzte er den Honzon (Hauptgottheit), baute eine Tempelhalle und widmete sie dem Amida. 859 strandete hier ein Mönch namens Gōkō aus dem Daianji Tempel in Nara. Er war vom Kaiser Saga nach Usa auf Kyushu, eine der Hauptinseln Japans westlich von Shikoku, zum shintoistischen Hachiman Schrein geschickt worden, um dort ein Orakel für den Kaiser in Empfang zu nehmen bzw. die shintoistischen Kami (Gottheiten) zu bitten, zum Kaiser auf den Berg Otoko im südlichen Kyoto zu kommen. Als der Gestrandete jedoch zum Eifukuji hinaufstieg, erinnerte es ihn sehr an den Berg Otoko. Er empfing hier auch das Orakel von Hachiman, von dem er glaubte, er habe sich in Gestalt des Amida Nyorai manifestiert. Deshalb baute er auf dem Berg verschiedene Hallen und gründete so den Katsuoka Hachiman Schrein, in dem Buddhismus und Shintoismus zusammenflossen. Der Betende kann hier sowohl für Sicherheit auf See als auch für Glück beten. Der Komplex brannte diverse Male nieder und geriet fast ein Jahrhundert lang in Vergessenheit. In der Meiji-Zeit (1868-1912) wurden Tempel und Schrein jedoch getrennt und zogen von der Bergspitze zu ihren jetzigen Standorten. Die meisten Gebäude wurden in dieser Zeit erneuert. Bemerkenswert im Tempel ist der Onegai Jizō, der den Pilgern, die ihm huldigen Wünsche erfüllen soll. Die Asche aus dem Weihrauchgefäß des Yakushidō (Halle des Yakushi) wird von manchen Pilgern mit nach Hause genommen, sie soll vor Krankheiten schützen.

In diesem Tempel finde ich vor allem die Dachreiter sehr interessant, die nicht immer die üblichen Drachen darstellen. Buddhas Fußabdrücke sollen wohl auch Wunder wirken - wie in den anderen Tempeln. Es ist hier für den erschöpften Pilger sogar eine steinerne Sitzecke mit Frosch eingerichtet. Ein Päuschen, das brauche ich nach meiner Odyssee wirklich und überlege, ob ich bei meinem heutigen Glück überhaupt eine Unterkunft finde.
Ich beschieße auf alle Fälle noch Nr. 58 und Nr. 59 zu besuchen, da es hier weit und breit keine Unterkunft gibt und hoffe, dass ich mich nicht wieder verlaufe. Aber der Weg zum Senyūji (Tempel Nr. 58) ist leichter als gedacht. Ich muss mich zwar laut Karte wieder in höhere Gefilde begeben, aber die sind dann doch nicht so steil wie vermutet.

Exkurs Tempel Nr. 58 Senyūji (仙遊寺)
„Der Tempel des abgeschiedenen Einsiedlers“ wurde im 7. Jahrhundert von Ochi Morioki, Lord der Provinz Iyo am Fuß des Berges Sarei auf Befehl des Kaisers Tenchi (662-672; 38. Tennō) gegründet. Er baute den Tempel und machte Senju Kanzeon Bosatsu zum Honzon (Hauptgottheit). Der heutige Tempelname beruht auf einem Einsiedler namens Abō, der hier Anfang des 8. Jahrhunderts vierzig Jahre lang Sutren rezitiert hat und dann unter mysteriösen Umständen verschwand. Um die Figur der Hauptgottheit ranken sich ebenfalls Legenden. Zum einen soll ein frommes Mädchen den Honzon (Hauptgottheit) geschnitzt haben, wobei sie sich nach jedem Schnitt dreimal niederwarf. Deshalb nennen die Einwohner den Tempel auch „Osarei“, welches sich auf die Niederwerfungen beim Schnitzen bezieht. Zum anderen soll der Honzon aus dem Palast des Drachenkönigs unter dem Meer stammen. Eine dritte Legende mischt die beiden und beschreibt einen weiblichen Drachen, der hier künstlerisch am Werk gewesen sein soll. Laut Frederick Starr, dem Uniprofessor mit der Leidenschaft für alte Namenszettel (osame fuda), den ich schon bei Tempel 53 erwähnt hatte, ist die Kannon Statue von Künster Unkei (1151–1223) geschaffen worden. Er ist für seinen, damals neuen, realistischen Skulptur-Stil berühmt und von ihm sollen auch die Wächterstatuen (niō) stammen. Als Kōbō Daishi zwischen 810 und 824 hierher kam, fand er nur Ruinen vor, und baute sieben Gebäude. Ein weiterer berühmter Besucher war der Priester Yuren, der in der Meiji-Zeit (1868-1912) viele Gläubige in den Tempel zog. Man sagt, er starb als er sich lebendig begraben ließ, um so die Menschheit zu retten. 1947 griff ein Waldbrand auf den Tempelkomplex über und zerstörte alle Gebäude. 1953 wurde der Hondō (Haupthalle) gebaut, im folgenden Jahr die Daishi-Halle (Daishi-dō) und 2003 wurde eine riesige Koyasu Kannon errichtet. Auch der Pfad zum Tempel weist Kannon Statuen auf, die an die Saikoku, die Pilgerreise zu den 33 Tempeln der Kannon im Gebiet Kansai, d.h. rund um Ōsaka, erinnern sollen. Bemerkenswert ist ein Brunnen, der hier auf dem Weg zwischen Tor und Tempel liegt. Der Daishi soll ihn erschaffen haben, um die Dorfbewohner von den verschiedensten Krankheiten zu heilen. Es gibt auch noch eine Geschichte von einem Hund, der als Bote zwischen den Tempeln Eifukuji (Tempel Nr. 55) und Senyūji (Tempel Nr. 56) eingesetzt wurde. Als er aber nun gleichzeitig von beiden Tempeln durch eine Glocke gerufen wurde, wusste er nicht wohin er als erstes eilen sollte. In seiner Verzweiflung beging das arme Tier Selbstmord in einem Teich, der heute Inutsuka-ike, „Hund Denkmal Teich“, genannt wird.

Bis zum Tor mit schönen Wächterfiguren, hell und ohne Draht, war es nicht schwierig, doch jetzt beginnen hier wieder die von mir so geliebten Treppen. Sogar ein Geländer gibt es, an dem sich der erschöpfte Pilger hochziehen kann. Aber wo ist die Koyasu Kannon, die riesige Kannon Statue, die im Tempelführer beschrieben wird? Da Kannon die Hauptgottheit im Tempel ist, ist der Weg dorthin auch nicht mit Jizō Figuren gepflastert, sondern mit Kannon Figuren, die den Saikoku, den Pilgerweg der 33 Kanon Tempel im Gebiet Kansai (Ōsaka, Kyoto, Nara, etc.) symbolisiert. Den werde ich nach Abschuss meiner Shikoku Tour ebenfalls besuchen, auch wenn ich ihn nicht ausschließlich bewandern, sondern eher befahren werde. Der Tempel hat alles was ein anständiger Tempel haben muss, nur die Pilgerunterkunft, die hier auf Stelzen am Hang gebaut ist, passt mit ihrem modernen Design nicht dazu. Die Aussicht von hier ist atemberaubend, man blickt auf die Ebene, kann das Meer und sogar ein paar kleine Inseln sehen und bestimmt ist die Aussicht von dort noch besser, aber mir gefällt das Gebäude einfach nicht. Ich bekomme als Pilgergeschenk (osettai) noch eine Karte geschenkt, von jemandem der hier so eine Art Kartenverkaufsstand hat. Aber ich verlasse den Tempel und rausche den Berg herunter. Über den Trail bin ich geradeaus unterwegs und auch der Abzweiger, der zum Chikurinji führt, lasse ich links pardon rechts liegen, damit ich mich nicht wieder verlaufe. Man ist ja manchmal echt blind und sieht den Wald vor lauter Bambus nicht, aber den Inutsuka Ike („Hundeteich“) habe ich dann doch nicht gefunden. Es sei denn es war der kleine Teich vorm Pilgerbüro oder der größere Weiher auf dem Weg zu Tempel Nr. 59, bei dem ich einen Fischreiher fotografiert habe. Es ist noch nicht mal 15.00 Uhr und ich muss nur noch Tempel Nr. 59 besuchen, der wieder näher an der Küste liegt und kein Problem sein sollte. Aber man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, denn heute habe ich mich schon oft genug verfranzt. Ich wandere durch Sakurai und sehe eine ganze Kette von Karpfenwimpeln (koinobori). Ohne größere Probleme betrete ich den Kokubuji Tempel, leider hat dieser Tempel kein Tor.

Exkurs Tempel Nr. 59 Kokubunji (国分寺)
741 wurde dieser Kokubunji („Provinztempel“) von Gyōgi (668-749), wie auch in allen anderen damaligen 66 Provinzen Japans, auf Anordnung des Kaisers Shomu (701-756; 45. Tennō) gegründet. Die anderen Kokubjunjis sind Tempel Nr. 15 für die Präfektur Awa/Tokushima, Tempel Nr. 29 für Tosa/Kōchi und Tempel Nr. 80 für Sanuki/Kagawa. Gyōgie hat auch die Statute des Yakushi Nyorai geschnitzt, die als Honzon (Hauptgottheit) im Hondō (Haupthalle) verehrt wird. Im frühen 9. Jahrhundert als Chissho Saishi (814-891) Tempeloberhaupt war, soll Kōbō Daishi sich hier aufgehalten haben und die 5 Buddhas (go butsu) des Shingon Buddhismus geschnitzt oder gemalt haben. Näheres geht aus den Tempelführern leider nicht eindeutig hervor. Auf alle Fälle stehen diese 5 Buddhas, mit dem obersten Dainichi Nyorai, für die 5 Weisheiten gegen Ärger, Neid, Verlangen, Ignoranz und Stolz und sollen dem Gläubigen zur Erleuchtung verhelfen. Die fünf-farbigen Bänder und Fahnen, die man in den Tempeln sieht, sind Symbol dieser „Furiosen Fünf“. Auch ein Schüler des Daishi, Prinz Shinnyo, soll sich hier 2 Jahre lang aufgehalten und während dieser Zeit die Lotus Sutra kopiert haben. Im 10. und 12 Jahrhundert von Truppen von Fujiwara Sumitomo (814-891) während der Schlachten zwischen den Genji und dem Taira Klan zerstört, vom Lord von Iyo wiederaufgebaut. Nach 1584 ließen Chōsokabe Motochika Truppen vom Tempel nur ein kleines Gebäude übrig. 1789 baute der 43. Tempelvorsteher Ekō eine neue Haupthalle und ließ weitere Gebäude wiederherstellen
Dies ist der einzige Tempel auf der Pilgerreise, der zum Shingon-Ritsu Buddhismus gehört. Einem Zusammenschluss von Shingon-Basis mit der strengeren Auslegung der Regeln für die Ordensgemeinschaft des Ritsu. Bemerkenswert sind hier das Tempelmuseum mit den alten Schriften, eine Pinie (Tennō matsu; „Kaiserpinie“), die vom Kaiser Shōmu gepflanzt wurde, um für Heilung zu beten, und das Grab von Nitta Yoshisada. Er war ein Samurai, einer der berühmtesten Feldherren seiner Zeit und eroberte durch eine Kriegslist den damaligen Shogunatssitz in Kamakura und besiegelte damit das Ende der Hōhō Regierung bzw. das Ende der Kamakura-Zeit. Es gibt eine Kōbō Daishi Figur, der man die Hand schütteln kann, es wird aber auch ermahnt, nur einen Wunsch zu äußern, da der Daishi ein beschäftigter Mann sei. Zusätzlich gibt es eine große, schwarze Vase, die Yakushi Tsubo genannt wird. Wer sie reibt, dessen Wunsch soll ebenfalls in Erfüllung gehen.

