Der 26. Tag in Japan
Das Frühstück ist auf 6.00 Uhr angesetzt – wie gesagt – Pilger stehen früh auf, um das Tageslicht auszunutzen. Aufgestanden wird heute schon um 5.30 Uhr. Meine Sachen habe ich schon am Vorabend bepackt. Neugierig wie ich bin, gucke ich durch die Schiebetür (shoji) in meinem Zimmer (heya). Sie trennt mein Zimmer von einem weiteren Zimmer mit Ziernische (tokonoma). So wird ein Zimmer für zwei Personen zum Einzelzimmer gemacht. Beim Frühstück (asa gohan; „Morgenreis“) im Shokudō (Speisesaal) leisten mir zwei Busladungen ältere Japaner und Japanerinnen Gesellschaft. Ich bediene mich aus dem Reiskocher (Reis; gohan), der direkt vor dem Kōbō Daishi Altar steht. Von der netten Kellnerin wird mir erläutert, dass man das, diesmal sogar hartgekochte, Ei (tamago) abpellt und mit Salz (shio) bestreut. Dies soll auch das einzige Mal sein, bei dem ich mein Morgenmahl mit hartgekochtem Ei zu mir nehme. Dass ich hier Salz vorfinde, ist ebenso erstaunlich, da man meist mit Soja Sauce, Seetang oder Würzfischchen die Speisen aufpeppt. Neben den mit Bonito Flocken (Trockenfischflocken) bestreuten, weichen Frühstückstofu, gibt es noch ein Stückchen Lachs (sake) mit eingelegter Pflaume (ume-boshi), ein Schüsselchen mit eingelegtem Rettich (daikon), zwei kleine Häufchen aus Spinat (hōrensō) und Seetang (konbu), dem obligatorischen Tütchen getrockneten Seetang für den Reis, sowie die Würze aus Fischchen und geriebenen Rettich. Abgerundet wird das ganze mit einer Miso-Suppe (Würze auf Sojabasis) mit Einlage. Nachdem ich mich von den niedrigen Tischchen wieder aufgerappelt habe, gehe ich in den direkt angrenzenden Pilgerladen, um meine Rechnung von 6800 Yen zu begleichen. Übernachtung, Gemeinschaftsbad, reichlich Abendessen und kleines Frühstück – da kann man nicht meckern. Meine beiden Magdeburgerinnen sind noch nicht zu sehen, die werden ausschlafen und dann mit dem nächstmöglichen Bus, die Bushaltestelle habe wir noch gestern erkundet, nach Matsuyama fahren.
Ich laufe an den Abzweigern von Tempel Nr. 46 und Nr. 47 vorbei. Bis zum Bangai Tempel Nr. 9 ist es zwar nur ein Katzensprung, die in Bau befindliche Straße erschwert allerdings die Orientierung. Am Wegesrand fällt mir der ausgewachsene Kohl auf, es handelt sich hierbei um eine Zierpflanze mit heller bzw. violetter Grundfarbe, die spitz auswächst und dann gelbe Blüten trägt. Besonders interessant finde ich einen Strauch, der nur wenige Äste und Blätter aufweist, die aber wie aufgesteckte Plättchen auf einer Stange wirken.
Exkurs Bangai Tempel Nr. 9 Monjuin/Tokuseiji (文珠院/徳盛寺)
„Der Gipfel der Tugend Tempel“ ist von Kōbō Daishi gegründet worden und Jizō Bosatsu gewidmet. Leider kann ich keine weiteren Infos im Netz finden, dabei macht der Tempel einen sehr interessanten Eindruck. Vor allem die riesige Statue von Kōbō Daishi und eine Geschichte, die hier auf Steinplatten festgehalten ist, interessieren mich. Eine kleinere Figur mit femininen Zügen könnte Saburo sein, der auf seiner Suche nach dem Daishi über 20 Runden auf der Pilgerreise hinter sich gebracht hatte, bevor der sterbend in den Armen des Mönchs Vergebung erlangte. Hier stehen aber auch Statuen von Fudō Myōō, den 7 Glücksgöttern (shichijukujin) und einem Tengu, einem Bergkobold, der von den Yamabushi (Bergasketen) aufgrund seiner Kampfkünste verehrt wird. Im Tempel wimmelt es von Katzen, die hier und da herumliegen, und einen verdrießlichen Eindruck machen, als würde ich sie beim Dösen stören. Aber jetzt geht es voll zur Sache und das morgens um 7.30 Uhr! Als sich eine Katze und ein Kater beginnen vor meinen Augen zu amüsieren, flüchte ich ins Pilgerbüro und werde von einem quäkenden „Konnichi wa“ (Guten Tag) begrüßt. Verdutzt schaue ich mich um und entdecke schließlich einen kleinen schwarzen Vogel mit gelbem Fleck in einem Käfig am Boden. Ein Beo, denke ich bei mir, die gehören mit zu den sprachbegabtesten Vögeln überhaut. Aber bei den vielen Katzen würde ich den Vogel nicht ohne Weiteres auf den Boden stellen. Vielleicht kann der ja bei Bedarf nach Hilfe rufen, sollte sich eine der fetten Tempelkatzen durch die Schiebetür quetschen. Schnell hat der Tempelvorsteher, der mit seinem langen Bart auf mich wie ein Hippi wirkt, mein Pilgerbuch (nokyochō) gestempelt und beschriftet. Noch ein Foto vom Löwen am Weihrauchgefäß und schon geht es in Richtung Tempel Nr. 48.
Ich schieße ein paar Fotos der Umgebung, ein paar Blumen, ein Weizenfeld, sogar von dem Toiletten Ensemble am Inari Schrein, der hier mit dem Fudahajime-Daishidō vergesellschaftet ist, mache ich ein Foto. Ich laufe Richtung Matsuyama, ich hasse Städte, nicht nur weil einem das Gewimmel der Zivilisation auf die Nerven geht, sondern weil die Pilgerschilder zwischen den ganzen anderen Infos nur schwer zu finden sind. Bei einer Pause am Circul-K Kombini (24-h-Shop), kaufe ich mir einen Dreierpack Brötchen. Doch sie sind nicht wie vermutet mit Vanille Creme („kasutardo“) oder süßem Bohnenmus (Azukibohnen: an oder anko) gefüllt, nein es ist Margarine. Ich merke wieder wie sehr mir mein europäisches Frühstück mit Brot, Butter und Marmelade fehlt. Morgens brauche ich einfach viel Zucker, um in die Gänge zu kommen. Ich passiere den Fluss Shigenobu, den angrenzenden Golfplatz und sehe wie ein Bauer sein Feld bestellt. Sein Ackergerät hat er dekorativ an seinen Schuppen gehängt. Geschützt durch einen großen Hut und natürlich Handschuhen, rückt er dem Acker mit einer Hacke an das Unkraut.
