Karte von Shikoku mit den 88 Haupt- und 20 Nebentempeln


Donnerstag, 1. Juli 2010

Geschafft!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

Geschafft, ich kann es kaum glauben:
Während mich meine Pilgertour in Japan
gerade mal 45 Tage beschäftigt hat,
hat dieses Pilgertagebuch über ein
Jahr für sich beansprucht!
Das Pilgertagebuch war der erste Streich,
doch die nächsten Projekte sind die
Ausarbeitung der Tempelbeschreibungen
sowie die der einzelnen Exkurse.
Eine weitere Pilgertour in Japan schließe
ich nicht aus - Japan ist immer eine Reise
wert!
Viele Grüße und "ja mata" - man sieht sich!
(vielleicht in Japan?)
Britta :-)

Freitag, 01.05.2009, Osaka, Hagoromo, Jugendherberge

Der 47. Tag in Japan
Auch diese Nacht schlafe ich wie ein Karnickel – ich schlafe nicht richtig tief, da ich befürchte, morgen nicht rechtzeitig aufzuwachen. Da meine beiden Zimmergenossinnen die Gardinen zugezogen haben, funktioniert mein Trick, die Vorhänge offen zu lassen, damit mich das erste Sonnenlicht weckt, nicht. Außerdem schnarcht die dickere der beiden leise vor sich hin. So komme ich nicht umhin, mitten in der Nacht um 3.30 Uhr meinerseits für Krach zu sorgen, als ich zur Toilette schleiche. Die schweren Türen in der Jugendherberge schließen von selbst und so muss man höllisch aufpassen, damit eine solche nicht laut ins Schloss fällt. Ich bin schon früh wach, ich habe ja nicht viel geschlafen und lauere auf das Frühstück, das es um 7.45 Uhr geben soll. Glücklicher Weise gibt es vor dem Frühstücksraum einen Internetterminal, wo man für 100 Yen 10 Minuten surfen kann. Nachdem ich mich beim Frühstück gestärkt habe, es gibt hier super leckere Minichroissants, mache ich mich auf den Weg zum Kansai Airport. Weder von der Fluggesellschaft noch von „Upandgo“ habe ich eine Antwort auf meine E-Mails erhalten. Ganz schön ärgerlich, wenn man so in einem fremden Land fest hängt und keinen Ansprechpartner hat.

Ich verlasse also den schönen Park, in der Japans größte Jugendherberge liegt, und schlendere zum Bahnhof Hagoromo. Von hier nehme ich den Llt. Express, der jedoch wieder einmal zwei Stationen vor dem Ziel Kansai Airport endet. Man sollte eben genau darauf achten bis zu welchem Bahnhof der Zug fährt („bound for“) und nicht in blind darauf vertrauen, dass hier alle Züge auf die künstliche Insel in der Buch von Ōsaka fahren. Ich steige also nochmals um und betrete kurz darauf die Flugschalterhalle. Den Flugschalter finde ich sofort, heute ist er auch geöffnet, da in nicht mal zwei Stunden ein Flieger nach Helsinki startet. Ich frage höflich am Schalter nach, ob sich mein Flug umbuchen lässt. Eigentlich glaube ich nicht, dass es möglich ist, da Mutter und Tochter aus Berlin auch nicht umbuchen konnten. Aber ich versuche es und die Stewardess am Schalter fragt telefonisch nach – das nährt meine Hoffung. Aber von der Aussicht heute endlich nach Hause fliegen zu können, meinen Eltern endlich von meinen Abenteuern berichten zu können, falle ich dann auf den Boden der Tatsachen zurück. Ein Umbuchen ist nicht möglich und für den heutigen Flug müsste ich 2500 Euro bezahlen. Ich verdrücke mir eine Träne - für das Geld könnte ich die Shikoku Tour fast nochmals laufen, aber auch für das Geld einer Neubuchung, es würde so 700 bis 800 Euro kosten, könnte ich noch einige Zeit hier in Japan überleben.

Ich beschließe also meine knapp 3 Wochen dazu zu nutzen, mir die Orte in Japan anzusehen, die ich noch nicht kenne. Aber das größte Problem ist, dass ich so aus dem Stehgreif keine Idee habe, was ich besuchen möchte und mich bei dem Überangebot an interessanten Orten auch nicht entscheiden kann. Da fällt mir die Touristeninformation ein, die ich schon am Anfang meiner Shikoku Reise zusammen mit Hajo besucht hatte. Hatte ich dort nicht ein Prospekt („World Heritage Pilgrimages Routes – Way of St. James & Kumano Kodo“) in der Hand, wo der japanische „Kumano-Kodo“ mit dem spanischen Jakobsweg verglichen wurde. Ich suche das Prospekt, leider ist in ihm nicht die exakte Route verzeichnet. Hier vor der Touristeninformation gibt es so eine Art Ruhezone mit Prospekten über viele Sehenswürdigkeiten in Japan – nicht über alles aber über vieles. Bei speziellen Fragestellungen einfach die Damen an der Information fragen, aber zunächst benutze ich hier den Internetterminal, um noch einige Informationen einzuholen. Aber an Kartenmaterial komme ich so schnell nicht. Deshalb frage ich bei den Damen in der Touristeninformation erstens nach Infomaterial über den Ise Schrein, nach Möglichkeiten, hier in Japan als Ausländer am Karatetraining teilzunehmen und ob es nicht Wanderkarten für den Kumono-Kodo gibt. Da ich nicht kreuz und quer durch Japan reisen möchte, mein Budget ist begrenzt, und außerdem möchte ich in der Nähe bleiben. Ich erkläre ihr, dass ich mich auch für die Saikoku, die Pilgerreise zu den 33 Tempeln der Gottheit Kanon im Gebiet Kansai (Westjapan), interessiere. Für letzteres erhalte ich lediglich eine Liste mit den Tempelnamen, was mich nicht wirklich weiter bringt. Beim Ise Schrein und dem Kumano Kodo hat die Damen mehr Glück. Stolz präsentiert sie mir eine Broschüre mit der Aufschrift „Kumano Kodo – Walking Guide Map – Ise-ji Routes“. In diesem Heftchen sind Tagestouren so um die 10 km eingetragen, die meist von einem Bahnhof zum nächsten führen. Ein „Access Guide“ am Ende listet alle Möglichkeiten auf, mit welcher Zug-, Buslinie oder über welche Autobahn man an die Startpunkte gelangt. So etwas habe ich gesucht! Aber soll ich wirklich weiter wandern oder besser meinem Körper eine Pause gönne? Ich fühle mich noch relativ fit, aber meine Laune ist zurzeit nicht die beste, da ich die Hoffnung auf Heimkehr erstmal aufgeben musste. Es ist mittlerweile 14.03 Uhr, ich sitze hier schon fast 2 Stunden und als ein Mann von Sicherheitsdienst mich anspricht, ob es mir gut gehen würde, sehe ich mich endlich genötigt, meinen Arsch wieder in Bewegung zu setzen: Ich werde noch eine tolle Zeit hier in Japan haben, muntere ich mich auf, das ist doch bis jetzt fast alles super gelaufen, da werde ich am Ende mich doch durch so eine kleine Verzögerung nicht runterziehen lassen. Neue Wanderwege wollen von mir erkundet werden, neue Begegnungen und neue Abenteuer warten auf mich!