Die Kōbō Daishi Figur zum Händeschütteln steht hier gleich am Eingang, aber zurzeit wollen schon andere Pilger dem Daishi die Hand drücken. Ich sehe mich deshalb ein wenig um, rezitiere meine Sutren und fotografiere die 7 Glückgötter, die Wunschvase Yakushi Tsubo und auch die Pinie kann sich nicht vor mir verstecken. Mein Tag ist gerettet, ich bin zwar total kaputt, aber trotz anfänglicher Orientierungsschwierigkeiten habe ich diesen Tag zu einem erfolgreichen Ende gebracht. Jetzt muss ich nur noch einen Unterkunft finden, doch auf dem Rückweg hält mich der Verkäufer des Shops an, der direkt vorm Tempel liegt. Er verkauft hier vor allem Handtücher an die Pilger, aber da ich ohnehin nicht viel mitschleppen kann, wollte ich eigentlich nichts kaufen. Aber der Herr besteht drauf, mir ein Eis ausgeben zu wollen. Ich lehne ab, da ich in meiner ausgepowerten Situation eine Reaktion meines Magens auf die Abkühlung fürchte. Aber das Schlitzohr drückt bei mir die richtigen Knöpfe und so, ich fühle mich der Pilgeretikette verpflichtet, sitze ich dann kurze Zeit später in seinem Arbeitsraum mit einem Vanille Eis in der Hand. Stolz zeigt er mir seine Stickmaschine, mit der er Handtücher mit Motiven und Schriftzügen versehen kann. Nur die Kommunikation läuft etwas zäh. Er fragt mich nach meinen „favorit word“ (Lieblingswort) und gibt mir seine Visitenkarte. Ich sehe mich also genötigt ihm ebenfalls meine Karte zu geben. Das war ein Fehler, denn jetzt hat er die Vorlage für die Bestickung: In japanischen Symbolzeichen (Kanji) Shikoku Pilgerreise und darunter meinen Namen in lateinischen Lettern (Romaji). Als Erinnerung an meine Pilgertour, wie er sagt, und bittet mich, zusammen mit dem Handtuch für ein Foto zu posieren. An einer Wand zeigt er mir, die Ausländer, von denen er schon Bilder gemacht hat. Ich sage doch immer wieder – Japaner sammeln die merkwürdigsten Dinge und in diesem Fall Ausländer mit Handtüchern! Da ich meinen Pilgerhut nicht abnehmen muss, ich sehe bestimmt total verschwitzt aus, lasse ich es über mich ergehen. Ich verabschiede mich freundlich, danke für die Pilgergeschenke, lobe das leckere Vanille Eis und marschiere weiter, da ich noch eine Unterkunft finden muss.
Ich laufe noch so 6 km, dann sind da die ersten Hotels in der Karte eingetragen. Aber hierbei handelt es sich wohl um eine Ansammlung von Ferienhotels, die sich rund um den Yunoura Onsen niedergelassen haben. Ich durchwandere die Hotelschluchten und muss schlucken, da diese Hotels einen exklusiven und luxuriösen, sprich teueren, Eindruck machen. Ich wollte eigentlich im Tachibanan Bekkan absteigen, finde es aber nicht. Als ein Autofahrer mir auf der menschenleeren Straße entgegen kommt, halte ich ihn kurzerhand an und frage nach dem Hotel. Er kennt sich anscheinend selber nicht aus, zückt jedoch sein Handy und informiert sich. Das Bekkan gibt’s wohl nicht mehr, aber das Hotel Tachibana liegt hier direkt um die Ecke. Das hätte ich eigentlich auch zu Fuß geschafft, aber der Herr lässt es sich nicht nehmen, mich mit dem Auto vor die Tür des Hotels zu fahren und dem Portier mein Problem zu schildern. Ich bin mal wieder gerettet, zwar kostet das Zimmer ohne Essen 5400 Yen, aber Hauptsache ein Dach über den Kopf, schwirrt es mir durch mein Gehirn. Der Portier stellt mir einen Teller mit Pizza hin, obwohl ich ihm sage, dass ich keinen Hunger habe. Da ich heute auf meiner Irrtour keinen Kombini (24-h-Shop) zum Einkaufen gefunden habe, habe ich auch keinen Proviant, aber das ist mir zurzeit schnuppe. Ich will nur noch Duschen und in einen Futon krabbeln. Am Getränkeautomaten in der Lobby ziehe ich mir noch zwei Dosen und zusammen mit der Notration Kekse sollte das meinen Magen für die Nacht füllen. Aber der Portier lässt nicht locker, als ich ein Stück nehme, macht er große Augen und hält mir den Teller hin. Dabei ist das sicherlich sein Abendessen, ich habe ein schlechtes Gewissen, aber er scheint richtig froh zu sein, dass ich jetzt doch mit dem Teller den Weg zu meinem Zimmer antrete. Aber so toll ist das Zimmer dann doch nicht. Es ist überhitzt, nicht mal die Klimaanlage schafft die Hitze, so reiße ich die Fenster auf. Nach einer Dusche, auch hier gibt es nur kochend heißes Wasser, verspeise ich meine Pizza und zum Nachtisch die Kekse. Ich bin so richtig fertig, das ist bei den 30 km netto, ohne Rundendrehen und Verlaufen gerechnet, auch kein Wunder.

Samstag, 11.04.2009, Ehime, Matsuyama City, Youth Hostel

Der 27. Tag in Japan
Ich stehe heute um 5.30 auf, am liebsten wäre ich liegen geblieben und hätte ein Touristenleben geführt, wie die Franzosen, die gestern Rabatz bis 23.30 Uhr gemacht und mich auch um 3.00 Uhr nochmals aus dem Schlaf gerissen haben. Aber ich bin Pilger und muss weiter, da ich zurzeit noch nicht abschätzen kann, wie schnell ich die Pilgertour durchziehen kann. Aber so weit denke ich nicht, ich plane immer nur für den nächsten Tag. So werde ich heute wohl Tempel Nr. 52 und Nr. 53 schaffen und dann auf den 35 km zu Tempel Nr. 54 mir eine Unterkunft suchen müssen. Ich checke in der Jugendherberge aus und statte dem Isaniwa Schrein einen Besuch ab. Da er hier auf dem Hügel direkt am Pilgerpfad liegt, beginnt mein Weg heute in einem Schrein. Vorbei an den Tennisplätzen, um die Zeit spielen doch tatsächlich schon welche Tennis, ist es bis zum Schrein nur ein Katzensprung.


Exkurs Isaniwa Schrein (Infos und Bilder unter: http://isaniwa.ddo.jp/top.htm)
Der Legende nach wurde der Isaniwa Schrein dort gegründet, wo Kaiser Chuai (192–200; 14. Tennō) und seine Kaiserin Jingu die Dōgo Thermalquellen besucht hatten. Ihnen ist auch der Schrein gewidmet. Es war der erste Schrein auf dem Dōgo Park Hügel und wird schon in der Chronik Engi-shiki (967) erwähnt. Im 14. Jahrhundert wurde er vom einflussreichen Kono-shi Klan an seinen heutigen Platz versetzt. Der Feudalherrscher Yoshiaki Kato widmete ihn als einen der 8 Schutzschreine von Matsuyama dem Kriegsglück. Während der Edo-Periode im Jahre 1662 wurde Sadanaga Matsudaira, fünfter Lord von Matsuyama, aufgefordert an einem Wettbewerbe im Bogenschießen in Edo (heute Tokyo) teilzunehmen. Er bat hier am Schrein um glückliches Gelingen und versprach, den Schrein zu renovieren. In einem Traum vor dem Wettbewerb erschien im die Gottheit Hachiman und versprach ihm den Sieg, wenn er sich an seine Instruktionen halten würde. Matsudaira hatte viel zu verlieren, denn er war ein ausgezeichneter Bogenschütze. Als er nun an der Reihe war zu schießen, erschien ihm eine goldene Taube, auf die er schoss. Mit viel Glück traf er genau mittig die Zielscheibe und gewann so das Bogenschiessen. Danach baute er, seinem Versprechen gemäß, den Schrein, nach dem Hachiman Schrein in Kyoto als Vorbild, zur vollen Herrlichkeit aus. Die Renovierungsarbeiten starteten im Juni des Jahres 1664 und wurden erst im May 1667 vollendet. Fast 70.000 Arbeiter, 697 von ihnen Schreiner, waren daran beteiligt. Der Schrein wurde exakt nach seinem Vorbild, dem Iwashimizu Hachiman Schrein in Kyoto, erstellt. Neben diesem gehört er mit dem Usa Hachiman Schrein (Präfektur Oita) zu den drei Hauptschreinen des Hachiman Zukuri Stils in Japan. Seit 1967 zählt der Isaniwa Schrein zum „Wichtigen Kulturgut“.

Vom Schrein führt eine lange Treppe in die Stadt. Am Fuße der Treppe kommen mir Männer in Yukata (Baumwollkimono) entgegen, ob die wohl ihr Morgenbad im Dōgo Onsen genommen haben? Auf alle Fälle sollte der Trail mich am Onsen vorbeiführen, aber ich kann den Weg nicht finden, da es hier nur durch eine Einkaufspassage geht. Ich laufe hin und her, halte Ausschau nach einem Pilger, dem ich folgen könnte, aber am Ende findet ein Pilger mich und zeigt mir, wo es hier raus geht. Eigentlich wollte ich den Weg am Yoshifujiike See vorbei nehmen, aber mein japanischer Pilgerkollege läuft die Straße 437 entlang. Schwuppdiwupp, habe ich durchs Fotografieren auch ihn aus dem Blick verloren, aber ich habe Glück, denn heute scheinen viele Pilger unterwegs zu sein, so dass ich schon aus weiter Entfernung Anhaltspunkte bekomme, wo es denn hier lang geht. Außerdem will ich mich nicht hetzen lassen, nichts wäre schlimmer, wenn ich die Tour erfolgreich beendet hätte, aber mich an nichts mehr erinnern könnte bzw. nur unscharfe Fotos geschossen hätte. Dabei habe ich das Gefühl, schon so viele interessante Sachen verpasst zu haben. Ganz einfach weil die Karte vielfach missverständlich ist, so laufe ich am „Russischen Friedhof“ einfach vorbei, obwohl er direkt am Trail liegt. Dafür finde ich aber den Gokoku Schrein, den Raigo-ji Tempel, den Rengeji Tempel und den Aosa Sanko Schrein oder ist es der Moroyamadumi Schrein? Hier habe ich mich auch etwas vertüddelt, da sowohl in die eine als auch in die andere Richtung Pilger laufen. Als ich einem Pilger Richtung Bahnübergang folge, die Schranken sind gerade geschlossen worden, sehe ich Qualm aus zwei Öfen aufsteigen. Das Vollqualmen wird einem immer wieder passieren. Da die Müllentsorgung in Japan teuer ist, verbrennen die Leute vielerorts ihren Müll selber. Über die stinkenden Rauchschwaden regt sich keiner auf, und dass jemand bei der panischen Angst der Japaner vor Feuer (die meisten Häuser sind aus Holz!) die Feuerwehr rufen könnte, käme ihnen wohl auch nicht in den Sinn.
Ich laufe jetzt mit drei japanischen Pilgern, eine Frau und zwei Männer, aber als ich bei einem Schrein ein Toilettenhäuschen finde, lege ich eine Pause ein. Ich kann sie zwar in der Ferne noch sehen, doch läuft der Trail jetzt wieder quer durch die Vegetation und an einem Teich vorbei. Hier muss ich echt angestrengt nach dem Weg suchen und frage die Einheimischen, die sich um einen motorisierten Fischhändler gescharrt haben. Schließlich finde ich den Weg und ein schlichtes Dach über der Straße, so eine Art symbolisches Tor, zeigt mir, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Als ich dann das eigentliche Tor passiere, lobe ich mir die von der Stadt Matsuyama aufgestellten zweisprachigen Informationstafeln, die mir hier Auskunft über das Niōmon, das Tor zum Haus der Deva Könige des Tempels Taizanji, geben. Diese Schilder enthalten meist Infos über den Namen, Alter, Stil, sowie Stifter und „Verlegungen“ der jeweiligen Sehenswürdigkeit.