Vor Tempel Nr. 48 fängt mich ein dicker, roter Kater ab. Den roten Tigern kann ich nicht widerstehen, auf die bin ich schon als Kind geprägt worden, da meine erste Hauskatze so ein süßer, blauäugiger Bratzen war. Nach einer Runde Streicheln überquere ich die gewölbte Brücke vor dem Tempelgelände und betrete Tempel Nr. 48 durch das eindrucksvolle Niōmon (Tor mit Wächterfiguren).
Exkurs Tempel Nr. 48 Sairinji (西林寺)
„Der Tempel des westlichen Waldes“ wurde 741 von Gyōgi auf Geheiß des damaligen Landesherrn von Ehime, Tamamizu Ochi, gegründet. Von Gyōgi sollen auch die Statuen von Fudō Myōō und Bishamonten stammen. Aber 807 wurde der Tempel von Kōbō Daishi an den jetzigen Ort verlegt, an dem er auch die Jūichimen Kannon (Elfgesichtige Kannon) Statue als Honzon (Hauptgottheit) geschnitzt hat. Wie schon in so vielen anderen Tempeln hat der Daishi hier eine Quelle entspringen lassen (tsue no fuchi – Quelle des Stocks) indem er seinen Wanderstock in die Erde stieß. Das Tempelareal liegt hier tiefer als die Umgebung und die naheliegenden Ufer des kleinen Flusses Shigenobu. Deshalb steigt man zur Haupthalle (hondō) hinunter, nicht hinauf wie bei den anderen Tempeln. Aufgrund dieser Gegebenheit wird der Tempel auch Mugen Jigoku genannt, wobei „jigoku“ das japanische Wort für Hölle ist. Während man also zum „Reine Land“ (Reine Land Kannons; Art Paradies) hinaufsteigt, steigt man hier in die Hölle hinunter. Im japanischen Buddhismus gibt es 19 Stufen der Hölle – 8 brennende Höllen, 8 gefrorene Höllen und drei Höllen der Isolation. Der Sairinji Tempel zählt zu den „Hindernistempeln“ (sekisho) der Präfektur Ehime, die dem sündigen Pilger den Eintritt durch das Haupttor verwährend bzw. in diesem Fall ihn sogar direkt in die Hölle schicken. Die Tempelgebäude brannten zwischen 1624 und 1644 komplett nieder und wurden erst um 1700 vom fünften Herrn von Matsuyama, Sadahide Matsuaira, wiederaufgebaut. Die Besonderheit des Haupttempels liegt darin, dass die Kannon Statue nie öffentlich zur Schau gestellt wird, sondern mit der Vorderseite zur Rückseite des Tempelgebäudes weist. Demnach huldigen die Gläubigen der Gottheit, indem sie an der Rückseite des Haupttempels beten. Rechts der Haupthalle, vor einem Gebäude, das Ema-dō genannt wird, gibt es ein „Eltern-Bambus“ und ein „Kinderbambus“, die die häusliche Harmonie der Generationen untereinander fördern soll.
Im naheliegenden Jo-no Fuchi Park, hat die Daishi Quelle einen Teich gebildet (take no fuchi – Bambus Ufer), dessen Wasser die Einwohner einst vor dem Verhungern bewahrte, da ihre Reisfelder alle verdorrt waren. Die so geretteten Reisbauern haben zum Dank eine Kōbō Daishi Statue errichtet.
Manchmal ist man echt blind, dabei achte ich schon immer auf besondere Bäume und Pflanzen, die eine eigene Geschichte haben könnten. Meist steht auch ein Schild in der Nähe, so dass auch derjenige die Wichtigkeit dieser Pflanze erahnen kann, der des Japanischen nicht mächtig ist. Aber die Bambuspflanzen habe ich leider nicht gesehen, dafür das nette Gärtchen in der Ecke mit Steinlaterne, die tollen Pfingstrosen, niedrige Palmenpflanze und selbst die kleine Bonsaizucht, habe ich fotografiert. Die Buddha Figur mit dem daneben stehenden Stein, aus dem durch ein Bambusrohr Wasser in einen großen Kübel mit Fischchen fließt. Ist das vielleicht die Tsue-no-fuchi Quelle? Während das alte, dunkle Tor mit den Wächterstatuen und dem Kaninchendraht eher wie ein Vogelkäfig wirkt, scheinen einige Gebäude erst vor kurzer Zeit errichtet bzw. repariert worden zu sein, da das Holz noch leuchten gelb ist. Am Tor steht auch ein Holzkasten, der neben den japanischen Kanji (Symbolzeichen), die Aufschrift „Haiku Post“ in Romaji (lateinische Lettern) aufweist. Da kann man wohl selbstverfasste Gedichte einwerfen, doch werden diese gesammelt und veröffentlich – was geschieht also mit dieser „Post“? Ich sehe hier auch einen meiner geliebten Tanuki Figuren (Dachshund), die hier mit Bettelschale im Kōbō Daishi Stil vor dem Pilgerbüro stehen.
Den Jo-no-Fuchi Park betrete ich leider nicht, da er vor dem Tempel auf der anderen Seite des Trails liegt, aber laut Karte liegt dort ebenfalls eine Art Tempel, eine offene Pilgerhütte und ein WC ist ebenfalls eingetragen. Ich komme zwar kurz hinter dem Sairinji noch an einem Teich vorbei, an dem ich einen Fischreiher fotografieren kann, doch leider ist es nicht der besagte Teich des Daishi.
Exkurs Tempel Nr. 49 Jōdoji (浄土寺)
„Der Tempel des Reinen Landes“ wurde ursprünglich von einem Priester namens Emyō in der Tenpyo-Ära (729-749) gegründet, aber es könnte auch Gyōgi gewesen sein, zumindest hat letzterer die Statue des Shaka Nyorai geschnitzt. Im 8. Jahrhundert wurde der Tempel zu einem Ort der Huldigung für die Kaiserin Kōken (718-770; 46. und 48. Tennō). Der Tempel erblühte und wurde auf 76 Hektar Land mit 64 Gebäuden vergrößert. Zwischen 774 und 835 hielt sich Kōbō Daishi im Tempel auf. 957 weilte der Sektengründer der späteren Kūya Schule des Tendai Buddhismus hier. Kūya (auch Kyūya-shōnin; 903-972), der auch Hichi-ni-Hihiri (Stadtheiliger) genannt wurde, hinterließ eine Holzstatue von sich selbst, um die er von den Bewohnern gebeten worden war, damit sie sich an ihn erinnern konnten. Zusammen mit den Statuen der ersten 3 Patriarchen der Shōdo Schule des Buddhismus, Enkō Daishi (1133-1212), Shōko (1162-12389 und Ryōchū (1199-1288), gelten sie als „Wichtiges Kulturgut“. Zwischen 1394 und 1428 begann der Abstieg des Tempels als 1416 alle Gebäude von Samurai niedergebrannt wurden. Zwar wurde der Tempel vom Kōno Clan, wenn auch im kleineren Umfang, wiederaufgebaut, doch fielen am Ende alle Dokumente und Gebäude einem verheerenden Brand zum Opfer. Erst 1481 wurde er von Michinobu Kōno wiederaufgebaut. Der Haupttempel wurde im chinesischen Stil errichtet, das Haupttor (Niōmon) stammt aus dem Jahre 1922.