Ich mache mich also auf den Weg, zunächst einmal will ich nach Ōsaka ins Kikue, einem Businesshotel, dass ich schon von einer früheren Japanreise kenne. Ōsaka um die Namba Station ist für mich ein bisschen Heimat, da ich die Gegend recht gut kenne. Aber Vorsicht, der riesige Bahnhof von Namba, der noch dazu in eine supergroße Einkaufspassage (Namba Walk) übergeht und vor Shops nur so wimmelt, ist mit seinen vielen Eingängen ein wahres Labyrinth. Auch diesmal habe ich das Problem, den richtigen Ausgang Richtung „Denden Town“ zu finden. „Denden Towen“ ist so eine Art Akihabara (Stadtteil von Tokyo) von Ōsaka. Es ist ein Elektronik-Viertel, in dem alles, was mit Strom läuft, verkauft wird. Touristen können hier steuerfrei einkaufen, da die Steuer hier in Japan aber nur 5 % beträgt und Japan teuer ist, muss man gründlich recherchieren, um hier noch ein Schnäppchen zu machen. Zu dieser Zeit wäre ein „Nindo DaySi“ aktuell, da es diesen in Deutschland erst in zwei Monaten gibt. Aber ich spare mein Geld lieber, da ich jetzt nicht mehr im „Pilgerland“ bin, sondern die hiesigen Touristenpreise bezahlen muss. Auch wird mir die Unterkunftssuche schwerer fallen, da keine Unterkünfte im Wanderführer eingetragen sind.
Aber erstmal frage ich im Kikue, ob sie ein Zimmer für mich frei haben. Ach, da werden Erinnerungen an meine letzte Japanreise wach, als ich die Insel Okinawa besuch habe, den Fuji-san (höchste Erhebung in Japan; Wahrzeichen Japans) im Alleingang bezwang und ausgiebig in Kyoto und Nara „getempelt“ und „geschreint“ habe. Damals noch in voller Sommerhitze des August, habe ich jetzt (Anfang Mai) gemäßigte Temperaturen. Doch auch die hier vorherrschenden 24°C, sind ein Kontrastprogramm zum kühlen Koyasan und auch die letzten Shikoku Tage. Ich habe etwas Kopfschmerzen, als ich mich im Bereich um den Nankai Bahnhof umsehe – das ist wohl die Wetterumstellung. Im Namba Walk fröne ich der Fastfood Kultur: Bei McDoof hier in Japan gibt es leider keine Curry-Sauce zu den Hähnchenstücken, aber die Japan exklusive Senfsoße („Masutado Sozu“). Sogar Hotdogs sind hier in Japan im Sortiment. Mit meiner Tüte eingepacktem Essen ziehe ich mich in den als „Parks“ bezeichneten Bereich des Namba City Kaufhauses zurück. Es ist so eine Art Park, den man über mehrere Stockwerke, ähnlich einer Dachterrasse angelegt hat. So richtig mit Bäumen und Sträuchern. Es ist immer wieder faszinierend zu sehen, wie der Japaner seine geliebte Natur in der Betonwüste der Großstadt inszeniert. Nicht nur die traditionellen kleinen Gärten, zu denen sich die Zimmer öffnen, sondern auch richtige Parkanlagen auf den Dächern der Hochhäuser sind ein Beweiß dafür, dass der Japaner ohne seine Natur und den damit verbundenen Wechsel der Jahreszeiten nicht leben kann. Da die oberste Etage japanischer Kaufhäuser meist eine Art „Fressmeile“ mit den unterschiedlichsten Restaurants und Cafes bildet, ist auch ein Park zum Rumspazieren keine Seltenheit. Nahrung für den Körper und für die Seele! Aber auch kleinere Tiere fehlen hier nicht, so habe ich bei meinem letzten Japanaufenthalt eine tolle Libelle auf dem Dach des Busterminals von Ōsaka fotografieren können. Nach dem Essen durchstöbere ich im Takashimaya, einer renommierten Kaufhauskette aus dem Jahre 1829, die Abteilungen für Traditionelle Kleidung, sprich Kimono und Kimonozubehör, sowie die Kunst- bzw. Handwerkabteilung, die Lackarbeiten und Holzgeschirr in allen Variationen und natürlich auch Preisklassen für den geneigten (reichen) Kunden bereit hält. Ich sehe mich an den bunten bis prächtigen Kimonostoffen statt, leider gibt es hier nur die japanische Einheitsgröße, die mir nicht passt, da ich zu lange Arme habe. So ein Baumwollkimono (Yukata) würde mir schon gut stehen, aber man verweist mich dann immer in die Souvenirabteilung, in denen es die typischen blau-weißen Yukata in Übergrößen, speziell für Ausländer, zu kaufen gibt. Ich schwärme für die traditionellen Kimono und die geschmackvolle Zusammenstellung von Kimono, Gürtel und Accessoires wie Spangen, Schnüre (himo) und Kragen (eri). Wenn man am guten Geschmack der Japaner zweifelt, weil die Jugend allzu bunt, allzu kurz und allzu schrill auf sich aufmerksam machen will, dann sollte man sich eine Kimonoträgerin ansehen - das ist dann wie Watte und Balsam für die Sinne. Ich wundere mich immer wieder wie harmonisch die traditionelle Kleidung zusammengestellt wird. Farbe und Motiv der Jahreszeit entsprechend, die jüngeren Damen mit kräftigen Farben und langen Ärmeln (Furisode Kimono) und die älteren in gedeckten Farben oder mit der schlichten Eleganz eines schwarzen Kurotomesode, bei dem lediglich der untere Rand einige Motive aufweisen kann. Was für uns der „Schwarze Anzug“ oder das „Kleine Schwarze“ ist, findet in Japan sein Gegenstück in Kimono und Hakama (Hosenrock der Männer). Aber die ganzen Geschäfte und die Geschäftigkeit hier um den Bahnhof können einen ganz schwindelig machen. Ich mag die japanischen Großstädte nicht, alles ist zu viel – zu laut, zu warm, zu bunt, zu wimmelnd – einfach nervtötend.

Ich bin froh, als ich nach meiner Shoppingtour wieder im Kikue lande. Hier schmiede ich nun Pläne wie meine verbleibende Zeit in Japan verbringen möchte. Um es kurz zu machen, da ich noch keine Zeit hatte, die restlichen Notizen zu Papier bzw. Computer zur bringen: Als erstes werde ich mit dem Zug zum Ise-Schrein (http://www.isejingu.or.jp/english/) fahren, von dort weiter nach Umegadani, wo der Startpunkt auf meiner Wanderkarte ist. Doch zuvor werde ich noch per Zufall an einem Matsuri, einem traditionellen Schreinfest, in einem kleinen Dörfchen namens Tokida http://maps.google.com/maps?hl=de&rlz=1R2IRFC_deDE341&q=tokida&lr=&oq=&um=1&ie=UTF-8&sa=N&tab=il;%20http://hisaai-hp.hp.infoseek.co.jp/JRCentral/ka/Sg_s_eg.html)
teilnehmen. Als einzige Ausländerin werde ich zum gefragten Interviewstar, da ich gleich von drei mutigen Lokalreportern um ein paar Wort gebeten werde. Mein Weg wird mich einige Tage über den Kumano Kodo (http://www.kumadoco.net/kodo_eng/
führen, es werden auch einige Regentage dabei sein. Doch beim letzten der drei Kumano Schreine werde ich auf den Megangji Tempel treffen. Er ist der erste der 33 Tempel der Saikoku Pilgerreise (http://www.taleofgenji.org/saigoku_pilgrimage.html), von denen ich auch noch einige besuchen werde. Nicht mehr alles zu Fuß, sondern jeweils vom nächstmöglichen Bahnhof. Meine Reise wird mich einmal um die Wakayama Halbinsel mit den Kii-Bergen herumführen, über Ōsaka, Nara und Kyoto bis zur Schreininsel im Biwa See und einem Abstecher nach Ueno zum Iga Ninja Museum (http://www.iganinja.jp/en/). Doch um diese Geschichten aufzuschreiben, fehlt mir im Moment die Zeit, denn auch mein Blog (http://www.shikokuhenro.blogspot.com/) verlangt nach stetem Ausbau. Ob es vielleicht einmal einen Blog „kumanokodohenro“ oder saikokuhenro“ gibt, weiß ich nicht.