Exkurs Tempel Nr. 52 Taizanji (太山寺)
Die Gründung des „Tempels des großen Berges“ geht auf eine Legende zurück, die sich 586 zugetragen haben soll, als der wohlhabende Kaufmann Kogorō Mano auf seinem Weg nach Ōsaka von Kannon vor Schiffbruch bewahrt worden ist. In seiner Not betete er die Sutra Kannons und um den Berg Kyō-ga Mori in der Nähe von Takahama (Ehime) erschien eine fünffarbige Wolke. Augenblicklich beruhigte sich die tobende See und er konnte mit seinem Schiff am Kai festmachen. Als der den Berg bestiegen hatte, fand er eine Jūichimen Kanzeon Bosatsu Statue (Elfgesichtige Kannon), für die er sogleich eine Hütte baute. Er hatte beschlossen, hier eine Halle zu errichten und kehrte kurze Zeit später mit Handwerkern aus Oita zurück. Man sagt, die Errichtung der Halle, ohne einen einzigen Nagel und ohne Zwischenstützen, sei in nur einer Nacht erfolgt. Im Gedenken an diese Legenden wird jedes Jahr am 17. März ein Tempelfest zu Ehren Manos abgehalten. Die eigentliche Tempelgründung erfolgte zwischen 668 und 749, als Gōgi (668-749) hier verweilte und eine Kannon Statue schnitzte. Auch Kōbō Daishi soll hier einige Zeit verbracht haben, in der er den „Gomaku“ Gottesdienst abhielt, bei dem für den Weltfrieden und die Erfüllung von Wünschen gebetet wird. Die Wünsche schreibt man auf Holzstäbchen, die dann verbrannt werden. 1062 wurde der Tempel an seinen derzeitigen Ort verlegt und im 12. Jahrhundert expandierte der Tempel auf 66 Gebäude. 1305 wurden verschiedene Gebäude wiederhergestellt, auch die Haupthalle (hondō) stammt aus dieser Zeit und gilt heute als „Nationaler Schatz“. Auf dem Tempelgelände gibt es noch eine Shotoku Taishi Halle, die dem gleichnamigen Prinzen geweiht ist, der den Tempel im 6. Jahrhundert besucht haben soll. Er ist besonders bei Schülern und Studenten beliebt, da man hier für die erfolgreiche Teilnahme an Aufnahmeprüfungen für Schulen und Universitäten beten kann. Ein Hyakudo Ishi, ein „100 Male Stein“, steht hier ebenfalls, bei dem Pilger ein Stück Bambus nehmen und hundert Mal vom Hondō (Haupthalle) zur Daishi-dō (Dahishi-Halle) betender Weise pendelt. Sehenswert sind ebenfalls die 6 weiteren Kannon Statuen, die von 6 verschiedenen Kaisern gestiftet worden sind. Im Pilgerbuch von Bishof Miyata ist vermerkt, dass hier am Pilgertrail hinter dem Niōmon Mrs. Kamie Taenaka im April des Jahres 1974 gestorben ist. Sie stammte aus dem Koyasan Betsuin Temple Los Angeles, über dessen Gemeinde ich schon bei Tempel Nr. 34 berichtet habe und in den Bishof Miyata 1993 berufen wurde. Möge die Seele dieser Pilgerin in Frieden ruhen oder wie man als Pilger ausdrücken würde: „Namu Daishi Henjō Kongō!“

In vielen Tempeln gibt es spezielle Fruchtbarkeitsriten, über die Geschichte mit der leichten Geburt und den Schöpfkellen habe ich bereits berichtet, aber in diesem Tempel spielen Nadeln eine wichtige Rolle: Frauen, die keine Kinder mehr möchten, hinterlassen Nadeln im Tempel, die von den Frauen mitgenommen werden können, die sich welche wünschen. Besonders wirkungsvoll bei Kinderwunsch soll es sein, die Unterwäsche mit den Nadeln aus dem Tempel zu nähen. Andere Länder – andere Sitten!

Bis zum ersten Tor vom Taisanji war es so eine richtige Flachlandetappe, aber dafür geht es nach dem Tor wieder so richtig zur Sache. Der geteerte Weg führt hier steil den Berg hoch, das hätte ich gar nicht vermutet, da ich die ganze Strecke von Matsuyama in der Ebene gelaufen bin. Aber wie erwähnt, die Tempel liegen meist etwas erhöht, damit sie, so nah an der Küste, nicht von einem Tsunami (Riesenwelle durch Erdbeben) weggeschwemmt werden können bzw. die Toten, die in Tempelnähe ihre letzte Ruhe finden, nicht die Lebenden heimsuchen können.

Von einem vor mir wandernden Pärchen bekomme ich als Osettai (Pilgergeschenk) eine Orange geschenkt, die sie kurz zuvor am Wegesrand, an so einem Selbstbedienungsstand gekauft haben. Dies soll heute nicht mein einziges Osettai bleiben und ich frage mich, ob ich so einen verhungerten Eindruck mache. Eigentlich habe ich nicht das Gefühl, großartig abgenommen zu haben, oder im Gesicht schmaler geworden zu sein. Im Tempel fällt mir eine Menschenschlange vor einem Glockenturm auf. Den kann ich auch später besuchen, wenn sich die Ansammlung aufgelöst hat, denn es gibt hier viele andere Sachen zu bestaunen: Die Klangsteine, die ich aus Tempel Nr. 24 kenne, die Buddhastatue, der man die Lippen gerötet hat, als hätte man zu viel Lippenstift benutzt, den prächtig mit goldfarbenen „Girlanden“ geschmückten Altarraum und auch der angrenzende Schrein mit den Inari-Füchsen sind sehenswert. Während ich ein achteckiges Gebäude, vielleicht die Shotoku Taishi Halle, entdecke, kann ich den Hyakudo Ishi („100 Male Stein“) nicht finden. Ich bewundere noch die Fußabdrücke Buddhas (bussoseki) und den merkwürdige Stil bzw. Blässe der Wächterfiguren in einem Tor, als ich mir zum Abschluss noch den Glockenturm mit seiner Malerei besuche. Hier gibt es wieder kleine, bemalte Deckentäfelchen, aber auch ein großes Bild von Enma, dem Richter der Unterwelt, wie er über die Verstorbenen richtet. Um das Pilgerbüro zu besuchen, muss ich von hier wieder den Berg herunterwandern. Kurz vor dem Gebäude begegne ich schon wieder einer Figur mit „Osterinsel-Touch“. Doch die Figur trägt eher chinesische Züge mit ihrem langen Bart und dem Kopfputz. Nachdem ich wieder zur Hauptstraße zurückgelaufen bin, muss ich der Straße 183 nur ca. 3 km bis zum Enmyōji folgen.

Exkurs Tempel Nr. 53 Enmyōji (円明寺)
„Der Tempel der kreisrunden Illumination“ wurde ursprünglich Gyōgi (668-749), viel weiter an der Küste liegend (Wake Nishiyama) gegründet. Er errichtete eine Halle für die Statue des Amida Nyorai, die er hier zwischen 668 und 749 geschnitzt haben soll. Der Ausgangpunkt mag ein Tempel sein, der heute noch als „Enmyōji-Okunion“ bezeichnet wird und nur wenige hundert Meter vom Meer entfernt liegt. Zwischen 774 und 835 hielt sich Kōbō Daishi hier auf. Doch während seiner Geschichte, der Tempel umfasste zeitweise bis zu 7 Gebäude, brannte der Tempel immer wieder aus und hinterließ nichts als Ruinen. Zwischen 1615 und 1623 wurde der Tempel durch Shigeshisa Suga, Mitglied der Wake Familie, an seinen jetzigen Ort verlegt und wiederaufgebaut. Seinen offiziellen Namen „Suga-zan Shōchi-in Emmyōji“ bekam der Tempel vom Prinzen Kakujin des Omuro Ninaji Tempels in Kyoto, dessen Zweigstelle er gewesen ist, bis er im 19 Jahrhundert zum Chizan-ha des Shingon Buddhismus konvertierte. Aber zwischen 1868 und 1912, als per Gesetz die Trennung von Shintoismus und Buddhismus in Kraft trat, wurde der Tempel geschlossen. Bemerkenswert sind das Niōmon (Haupttor mit Wächterfiguren), der Hondō (Hauphalle), welcher aus dem Jahre 1908 stammt und einen 4 m langen, hölzernen Drachen aufweist, der von Hidari Jingorō (1596-1644?) geschnitzt wurde. Sein bekanntestes Werk ist wohl die „schlafende Katze“ im Toshogu Schrein in Nikko. In der naheliegenden Kannon Halle (kannon-dō) befand sich eine Kannon Statue, die vom Oberhaupt des Hauses Kōno anlässlich einer Gedenkfeier errichtet worden war. Sie wurde jedoch im Jahre 1600 während des Krieges beschädigt. Es gibt eine weitere Kannon Statue, „Mariya Kannon“ genannt, die während der Christenverfolgung der Tokugawa Periode (17. Jahrhundert) von heimlichen Christen („Krypto-Christen“) angebetet worden ist, da das Christentum von 1614 bis 1873 in Japan verboten war. Erwähnt wird auch Frederick Starr, ein Anthropologie Professor der Universität von Chicago, der hier im Jahr 1921 die Pilgerroute gelaufen ist. Als er in diesen Tempel kam, wurde ihm, seinem Hauptinteresse an Namenskärtchen entsprechend, die älteste, noch aus Kupfer hergestellte Osame fuda gezeigt, die aus dem Jahre 1650 stammt. Frederick Starr (1858-1933), auch bekannt unter dem Namen Ofuda Hakase („Doktor der Namenskärtchen“) wird fast in jedem Pilgerführer erwähnt und ist neben dem Universitätsprofessor Oliver Statler (1915-2002), Autor des Buches „Japanese Pilgrimage“, einer der bekanntesten ausländischen Experten für die Pilgeroute gewesen. Der Tempelführer empfiehlt die lokalen Spezialitäten wie Goshiki-sōmen, fünffarbige Nudeln, Taruto Kuchen, eine von den Portugiesen aus Nagasaki adaptierte Bohnenmus-Biskuitrolle, und Shōyu-mochi, Bohnenmus gefüllte Stampfreiskuchen.