Der Mönch Kūya (903-972) aus dem Tendai-Kloster predigte die erlösende Kraft des Amida (Buddha Amitabha) unter dem einfachen Volk, für das es bis dahin keine buddhistische Lehre gab, denn Schulen des Shingon und des Tendai Buddhismus waren mit ihren komplizierten esoterischen Lehren für sie nicht verständlich. Das bloße Anrufen des Amida (die Nembutsu-Formel: Namu Amida Butsu) stand im Vordergrund. Wenn diese rezitiert würde, hieß es, würde der oder die Gläubige unweigerlich nach dem Tode im Reinen Land (Paradies des Westens „Jōdō“) wiedergeboren. (siehe auch Tempel Nr. 50)
Exkurs weibliche Tennō, Thronfolge bis heute
(modifiziert nach Wikipedia http://de.wikipedia.org/wiki/Japanisches_Kaiserhaus)
Die japanische Monarchie ist die älteste ununterbrochene Erbmonarchie der Welt. Das Kaiserhaus erkennt 125 legitime Monarchen seit der Thronbesteigung von Jimmu Tennō. Als Ahnherrin gilt die Sonnengottheit Amaterasu, die Jimmu den Auftrag und die Berechtigung zur Beherrschung Japans gegeben haben soll. Die meisten Historiker schreiben den ersten vierzehn Tennō eher legendären denn historischen Charakter zu. Der momentan regierende Tennō, Akihito, ist der 125. Monarch der offiziellen Chronologie.
Historisch lief die Erbfolge zu Japans Chrysanthementhron generell über männliche Nachkommen der kaiserlichen Linie. Teilweise hat die kaiserliche japanische Dynastie ihre Langlebigkeit dem Gebrauch von Konkubinen zu verdanken, eine Praxis, die erst in der Taishō-Periode (ab 1912) zum Ende kam. Die japanische Monarchie besaß auch zu diesem Zweck bestimmte Nebenlinien. Blieb das Kaiserhaus ohne Erbe, konnte eine Nebenlinie einen Thronfolger stellen.
Vor der Meiji-Restauration (1867) hatte Japan acht weibliche Tennō, regierende Kaiserinnen. Kaiserliche Töchter und Enkelinnen bestiegen den Thron jedoch nur als „Übergangslösung“. Sie alle dankten in dem Moment ab, wo ein angemessener männlicher Nachfolger der männlichen Linie zur Verfügung stand. Drei dieser regierenden weiblichen Tennō, Suiko-tennō (33. Tenno; 592–628; 33. Tenno), Kogyoku-tennō (35. und 37. Tennō; 642-645 und 655-661), und Jito-tennō (41. Tennō; 690–697), waren Witwen verstorbener männlicher Tennō und selbst Prinzessinnen von Kaiserlichem Blut. Eine, Genmei-tennō (43. Tennō; 707–715), war Frau des Kronprinzen und kaiserliche Prinzessin. Die anderen vier, Genshō -tennō (44. Tennō; 715–724), Kōken-tennō (46. und 48. Tennō; 749-758 und 764-770), Meishō-tennō (109. Tennō; 1629-1643) und Go-Sakuramachi-tennō (117. Tennō; 1762-1771), waren unverheiratete Töchter vorhergehender Tennō. Keine dieser weiblichen Tennō heiratete oder gebar Kinder, nachdem sie den Thron bestiegen hatte.
Sowohl Artikel 2 der Meiji-Verfassung (1889) als auch der japanischen Verfassung von 1947 besagt, dass der kaiserliche Thron nur an einen männlichen Erben übergeben werden kann.
Es drohte eine Nachfolgekrise, da seit 1965 kein männliches Kind in der kaiserlichen Familie geboren wurde. Nach der Geburt von Prinzessin Aiko gab es eine öffentliche Debatte darüber, das Gesetz über die Kaiserliche Familie zu ändern, um Frauen die Thronbesteigung zu ermöglichen. Im Januar 2005 berief Premierminister Junichiro Koizumi eine ein, um mögliche Änderungen des Gesetzes zu sondieren und Gesetzesvorschläge auszuarbeiten. Eine der Optionen war, Frauen in der männlichen Linie der kaiserlichen Nachfolge die Inthronisierung zu ermöglichen. Japan fürchtete jedoch das legendäre Y-Chromosom, dass sich so viele Jahrhunderte von einem zum anderen Thronerben weitergegeben worden war, zu verlieren. Mit der Geburt des Thronfolgers Hisahito, durch die Ehefrau seiner Kaiserliche Hoheit Prinz Akishino (Fumihito), zweitgeborener Sohn von Kaiser Akihito, am 6. September 2006 ist die Debatte über die Thronfolge zumindest vorerst beendet.
Ich wandere weiter in der Ebene, immer in Richtung Matsuyama City. Auf dem Weg zu Tempel Nr. 49, ich will heute noch bis Tempel Nr. 51 kommen und mich dann in der Jugendherberge Matsuyama einmieten, sehe ich einen riesigen, mit Netzen umgespannten, Käfig. Diejenigen Japaner, die sich die horrenden Mitgliedsbeiträge in den japanischen Golfclubs nicht leisten können, gehen in so einen Käfig, um ihrer Golfleidenschaft zu frönen. Kurz bevor ich im Tempel eintreffe, sehe ich noch ein Gebäude mit einem großen, hellblauen Schild mit der Aufschrift „Kumon“ und einem verdrießlich dreinblickenden Smiley. Das ist eine Kette von Nachhilfeschulen, in der die japanischen Kinder Englisch lernen sollen. Leider haben seit der Öffnung Japans viele englische und amerikanische Fremdworte ihren Weg in die Japanische Sprache gefunden, dieses „Jenglisch“ hat zwar die Lautbildung aus der Fremdsprache, wird aber mit japanischen Silben geschrieben und auch so ausgesprochen. So dass der Begriff Kumon wohl eigentlich „Come on“ bedeuten soll, weitere Beispiele sind die schon bekannten Kombini („convenience store“; 24-h-Geschäft) oder auch Koinrandori („coin laundry“; Waschsalon). Als Resultat sprechen die Kinder die englischen Worte nicht englisch, sondern japanisch aus und müssen dann mühevoll von Muttersprachlern aus den jeweiligen Ländern korrigiert werden. Fremde Sprachen sind sowieso ein eigenes Thema in Japan. Kein Volk der Welt lernt so viele und verschiedenen Sprachen und ist am Ende dann zu schüchtern, um sie im viel zur kurzen Auslandsurlaub anzuwenden. Deshalb gibt es auch verhältnismäßig viele Sprachschulen bzw. ganze Organisationen, die Sprachunterricht, die dazugehörigen Lehrbüchern und sogar organisierte Sprachreisen anbieten. Aber zurück zum Thema – ich wäre schon froh, wenn mein Japanisch so gut wäre wie das Englisch der Japaner.