Donnerstag, 30.04.2009, Koyasan, Jugendherberge

Der 46. Tag in Japan
Heute bin ich zwar um 5.10 Uhr aufgewacht, habe mir die Morgenmeditation im Muryōkō-in dann doch verkniffen, weil ich einfach zu kaputt bin. Hajo geht schon hin und kann mir dann beim Frühstück davon berichten. Wir werden heute den Koyasan verlassen, Hajo, um nach Nara zu fahren und ich will dem Flugschalter im Flughafen Kansai einen Besuch abstatten, da ich vom Internetportal „Upandgo“ noch immer keine Infos über Umbuchungen erhalten habe. Ich bin aber pessimistisch. Mutter und Tochter aus Berlin, die ich auf Shikoku getroffen habe und ebenfalls vor ihrem eigentlichen Abflugtermin die Pilgertour beendet hatten, konnten nicht umbuchen und mussten das Geld für einen neuen Flug abdrücken. Es würde mich freuen, endlich mit meinen vielen Gesichten und Fotos nach Hause zu kommen, und den Daheimgebliebenen von meinen Abenteuern berichten zu können. Aber so wie es aussieht, werden ich mir ein Alternativprogramm überlegen müssen, denn für den Flugpreis könnte ich mich hier in Japan noch einige Zeit, wenn ich bescheiden lebe, durchschlagen. Ich befrage das Internet über eine Karate Trainingsmöglichkeit in Ōsaka. Es soll noch einen schönen Wanderweg zwischen Kyoto und Nara geben. Das Schicksal hat mich wieder mit Hajo zusammengeführt, und sollte ich meinen Flug nicht umbuchen kann, würde ich ihn in der Jugendherberge in Nara treffen, um wieder vereint von Nara nach Kyoto zu wandern. Leider gibt es im Netz keine Einzelheiten, vielleicht ist es ein alter Pilgerweg, vielleicht auch nur ein einfacher Wanderweg. Wenn wir Pech haben, ist es nur ein Gerücht und selbst wenn, dann können wir nicht auf so detailliertes Kartenmaterial wie in Shikoku zurückgreifen. Außerdem ist Shikoku die Insel der Pilger. Hier sind meist nur preiswerte Unterkünfte und Restaurants eingetragen. Doch auf dem „Festland“ gibt es wieder Business-Tarife für die Hotels und Eintritt für jeden Tempel, den man besuchen will. Wir sind dann wieder im „Touristenland“ und werden unser Pilgerland „Shikoku“ vermissen.

Nach dem Frühstück packen wir unsere Sachen. Ich schieße noch ein paar Fotos von der Jugendherberge. Es ist ein altes, japanisches Haus, das man zur Jugendherberge umgebaut hat. Ich hatte eine gemütliche, wenn auch durch Schlafmangel geprägte, Zeit hier oben unter dem Dach – juhe! Da die Unterbringung hier oben in den „Kämmerlein“ das gleiche gekostet hat, wie ein Platz im Schlafsaal unten im Haus, habe ich die private Alternative vorgezogen. Ich musste allerdings unter den Toilettengänger des Nachts leiden. Das Zimmer neben meinem ist auch so ein „Kämmerlein“. Ich konnte einen flüchtigen Blick beim Auszug hineinwerfen. Wenn man sich durch die kleine Tür gequetscht hat, war der Raum doch größer als erwartet. Aber ich lobe mir mein Bett, obwohl ich immer Gefahr gelaufen bin, mir am Dachbalken den Kopf zu stoßen - aber wofür hat man eine Taschenlampe. Der Aufenthaltsraum ließ keine Wünsche offen.