Als ich den Tempel betrete, begrüßt mich ein japanischer Herr mit schütterem Haar, den ich schon bei Tempel Nr. 51 gesehen habe. Er schenkt mir als Pilgergeschenk (osettai) eine Tüte mit selbstgemachten Leckereien. Es handelt sich dabei um eine Tüte, die die Damen am Tempel Nr. 50 verteilt haben. Er fragt mich, ob wir nicht zusammen Lunch (Mittagessen) essen wollen, aber ich habe mir darauf eingerichtet nur Frühstück und Abendbrot zu essen, da ich sonst zu träge werde, wenn ich mir über Tag den Bauch vollschlage. Mit dieser Ausrede kann ich ihn dann auch abwimmeln, doch fast wäre ich ihm vor einem Restaurant mit meinen Einkäufen vom Lawson Kombini (24-h-Shop), der in der Nähe liegt, in die Arme gelaufen. Bemerkenswert finde ich an diesem Tempel die drei Tore: Während Tor Nr. 1 keine Wächterfiguren aufweist, hat Tor Nr. 2 ein Paar und Tor Nr. 3 hat sogar zwei Paare. Und auch die Dachreiter bzw. die Abschlussfiguren sind sehenswert, so plastisch und detailreich, da kann ich mich gar nicht satt sehen. Diesmal ist es die Haupthalle, deren Decke mit vielen, bemalten Täfelchen geschmückt ist. Blumen sind zu sehen, aber auch geometrische Muster oder handelt es sich um japanische Wappen? Als ich aus dem Pilgerbüro komme, hutscht an einer Treppe jemand vorbei – war das nicht „Herr Siam“? Habe ich den netten Herrn mit dem schiefen Blick wieder eingeholt? Nachdem ich meinen Proviant beim Lawson Kombini aufgestockt habe, ich gönne mir Erdbeermilch mit Schokomustörtchen und ein Grünteeeis (macha), umschiffe die Konfrontation mit meiner Tempelbekanntschaft vor einem Restaurant und treffe tatsächlich wieder auf „Herr Siam“, der in Begleitung eines Herrn mit Metallbecher am Rucksack ist. Ich schließe mich den beiden an bzw. sie laufen voran und ich hinterher, da ich nicht fragen kann, ob sie wert auf meine Gesellschaft legen. Der Trail führt hier auf der Straße Nr. 347 direkt am Meer vorbei. Wenn ich über das Geländer hüpfen würde, würde ich entweder auf den schmalen Strand landen oder direkt ins Wasser plumpsen. Wir folgen den Pilgerzeichen, nicht nur Steinsäulen oder rote Pfeile, nein – von Zeit zu Zeit bringen auch zwei schwarze, gekreuzte Vajras (stilisierte Kampfzepter) Klärung über den Verlauf der Pilgerroute. Zum Glück ist es fast windstill, so dass ich nicht fürchten muss, meinen Hut abermals hinterher laufen zu müssen. Während wir ein seltsames Gebäude schon aus großer Entfernung sehen können, da die Straße hier einen großen Bogen macht, quatsche ich einen Fotografen an, der hier vor dem Awazaka Tunnel wartet, ob er den Shinkansen (engl. Bullettrain; dt. „Neue Stammstrecke“) fotografieren will. Das ist hier auch so ein typisch japanisches Hobby. Genau wie das „Jagen“ von Luxusschiffen mit der Kamera im Hamburger Hafen, legen sich die Hobbyfotografen hier auf die Lauer, um die berühmten Schnellzüge zu schießen. In steigender Geschwindigkeit vom Kodama („Echo“) über den Hikari („Licht“) bis zum Nozomi („Wunsch“), schafft letzterer die 515 km von Tokyo nach Osaka in 2 Stunden und 26 Minuten bei einer Höchstgeschwindigkeit von 300 km/h. Da muss man schon eine gute Kameraausrüstung haben, wenn man diese Flitzer „einfangen“ will. Aber ich muss mich etwas sputen, sonst verliere ich den Anschluss. Das tempelartige Gebäude stellt sich als „Daishido Kaisen Hokutso“ heraus und ist ein Restaurant. Jetzt gesellt sich auch noch ein japanisches Ehepaar zu uns. Wir laufen im Gänsemarsch die Straße entlang, obwohl unsere Geschwindigkeit alles andere als lahm ist. Wie die Wildgänse beim Flug nach Süden übernimmt jeder einmal die die Tempoarbeit an der Spitze. Nur nicht den Anschluss verlieren, denke ich, das ist ein Tempo, das ich gut mitgehen kann. Wenn man allerdings etwas kaufen will oder das WC aufsuchen muss, wird nicht gewartet und man muss zusehen, dass man wieder den Anschuss findet. Ich müsste auch mal auf das „Stille Örtchen“, aber das verkneife ich mir aber, weil ich mich gerade im Rausch der Geschwindigkeit befinde. So fliegen wir bis Iyo Hojo, wo mich meine Flügelmänner verlassen und ihre Ryokans (jap. Pension) aufsuchen. Eigentlich wollte ich in der Jugendherberge einkehren, da es aber erst 14.30 Uhr ist, laufe ich weiter. Die Sonne sticht und ich sehe zu, auf der rechten Seite der Straße im Schatten zu laufen. Ich lege noch mal eine Runde Sunblocker 50+++ nach. Ich merke, dass mich mein Gänse Geschwader doch viel Kraft gekostet hat, die Sonne und Hitze tun ein Übriges, um mich weich zu kochen. Am Bahnhof von Kikuma beschließe ich, nachdem ich eingehend das Kartenmaterial studiert habe, den Zug zur nächstmöglichen Unterkunft zu nehmen. Das Businesshotel Kurushima in Imabari City ist mein auserkorenes Ziel, das wäre die übernächste Station. Ich habe mir, seit ich allein unterwegs bin, den Plan gesetzt, jedes Transportmittel in Japan einmal nutzen zu dürfen bzw. bevor ich unter freiem Himmel schlafe, immer wenn man eine Pilgerhütte braucht gibt es keine, ein Transportmittel zur nächstmöglichen Unterkunft zu nutzen. Bahn fahren ist demnach abgeharkt, bleiben noch Bus, Taxi, Seilbahn, Pferd oder sonstiges Transportmittel.
Zum Glück steht das Wort „Bujinesu hoteru“ (eng. business hotel) in japanischer Silbenschrift groß am Gebäude, sonst hätte ich es in dieser ländlichen Einöde fast nicht gefunden. Hier stehen mir auch das erste Mal so richtig die Nackenhaare zu Berge, als ich mein siffiges Zimmer betrete: Alles sinkt nach kaltem Zigarettenqualm, das Zimmer ist muffig und Insekten hängen an den Wänden. Als mich die schnippische Wirtin nach Frühstück bzw. Abendessen fragt, lehne ich ab. Erstens wegen der Hygiene und zweitens gibt es außer mir ohnehin keinen weiteren Gast. Da bediene ich mich lieber an meinem eigenen Proviant. Das „alte Mädchen“ bereitet mir noch das Ofuro (heiße Bad) im Gemeinschaftsbad vor. Sie schlüpft hierzu in rosa Gummipuschen, damit ihre Hausschuhe nicht nass werden. Leider ist das Wasser viel zu heiß und auch aus dem anderen Hahn kommt kein kälteres Wasser. So bleibt das Badewasser ungenutzt, während ich aber ausgiebig dusche. Ich muss die Klimaanlage in meinem Zimmer wieder ausstellen, da mir der Gestank nach Zigarettenqualm Kopfschmerzen bereitet. Ich lüfte ausgiebig und dann bemerke ich mein nächstes Problem: Da ich immer ohne zugezogenen Vorhänge schlafe, damit ich bei Sonnenaufgang aufwache, werde ich in dieser Nacht kaum ein Auge zu kriegen. Direkt vor meinem Zimmer, vielleicht 3-4 m entfernt, brennt in einem Büro des Nachbargebäudes Licht. Wer arbeitet denn schon samstags bis Mitternacht - die Japaner!

Freitag, 10.04.2009, Ehime, Matsuyama City, Chochin-ya Ryokan

Der 26. Tag in Japan
Das Frühstück ist auf 6.00 Uhr angesetzt – wie gesagt – Pilger stehen früh auf, um das Tageslicht auszunutzen. Aufgestanden wird heute schon um 5.30 Uhr. Meine Sachen habe ich schon am Vorabend bepackt. Neugierig wie ich bin, gucke ich durch die Schiebetür (shoji) in meinem Zimmer (heya). Sie trennt mein Zimmer von einem weiteren Zimmer mit Ziernische (tokonoma). So wird ein Zimmer für zwei Personen zum Einzelzimmer gemacht. Beim Frühstück (asa gohan; „Morgenreis“) im Shokudō (Speisesaal) leisten mir zwei Busladungen ältere Japaner und Japanerinnen Gesellschaft. Ich bediene mich aus dem Reiskocher (Reis; gohan), der direkt vor dem Kōbō Daishi Altar steht. Von der netten Kellnerin wird mir erläutert, dass man das, diesmal sogar hartgekochte, Ei (tamago) abpellt und mit Salz (shio) bestreut. Dies soll auch das einzige Mal sein, bei dem ich mein Morgenmahl mit hartgekochtem Ei zu mir nehme. Dass ich hier Salz vorfinde, ist ebenso erstaunlich, da man meist mit Soja Sauce, Seetang oder Würzfischchen die Speisen aufpeppt. Neben den mit Bonito Flocken (Trockenfischflocken) bestreuten, weichen Frühstückstofu, gibt es noch ein Stückchen Lachs (sake) mit eingelegter Pflaume (ume-boshi), ein Schüsselchen mit eingelegtem Rettich (daikon), zwei kleine Häufchen aus Spinat (hōrensō) und Seetang (konbu), dem obligatorischen Tütchen getrockneten Seetang für den Reis, sowie die Würze aus Fischchen und geriebenen Rettich. Abgerundet wird das ganze mit einer Miso-Suppe (Würze auf Sojabasis) mit Einlage. Nachdem ich mich von den niedrigen Tischchen wieder aufgerappelt habe, gehe ich in den direkt angrenzenden Pilgerladen, um meine Rechnung von 6800 Yen zu begleichen. Übernachtung, Gemeinschaftsbad, reichlich Abendessen und kleines Frühstück – da kann man nicht meckern. Meine beiden Magdeburgerinnen sind noch nicht zu sehen, die werden ausschlafen und dann mit dem nächstmöglichen Bus, die Bushaltestelle habe wir noch gestern erkundet, nach Matsuyama fahren.

Ich laufe an den Abzweigern von Tempel Nr. 46 und Nr. 47 vorbei. Bis zum Bangai Tempel Nr. 9 ist es zwar nur ein Katzensprung, die in Bau befindliche Straße erschwert allerdings die Orientierung. Am Wegesrand fällt mir der ausgewachsene Kohl auf, es handelt sich hierbei um eine Zierpflanze mit heller bzw. violetter Grundfarbe, die spitz auswächst und dann gelbe Blüten trägt. Besonders interessant finde ich einen Strauch, der nur wenige Äste und Blätter aufweist, die aber wie aufgesteckte Plättchen auf einer Stange wirken.

Exkurs Bangai Tempel Nr. 9 Monjuin/Tokuseiji (文珠院/徳盛寺)
„Der Gipfel der Tugend Tempel“ ist von Kōbō Daishi gegründet worden und Jizō Bosatsu gewidmet. Leider kann ich keine weiteren Infos im Netz finden, dabei macht der Tempel einen sehr interessanten Eindruck. Vor allem die riesige Statue von Kōbō Daishi und eine Geschichte, die hier auf Steinplatten festgehalten ist, interessieren mich. Eine kleinere Figur mit femininen Zügen könnte Saburo sein, der auf seiner Suche nach dem Daishi über 20 Runden auf der Pilgerreise hinter sich gebracht hatte, bevor der sterbend in den Armen des Mönchs Vergebung erlangte. Hier stehen aber auch Statuen von Fudō Myōō, den 7 Glücksgöttern (shichijukujin) und einem Tengu, einem Bergkobold, der von den Yamabushi (Bergasketen) aufgrund seiner Kampfkünste verehrt wird. Im Tempel wimmelt es von Katzen, die hier und da herumliegen, und einen verdrießlichen Eindruck machen, als würde ich sie beim Dösen stören. Aber jetzt geht es voll zur Sache und das morgens um 7.30 Uhr! Als sich eine Katze und ein Kater beginnen vor meinen Augen zu amüsieren, flüchte ich ins Pilgerbüro und werde von einem quäkenden „Konnichi wa“ (Guten Tag) begrüßt. Verdutzt schaue ich mich um und entdecke schließlich einen kleinen schwarzen Vogel mit gelbem Fleck in einem Käfig am Boden. Ein Beo, denke ich bei mir, die gehören mit zu den sprachbegabtesten Vögeln überhaut. Aber bei den vielen Katzen würde ich den Vogel nicht ohne Weiteres auf den Boden stellen. Vielleicht kann der ja bei Bedarf nach Hilfe rufen, sollte sich eine der fetten Tempelkatzen durch die Schiebetür quetschen. Schnell hat der Tempelvorsteher, der mit seinem langen Bart auf mich wie ein Hippi wirkt, mein Pilgerbuch (nokyochō) gestempelt und beschriftet. Noch ein Foto vom Löwen am Weihrauchgefäß und schon geht es in Richtung Tempel Nr. 48.