Kurz vor dem Hantaji sehe ich noch einen Schrein mit Tōri (Tor), alles schön rot, aber die Stangenkonstruktion erinnert mich an das Eingangstor vom Gefangenenlager in Bando.
Als ich den Tempel Nr. 50 erreiche fällt mir das tolle Niōmon (Tor mit Wächterstatuen) ins Auge. Es ist reichlich mit Aufkleben versehen, die es entweder vor Insektenbefall bewahren sollen oder eine japanische Form des „ich war hier“ darstellen. Heutzutage ist es verboten, die alten Holzbauten mit den Namenszetteln zu „verzieren“, da lob ich mir die Namenszettel (osame fuda), die in den dafür vorgesehenen Behältnissen am Tempel gesammelt werden. Hier am Tor hängen unzählige Lätzchen und Miniatur-Strohsandalen, letztere sind Symbol der Pilgertour. Mit diesen Gaben will man wohl die grimmig dreinblickenden Wächter günstig stimmen. Einfach süß die kleinen Latschen, denke ich noch so bei mir, wo man die wohl kaufen kann? Einige Tage später, ich hatte den Gedanken solch einen Glücksbringer kaufen zu wollen fast schon aufgegeben, finde ich auf dem Bürgersteig ein Paar. Da hat der Daishi wohl mir eine Freude machen wollen!
Exkurs Tempel Nr. 50 Hantaji (繁多寺)
„Der Tempel des großen Wohlstands“ wurde 750 von Gyōgi gegründet, er hat auch die Statuen von Yakushi Nyorai, dem dieser Tempel gewidmet ist, und von Fudō Myōō (Goma-Halle) geschnitzt, die heute zum „Nationalen Kulturgut“ zählen. Der Ursprüngliche Name des Tempels war Kōmyōji, er wird aber heute noch Hata-dera („Bauernhof Tempel“) genannter. Der Name wurde jedoch von Kōbō Daishi während seines Aufenthalts hier in Hantaji geändert. Auch Ippen Shōnin (1239-1289), späterer Gründer der Jishū Schule des Buddhismus, soll sich hier 1275 aufgehalten haben, um den Buddhismus zu studieren und zu praktizieren. Ebenso wie der Wandermönch Kūya, war er bekannt als „Wandernder Weise des Nembutsu“. Nembutsu („Buddha vergegenwärtigen“) ist einer buddhistischen Lehre, bei der das bloße Anrufen Buddha Amithabas (Namu Amida Butsu - „Verehrung dem Buddha Amitabha“) zur Widergeburt im „Reinen Land Amithabas“ führen soll. Aus dieser Art Paradies heraus, entrückt von den Schwierigkeiten des „normalen Lebens“, soll dem Gläubigen der Eintritt ins Nirvana (Auflösung) leichter fallen. Diese Lehre fand vor allem im einfachen Volk Anhänger, die durch ihre Lebensumstände nicht die Möglichkeiten hatten, buddhistischen Praktiken nachzugehen bzw. denen die esoterischen Lehren des Shingon verschlossen blieben. Aber dem Wandermönch, der sein ganzes Leben durch Japan reisend verbrachte, wird ein hitziges Temperament nachgesagt. Da er aus einer Samurai-Familie stammte, dem Kōno Klan (siehe Tempel Nr. 49), wusste er wie man sich verteidigt. Als nun seine Verwandten, die Groll gegen ihn hegten, ihn töten wollten, streckte er Onkel als auch Cousins mit dem Schwert nieder.
Zu seiner Glanzzeit zählten 36 Tempel und 120 Untertempel zum Hantaji, aber nur wenige konnten Feuer und Krieg unbeschadet überstehen. Im 11. Jahrhundert wurde der Tempel von Yoritoshi Minamoto (?) wiederaufgebaut. 1279 wurde im Tempel unter der Führung von Kaiser Go-Uda (1267-1324; 91. Tennō) für die Zerstörung der mongolischen Invasionstruppen gebetet. Sie wurden durch einen „Göttersturm“ („kami kaze“) daran gehindert in Japan zu landen. Im 16. Jahrhundert brannte der expandierende Tempel abermals nieder. Zwischen 1681 und 1684 baute der berühmte Priester Ryūko den Tempel wieder auf und erstellte einen Schrein (Shōden-dō) für die Elefantenköpfige, indische Gottheit Ganesha, die in Japan „Kangiten“ genannt wird. Sie hilft bei schwierigen Prüfungen, fördert den geschäftlichen Erfolg und soll auch bei Eheproblemen helfen. Der Tempel liegt am Awaji Berg und von hier kann man die Matsuyama Ebene überblicken, von der aus der berühmte Kōno Klan erwachsen ist. Ein weiteres Highlight dieses Tempels ist die, laut Tempelführer, 60 m hohe Betonstatue von Kōbō Daishi auf dem Berg hinter dem Hauptgebäude.