Ich verlasse zusammen mit Hajo das Haus. Der Bus zum Bahnhof kostet 280 Yen. Da man das kurvige Stück kurz vor der Ortschaft nicht zu Fuß erklimmen darf, es gibt hier keinen Bürgersteig und keine Möglichkeit den Touristenbussen in den Kurven auszuweichen, sind wir gezwungen, unseren letzten Gruß vom Bus aus zu entrichten. „Sayonara Kōbō Daishi“ und „Tschüß“ Kurtsan!“ Wir hatten hier auf dem Koyasan und auf Shikoku eine schöne, wenn auch nicht unproblematische, Zeit. Für den Zug zum Kansai Airport berappe ich nochmals 1980 Yen, aber erstmal geht es mit der Bergbahn zurück zum Bahnhof der JR (Japanese Railways). Als ich mir das Ticket kaufe, erhalte ich als Wechselgeld einen 2000-Yen-Schein. So einen habe ich noch nie hier in Japan gesehen, aber ich werde ihn als Andenken aufgewahren. Wir fahren mit dem Zug wieder in Richtung Ōsaka. Am Bahnhof „Hashimoto“ verlässt mich Hajo, um in einen Zug nach Nara zu wechseln. Wenn ich den Flug nicht umbuchen kann und nicht weiß, was ich tun soll, kann ich Hajo in den nächsten Tagen in Nara finden. Danach wird er nach Kyoto reisen, um hier die berühmtesten Tempel Japans zu besuchen. Ich habe ihm noch einen meiner Reiseführer mitgegeben, damit er einen Eindruck davon gewinnt, was ihn erwartet. Alle Tempel in Kyoto besuchen zu wollen, ist fast unmöglich in der kurzen Zeit. Er muss also eine Vorauswahl treffen. Ich selber war vor einigen Jahren für eine Woche in Kyoto und hatte das Glück beim alljährlichen Abschluss des Allerseelenfestes (O-Bon) in Japan, dem „Gozan no Okuribi“ in Kyoto beizuwohnen. Bei diesem Ritual werden auf mehreren Bergen im Norden der Stadt große Feuer entfacht, die aus der Ferne gesehen die japanische Schriftzeichen für „Buddhas große Lehre“ ergeben. Eindrucksvoll, aber nach dem Entzünden herrscht das reine Verkehrschaos in der Stadt, da alle Zuschauer wieder schnell nach Hause wollen. Also nachdem Hajo den Goldenen Pavillon (Kinkaku-ji), den Silbernen Tempel (Gingaku-ji), den anschließenden Philosophenpfad erkundet hat, wird er wohl den Kiyomizu-dera („Tempel des Gutes Wassers“) mit seinen drei Quellen, die Zwillingstempel Nishi und Higashi Honganji besuchen und im Tōji-Tempel („Ost-Tempel“ oder Kyō Goku-ji, „Das Land beschützender Tempel des Königs der Lehre“) wieder auf Kōbō Daishi treffen, der hier seine erste Wirkungsstätte hatte. Die Pagode des Tōji ist übrigens das Wahrzeichen Kyotos, obwohl der hypermoderne Bahnhof ihr heutzutage den Rang streitig machen könnte. Ja – Kyoto ist keine Kleinstadt mit ein paar Tempeln, sondern eine Großstadt, in der man nur selten noch ruhige Ecken findet. Aber für den ambitionierten Japan Touristen ein Muss, ebenso wie die Tempel- bzw. Schreinanlage von Nikko, die Hajo auch noch besuchen möchte, bevor her über Tokyo und den Flughafen Narita wieder nach Hamburg zurückkehrt. Auch ich soll später wieder den Weg nach Kyoto finden. Nachdem ich von Ise dem Kumano-Kodo zu den drei Großschreinen von Kumano abgewandert habe, soll mich mein Weg über Ōsaka und Nara wieder in die Tempelstadt führen. Während ich den Kiyomizudera Tempel zum zweiten Mal im meinem Leben besuchte, soll mir der erste Besuch des Daigo-ji in bleibender Erinnerung bleiben. Der Name Daigo-ji kam mir von Anfang an so bekannt vor, bis mir einfiel, dass es letztes Jahr (2008; http://www.kah-bonn.de/index.htm?ausstellungen/daigoji/index.htm) eine Ausstellung in der Kunsthalle Bonn gegeben hat. Sie trug den Titel „Tempelschätze des heiligen Berges Daigo-ji – Der Geheime Buddhismus in Japan“. Und eben diesen Tempel wollte ich im Rahmen der Saikoku Pilgertour (33 Tempel der Kanon in Westjapan) besuchen. Als man mir jedoch im Haupttempel mit ratlosen Gesichtern und einem „arimasen“ (gibt es nicht!) verständlich machen wollte, dass es den Tempel nicht gibt, zweifelte ich schon an meinem Verstand. Als dann aber ein Mönch hinter mir her gestürmt kommt, den man telefonisch um Hilfe gebeten hatte, konnte der mir erklären, dass die Haupthalle (hondō) des Daigo-jis in den Bergen vor einem Jahr abgebrannt ist. Diese Nachricht hat mich dann fast sprachlos gemacht. Wie konnte bei all den Vorsichtsmaßnahmen gegen Feuer so ein Unglück passieren? Jahrhunderte alte Kulturgüter waren verbrannt – ein unermesslicher Verlust für Kyoto, für die Mönche, für Japan. Ich habe mir dann das ganze Ausmaß der Katastrophe angesehen und habe mich hierzu bei strömendem Regen den ganzen Berg hoch gequält. Ich musste sogar Eintritt für den Bereich des Kami-Daigos bezahlen, obwohl man mich bei dieser Gelegenheit hätte aufklären können. Doch nichts – außer ein paar steinernen Fundamenten, auf denen die Holzsäulen standen, war von der Halle nichts mehr übrig. Ich wäre fast vorbei gelaufen, wenn mich die Steintreppen nicht darauf aufmerksam gemacht hätten, dass hier früher ein Gebäude gestanden haben muss. Anstatt mir also einen Eintrag in mein Pilgerbuch am Daigo-ji geben zu lassen, war jetzt der Tempel im Tal, der Shimo-Daigo, für diese Aufgabe zuständig. Als ich später im Internet nach Informationen suche, wird das Feuer, das die Kannon-Halle vollständig zerstört hatte, mit keinem Wort erwähnt. Nur die Bemerkung, dass der Zugang zum Kami-Daigo Bereich zwecks Wiederaufbau nach einem Unfall gesperrt ist („Entry to Kami-Daigo Area is prohibited because of disaster restoration construction“ erschien auf der Homepage (http://www.daigoji.or.jp/index_e.html)

Ich fahre mit dem Zug noch bis Chaya und steige dann in einen Zug zum Kansai Airport um. Doch ich werde enttäuscht, da heute kein Flug stattfindet, ist der Schalter nicht besetzt. An der Information bekomme ich eine Telefonnummer, unter der sich jedoch keiner meldet. Am Internet Terminal bei der Touristeninformation, wo man für 100 Yen 10 Minuten surfen kann, finde ich auf der Airline Homepage die jeweiligen Flugdaten (Mo, Di, Mi, Do, So jeweils 11.00 und 18.30 Uhr). Wollten heute nicht Mutter und Tochter nach Berlin zurückfliegen? Ich frage nochmals an der Information und mir wird gesagt, dass der nächste Flug für morgen um 11.00 Uhr angesetzt ist. Da ich heute also nichts mehr ausrichten kann, beschließe ich die Jugendherberge in Hagoromo aufzusuchen. Ich würde zwar gerne in Ōsaka im Kikue, einem Business Hotel, das ich schon von einer früheren Japanreise kenne, absteigen, doch die Jugendherberge liegt einfach näher. In der Jugendherberge (http://www.osaka-yha.com/shin-osaka/shin-osaka-e/g-osaka-kokusai.html), in der schon Hajo seine erste Nacht in Japan verbracht hat, bin ich im Schlafsaal bzw. 8-Bett-Zimmer untergebracht. Ich teile mir das Zimmer heute nach mit zwei Französinnen, die vielleicht etwas älter sind als ich. Aber erstmal nutze ich das Ofuro (Gemeinschaftsbad) zum Entspannen. Das kann dann aber auch peinlich werden, wenn man zwar alle Regeln, die hier sorgfältig auf einem Plakat erklärt werden, beherzigt, aber so eine Schulklasse junger Mädchen, wie eine Gänseschar einfällt. Natürlich wird man als Ausländerin ganz anders beäugt als Einheimische. Wenn sich dann jemand vortraut und mit einem beherzten englischen „Hello“, versucht, einen ins Gespräch zu verwickeln, gackert der Rest der Mädchenschar los, als sei man ein Fuchs und habe es auf sie abgesehen. Natürlich kehrt die Mutige dann ganz schnell wieder in den Schoß der Gänsefamilie zurück und man selber steht allein auf weiter Flur und kann nur freundlich grinsen. Als ich vom Bad wiederkomme, überlege ich ob es “Paxnaturon“ (http://www.paxnaturon.com/) ein Jugendherbergen exklusives Haarpflegeprodukt wohl auch in Deutschland zu kaufen gibt. Es riecht herrlich und durch die Schaumspender, haut man sich nicht so viel davon in die Haare. Doch als ich ins Zimmer komme, hocken die beiden Französinnen vor einem Mini-Altar und murmeln ein Gebet. Still setze ich mich auf mein Bett und frage sie, nachdem sie geendet haben, ob sie gerade ein Sutra rezitiert haben. Sie erzählen mir, dass sie der japanischen Nishiren Schule des Buddhismus angehören und für einen Kongress hier nach Japan gekommen sind. Beim Abendbrot, es gibt eine Art Büffet, traue ich meinen Ohren nicht, als mich ein junger Japaner mit akzentfreien Deutsch anspricht. In einem Gespräch erfahre ich, dass er aus Wuppertal stammt, seine Mutter Japanerin ist und er hier seinen Zivildienst ableistet. Ich gehe heute früh zu Bett, da ich schon letzte Nacht nicht richtig schlagen konnte. Zum Glück haben meine beiden Zimmergenossinnen die gleiche Idee.