Ich schieße ein paar Fotos der Umgebung, ein paar Blumen, ein Weizenfeld, sogar von dem Toiletten Ensemble am Inari Schrein, der hier mit dem Fudahajime-Daishidō vergesellschaftet ist, mache ich ein Foto. Ich laufe Richtung Matsuyama, ich hasse Städte, nicht nur weil einem das Gewimmel der Zivilisation auf die Nerven geht, sondern weil die Pilgerschilder zwischen den ganzen anderen Infos nur schwer zu finden sind. Bei einer Pause am Circul-K Kombini (24-h-Shop), kaufe ich mir einen Dreierpack Brötchen. Doch sie sind nicht wie vermutet mit Vanille Creme („kasutardo“) oder süßem Bohnenmus (Azukibohnen: an oder anko) gefüllt, nein es ist Margarine. Ich merke wieder wie sehr mir mein europäisches Frühstück mit Brot, Butter und Marmelade fehlt. Morgens brauche ich einfach viel Zucker, um in die Gänge zu kommen. Ich passiere den Fluss Shigenobu, den angrenzenden Golfplatz und sehe wie ein Bauer sein Feld bestellt. Sein Ackergerät hat er dekorativ an seinen Schuppen gehängt. Geschützt durch einen großen Hut und natürlich Handschuhen, rückt er dem Acker mit einer Hacke an das Unkraut.

Vor Tempel Nr. 48 fängt mich ein dicker, roter Kater ab. Den roten Tigern kann ich nicht widerstehen, auf die bin ich schon als Kind geprägt worden, da meine erste Hauskatze so ein süßer, blauäugiger Bratzen war. Nach einer Runde Streicheln überquere ich die gewölbte Brücke vor dem Tempelgelände und betrete Tempel Nr. 48 durch das eindrucksvolle Niōmon (Tor mit Wächterfiguren).

Exkurs Tempel Nr. 48 Sairinji (西林寺)
„Der Tempel des westlichen Waldes“ wurde 741 von Gyōgi auf Geheiß des damaligen Landesherrn von Ehime, Tamamizu Ochi, gegründet. Von Gyōgi sollen auch die Statuen von Fudō Myōō und Bishamonten stammen. Aber 807 wurde der Tempel von Kōbō Daishi an den jetzigen Ort verlegt, an dem er auch die Jūichimen Kannon (Elfgesichtige Kannon) Statue als Honzon (Hauptgottheit) geschnitzt hat. Wie schon in so vielen anderen Tempeln hat der Daishi hier eine Quelle entspringen lassen (tsue no fuchi – Quelle des Stocks) indem er seinen Wanderstock in die Erde stieß. Das Tempelareal liegt hier tiefer als die Umgebung und die naheliegenden Ufer des kleinen Flusses Shigenobu. Deshalb steigt man zur Haupthalle (hondō) hinunter, nicht hinauf wie bei den anderen Tempeln. Aufgrund dieser Gegebenheit wird der Tempel auch Mugen Jigoku genannt, wobei „jigoku“ das japanische Wort für Hölle ist. Während man also zum „Reine Land“ (Reine Land Kannons; Art Paradies) hinaufsteigt, steigt man hier in die Hölle hinunter. Im japanischen Buddhismus gibt es 19 Stufen der Hölle – 8 brennende Höllen, 8 gefrorene Höllen und drei Höllen der Isolation. Der Sairinji Tempel zählt zu den „Hindernistempeln“ (sekisho) der Präfektur Ehime, die dem sündigen Pilger den Eintritt durch das Haupttor verwährend bzw. in diesem Fall ihn sogar direkt in die Hölle schicken. Die Tempelgebäude brannten zwischen 1624 und 1644 komplett nieder und wurden erst um 1700 vom fünften Herrn von Matsuyama, Sadahide Matsuaira, wiederaufgebaut. Die Besonderheit des Haupttempels liegt darin, dass die Kannon Statue nie öffentlich zur Schau gestellt wird, sondern mit der Vorderseite zur Rückseite des Tempelgebäudes weist. Demnach huldigen die Gläubigen der Gottheit, indem sie an der Rückseite des Haupttempels beten. Rechts der Haupthalle, vor einem Gebäude, das Ema-dō genannt wird, gibt es ein „Eltern-Bambus“ und ein „Kinderbambus“, die die häusliche Harmonie der Generationen untereinander fördern soll.
Im naheliegenden Jo-no Fuchi Park, hat die Daishi Quelle einen Teich gebildet (take no fuchi – Bambus Ufer), dessen Wasser die Einwohner einst vor dem Verhungern bewahrte, da ihre Reisfelder alle verdorrt waren. Die so geretteten Reisbauern haben zum Dank eine Kōbō Daishi Statue errichtet.

Manchmal ist man echt blind, dabei achte ich schon immer auf besondere Bäume und Pflanzen, die eine eigene Geschichte haben könnten. Meist steht auch ein Schild in der Nähe, so dass auch derjenige die Wichtigkeit dieser Pflanze erahnen kann, der des Japanischen nicht mächtig ist. Aber die Bambuspflanzen habe ich leider nicht gesehen, dafür das nette Gärtchen in der Ecke mit Steinlaterne, die tollen Pfingstrosen, niedrige Palmenpflanze und selbst die kleine Bonsaizucht, habe ich fotografiert. Die Buddha Figur mit dem daneben stehenden Stein, aus dem durch ein Bambusrohr Wasser in einen großen Kübel mit Fischchen fließt. Ist das vielleicht die Tsue-no-fuchi Quelle? Während das alte, dunkle Tor mit den Wächterstatuen und dem Kaninchendraht eher wie ein Vogelkäfig wirkt, scheinen einige Gebäude erst vor kurzer Zeit errichtet bzw. repariert worden zu sein, da das Holz noch leuchten gelb ist. Am Tor steht auch ein Holzkasten, der neben den japanischen Kanji (Symbolzeichen), die Aufschrift „Haiku Post“ in Romaji (lateinische Lettern) aufweist. Da kann man wohl selbstverfasste Gedichte einwerfen, doch werden diese gesammelt und veröffentlich – was geschieht also mit dieser „Post“? Ich sehe hier auch einen meiner geliebten Tanuki Figuren (Dachshund), die hier mit Bettelschale im Kōbō Daishi Stil vor dem Pilgerbüro stehen.
Den Jo-no-Fuchi Park betrete ich leider nicht, da er vor dem Tempel auf der anderen Seite des Trails liegt, aber laut Karte liegt dort ebenfalls eine Art Tempel, eine offene Pilgerhütte und ein WC ist ebenfalls eingetragen. Ich komme zwar kurz hinter dem Sairinji noch an einem Teich vorbei, an dem ich einen Fischreiher fotografieren kann, doch leider ist es nicht der besagte Teich des Daishi.

Exkurs Tempel Nr. 49 Jōdoji (浄土寺)
„Der Tempel des Reinen Landes“ wurde ursprünglich von einem Priester namens Emyō in der Tenpyo-Ära (729-749) gegründet, aber es könnte auch Gyōgi gewesen sein, zumindest hat letzterer die Statue des Shaka Nyorai geschnitzt. Im 8. Jahrhundert wurde der Tempel zu einem Ort der Huldigung für die Kaiserin Kōken (718-770; 46. und 48. Tennō). Der Tempel erblühte und wurde auf 76 Hektar Land mit 64 Gebäuden vergrößert. Zwischen 774 und 835 hielt sich Kōbō Daishi im Tempel auf. 957 weilte der Sektengründer der späteren Kūya Schule des Tendai Buddhismus hier. Kūya (auch Kyūya-shōnin; 903-972), der auch Hichi-ni-Hihiri (Stadtheiliger) genannt wurde, hinterließ eine Holzstatue von sich selbst, um die er von den Bewohnern gebeten worden war, damit sie sich an ihn erinnern konnten. Zusammen mit den Statuen der ersten 3 Patriarchen der Shōdo Schule des Buddhismus, Enkō Daishi (1133-1212), Shōko (1162-12389 und Ryōchū (1199-1288), gelten sie als „Wichtiges Kulturgut“. Zwischen 1394 und 1428 begann der Abstieg des Tempels als 1416 alle Gebäude von Samurai niedergebrannt wurden. Zwar wurde der Tempel vom Kōno Clan, wenn auch im kleineren Umfang, wiederaufgebaut, doch fielen am Ende alle Dokumente und Gebäude einem verheerenden Brand zum Opfer. Erst 1481 wurde er von Michinobu Kōno wiederaufgebaut. Der Haupttempel wurde im chinesischen Stil errichtet, das Haupttor (Niōmon) stammt aus dem Jahre 1922.

Der Mönch Kūya (903-972) aus dem Tendai-Kloster predigte die erlösende Kraft des Amida (Buddha Amitabha) unter dem einfachen Volk, für das es bis dahin keine buddhistische Lehre gab, denn Schulen des Shingon und des Tendai Buddhismus waren mit ihren komplizierten esoterischen Lehren für sie nicht verständlich. Das bloße Anrufen des Amida (die Nembutsu-Formel: Namu Amida Butsu) stand im Vordergrund. Wenn diese rezitiert würde, hieß es, würde der oder die Gläubige unweigerlich nach dem Tode im Reinen Land (Paradies des Westens „Jōdō“) wiedergeboren. (siehe auch Tempel Nr. 50)

Exkurs weibliche Tennō, Thronfolge bis heute
(modifiziert nach Wikipedia http://de.wikipedia.org/wiki/Japanisches_Kaiserhaus)

Die japanische Monarchie ist die älteste ununterbrochene Erbmonarchie der Welt. Das Kaiserhaus erkennt 125 legitime Monarchen seit der Thronbesteigung von Jimmu Tennō. Als Ahnherrin gilt die Sonnengottheit Amaterasu, die Jimmu den Auftrag und die Berechtigung zur Beherrschung Japans gegeben haben soll. Die meisten Historiker schreiben den ersten vierzehn Tennō eher legendären denn historischen Charakter zu. Der momentan regierende Tennō, Akihito, ist der 125. Monarch der offiziellen Chronologie.
Historisch lief die Erbfolge zu Japans Chrysanthementhron generell über männliche Nachkommen der kaiserlichen Linie. Teilweise hat die kaiserliche japanische Dynastie ihre Langlebigkeit dem Gebrauch von Konkubinen zu verdanken, eine Praxis, die erst in der Taishō-Periode (ab 1912) zum Ende kam. Die japanische Monarchie besaß auch zu diesem Zweck bestimmte Nebenlinien. Blieb das Kaiserhaus ohne Erbe, konnte eine Nebenlinie einen Thronfolger stellen.

Vor der Meiji-Restauration (1867) hatte Japan acht weibliche Tennō, regierende Kaiserinnen. Kaiserliche Töchter und Enkelinnen bestiegen den Thron jedoch nur als „Übergangslösung“. Sie alle dankten in dem Moment ab, wo ein angemessener männlicher Nachfolger der männlichen Linie zur Verfügung stand. Drei dieser regierenden weiblichen Tennō, Suiko-tennō (33. Tenno; 592–628; 33. Tenno), Kogyoku-tennō (35. und 37. Tennō; 642-645 und 655-661), und Jito-tennō (41. Tennō; 690–697), waren Witwen verstorbener männlicher Tennō und selbst Prinzessinnen von Kaiserlichem Blut. Eine, Genmei-tennō (43. Tennō; 707–715), war Frau des Kronprinzen und kaiserliche Prinzessin. Die anderen vier, Genshō -tennō (44. Tennō; 715–724), Kōken-tennō (46. und 48. Tennō; 749-758 und 764-770), Meishō-tennō (109. Tennō; 1629-1643) und Go-Sakuramachi-tennō (117. Tennō; 1762-1771), waren unverheiratete Töchter vorhergehender Tennō. Keine dieser weiblichen Tennō heiratete oder gebar Kinder, nachdem sie den Thron bestiegen hatte.