Da ist wohl was falsch gelaufen, der 60 m-Daishi soll doch laut Turkington Seite im Internet eigentlich im Tempel Nr. 51 stehen. Aber nichts desto trotz ist das hier eine eindrucksvolle, weitläufige Tempelanlage, sie liegt über der Stadt, direkt an einem Wasserreservoir. Und erst die Kirschblüten - ich bin genau zur richtigen Zeit hier eingetroffen! Während das Eingangstor etwas einfach ausfällt, es ist eigentlich nicht mehr als ein Tor mit schmalem Dach (sanmon), ist der neue Glockenturm mit den vielen bemalten Platten wieder ein Augenschmaus. Jede Platte zeigt eine Szene aus dem Leben, wie es wohl vor einigen hundert Jahren war. Eine Geschichte oder deren Hauptfigur ist für mich nicht erkennbar, aber die Bilder sind detailreich und farbenfroh gestaltet. Hier sehe ich auch eine Abbildung von Elefanten, ob die wohl was mit der elefantenköpfigen Gottheit Ganesha zu tun hat? Ich bin etwas verwirrt, was die Zuordnung der Hallen in Haupthalle (hondō) mit Fudō Myōō, Daishi-Halle (daishi-dō) und Shōden-dō (Halle von Ganesha) angeht. Aber da vor der einen Halle ein shintoistisches Tōri (Tor) steht, kann es sich nur um die Halle handeln, in der Kangiten (jap. für Ganesha) den Pilgern bei Prüfungen und Eheproblemen hilft. Kaum lasse ich mich erschöpf auf einer Bank nieder, kommen auch schon zwei ältere Damen auf mich zu, um mir selbstgebackenen, gezuckerten Zwieback, zwei Madeleins und eine Dose Tee als Osettai (Pilgergeschenk) zu überreichen. Zum Dank möchte ich ihnen meinen Namenszettel (osame fuda) überreichen, aber sie lehnen ab. Als ich ihnen aber eine meiner zweiseitig gestalteten, bunten Visitenkarten anbiete, wollen beide auf einmal doch ein Pilgerzettel von mir haben, da sie gelesen haben, dass ich eine „Frau Doktor“ bin. Ich erkläre ihnen noch, dass sich das Kürzel Dr. rer nat auf den Dokotor für Biologie („dōbutsu no hakase“) bezieht, aber die beiden Damen haben schon ihr nächstes „Opfer“ erspäht und lassen mich hier mein Päuschen in aller Ruhe verbringen. Hier hinter dem Glockenturm, steht ein Gorinto, ein Steintürmchen aus 5 Teilen, die jeweils für die 5 Elemente stehen und wiederum dahinter entdecke ich sogar die Statue vom oben erwähnten Ippen, der hier sitzt und seine Hände unter seinem Gewand verbirgt. Wenn ich heute noch mein Tagesziel, Tempel Nr. 51, schaffen will, muss ich jetzt aber aufbrechen, obwohl ich hier im Kirschblütenregen noch länger hätte verweilen können. Auf dem Rückweg zum Tor mache ich noch Fotos vom den Schwertlilien bzw. Iris und auch vom Eisverkäufer auf dem Parkplatz, der seine „Aisukurimu“ (eng. icecreme) anbietet und wohl auf eine Buslandung Pilger wartet. Jetzt laufe ich schon fast den ganzen Tag auf geteerten Straßen. Aber zum Glück kommt Matsuyama City immer näher. Am Straßenrand stehen Schilder mit der Aufschrift „Matsuyama City Guid Map“, jetzt muss ich nur noch über ein Flüsschen, um Tempel Nr. 51 zu besuchen. Doch im Moment ist die Umgebung noch ländlich bis kleinstädtisch. An einem Bambushain sehe ich einen älteren Herrn Bambussprossen ausgraben, die er dann säubert und in ein Plastikkörbchen legt. Man muss sich doch wundern, wie viele Japaner sich noch aus der Umgebung versorgen. Bei uns in Deutschland könnte man allenfalls Pilze oder Beeren sammeln, doch wer macht sich denn noch solche Arbeit, wo man es im Supermarkt viel einfacher haben kann? Eine Tankstelle mit dem Schriftzug „Esso“ und eine Cafe mit der Aufschrift „Cake & Tea“ sowie „Patisserie francaise – Boomarang“ lassen mich schmunzeln. Hier in Japan wird einfach alles Ausländische in einen Topf geworfen, durchgerührt und als Sprachmischmasch wieder zu Tage gefördert. Nicht auszudenken, man läuft in Deutschland mit einem T-Shirt mit japanischen Schriftzeichen rum, da weiß man ja auch nicht was sie bedeuten, es sieht einfach nur interessant aus. Die knapp 3 km von Tempel Nr. 50 bis Tempel Nr. 51 bringe ich schnell hinter mich und schon stehe ich am Eingang zum Tempelkomplex des Ishiteji.
Exkurs Tempel Nr. 51 Ishiteji (石手寺)
„Der Tempel der Stein Hand“ geht auf die Legende vom Emon Saburō zurück, der, wie wir bei Tempel Nr. 12 erfahren haben, die Bettelschale des Daishi in 8 Teile zerbrochen hatte. Nachdem ihm seine 8 Söhne in kürzester Zeit verstarben, erkannte er in dem Bettler den Wandermönch Kukai, wie Kōbō Daishi zu Lebzeiten hieß. Er machte sich also auf den Weg, den Daishi in den Tempeln Shikokus zu suchen, um sich zu entschuldigen. Nachdem er 20 Runden um die Insel im Uhrzeigersinn gedreht hatte, traf der ausgezehrte Mann den Daishi auf seiner 21. Runde, die er diesmal im Gegenuhrzeigersinn lief. Der sterbende Pilger bat Kōbō Daishi um Vergebung und der Wandermönch entgegnete ihm, dass er mit seinen Tempelbesuchen seine Sünden gebüßt hätte und er ihm einen letzten Wunsch erfüllen könne.
Sein letzter Wunsch sei es, als Herr der Provinz Iyo (Ehime) wiedergeboren zu werden, um so die Möglichkeit zu haben, Gutes zu tun. Der Daishi schrieb etwas auf einen Stein und drückte es dem Sterbenden in die linke Hand, der friedlich verstarb. Den Leichnam beerdigte der Mönch am Wegesrand zwischen Tempel Nr. 11 und Nr. 12. Als Markierung stieß er Saburōs Stab in den Boden, der sogleich Wurzeln schlug und zu einer mächtigen Zeder heranwuchs. Als nun im frühen 17. Jahrhundert die Ehefrau des Herr von Yuzuki Castle einen Jungen zur Welt brachte, der seine linke Hand bis zu seinem 3. Lebensjahr nicht öffnen konnte, wurde ein Priester aus dem Anyōji Tempel gerufen. Er konnte die Hand des Kleinen öffnen und es kam ein Stein mit der Aufschrift „Reinkarnation von Emon Saburō“ zum Vorschein. Als Erwachsener übernahm er die Herrschaft über Yuzuki Castle und benannte den Anyōji Tempel im Andenken an diese Begebenheit in Ishieji um.
Der Tempel wurde 728, damals noch unter dem Namen Anyoji, vom Lord von Ivo auf Geheiß des Kaisers Shōmu (701-756; 45. Tennō) begründet. Die Hallen dienten dem Gebet um nationale Sicherheit. 729 besuche Gōgi (668-749) den Tempel, der zu dieser Zeit noch zur Hōsō Sekte gehörte. Er schnitze die Statue des Yakushi Nyorai und weihe ihm den Tempel. Als 813 Kōbō Daishi hier am asketischen Training teilnahm, konvertierte der Tempel zum Shingon Buddhismus. 893 wurde der Tempel in Ishiteji umbenannt. 1251 wurde die Glocke gegossen, die heute als Nationalschatz und japanisches Kulturgut zählt. 1318 wurde das Niōmon (Tor mit Wächtern) von Kōno Michitsugu gebaut und 1333 der Glockenturm, aber im 16. Jahrhundert wurden die meisten der ehemals 64 Gebäude zerstört. Bemerkenswert sind hier noch der spiegelartige Kirschbaum (kagami-sakura), die Brücke zum Tempel (arai ishi), die auch „Wasch Stein“ genannt wird, und vor allem das Schatzhaus, in dem der Stein aus der Hand (Tama-no-ishi) des Emon Saburo aufbewahrt wird.