Mittwoch, 29.04.2009, Koyasan, Jugendherberge








Der 45. Tag in Japan
Heute ist für 5.00 Uhr Aufstehen angesagt, da Kurtsan uns für 6.00 Uhr zur Morgenmeditation in den Muryōkōin Tempel eingeladen hat. Leider habe ich heute Nacht nicht wirklich viel Schlaf gekommen: Ich bin alle paar Stunden aufgewacht, weil das Licht im Flur brannte, die anderen Gäste die Toilette benutzt haben oder das Gebälk hier oben sonst ein Knarren von sich gegeben hat. Zusammen mit Tamara und Hajo mache ich mich auf den Weg zum Tempel, der hier nur einige hundert Meter entfernt liegt. Es ist sehr kalt und wir scherzen darüber, dass der Frühling hier in Japan schon mal wärmer gewesen ist. Als wir an parkenden Autos vorbeikommen, sind doch tatsächlich die Scheiben befroren. Es ist zwar Ende April, aber in den Bergen so auf 1000 m Höhe ist es dann doch immer etwas kühler. Ich überlege, dass es mich schon reizen würde, einige Wochen so als „Azubine“ in einem Tempel zu leben, aber ich käme mit der Kälte nicht zurecht. In Japan ist eine Zentralheizung nicht gerade verbreitet, vielleicht im nördlichen Hokkaido, dem Schneeland. Aber allgemein scheint der Japaner sein Wärmebedürfnis im Winter mit einem heißen Bad am Abend und tagsüber mit dem Sitzen am Kotatsu (Tisch mit Decke und Heizstrahler) stillen zu können. Wenn man aber wie ich morgens ohnehin nur schlecht hochkommt und dann noch frierend in den Tag startet, dann muss man sich viel bewegen oder etwas heißes Essen. Ach ja – Frühstück haben wir auch noch nicht gegessen und ich hoffe, dass die Zeremonie nicht zu lange dauern wird.

Exkurs Muryōkō-in
http://www.shukubo.jp/eng/index.html
http://www.nzz.ch/2006/12/14/to/articleELDTU.html
http://www.swissinfo.ch/ger/Ein_Schweizer_Moench_in_Japan.html?cid=4439736
_2&bereich=Voxtours














Der Muryōkō-in („Unermessliches Licht“) Tempel wurde noch unter dem Namen „Take-in“ (Bambu Haus) vom vierten Sohn des Kaisers Kirakawa (1053-1129; 72. Tenno), Kakuho Shinno gegründet. Der Tempel wurde Buddha Murōyōju (auch Amitaba) gewidmet und später in Murōkō-in umbenannt. Von den ca. 117 Tempeln gehört er zu den ungefähr 53 Tempeln, die Shokubō, Tempelunterkunft, anbieten. Hierbei ist der Besucher in speziellen Gasträumen untergebracht und wird mit vegetarischer Kost verpflegt. Manche Tempel bieten auch spezielle Meditationskurse für die Gäste an bzw. man kann dort für einige Tage am Tempelleben teilnehmen. Das schließt die täglichen Zeremonien mit ein, aber auch das Putzen des Tempels und die Bewirtung von anderen Pilgern. Der Muryōkō-in ist berühmt für seinen Garten, aber wie erwähnt, ist auch Kurt Kübli Gensho einen Besuch wert. Er ist nicht der einzige Ausländer hier im Tempel, es gibt mehrere, nicht aus Japan stammende, Mönche und Nonnen.

Erstmal heißt es, sich in dem Gewirr aus Gängen hier im Muryōkō-in Tempel zurecht zu finden. Zum Glück begleitet uns ein Mönch, vorbei am berühmten Garten in die Haupthalle. Mein Herz geht auf, denn hier hat jemand Mitleid mit uns Normalsterblichen gehabt und einige Wärmestrahler aufgestellt. Wir setzen uns auf den Boden und warten auf die Dinge die da kommen. Heute sind es vielleicht 10 Gäste, die hier der Morgenzeremonie beiwohnen. Übernachtungsgäste aus dem Tempel und natürlich wir drei von außerhalb. Kurtsan gibt eine kurzer Einführung, wer wir drei denn sind und weshalb wir nicht zu den Shokubō (Tempelunterkunft) Gästen gehören. Er erklärt den Teilnehmern, dass wir die Pilgertour von Shikoku absolviert und jetzt hier am Koyasan, dem Daishi unsere „Aufwartung“ gemacht haben. Ich muss grinsen, denn der gebürtige Schweizer erklärt den japanischen Gästen natürlich auf Japanisch, was es mit unserer Anwesenheit auf sich hat. Und verflucht noch mal - ich kann ihn richtig gut verstehen! Da läuft man wochenlang durch Japan, verständigt sich mit Händen und Füßen, weil man den lokalen Dialekt, vielleicht auch die im Land vorherrschende Ausdrucksweise bzw. Sprechgeschwindigkeit, nicht gewöhnt ist, und dann bemerkt man, dass man vom Unterricht so an die europäische Sprechweise des Japanischen gewöhnt ist, dass man einen japanischen Muttersprachler nicht mehr versteht. Aber jetzt beginnt die Zeremonie.

Exkurs Zeremonien im Shingon Buddhismus (siehe Exkurse)

Es ist relativ dunkel hier, nur die kleinen Feuer auf den Gebetsplattformen der Mönche und einige Kerzen flackern vor sich hin. Es ist ein eindrucksvolles Ritual, dass von Gesängen und Opferungen von Flüssigkeiten aus Schälchen, die in dem kleinen Feuer verbrannt werden, begleitet werden. Als das Herz Sutra (hannya shingyo) rezitiert wird, können wir natürlich in den Chor mit ein fallen. Die Mönche scheinen sich bei dem Ritus abzuwechseln, da der Gesang mal von hier und mal von dort kommt. Wenn ich richtig informiert bin, werden am Ende die Verstorbenen mit Namen genannt, für die diese Zeremonie abgehalten wurde bzw. wer zur Erfüllung eines Wunsches eine Zeremonie bestellt hatte. Auch wir werden in den Ritus miteingebunden: Beim Weihrauchopfer verbeugt man sich vor der Schale, in der ein kleiner Funke glimmt, nimmt etwas Weihrauchpulver zwischen Daumen und Zeigefinger, führt sie zur Stirn, verbeugt sich und fügt das Pulver vorsichtig dem Glimmen hinzu. Einfach den Vordermann beobachten und es ihm nachtun. Nachdem die Zeremonie beendet ist, geht Tamara noch auf einen Tasse „Grünen Tee“ mit zu Kurt, doch Hajo und ich haben Frühstück für 7.00 Uhr bestellt und treten dem entsprechend den Rückweg zur Jugendherberge an. Das Frühstück ist lecker und reichhaltig, wir bekommen sogar hartgekochte Eier. Später gesellt sich dann Tamara noch zu uns, die von ihrem Tee-Kränzchen berichtet.

Ich bin noch relativ planlos, was ich heute unternehmen will - natürlich den Koyasan erkunden. Da Tamara die nächste Nacht als Shokubō (Tempelunterkunft) in einem Tempel gebucht hat, wird sie nach dem Frühstück dorthin umziehen. Ich bekomme mein englischsprachiges Kartenbuch zurück, das ich ihr gestern Abend geliehen hatte. Da sie noch keine konkreten Vorstellungen über den weiteren Verlauf ihrer Reise hat, haben wir ihr einen Abstecher nach Shikoku empfohlen und auch ich überlege, was ich denn machen könnte, wenn ich den Flug nicht umbuchen kann. „Opandgo“, das Internetportal bei dem ich meinen Flug gebucht habe, hat sich noch nicht gemeldet. Da Hajo hier schon länger weilt und sich somit auskennt, beschließen wir wieder gemeinsam die Tempelstadt unsicher zu machen.