Sowohl Artikel 2 der Meiji-Verfassung (1889) als auch der japanischen Verfassung von 1947 besagt, dass der kaiserliche Thron nur an einen männlichen Erben übergeben werden kann.
Es drohte eine Nachfolgekrise, da seit 1965 kein männliches Kind in der kaiserlichen Familie geboren wurde. Nach der Geburt von Prinzessin Aiko gab es eine öffentliche Debatte darüber, das Gesetz über die Kaiserliche Familie zu ändern, um Frauen die Thronbesteigung zu ermöglichen. Im Januar 2005 berief Premierminister Junichiro Koizumi eine ein, um mögliche Änderungen des Gesetzes zu sondieren und Gesetzesvorschläge auszuarbeiten. Eine der Optionen war, Frauen in der männlichen Linie der kaiserlichen Nachfolge die Inthronisierung zu ermöglichen. Japan fürchtete jedoch das legendäre Y-Chromosom, dass sich so viele Jahrhunderte von einem zum anderen Thronerben weitergegeben worden war, zu verlieren. Mit der Geburt des Thronfolgers Hisahito, durch die Ehefrau seiner Kaiserliche Hoheit Prinz Akishino (Fumihito), zweitgeborener Sohn von Kaiser Akihito, am 6. September 2006 ist die Debatte über die Thronfolge zumindest vorerst beendet.

Ich wandere weiter in der Ebene, immer in Richtung Matsuyama City. Auf dem Weg zu Tempel Nr. 49, ich will heute noch bis Tempel Nr. 51 kommen und mich dann in der Jugendherberge Matsuyama einmieten, sehe ich einen riesigen, mit Netzen umgespannten, Käfig. Diejenigen Japaner, die sich die horrenden Mitgliedsbeiträge in den japanischen Golfclubs nicht leisten können, gehen in so einen Käfig, um ihrer Golfleidenschaft zu frönen. Kurz bevor ich im Tempel eintreffe, sehe ich noch ein Gebäude mit einem großen, hellblauen Schild mit der Aufschrift „Kumon“ und einem verdrießlich dreinblickenden Smiley. Das ist eine Kette von Nachhilfeschulen, in der die japanischen Kinder Englisch lernen sollen. Leider haben seit der Öffnung Japans viele englische und amerikanische Fremdworte ihren Weg in die Japanische Sprache gefunden, dieses „Jenglisch“ hat zwar die Lautbildung aus der Fremdsprache, wird aber mit japanischen Silben geschrieben und auch so ausgesprochen. So dass der Begriff Kumon wohl eigentlich „Come on“ bedeuten soll, weitere Beispiele sind die schon bekannten Kombini („convenience store“; 24-h-Geschäft) oder auch Koinrandori („coin laundry“; Waschsalon). Als Resultat sprechen die Kinder die englischen Worte nicht englisch, sondern japanisch aus und müssen dann mühevoll von Muttersprachlern aus den jeweiligen Ländern korrigiert werden. Fremde Sprachen sind sowieso ein eigenes Thema in Japan. Kein Volk der Welt lernt so viele und verschiedenen Sprachen und ist am Ende dann zu schüchtern, um sie im viel zur kurzen Auslandsurlaub anzuwenden. Deshalb gibt es auch verhältnismäßig viele Sprachschulen bzw. ganze Organisationen, die Sprachunterricht, die dazugehörigen Lehrbüchern und sogar organisierte Sprachreisen anbieten. Aber zurück zum Thema – ich wäre schon froh, wenn mein Japanisch so gut wäre wie das Englisch der Japaner.

Kurz vor dem Hantaji sehe ich noch einen Schrein mit Tōri (Tor), alles schön rot, aber die Stangenkonstruktion erinnert mich an das Eingangstor vom Gefangenenlager in Bando.
Als ich den Tempel Nr. 50 erreiche fällt mir das tolle Niōmon (Tor mit Wächterstatuen) ins Auge. Es ist reichlich mit Aufkleben versehen, die es entweder vor Insektenbefall bewahren sollen oder eine japanische Form des „ich war hier“ darstellen. Heutzutage ist es verboten, die alten Holzbauten mit den Namenszetteln zu „verzieren“, da lob ich mir die Namenszettel (osame fuda), die in den dafür vorgesehenen Behältnissen am Tempel gesammelt werden. Hier am Tor hängen unzählige Lätzchen und Miniatur-Strohsandalen, letztere sind Symbol der Pilgertour. Mit diesen Gaben will man wohl die grimmig dreinblickenden Wächter günstig stimmen. Einfach süß die kleinen Latschen, denke ich noch so bei mir, wo man die wohl kaufen kann? Einige Tage später, ich hatte den Gedanken solch einen Glücksbringer kaufen zu wollen fast schon aufgegeben, finde ich auf dem Bürgersteig ein Paar. Da hat der Daishi wohl mir eine Freude machen wollen!

Exkurs Tempel Nr. 50 Hantaji (繁多寺)
„Der Tempel des großen Wohlstands“ wurde 750 von Gyōgi gegründet, er hat auch die Statuen von Yakushi Nyorai, dem dieser Tempel gewidmet ist, und von Fudō Myōō (Goma-Halle) geschnitzt, die heute zum „Nationalen Kulturgut“ zählen. Der Ursprüngliche Name des Tempels war Kōmyōji, er wird aber heute noch Hata-dera („Bauernhof Tempel“) genannter. Der Name wurde jedoch von Kōbō Daishi während seines Aufenthalts hier in Hantaji geändert. Auch Ippen Shōnin (1239-1289), späterer Gründer der Jishū Schule des Buddhismus, soll sich hier 1275 aufgehalten haben, um den Buddhismus zu studieren und zu praktizieren. Ebenso wie der Wandermönch Kūya, war er bekannt als „Wandernder Weise des Nembutsu“. Nembutsu („Buddha vergegenwärtigen“) ist einer buddhistischen Lehre, bei der das bloße Anrufen Buddha Amithabas (Namu Amida Butsu - „Verehrung dem Buddha Amitabha“) zur Widergeburt im „Reinen Land Amithabas“ führen soll. Aus dieser Art Paradies heraus, entrückt von den Schwierigkeiten des „normalen Lebens“, soll dem Gläubigen der Eintritt ins Nirvana (Auflösung) leichter fallen. Diese Lehre fand vor allem im einfachen Volk Anhänger, die durch ihre Lebensumstände nicht die Möglichkeiten hatten, buddhistischen Praktiken nachzugehen bzw. denen die esoterischen Lehren des Shingon verschlossen blieben. Aber dem Wandermönch, der sein ganzes Leben durch Japan reisend verbrachte, wird ein hitziges Temperament nachgesagt. Da er aus einer Samurai-Familie stammte, dem Kōno Klan (siehe Tempel Nr. 49), wusste er wie man sich verteidigt. Als nun seine Verwandten, die Groll gegen ihn hegten, ihn töten wollten, streckte er Onkel als auch Cousins mit dem Schwert nieder.

Zu seiner Glanzzeit zählten 36 Tempel und 120 Untertempel zum Hantaji, aber nur wenige konnten Feuer und Krieg unbeschadet überstehen. Im 11. Jahrhundert wurde der Tempel von Yoritoshi Minamoto (?) wiederaufgebaut. 1279 wurde im Tempel unter der Führung von Kaiser Go-Uda (1267-1324; 91. Tennō) für die Zerstörung der mongolischen Invasionstruppen gebetet. Sie wurden durch einen „Göttersturm“ („kami kaze“) daran gehindert in Japan zu landen. Im 16. Jahrhundert brannte der expandierende Tempel abermals nieder. Zwischen 1681 und 1684 baute der berühmte Priester Ryūko den Tempel wieder auf und erstellte einen Schrein (Shōden-dō) für die Elefantenköpfige, indische Gottheit Ganesha, die in Japan „Kangiten“ genannt wird. Sie hilft bei schwierigen Prüfungen, fördert den geschäftlichen Erfolg und soll auch bei Eheproblemen helfen. Der Tempel liegt am Awaji Berg und von hier kann man die Matsuyama Ebene überblicken, von der aus der berühmte Kōno Klan erwachsen ist. Ein weiteres Highlight dieses Tempels ist die, laut Tempelführer, 60 m hohe Betonstatue von Kōbō Daishi auf dem Berg hinter dem Hauptgebäude.

Da ist wohl was falsch gelaufen, der 60 m-Daishi soll doch laut Turkington Seite im Internet eigentlich im Tempel Nr. 51 stehen. Aber nichts desto trotz ist das hier eine eindrucksvolle, weitläufige Tempelanlage, sie liegt über der Stadt, direkt an einem Wasserreservoir. Und erst die Kirschblüten - ich bin genau zur richtigen Zeit hier eingetroffen! Während das Eingangstor etwas einfach ausfällt, es ist eigentlich nicht mehr als ein Tor mit schmalem Dach (sanmon), ist der neue Glockenturm mit den vielen bemalten Platten wieder ein Augenschmaus. Jede Platte zeigt eine Szene aus dem Leben, wie es wohl vor einigen hundert Jahren war. Eine Geschichte oder deren Hauptfigur ist für mich nicht erkennbar, aber die Bilder sind detailreich und farbenfroh gestaltet. Hier sehe ich auch eine Abbildung von Elefanten, ob die wohl was mit der elefantenköpfigen Gottheit Ganesha zu tun hat? Ich bin etwas verwirrt, was die Zuordnung der Hallen in Haupthalle (hondō) mit Fudō Myōō, Daishi-Halle (daishi-dō) und Shōden-dō (Halle von Ganesha) angeht. Aber da vor der einen Halle ein shintoistisches Tōri (Tor) steht, kann es sich nur um die Halle handeln, in der Kangiten (jap. für Ganesha) den Pilgern bei Prüfungen und Eheproblemen hilft. Kaum lasse ich mich erschöpf auf einer Bank nieder, kommen auch schon zwei ältere Damen auf mich zu, um mir selbstgebackenen, gezuckerten Zwieback, zwei Madeleins und eine Dose Tee als Osettai (Pilgergeschenk) zu überreichen. Zum Dank möchte ich ihnen meinen Namenszettel (osame fuda) überreichen, aber sie lehnen ab. Als ich ihnen aber eine meiner zweiseitig gestalteten, bunten Visitenkarten anbiete, wollen beide auf einmal doch ein Pilgerzettel von mir haben, da sie gelesen haben, dass ich eine „Frau Doktor“ bin. Ich erkläre ihnen noch, dass sich das Kürzel Dr. rer nat auf den Dokotor für Biologie („dōbutsu no hakase“) bezieht, aber die beiden Damen haben schon ihr nächstes „Opfer“ erspäht und lassen mich hier mein Päuschen in aller Ruhe verbringen. Hier hinter dem Glockenturm, steht ein Gorinto, ein Steintürmchen aus 5 Teilen, die jeweils für die 5 Elemente stehen und wiederum dahinter entdecke ich sogar die Statue vom oben erwähnten Ippen, der hier sitzt und seine Hände unter seinem Gewand verbirgt. Wenn ich heute noch mein Tagesziel, Tempel Nr. 51, schaffen will, muss ich jetzt aber aufbrechen, obwohl ich hier im Kirschblütenregen noch länger hätte verweilen können. Auf dem Rückweg zum Tor mache ich noch Fotos vom den Schwertlilien bzw. Iris und auch vom Eisverkäufer auf dem Parkplatz, der seine „Aisukurimu“ (eng. icecreme) anbietet und wohl auf eine Buslandung Pilger wartet. Jetzt laufe ich schon fast den ganzen Tag auf geteerten Straßen. Aber zum Glück kommt Matsuyama City immer näher. Am Straßenrand stehen Schilder mit der Aufschrift „Matsuyama City Guid Map“, jetzt muss ich nur noch über ein Flüsschen, um Tempel Nr. 51 zu besuchen. Doch im Moment ist die Umgebung noch ländlich bis kleinstädtisch. An einem Bambushain sehe ich einen älteren Herrn Bambussprossen ausgraben, die er dann säubert und in ein Plastikkörbchen legt. Man muss sich doch wundern, wie viele Japaner sich noch aus der Umgebung versorgen. Bei uns in Deutschland könnte man allenfalls Pilze oder Beeren sammeln, doch wer macht sich denn noch solche Arbeit, wo man es im Supermarkt viel einfacher haben kann? Eine Tankstelle mit dem Schriftzug „Esso“ und eine Cafe mit der Aufschrift „Cake & Tea“ sowie „Patisserie francaise – Boomarang“ lassen mich schmunzeln. Hier in Japan wird einfach alles Ausländische in einen Topf geworfen, durchgerührt und als Sprachmischmasch wieder zu Tage gefördert. Nicht auszudenken, man läuft in Deutschland mit einem T-Shirt mit japanischen Schriftzeichen rum, da weiß man ja auch nicht was sie bedeuten, es sieht einfach nur interessant aus. Die knapp 3 km von Tempel Nr. 50 bis Tempel Nr. 51 bringe ich schnell hinter mich und schon stehe ich am Eingang zum Tempelkomplex des Ishiteji.