Der Eingang ist mit vielen Statuen bestückt, eine bronzefarbene Kōbō Daishi Statue ohne Hut, ein Drachen mit einer Gottheit - vermutlich Yakushi Nyorai, ein Brunnen mit einem dunklen Stein-Daishi und unzählige Jizōs empfangen hier den Pilger. Sogar eine, vermutlich aus Stein gehauene, Figur des knienden Emon Saburō ist hier aufgestellt. Die Brücke mit der Bezeichnung „Wasch-Stein“ beruht wohl darauf, dass man hier früher Wäsche waschen konnte, da die Brücke nur ein wirklich kleines Flüsschen überbrückt, das vor dem Tempel die ganze Straße entlang fließt. Ein überdachter Gang führt durch eine kleine Ladenpassage, die aber zurzeit komplett verrammelt ist. Am Ende steht das Tor, in dem riesige Strohsandalen hängen, aber schon vorher gibt es einen kleinen Abzweiger, der über ein weiteres, kleines Tor zu einer Tempelhalle führt. Im Gang sind auch ein Informationsschild in Englischer Sprache und eine Metallbox für Stempel aufgestellt, bei der sich Touristen eigenhändig „einen aufdrücken“ können. Als ich das Tor durchschritten habe, kommen mir Schwaden von Räucherstäbchen entgegen geweht. Mein Blick fällt sofort auf die dreistöckige Pagode und die riesige Vajra (rituelles Kampfzepter), die vor der Haupthalle aufgestellt worden ist. Besonders begeistert bin ich vom Gestell, an dem unzählige 1000-Kranich-Origamis (jap. Papierfaltkunst) hängen – ein Gewusel aus allen Größen und Farben. Ich durchstreife das Tempelgelände, nachdem ich meine Sutren rezitiert habe. Etwas seltsam wirkt eine Ansammlung Statuen auf mich – Männchen mit Hüttchen, die mich an die Stein-Kolosse auf den Osterinseln erinnern. Aber auch die übrigen Statuen, sie sollen wohl die 7. Glücksgötter in Holz darstellen, machen eine etwas schrägen Eindruck. Vielleicht war auch nur der Schöpfer dieser Figuren etwas schräge drauf? Ich finde ein Gebäude, das von außen wie eine christliche Kirche wirkt, aber ein Dach wie eine indische Stupa aufweist (ringförmig und weiß). Innen steht ein schlichter Altar, aber auf der Decke ist ein farbenprächtiger Phoenix vor blauem Hintergrund abgebildet. Links von der Haupthalle, liegt das Pilgerbüro, es ist eine Tempelhalle, vor der ein riesiger Lampion ähnlich des Asakusa Tempels in Tokyo hängt. Kaum habe ich mein Pilgerbuch signieren lassen, quatsch mich auch schon ein fast zahnloser Typ an. Redet was von Kōbō Daishi und zeigt immer auf die Pagode. Schließlich und endlich merke ich dann doch, dass er mir nur die riesige Daishi Figuren zeigen will, die hier zwischen den beiden obersten Dächern der Pagode zu sehen ist. Als er mit mir jedoch Kraniche falten will, mache ich mich aus dem Staub. Es ist zwar noch recht früh, aber ich muss noch die Jugendherberge finden und ein Postamt, damit ich meine Reisekasse wieder aufstocken kann. Beim Gehen fällt mir eine Tafel am Tor ins Auge, welches die schlechten und die besonders schlechten Jahre eines Mannes oder einer Frau aufzählt. In diesen Jahren ist die Wahrscheinlichkeit einem Unglück zum Opfer zu fallen besonders hoch. Da ich meinen 38. Geburtstag am 13. Juli feiere, bleiben nur noch wenige Wochen bis ins rettende Ziel. Außerdem bin ich auf Pilgerreise, das sollte mich vor schlechtem Karma bewahren und bis jetzt ist doch auch fast alles gut gelaufen.
Ich verlasse den Tempel und laufe die Straße entlang. Auf der Suche nach dem Weg zum Matsuyama Youth Hostel (Jugendherberge) frage ich eine Frau mit Fahrrad, ob ich die Treppen nehmen oder mich besser den Weg hoch quälen sollte. Kurzerhand zieht sie mich in das nächste Geschäft und fragt ihrerseits den Ladenbesitzer auf Japanisch. Ich kann beide Wege nehmen, da beide am Youth Hostel vorbeiführen. Schnell bin ich den Berg hochgelaufen, die Treppen hätten übrigens über das Gelände des Isaniwa Schreins geführt, dessen Zuwegung aber wiederum am Hostel vorbeigeführt hätten. In der Jugendherberge frage ich nach einem Zimmer und da ich es um 15.00 Uhr beziehen kann, lasse ich mein Gepäck im Aufenthaltsraum und mache mich auf die Suche nach einer Postfiliale mit Geldautomaten.
Ich trabe also wieder den Berg hinunter Richtung Innenstadt. Ich komme an einer riesigen Uhr (botchan gizmo clock) vorbei, die wie eine kleine Pagode wirkt und nach einer berühmten japanischen Novelle (botchan) gestaltet worden ist. Hier baden müde Passanten ihre Füße in einem dafür vorgesehenen Brunnen. Ich treffe auf einen kleinen Bahnhof, vor dem eine Dampflokomotive steht. Nach einem kurzen Abstecher durch die Ladenpassage, komme ich endlich beim berühmten Dōgo Onsen, Japans vermutlich berühmtestes und ältestes (3000 Jahre) Thermalbad raus. Es ist ein vielleicht dreistöckiges Gebäude, das aus mehreren Nebengebäuden besteht, aber dennoch recht kompakt wirkt. Das Gebäude zählt zu den „Nationalen Schätzen“ Ich umrunde es mehrfach, doch im Moment wird wohl gerade Großputz gemacht: Ich kann drei Angestellte mit Wischmopp und Staubtüchern sehen, und auch die Rikshas vor der Tür sind leer. Ich glaube nicht, dass um diese Zeit schon jemand ein Bad nehmen möchte, aber am späten Nachmittag wird es hier erst so richtig geschäftig: Wenn Touristen Fotos machen wollen und die Badehausgäste, natürlich bekleidet in Yukata (Baumwollkimono), einen Spaziergang wagen.