Wir wollen als erstes den Kongōbuji, also den eigentlichen Haupttempel des Shingon Buddhismus, besuchen und danach den als „Danjo Garan“ bezeichneten Tempelkomplex. Doch als wir die Hauptstraße in Richtung Kongōbuji laufen, treffen wir vor dem Muryōkō-in, Kurt, der sich mit einem Fahrrad gerade auf den Weg machen will. Wir verabreden uns für 15.00 Uhr im Muryōkō-in und setzen unseren Weg fort. Aber es ist schwierig hier voran zu kommen, da die vielen Tempeltore einen immer wieder staunend fesseln. Wir passieren eine einstöckige Pagode, die hier an der Straße steht und nicht den Anschein erweckt, als würde sie zu einem der angrenzenden Tempel gehören. Die daneben stehende Statue aus polierten, schwarzen Stein, wirkt auf mich eher untypisch, das es eine dicke Buddha Statue (ähnlich Hotei von den 7 Glücksgöttern) ist, aber eine Art Kapuze trägt, die mich eher an einen Kampfmönch erinnert. Wir folgen der Straße, aber ich schaue immer wieder neugierig in die Eingangstore und was sich dahinter verbirgt. Mein Gott, was sind wir neugierig! Wir wollen zwar nur einen Blick auf die dahinterliegenden Gebäude werfen, doch meist kommt gleich ein Mönch auf uns zu gestürmt. Wir laufen die Odawara Straße entlang, hier gibt es viele interessante Geschäfte, in denen man Pilgerutensilien, Omiyage (Reisegeschenke für die Daheimgebliebenen) und die lokalen, kulinarischen Spezialitäten erstehen kann. Jetzt führt mich Hajo aber zum Kongōbuji (Diamant Tempel) Tempel, den ich unbedingt besuchen soll, da er einen der größten Zen Gärten Japans beherbergt. Hajo schwärmt für diese Art von „Japanischen Garten“, da sie relativ schlicht sind, meist nur aus einer Fläche aus hellen Kieselsteinen und den symbolträchtigen Felsen bestehen. Sie sind allenfalls von einigen Bäumen oder Sträuchern sowie Moosflächen eingerahmt, so dass sich die meiste Pflege darauf beschränkt, die Kiesel mit einem großen Rechen in Form zu harken und eventuell vorhandenen Blätter abzusammeln. So ein Garten hätte Hajo auch gerne zuhause in Hamburg.

In der Erläuterung zu diesem Garten wird vermerkt, dass er 2340 m2 umfasst und die Kieselsteine aus Kyoto stammen, die Felsen jedoch von Shikoku herbei geschafft worden sind. Wir machen einen Abstecher durch die Küche des Tempels und ich frage mich, ob die Mönche hier heutzutage immer noch verköstigt werden, oder ob es sich um eine Art „Ersatzküche“ handelt, die beim allzu großen Pilgerandrang z.B. an Festtagen wieder in Funktion genommen wird. Der Tempel wurde ursprünglich von Hideyoshi Toyotomie (1537-1589) erbaut. „Affe“, wie man ihn aufgrund seiner Gesichtszüge nannte, ist ein berühmten General aus bäuerlichen Verhältnissen gewesen, der zu seinen Glanzzeiten sogar Herrscher (Kampaku, „kaiserlichen Regenten“) über Japan war und den Weg für den Aufstieg Tokugawa Ieyasus (1545-1616) zum Shogun (Militärmachthaber) ebnete. Ieyasus schließlich konnte sich nach etlichen Schlachten gegen konkurrierende Samurai Clans durchsetzen, das Reich einigen und sich vom Kaiser (Tennō) 1603 zum ersten Shogun Japans ernennen lassen. Berühmt ist der Kongōbuji nicht nur weil er faktisch der Haupttempel über 3500 Zweigtempel in ganz Japan ist, sondern er birgt auch in künstlerischer Hinsicht einige Schätze. So z.B. das Ohiroma Zimmer, das für wichtige Zeremonien genutzt wird und dessen Schiebetüren (fusuma) vom Künstler Tanyuu Kanō (1602-1674) gestaltet worden sind. Vom gleichen Künstler stammen auch die Trauerweiden in einem weiteren Raum, in dem der Neffe bzw. Adoptivsohn Toyotomies (siehe oben) Hidetsugu 1595 rituellen Selbstmord (Seppuku) begangen hat, um einer Bestrafung wegen Hofverrats zu entgehen.

Schließlich kommen Hajo und ich in eine große Halle, in der das Bildnis Kōbō Daishis neben zwei seltsam anmutende Mandala (Bildhafte Erläuterung der Verhältnisse der Buddhas und der Welt) hängt. Es ist weder das mir bekannte Diamantreich- (Kongōkai) noch das Mutterschoßmandala (Taizokai). Doch bei näherem Hinsehen, könnte es eine „Abschrift“ der Mandalas sein, in dem die Buddhas nicht als Bilder, sondern inform ihrer Sanskrit-Silben (Keimsilben) aufgeführt sind. Man wird doch immer wieder überrascht! Hier ist es sogar erwünscht, bei einer Tasse „Grünen Tees“ zu verweilen. Die großen Heizöfen, auf den das Teewasser kocht haben es mir besonders angetan, da ich schon wieder durchgefroren bin. Aber jetzt gibt es sowohl Wärme von außen als auch von innen und selbst die Seele kann sich hier bei einer bei einer Runde Meditation für den Shingon Buddhismus erwärmen.

Wir streifen noch durch den Tempel, gucken uns die ausgestellten Sänften und Holzscheiben an. Letztere stammen wohl von den alten Bäumen aus der Pinienallee am Okunoin (Mausoleum) und auch vom Vorhof des Kongōbuji schieße ich noch einige Fotos. Besonders von den Brandschutzmaßnahmen hier sind wir amüsiert, da große Holzbottiche nicht nur am Boden, sondern direkt auf dem Schilf gedeckten Dach postiert sind. Das gäbe so eine richtige Dusche, wenn so ein Behältnis von da oben runterpurzeln würde. Jetzt müssen wir aber weiter, doch die Kirschblüte am Tor bremst mich abermals. Wie gesagt es ist hier auf dem Plateau des Koyasan, das sich zwischen 8 Bergspitzen erstreckt, immer etwas kühler, so dass auch die Kirschblüte etwas später stattfindet. Allgemein ähnelt der Koyasan im Aufbau einem Mandala, das sich über ganz Japan erstreckt. Kōbō Daishi hat diesen Platz also nicht ohne Hintergedanken ausgewählt, als er 816 vom damaligen Kaiser Saga (786-842; 52. Tennō) die Erlaubnis bekommen hat, hier sein Hauptquartier zu errichten.