Exkurs Tempel Nr. 51 Ishiteji (石手寺)
„Der Tempel der Stein Hand“ geht auf die Legende vom Emon Saburō zurück, der, wie wir bei Tempel Nr. 12 erfahren haben, die Bettelschale des Daishi in 8 Teile zerbrochen hatte. Nachdem ihm seine 8 Söhne in kürzester Zeit verstarben, erkannte er in dem Bettler den Wandermönch Kukai, wie Kōbō Daishi zu Lebzeiten hieß. Er machte sich also auf den Weg, den Daishi in den Tempeln Shikokus zu suchen, um sich zu entschuldigen. Nachdem er 20 Runden um die Insel im Uhrzeigersinn gedreht hatte, traf der ausgezehrte Mann den Daishi auf seiner 21. Runde, die er diesmal im Gegenuhrzeigersinn lief. Der sterbende Pilger bat Kōbō Daishi um Vergebung und der Wandermönch entgegnete ihm, dass er mit seinen Tempelbesuchen seine Sünden gebüßt hätte und er ihm einen letzten Wunsch erfüllen könne.
Sein letzter Wunsch sei es, als Herr der Provinz Iyo (Ehime) wiedergeboren zu werden, um so die Möglichkeit zu haben, Gutes zu tun. Der Daishi schrieb etwas auf einen Stein und drückte es dem Sterbenden in die linke Hand, der friedlich verstarb. Den Leichnam beerdigte der Mönch am Wegesrand zwischen Tempel Nr. 11 und Nr. 12. Als Markierung stieß er Saburōs Stab in den Boden, der sogleich Wurzeln schlug und zu einer mächtigen Zeder heranwuchs. Als nun im frühen 17. Jahrhundert die Ehefrau des Herr von Yuzuki Castle einen Jungen zur Welt brachte, der seine linke Hand bis zu seinem 3. Lebensjahr nicht öffnen konnte, wurde ein Priester aus dem Anyōji Tempel gerufen. Er konnte die Hand des Kleinen öffnen und es kam ein Stein mit der Aufschrift „Reinkarnation von Emon Saburō“ zum Vorschein. Als Erwachsener übernahm er die Herrschaft über Yuzuki Castle und benannte den Anyōji Tempel im Andenken an diese Begebenheit in Ishieji um.

Der Tempel wurde 728, damals noch unter dem Namen Anyoji, vom Lord von Ivo auf Geheiß des Kaisers Shōmu (701-756; 45. Tennō) begründet. Die Hallen dienten dem Gebet um nationale Sicherheit. 729 besuche Gōgi (668-749) den Tempel, der zu dieser Zeit noch zur Hōsō Sekte gehörte. Er schnitze die Statue des Yakushi Nyorai und weihe ihm den Tempel. Als 813 Kōbō Daishi hier am asketischen Training teilnahm, konvertierte der Tempel zum Shingon Buddhismus. 893 wurde der Tempel in Ishiteji umbenannt. 1251 wurde die Glocke gegossen, die heute als Nationalschatz und japanisches Kulturgut zählt. 1318 wurde das Niōmon (Tor mit Wächtern) von Kōno Michitsugu gebaut und 1333 der Glockenturm, aber im 16. Jahrhundert wurden die meisten der ehemals 64 Gebäude zerstört. Bemerkenswert sind hier noch der spiegelartige Kirschbaum (kagami-sakura), die Brücke zum Tempel (arai ishi), die auch „Wasch Stein“ genannt wird, und vor allem das Schatzhaus, in dem der Stein aus der Hand (Tama-no-ishi) des Emon Saburo aufbewahrt wird.

Der Eingang ist mit vielen Statuen bestückt, eine bronzefarbene Kōbō Daishi Statue ohne Hut, ein Drachen mit einer Gottheit - vermutlich Yakushi Nyorai, ein Brunnen mit einem dunklen Stein-Daishi und unzählige Jizōs empfangen hier den Pilger. Sogar eine, vermutlich aus Stein gehauene, Figur des knienden Emon Saburō ist hier aufgestellt. Die Brücke mit der Bezeichnung „Wasch-Stein“ beruht wohl darauf, dass man hier früher Wäsche waschen konnte, da die Brücke nur ein wirklich kleines Flüsschen überbrückt, das vor dem Tempel die ganze Straße entlang fließt. Ein überdachter Gang führt durch eine kleine Ladenpassage, die aber zurzeit komplett verrammelt ist. Am Ende steht das Tor, in dem riesige Strohsandalen hängen, aber schon vorher gibt es einen kleinen Abzweiger, der über ein weiteres, kleines Tor zu einer Tempelhalle führt. Im Gang sind auch ein Informationsschild in Englischer Sprache und eine Metallbox für Stempel aufgestellt, bei der sich Touristen eigenhändig „einen aufdrücken“ können. Als ich das Tor durchschritten habe, kommen mir Schwaden von Räucherstäbchen entgegen geweht. Mein Blick fällt sofort auf die dreistöckige Pagode und die riesige Vajra (rituelles Kampfzepter), die vor der Haupthalle aufgestellt worden ist. Besonders begeistert bin ich vom Gestell, an dem unzählige 1000-Kranich-Origamis (jap. Papierfaltkunst) hängen – ein Gewusel aus allen Größen und Farben. Ich durchstreife das Tempelgelände, nachdem ich meine Sutren rezitiert habe. Etwas seltsam wirkt eine Ansammlung Statuen auf mich – Männchen mit Hüttchen, die mich an die Stein-Kolosse auf den Osterinseln erinnern. Aber auch die übrigen Statuen, sie sollen wohl die 7. Glücksgötter in Holz darstellen, machen eine etwas schrägen Eindruck. Vielleicht war auch nur der Schöpfer dieser Figuren etwas schräge drauf? Ich finde ein Gebäude, das von außen wie eine christliche Kirche wirkt, aber ein Dach wie eine indische Stupa aufweist (ringförmig und weiß). Innen steht ein schlichter Altar, aber auf der Decke ist ein farbenprächtiger Phoenix vor blauem Hintergrund abgebildet. Links von der Haupthalle, liegt das Pilgerbüro, es ist eine Tempelhalle, vor der ein riesiger Lampion ähnlich des Asakusa Tempels in Tokyo hängt. Kaum habe ich mein Pilgerbuch signieren lassen, quatsch mich auch schon ein fast zahnloser Typ an. Redet was von Kōbō Daishi und zeigt immer auf die Pagode. Schließlich und endlich merke ich dann doch, dass er mir nur die riesige Daishi Figuren zeigen will, die hier zwischen den beiden obersten Dächern der Pagode zu sehen ist. Als er mit mir jedoch Kraniche falten will, mache ich mich aus dem Staub. Es ist zwar noch recht früh, aber ich muss noch die Jugendherberge finden und ein Postamt, damit ich meine Reisekasse wieder aufstocken kann. Beim Gehen fällt mir eine Tafel am Tor ins Auge, welches die schlechten und die besonders schlechten Jahre eines Mannes oder einer Frau aufzählt. In diesen Jahren ist die Wahrscheinlichkeit einem Unglück zum Opfer zu fallen besonders hoch. Da ich meinen 38. Geburtstag am 13. Juli feiere, bleiben nur noch wenige Wochen bis ins rettende Ziel. Außerdem bin ich auf Pilgerreise, das sollte mich vor schlechtem Karma bewahren und bis jetzt ist doch auch fast alles gut gelaufen.

Ich verlasse den Tempel und laufe die Straße entlang. Auf der Suche nach dem Weg zum Matsuyama Youth Hostel (Jugendherberge) frage ich eine Frau mit Fahrrad, ob ich die Treppen nehmen oder mich besser den Weg hoch quälen sollte. Kurzerhand zieht sie mich in das nächste Geschäft und fragt ihrerseits den Ladenbesitzer auf Japanisch. Ich kann beide Wege nehmen, da beide am Youth Hostel vorbeiführen. Schnell bin ich den Berg hochgelaufen, die Treppen hätten übrigens über das Gelände des Isaniwa Schreins geführt, dessen Zuwegung aber wiederum am Hostel vorbeigeführt hätten. In der Jugendherberge frage ich nach einem Zimmer und da ich es um 15.00 Uhr beziehen kann, lasse ich mein Gepäck im Aufenthaltsraum und mache mich auf die Suche nach einer Postfiliale mit Geldautomaten.

Ich trabe also wieder den Berg hinunter Richtung Innenstadt. Ich komme an einer riesigen Uhr (botchan gizmo clock) vorbei, die wie eine kleine Pagode wirkt und nach einer berühmten japanischen Novelle (botchan) gestaltet worden ist. Hier baden müde Passanten ihre Füße in einem dafür vorgesehenen Brunnen. Ich treffe auf einen kleinen Bahnhof, vor dem eine Dampflokomotive steht. Nach einem kurzen Abstecher durch die Ladenpassage, komme ich endlich beim berühmten Dōgo Onsen, Japans vermutlich berühmtestes und ältestes (3000 Jahre) Thermalbad raus. Es ist ein vielleicht dreistöckiges Gebäude, das aus mehreren Nebengebäuden besteht, aber dennoch recht kompakt wirkt. Das Gebäude zählt zu den „Nationalen Schätzen“ Ich umrunde es mehrfach, doch im Moment wird wohl gerade Großputz gemacht: Ich kann drei Angestellte mit Wischmopp und Staubtüchern sehen, und auch die Rikshas vor der Tür sind leer. Ich glaube nicht, dass um diese Zeit schon jemand ein Bad nehmen möchte, aber am späten Nachmittag wird es hier erst so richtig geschäftig: Wenn Touristen Fotos machen wollen und die Badehausgäste, natürlich bekleidet in Yukata (Baumwollkimono), einen Spaziergang wagen.

Da ich jetzt als Tourist, nicht als Pilger, unterwegs bin, gönne ich mir eine kurze Fahrt mit der Straßenbahn um den Shiroyama Park mit der Burg von Matsuyama. Vor dem Präfekturmuseum steige ich aus, da ich nicht genau weis, wie weit ich fahren muss, da das Postamt nicht direkt am Park liegt. Ich laufe noch drei Haltestellen weiter. Immer am Burggraben von Matsuyama, in dem sich Vögel tummeln und ich auf Ruhestellen einige Schildkröten erspähen kann, entlang. Schnell finde ich das Postamt und hebe Geld am ATM Automaten ab. Ich kann wieder aufatmen und meine weitere Pilgerreise ist gesichert. Da heute Freitag ist und die Postämter meist nur bis 15.00 Uhr geöffnet haben, bin ich doch heilfroh, dass ich es noch geschafft habe. Jetzt kann ich auf dem Rückweg noch einen Abstecher zum „Matsuyama Castle“, Matsuyama bedeutet übrigens „Pinienberg“, machen.