Da ich jetzt als Tourist, nicht als Pilger, unterwegs bin, gönne ich mir eine kurze Fahrt mit der Straßenbahn um den Shiroyama Park mit der Burg von Matsuyama. Vor dem Präfekturmuseum steige ich aus, da ich nicht genau weis, wie weit ich fahren muss, da das Postamt nicht direkt am Park liegt. Ich laufe noch drei Haltestellen weiter. Immer am Burggraben von Matsuyama, in dem sich Vögel tummeln und ich auf Ruhestellen einige Schildkröten erspähen kann, entlang. Schnell finde ich das Postamt und hebe Geld am ATM Automaten ab. Ich kann wieder aufatmen und meine weitere Pilgerreise ist gesichert. Da heute Freitag ist und die Postämter meist nur bis 15.00 Uhr geöffnet haben, bin ich doch heilfroh, dass ich es noch geschafft habe. Jetzt kann ich auf dem Rückweg noch einen Abstecher zum „Matsuyama Castle“, Matsuyama bedeutet übrigens „Pinienberg“, machen.
Infomaterial über Aktivitäten in und um Matsuyama sogar in Deutsch:
http://www.mcvb.jp/book/g/
Aber erst mal muss ich den Eingang bzw. Aufgang zur Burg finden, denn hier im Shiroyama Park wird kräftig gebaut und überall sind Wege mit Absperrgitter verstellt. Das Laufen in der prallen Sonne ist auch nicht sehr angenehm. Da ich meine Pilgerausrüstung in der Jugendherberge zurückgelassen habe, nicht nur den Rucksack, sondern auch Hut und Stock, ist es jetzt ein ganz seltsames Gefühl ohne diese „Weggefährten“ zu wanden. Meinem Gesicht habe ich eine Extra Portion Sonnenblocker 50 +++ gegönnt, aber trotzdem merke ich, wie die Sonne in Japan beißt. Der Weg mäandert den Berg hoch, erst noch bewaltet, später mit riesigen Felsbrocken besichert. Doch plötzlich reißt mich ein kleines Tier aus meinen Gedanken, welches kreischen vor mir den Weg überqueren will, mich sieht und dann doch das Heil in der Flucht sucht. Ich denke, dass es eine Art Marder oder Frettchen war. Ich bin immer wieder erstaunt, wie in japanischen Großstädten es immer noch Rückzugsgebiete gibt, wo Wildtiere überleben können. Bestes Beispiel hierfür sind die Japan Makaken, wilde Affen, die eigentlich zurückgezogen in den Bergen leben, doch in Orten wie Kyoto, Nikko, aber auch hier auf Shikoku (mein Erlebnis am Ōsahiko Schrein) nicht nur leben, sondern sich sogar mit den Touristen „arrangiert“ haben. Man soll sie auf keinen Fall füttern, was die meisten Touristen nicht beherzigen, da die Viehcher sich so an den Menschen gewöhnen und immer dreister werden, wenn sie erst die natürliche Scheu verloren haben. Ich setze nach diesem Schrecken meinen Weg fort und wundere mich, dass mir plötzlich Menschen in rosa Kitteln entgegenkommen, die jeweils zu dritt einen Rollstuhlfahrer, rücklings den Pfad herunter bucksieren. Oh nein, denke ich, Ausflug des Altenheims! Und genau das spielt sich vor meinen Augen ab. Alte Menschen, in Rollstühlen und Gehbehinderte werden hier auf dem Platz mit einer Ladenzeile gesammelt. Man hat Stühle aufgestellt, damit die alten Herrschaften bei der Hitze nicht zusammenklappen. Die Helfer und Helferinnen in Rosa bringen Menschen, stellen sie hier ab und laufen erneut nach oben zur Burg, um einen neuen Schwung Greise zu holen. Mein Gott, müssen die denn unbedingt einen Ausflug auf die Burg machen? Ich weiß ja, dass Japan meist behindertengerecht bzw. rollstuhlgerecht ausgebaut ist, aber muss man den alten Leutchen bei der Hitze eine derartige Tortour zumuten? Hätte es nicht auch ein Ausflug durch einen ebenerdigen, grünen Park sein können? Aber das ist Japan! Ich habe mir derweil ein „Grünen Tee“ Eis (macha) gekauft, dass mich wieder auf normale Betriebstemperatur herunterkühlt. Jetzt erkenne ich auch, warum die Leute hier zusammengekarrt werden. Von hier läuft eine Seilbahn bis in die Stadt. Die werde ich für meinen Rückweg nutzen, beschließe ich, und frage mich, warum man die Seilbahn nicht im Kartenmaterial findet. Als ich mich dann die etlichen Treppen nach oben gearbeitet habe, erhalte ich beim Kauf der Eintrittskarte sogar noch Prospekt in englischer Sprache. Pamfueto (engl. Pamphlet) wird diese Broschüre hier betitelt, obwohl die deutsche Bezeichnung „Schmähschrift“ für Pamphlet hier fehl am Platze wäre. Es ist zwar nur eine Kopie, doch wird ausgiebig über die Geschichte, den Aufbau, den Sinn und Aufgabe der vielen Tore und Türme berichtet.
Exkurs Matsuyama Castle – die Burg von Matsuyama (松山城; Matsuyama-jō)
http://www.matsuyamajo.jp/
Die Burg von Matsuyama wurde 1603 auf dem Berg Matsuyama („Pinienberg“; 132 m) in der Dogo Ebene erbaut und sollte nicht mit der Burg Mitchuu Mastsuyama verwechselt werden, die in der Präfektur Okayama in Takahashi (auch “Takahashi Castle“) steht. Matsuyama-jō befindet sich in der Stadt Matsuyama in der Präfektur Ehime (früher Iyo) auf Shikoku. Ursprünglich von Katoh Yoshiaki, dem damaligen Herrscher von Masaki, errichtet, wurde das dreistöckige Hauptgebäude (tenshu) 1627 vollendet. Der Burgherr wurde jedoch nach vom damaligen Shogun nach Nordjapan zur Burg Aizu beordert. Der nächste Lord von Matsuyama, Tadachika Gamo, der aus der nördlichen Präfektur Yamagata stammt, starb schon 1635, kurz nachdem das äußere Steinwall vollendet wurde. Der nächste Burgherr war Matsudaira Sadayuki, unter ihm wurde ein neues Hauptgebäude im Jahre 1642 erstellt. Seine Erben führten die Burg weiter, bis am Neujahrstag im Jahre 1784 die Burg durch Blitzeinschlag völlig niederbrannte. Das derzeitige Hauptgebäude stammt aus dem Jahre 1820 bzw. 1854. Während die Burg die Meiji-Restoration schadlos überstand, wurden Teile der Burg im 2. Weltkrieg erheblich zerstört. Seit 1966 bemüht sich die Stadt von Matsuyama, die Burg zu restaurieren. Heutzutage ist sie über den „Matsuyamajoo Ropeway“, eine Seilbahn mit Gondeln und einen Sessellift zu erreichen.