Wir passieren die „Rojuji no Kane“, die 6-Uhr-Glocke, und laufen zum Danjo Garan Komplex. Er besteht aus der Kondo Halle (Goldene Halle), der Konpon Daito Pagode und dem Miedo (Halle der ewigen Einkehr), dazwischen liegen noch kleinere Gebäude wie das Aizendo, Daiendo, Junteido, sowie der Myo Schrein. Das dazugehörige Daimon („Große Tor“) liegt etwas abseits dieses Komplexes – wir wollen es später noch besuchen. Die Kondo Halle stammt ursprünglich aus dem Jahre 819 und wurde noch von Kukai persönlich erbaut und Ashuku Nyorai gewidmet. Ashuku gehört zu den 13 Buddhas des Shingon, und ist im Diamantreichmandala (Kongōkai) Begleitbuddha von Dainichi Nyorai, dem höchsten Buddha im Shingon Buddhismus. Ashuku repräsentiert die Erde und in dieser Aufgabe wird er auch als „Lotos König“ bezeichnet, da er einer der 5 Könige der Weisheit ist. Die jetzige Halle stammt aus dem Jahre 1932 und ist die 7. Rekonstruktion, da auch der Koyasan nicht von Feuersbrünsten verschont geblieben ist. Im Miedo soll Kōbō Daishi gelebt haben. Hier wurde ein Bildnis des Daishi aufgehängt, das der Künstler Shinnyo Shinno, ein Schüler Kōbō Daishis, geschaffen hat. Die Rekonstruktion der Halle stammt aus dem Jahre 1848. Die Fudodo Halle soll im Jahr 1198 vom Gyosho Shonin erbaut worden sein, sie ist somit das älteste noch im Originalzustand erhaltene Gebäude auf dem Koyasan. Sie wurde im Kamakura Stil erbaut und zählt heute zu den Nationalschätzen. Die Konpon Daito Pagode ist 48,5 m hoch und Dainichi Nyorai geweiht. Sie ist vollständig mit Lack überzogen und erst 1937 fertig gestellt worden. Betrachtet man den Koyasan als Teil eines Madalas, so ist diese Pagode der Mittelpunkt, dementsprechend finden sich in ihr sowohl der Dainichi Nyorai aus dem Taizokai (Mutterschoß) Mandala als auch vier Buddhas aus dem Kongōkai (Diamantreich).

Nach und nach besuchen wir die Hauptgebäude. Dann und wann muss man Eintritt bezahlen, eine freiwillige Spende abdrücken oder man kommt gar nicht ins Gebäude rein, weil sie verschlossen sind oder wir einfach zu doof sind, die richtige Tür der unzähligen Türen zu finden. Zum Glück gibt es hier Informationstafeln in englischer Sprache, so dass man sich dann doch nicht ganz so verloren vorkommt, zwischen all der Kultur und Religiosität. Wir besuchen den Saito aus dem Jahre 1834, eine 27 Meter hohe Schatzpagode (tahōto), die von riesigen Zedern umstanden ist. Das Gegenstück ist die Toto Pagode im Nordosten, die 1843 nieder brannte, aber erst 1984 wiedererbaut wurde. Wir besichtigen noch den Aizendō, die „Sanko-no-Matsu“ genannte Riesenpinie und den Pfauentempel „Kujako“, der vom Ex Kaiser Go-Toba (1180-1239; 82. Tennō) errichtet wurde und dessen Statue des Pfauengottes Mayura Videyara vom Künstler Kaikei um das Jahr 1200 geschaffen wurde. Das derzeitige Gebäude stammt allerdings aus dem Jahre 1984, nachdem ein Brand das gesamte Gebäude mit Ausnahme der Statue vernichtet hatte. Rokakku Kyōzō ist ein Sechseckbau, der aus dem Jahre 1159 stammt. Das Gebäude fiel ebenfalls einem Brand zum Opfer, so dass das jetzige neu errichtet werden musste. Ursprünglich enthielt der Bau eine chinesische Triplika (dreiteiliges Bild) mit goldenen Schriftzeichen auf purpurnem Untergrund, dies wird jetzt jedoch im naheliegenden Reihōkan Museum verwahrt.

Es gibt hier sogar einen Schrein, dessen weibliche Gottheiten Nyuu und die männliche Gottheit Koya bzw. Kariba von Kōbō Daishi dazu eingeladen worden waren, als Schutz-Kami (Shinto Gottheiten) für den Tempelbezirk zu dienen. Er soll sie, wenn ich es richtig verstanden habe, vom Amano am Fuße des Koyasan mit hierher gebracht haben.
Jetzt raucht mir aber der Kopf von den vielen Gebäuden und Eindrücken. Alles hier hat Geschichte, alles ist wichtig und man will ja auch nichts verpassen, was hier sehenswert ist. Aber schließlich laufen wir in Richtung Daimon („Großes Tor“), welches den eigentlichen Eingang zum Koyasan darstellt. Es gibt im Konpon Daito Komplex zwar noch das Mausoleum von Chisen Daitoku, das Sanmaido, den Bentensha Schrein in einem Teich, aber jetzt wandern wir über die Ruinen des ehemaligen als „Mitteltor“ bezeichneten Areals zurück zur Straße. Auch das auf der gegenüberliegenden Straßenseite liegende Reihokan Museum schenken wir uns und kommen nach einigen Minuten Fußmarsch an das beeindruckend große, an die 25 Meter hohe Dainmon (Tor). Es ist eine Rekonstruktion von 1705 und die Wächterstatuen stammen vom Künstler Hokyo Uncho, über den ich aber nichts weiter in Erfahrung bringen konnte. Die Hauptstraße läuft hier direkt in einer Kurve vorbei, und um nicht von den doch recht zügig vorbeifahrenden Autos und Motorrädern angefahren zu werden, muss ich beim Fotografieren schon recht vorsichtig sein. Geschützt von kleinen Dächern gibt es die beiden „Otasuke Jizōs“ hier direkt an der Straße. Die Jizōs sollen Wünsche erfüllen können, doch bei der Aussicht von hier, bin ich eigentlich wunschlos glücklich. Das hätte ich vorher wissen müssen, denke ich so bei mir, als ich ein Schild mit den lokalen Wanderwegen entdecke. Ich hatte mir schon im Zug Gedanken darüber gemacht, wie der Pilger, der das Pilgern so richtig Ernst nimmt, hier denn hochkommen könnte. Diese Frage wird mir hier beantwortet:

Exkurs: Wander-/Pilgerwege der Kii-Berge
http://whc.unesco.org/pg.cfm?cid=31&id_site=1142
Über einen alten Wanderpfad „Koyasan cho ishi michi“), der am Fuße des Koyasan am Tempel Jison-in in Kudoyama beginnt, kann der geneigte Pilger, aber auch der einfache Wanderer, den Weg bis zum Okunoin (Mausoleum) zurücklegen. Diese 24 Kilometer werden jeweils alle 109 Meter durch steinerne Säulen markiert, so dass man nach 216 erwanderten Wegmarkierungen vor dem Mausoleum von Kōbō Daishi steht. Da es Frauen bis 1872, die magische Zahl der Meiji-Restauration, verboten war, den Koyasan zu betreten, gibt es bis heute den sogenannten „Frauenweg“, der um das Plateau des Koyasans herumführt. Nach einer ca. 6-stündigen Wanderung konnten sich die Pilgerinnen dann am Ortseingang im „Nyonindo“ genannten Gebäude ausruhen, denn näher durften sie zu damaligen Zeit dem heiligsten Ort im Shingon Buddhismus, dem Mausoleum des Daihi, nicht kommen. Aber der Koyasan ist und war nicht nur Ziel von Pilgerwanderungen, sondern auch Ausgangspunkt für solche. Ise-ji wird zum Beispiel der Pilgerweg zum Ise-Schrein genannt, zu Japans wichtigstem Schrein, der der Sonnengöttin Amaterasu gewidmet ist. 2004 wurde das gesamte Gebiet der Kii-Berges von der UNESCO zum Weltkulturerbe ernannt. Unter dem Titel „Heiligtümer und Pilgerrouten in den Kii-Bergen“ umfasst es den gesamten Koyasan, sowie die Pilgerrouten (Naka-hechi, Ō-hechi, Ko-hechi) zu den Kumano-sanzan, den drei Großschreinen von Kumano (Honguu-Taisha, Hayatama-Taisha und Nachi-Taisha), die Gebirgsregion um Yoshino und Ōmine, sowie die die beiden Tempel Fudarukusan-ji und Seiganto-ji.