Infomaterial über Aktivitäten in und um Matsuyama sogar in Deutsch:
http://www.mcvb.jp/book/g/

Aber erst mal muss ich den Eingang bzw. Aufgang zur Burg finden, denn hier im Shiroyama Park wird kräftig gebaut und überall sind Wege mit Absperrgitter verstellt. Das Laufen in der prallen Sonne ist auch nicht sehr angenehm. Da ich meine Pilgerausrüstung in der Jugendherberge zurückgelassen habe, nicht nur den Rucksack, sondern auch Hut und Stock, ist es jetzt ein ganz seltsames Gefühl ohne diese „Weggefährten“ zu wanden. Meinem Gesicht habe ich eine Extra Portion Sonnenblocker 50 +++ gegönnt, aber trotzdem merke ich, wie die Sonne in Japan beißt. Der Weg mäandert den Berg hoch, erst noch bewaltet, später mit riesigen Felsbrocken besichert. Doch plötzlich reißt mich ein kleines Tier aus meinen Gedanken, welches kreischen vor mir den Weg überqueren will, mich sieht und dann doch das Heil in der Flucht sucht. Ich denke, dass es eine Art Marder oder Frettchen war. Ich bin immer wieder erstaunt, wie in japanischen Großstädten es immer noch Rückzugsgebiete gibt, wo Wildtiere überleben können. Bestes Beispiel hierfür sind die Japan Makaken, wilde Affen, die eigentlich zurückgezogen in den Bergen leben, doch in Orten wie Kyoto, Nikko, aber auch hier auf Shikoku (mein Erlebnis am Ōsahiko Schrein) nicht nur leben, sondern sich sogar mit den Touristen „arrangiert“ haben. Man soll sie auf keinen Fall füttern, was die meisten Touristen nicht beherzigen, da die Viehcher sich so an den Menschen gewöhnen und immer dreister werden, wenn sie erst die natürliche Scheu verloren haben. Ich setze nach diesem Schrecken meinen Weg fort und wundere mich, dass mir plötzlich Menschen in rosa Kitteln entgegenkommen, die jeweils zu dritt einen Rollstuhlfahrer, rücklings den Pfad herunter bucksieren. Oh nein, denke ich, Ausflug des Altenheims! Und genau das spielt sich vor meinen Augen ab. Alte Menschen, in Rollstühlen und Gehbehinderte werden hier auf dem Platz mit einer Ladenzeile gesammelt. Man hat Stühle aufgestellt, damit die alten Herrschaften bei der Hitze nicht zusammenklappen. Die Helfer und Helferinnen in Rosa bringen Menschen, stellen sie hier ab und laufen erneut nach oben zur Burg, um einen neuen Schwung Greise zu holen. Mein Gott, müssen die denn unbedingt einen Ausflug auf die Burg machen? Ich weiß ja, dass Japan meist behindertengerecht bzw. rollstuhlgerecht ausgebaut ist, aber muss man den alten Leutchen bei der Hitze eine derartige Tortour zumuten? Hätte es nicht auch ein Ausflug durch einen ebenerdigen, grünen Park sein können? Aber das ist Japan! Ich habe mir derweil ein „Grünen Tee“ Eis (macha) gekauft, dass mich wieder auf normale Betriebstemperatur herunterkühlt. Jetzt erkenne ich auch, warum die Leute hier zusammengekarrt werden. Von hier läuft eine Seilbahn bis in die Stadt. Die werde ich für meinen Rückweg nutzen, beschließe ich, und frage mich, warum man die Seilbahn nicht im Kartenmaterial findet. Als ich mich dann die etlichen Treppen nach oben gearbeitet habe, erhalte ich beim Kauf der Eintrittskarte sogar noch Prospekt in englischer Sprache. Pamfueto (engl. Pamphlet) wird diese Broschüre hier betitelt, obwohl die deutsche Bezeichnung „Schmähschrift“ für Pamphlet hier fehl am Platze wäre. Es ist zwar nur eine Kopie, doch wird ausgiebig über die Geschichte, den Aufbau, den Sinn und Aufgabe der vielen Tore und Türme berichtet.

Exkurs Matsuyama Castle – die Burg von Matsuyama (松山城; Matsuyama-jō)
http://www.matsuyamajo.jp/
Die Burg von Matsuyama wurde 1603 auf dem Berg Matsuyama („Pinienberg“; 132 m) in der Dogo Ebene erbaut und sollte nicht mit der Burg Mitchuu Mastsuyama verwechselt werden, die in der Präfektur Okayama in Takahashi (auch “Takahashi Castle“) steht. Matsuyama-jō befindet sich in der Stadt Matsuyama in der Präfektur Ehime (früher Iyo) auf Shikoku. Ursprünglich von Katoh Yoshiaki, dem damaligen Herrscher von Masaki, errichtet, wurde das dreistöckige Hauptgebäude (tenshu) 1627 vollendet. Der Burgherr wurde jedoch nach vom damaligen Shogun nach Nordjapan zur Burg Aizu beordert. Der nächste Lord von Matsuyama, Tadachika Gamo, der aus der nördlichen Präfektur Yamagata stammt, starb schon 1635, kurz nachdem das äußere Steinwall vollendet wurde. Der nächste Burgherr war Matsudaira Sadayuki, unter ihm wurde ein neues Hauptgebäude im Jahre 1642 erstellt. Seine Erben führten die Burg weiter, bis am Neujahrstag im Jahre 1784 die Burg durch Blitzeinschlag völlig niederbrannte. Das derzeitige Hauptgebäude stammt aus dem Jahre 1820 bzw. 1854. Während die Burg die Meiji-Restoration schadlos überstand, wurden Teile der Burg im 2. Weltkrieg erheblich zerstört. Seit 1966 bemüht sich die Stadt von Matsuyama, die Burg zu restaurieren. Heutzutage ist sie über den „Matsuyamajoo Ropeway“, eine Seilbahn mit Gondeln und einen Sessellift zu erreichen.

Japanische Burgen gliedern sich wie folgt von außen nach innen: Von den vorgelagerten Wällen (dorui) gelangt man meist an einen mit Wasser (mizuhori) gefüllten oder leeren (karahori) Graben. Das Hauptgebäude (tenshukaku) ist auf einem Steinsockel (ishi gaki) errichtet, der eine Art Innenhof bildet, um den sich noch weitere Steinmauernringe scharen können, d.h. „honmaru“ als erster Ring, „ninomaru“ (jap. zwei + rund) als zweiter Ring bis zu vier Steinringe aufweisen, von denen der letzte „tsume no maru“ genannt wird. Durch Tore (jōmon) und an Türmen (Yagura; jap. „Pfeillager“) vorbei, nähert man sich dem Hauptgebäude. Man unterscheidet hier das eigentliche Hauptgebäude (daitenshukoku) von dem ihn angebauten Nebengebäuden (shōtenshukaku). Grundsätzlich gliedert sich das Hauptgebäude in Etagen (-kai) und Ebenen (-sō). Die Dächer und Etagen bzw. Ebenen sind nicht gleichzusetzen, da es u.a. Zwischenetagen gibt. Das Dach wird als „irimoya“ bezeichnet, an dem man japanische Giebel, sogenannte Regenpfeifergiebel (chidori hafu), von chinesischen „kara hafu“ unterschieden werden. An den Giebelecken findet man meist die Shachihoko, „Giebelkarfen“, das sind vergoldete Statuen von Mischwesen aus Tigerkopf und Fischkörper, die die Burg vor Feuersbrünsten schützen sollen. Traditionell gibt es keine Fenster, sondern nur Schiessscharten (hasama), da es sich hier um einen Schutzeinrichtung und nicht um einen Palast handelt. Dies spiegelt sich auch in der Vielzahl von Toren wieder, von denen es neben dem als Tigerpforte (koguchi) betitelten Eingang und dem Pferdeausgang (umadachi) auch Scheintore und Verteidigungstore gibt, an denen potentielle Feinde aufgehalten werden konnten.

Im Matsuyama Castle heißt es wieder Schuhe aus und Plastiklatschen an. Wie sooft in Japan muss man die Schuhe wechseln oder bekommt Plastiküberzieher für die Straßenschuhe ausgehändigt. Nachdem ich mich die Stockwerke hochgearbeitet habe, ich habe immer Probleme mit meinen großen Füßen und den kleinen Plastiklatschen die Treppen hoch zu kommen, genieße ich einen fantastischen Blick über die Stadt. Tafeln, die hier oben angebracht sind, erklären dem Betrachter, welche Gebäude jeweils in seiner Blickrichtung stehen. Glücklicher Weise sind nicht allzu viele Besucher unterwegs, so dass ich in Ruhe Fotos schießen kann. Von hier oben kann ich sogar den Beton Kōbō Daishi von Tempel Nr. 51 ausmachen. Ein Häusermeer vor dem blass-blauen Ozean, wo nur hier und da die grün bewalteten Berge wie Adern ins graue Zentrum ziehen. Die Burg erinnert mich verdammt an Kochi Castle, denn auch hier gibt es einen Vorplatz mit Kirschbäumen und einige Shops, die zur „Tea Time“ oder zum Picknick einladen. Auch die bereits erwähnten „Delfin-Fische“, Glücksbringer, die Brände verhindern sollen, schmücken hier die Dächer. Meinen Rückweg trete ich per Seilbahn an. Mit einer Gondel geht es wieder in die Stadt, aber ich hätte auch den Sessellift nehmen können, der hier parallel zur Gondelbahn verläuft. Auf meinem Weg zurück zur Jungendherberge stöbere ich noch in diversen Shops. Ich liebe japanische Handarbeiten, kleine Patchwork Katzen, Anhänger, Kimonozubehör. Es gibt hier sogar Geschäfte, die nur Artikel mit Katzen führen, Katzen auf allen nur erdenklichen Sachen – vom Katzenstofftier, über Kleidung bis zur Brosche, Kaffeebecher usw. Ich bewundere noch eine Shaku Hachi (Flöte), Koto (jap. Zitter) und eine Shamisen (jap. Zupfinstrument der Geisha) in einem Laden für Musikinstrumente, doch dann entdecke ich ein McDoof. Seit Neustem gibt es hier sogar Hot Dogs zu kaufen, sie werden als „Mega Sausage“ angeboten, aber ich bleibe bei meiner Standartwahl - Cheesburger und Chicken Nuggets mit „masutatu soso“, eine Senf-Sauce, die es nur hier in Japan gibt. Auf dem Weg zur Jugendherberge begegnet mir noch die Touristenbahn von Matsuyama, eine Miniatur-Dampflokomotive mit zwei Personenwagen, die aber weder mit Dampf noch mit Stromabnehmern fährt. Ich tippe auf einen Elektromotor. Noch ein kurzer Abstecher ins Daily Yamasaki, einem 24-Stunden-Shop, in dem ich mein morgiges Frühstück und etwas Proviant kaufe und schon bin ich wieder zurück in der Jugendherberge und kann mein Zimmer beziehen. Es ist mit einem Etagenbett und Tatamimatten, ähnlich dem in Kochi, ausgestattet und ich bezahle als Einzelperson 3360 Yen. Leuchten gelbe Aufkleber, die hier überall verteilt sind, zeigen eine Frau mit einer Katze und der Aufschrift „haha ami – sumairu“, was wohl so viel wie „Herbergsmutter Ami – grins (smile)“ bedeuten soll, obwohl ich bei einem Mann eingecheckt habe. Das Gelb passend zur Gebäudefarbe, denn die ist auch leuchten Gelb. Es gibt hier einen Gemeinschaftraum mit Kanonenofen, eine Bücherei, Internetanschluss und ein kleines Lädchen, in dem der Herbergsvater Kleinigkeiten zu Essen und Hygieneartikel verkauft. Es ist hier richtig gemütlich und von der Waschmaschinen-Trockner-Kombi bin ich besonders begeistert. Wäschemachen in einem Durchgang – das ist Japan! Als ich heute Abend zu Bett gehe, frage ich mich, wie schön es doch wäre, hier als Tourist noch einige Tage verbringen zu können.