Japanische Burgen gliedern sich wie folgt von außen nach innen: Von den vorgelagerten Wällen (dorui) gelangt man meist an einen mit Wasser (mizuhori) gefüllten oder leeren (karahori) Graben. Das Hauptgebäude (tenshukaku) ist auf einem Steinsockel (ishi gaki) errichtet, der eine Art Innenhof bildet, um den sich noch weitere Steinmauernringe scharen können, d.h. „honmaru“ als erster Ring, „ninomaru“ (jap. zwei + rund) als zweiter Ring bis zu vier Steinringe aufweisen, von denen der letzte „tsume no maru“ genannt wird. Durch Tore (jōmon) und an Türmen (Yagura; jap. „Pfeillager“) vorbei, nähert man sich dem Hauptgebäude. Man unterscheidet hier das eigentliche Hauptgebäude (daitenshukoku) von dem ihn angebauten Nebengebäuden (shōtenshukaku). Grundsätzlich gliedert sich das Hauptgebäude in Etagen (-kai) und Ebenen (-sō). Die Dächer und Etagen bzw. Ebenen sind nicht gleichzusetzen, da es u.a. Zwischenetagen gibt. Das Dach wird als „irimoya“ bezeichnet, an dem man japanische Giebel, sogenannte Regenpfeifergiebel (chidori hafu), von chinesischen „kara hafu“ unterschieden werden. An den Giebelecken findet man meist die Shachihoko, „Giebelkarfen“, das sind vergoldete Statuen von Mischwesen aus Tigerkopf und Fischkörper, die die Burg vor Feuersbrünsten schützen sollen. Traditionell gibt es keine Fenster, sondern nur Schiessscharten (hasama), da es sich hier um einen Schutzeinrichtung und nicht um einen Palast handelt. Dies spiegelt sich auch in der Vielzahl von Toren wieder, von denen es neben dem als Tigerpforte (koguchi) betitelten Eingang und dem Pferdeausgang (umadachi) auch Scheintore und Verteidigungstore gibt, an denen potentielle Feinde aufgehalten werden konnten.
Im Matsuyama Castle heißt es wieder Schuhe aus und Plastiklatschen an. Wie sooft in Japan muss man die Schuhe wechseln oder bekommt Plastiküberzieher für die Straßenschuhe ausgehändigt. Nachdem ich mich die Stockwerke hochgearbeitet habe, ich habe immer Probleme mit meinen großen Füßen und den kleinen Plastiklatschen die Treppen hoch zu kommen, genieße ich einen fantastischen Blick über die Stadt. Tafeln, die hier oben angebracht sind, erklären dem Betrachter, welche Gebäude jeweils in seiner Blickrichtung stehen. Glücklicher Weise sind nicht allzu viele Besucher unterwegs, so dass ich in Ruhe Fotos schießen kann. Von hier oben kann ich sogar den Beton Kōbō Daishi von Tempel Nr. 51 ausmachen. Ein Häusermeer vor dem blass-blauen Ozean, wo nur hier und da die grün bewalteten Berge wie Adern ins graue Zentrum ziehen. Die Burg erinnert mich verdammt an Kochi Castle, denn auch hier gibt es einen Vorplatz mit Kirschbäumen und einige Shops, die zur „Tea Time“ oder zum Picknick einladen. Auch die bereits erwähnten „Delfin-Fische“, Glücksbringer, die Brände verhindern sollen, schmücken hier die Dächer. Meinen Rückweg trete ich per Seilbahn an. Mit einer Gondel geht es wieder in die Stadt, aber ich hätte auch den Sessellift nehmen können, der hier parallel zur Gondelbahn verläuft. Auf meinem Weg zurück zur Jungendherberge stöbere ich noch in diversen Shops. Ich liebe japanische Handarbeiten, kleine Patchwork Katzen, Anhänger, Kimonozubehör. Es gibt hier sogar Geschäfte, die nur Artikel mit Katzen führen, Katzen auf allen nur erdenklichen Sachen – vom Katzenstofftier, über Kleidung bis zur Brosche, Kaffeebecher usw. Ich bewundere noch eine Shaku Hachi (Flöte), Koto (jap. Zitter) und eine Shamisen (jap. Zupfinstrument der Geisha) in einem Laden für Musikinstrumente, doch dann entdecke ich ein McDoof. Seit Neustem gibt es hier sogar Hot Dogs zu kaufen, sie werden als „Mega Sausage“ angeboten, aber ich bleibe bei meiner Standartwahl - Cheesburger und Chicken Nuggets mit „masutatu soso“, eine Senf-Sauce, die es nur hier in Japan gibt. Auf dem Weg zur Jugendherberge begegnet mir noch die Touristenbahn von Matsuyama, eine Miniatur-Dampflokomotive mit zwei Personenwagen, die aber weder mit Dampf noch mit Stromabnehmern fährt. Ich tippe auf einen Elektromotor. Noch ein kurzer Abstecher ins Daily Yamasaki, einem 24-Stunden-Shop, in dem ich mein morgiges Frühstück und etwas Proviant kaufe und schon bin ich wieder zurück in der Jugendherberge und kann mein Zimmer beziehen. Es ist mit einem Etagenbett und Tatamimatten, ähnlich dem in Kochi, ausgestattet und ich bezahle als Einzelperson 3360 Yen. Leuchten gelbe Aufkleber, die hier überall verteilt sind, zeigen eine Frau mit einer Katze und der Aufschrift „haha ami – sumairu“, was wohl so viel wie „Herbergsmutter Ami – grins (smile)“ bedeuten soll, obwohl ich bei einem Mann eingecheckt habe. Das Gelb passend zur Gebäudefarbe, denn die ist auch leuchten Gelb. Es gibt hier einen Gemeinschaftraum mit Kanonenofen, eine Bücherei, Internetanschluss und ein kleines Lädchen, in dem der Herbergsvater Kleinigkeiten zu Essen und Hygieneartikel verkauft. Es ist hier richtig gemütlich und von der Waschmaschinen-Trockner-Kombi bin ich besonders begeistert. Wäschemachen in einem Durchgang – das ist Japan! Als ich heute Abend zu Bett gehe, frage ich mich, wie schön es doch wäre, hier als Tourist noch einige Tage verbringen zu können.
Mittwoch, 9. Juni 2010
Freitag, 10.04.2009, Ehime, Matsuyama City, Chochin-ya Ryokan
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