Letzterer Tempel soll mir später noch begegnen, da er der erste der sogenannten „Saikoku“ Pilgerroute ist, eine aus 33 Tempeln bestehende Pilgerroute, die der Gottheit Kannon gewidmet ist. Ohne vorgreifen zu wollen, aber der Flug lässt sich nicht umbuchen und ich werden den Entschluss fassen, meine verbleibenden 3 Wochen in Japan zu verbringen. Ich werde den shintoistischen Schrein in Ise besuchen und von dort dem Kumano-Kodo oder exakter dem Ise-ji, zu den shintoistischen Großschreinen von Kumano folgen. Da ich dann noch Zeit habe und durch “Zufall“ am Honguu-Taisha Schrein auf den direkt daneben liegenden Saiganto-ji Tempel treffe, werde ich in der mir verbleibenden Zeit auch noch 20 dieser 33 Tempel besuchen.

Aber jetzt laufen Hajo und ich wieder die Hautstraße entlang, vorbei am Hasu-ike, dem Teich, in dem auf einer Insel, nur über eine Brücke zu erreichend, der Bentensha Schrein liegt. „Wollen wir noch eine Sutra kopieren“, fragt mich Hajo und grinst breit. Wie sollen wir bei unseren mangelnden bis gar nicht vorhandenen Japanisch Kenntnissen eine Sutra abschreiben? Ich habe das Schreiben von Kanji (Symbolzeichen) zwar schon geübt, das beschränkte sich jedoch auch einfach Zeichen, die kaum mehr als 5 Striche aufwiesen. Aber als wir von einer netten Japanerin in den Raum für das Shakyo (Sutra kopieren/abschreiben) geführt werden, liegt da ein Filzstift mit pinselartiger Schreibspitze und die zu kopierende Sutra, deren Schriftzeichen grau unterlegt sind, so dass wir die Strich nur nachziehen müssen. Aufatmen, wir werden uns also nicht blamieren, zumal eine Anweisung in Englischer Sprache beiliegt.

Man soll in dem, was man tut vollständigen aufgehen, heißt es meist, wenn man den Weg der Erleuchtung sucht. Nicht nur etwas schreiben, sondern zum Geschriebenen werden. Volle Konzentration auf die Aufgabe, auch wenn es in japanischen Augen eine einfache Schreibübung ist. Doch wir Ausländer, die nicht so vertraut mit den Kanji sind, denken bei den Zeichen eher an zu Boden gefallene Spaghetti, als an so einleuchtende Kombinationen, wie dass aus Frau und Kind das Kanji für „sich mögen“ entsteht. Die „noch nicht Frau“ die kleine Schwester bezeichnet und die Kombination Frau und Markt, für die ältere Schwester steht, die durchaus schon alleine zum Markt gehen kann. Aber für uns Gaijin (Ausländer) ist der Umgang mit den Kanji ohnehin mit viel Konzentration verbunden, da wir die Strichführung ohnehin nicht kennen und es mehr wie eine Art „Malen nach Zahlen“ abläuft. Erstaunlich schnell haben wir dann unser Blatt gefüllt. Liegt es an der Schreibgeschwindigkeit oder an der Konzentration, die einem Stunden wie Minuten vorkommen lassen. Auf alle Fälle sind wir mit unserem Kunstwerk zufrieden und stellten uns jetzt die Frage, ob wir es als Souvenir mit nach Hause nehmen oder für eine, doch recht hohe, Gebühr zu Ehren des Daishi in einem Sutrenspeicher im Tempel für 1 Jahr verwahren lassen wollen. Wir entscheiden uns für die preiswerte Variante, obwohl ich mir noch ein Schreibset zulege, damit ich Zuhause noch ein bisschen üben kann.

Wir verlassen das Gebäude und wandern weiter in Richtung Okunoin. Kehren am Karukayado Doshin ein, um ein paar Postkarten zu kaufen. Im Karukayado Doshin (http://www.koyasan.net/i/english/sightseeing/seeingspot/karukayadou.html) wird die Geschichte von Karykaya Doshin und seinem Sohn Ishido-maru anhand hübscher Bilder erzählt. Sie lebten fast 40 Jahre hier in diesem Gebäude zusammen, ohne zu wissen, dass sie Vater und Sohn sind. Die Mutter verstarb kurz bevor sie ihrem Sohn seinen Vater vorstellen konnte am Fuße des Koyasan. Das Verbot für Frauen den Koyasan zu betreten tat ein Übriges, so dass die Frau ihren Mann nicht direkt seinen Sohn übergeben konnte. Aber die beiden fanden auch so nach dem Tod der Mutter zusammen. Wie die Zusammenhänge nun gelüftet wurden, verschießt sich meiner Kenntnis. Soll es eine Parabel über das Schicksal (Karma) sein, das grausam ist und dem man nicht entrinnen kann oder eine Geschichte über Fügung, dass was zusammen gehört schließlich und endlich auch zusammen findet?

Wir wandern weiter die Straße entlang, ein Schild weist den Weg zu einer Universität. Man muss bedenken, dass hier ca. 4000 Menschen leben, vielleicht 1000 davon sind Mönche. Von den vielen Touristen, die jährlich den Koyasan besuchen, will ich gar nicht reden. Aber die Menschen müssen versorgt werden, so gibt es neben Souvenirshops, kleine Supermärkte, Restaurants und Kneipen. Der Koyasan hat natürlich eine Universität (Koyasan Daigaku) zur Ausbildung der Mönche und Priester, aber auch eine Primary School (Grundschule), eine Junior High School (Realschule) und eine High School (Gymnasium), wo die Kinder der Einwohner zur Schule gehen. Über die Sando, die Zedernallee, gelangen wir wieder zum Okunoin, dem Mausoleum des Daishi. Auf meiner Karte sind verschiedene Gedenksteine eingetragen, z.B. für die Familie Toyotomi, Maeda oder Tokugawa. Es macht richtig Spaß, die Gedenksteine zu erkunden, da es ohne diese Hintergrundinformation einfach nur großr Steine mit japanischen Schriftzeichen sind. Bei besonders ungewöhnlichen Steinen hätte ich mir gerne eine Tafel in Englisch gewünscht, so z.B. bei der bereits erwähnten Hundestatue, oder auch bei dem kleinen Samurai, der mit seinen Zügen auf dem glattpolierten, schwarzen Marmor wie eine Manga-Figur (Comic-Figur) wirkt. Eine Firma hat hier sogar eine Tasse Kaffe in Stein arbeiten lassen. Kaum zu glauben, dass in Deutschland ein Kaffeeröster einen Gedenkstein für seine verstorbenen Betriebsmitglieder auf einem Friedhof errichten lassen würde - aber das ist Japan. Es gibt hier nicht nur ungewöhnliche Gedenksteine, sondern ganze Hütten aus Stein, mit einem Steintori (shintoistisches Tor) und Steinzaun, die mehr oder weniger verwittert, zum Teil mit Moos überzogen, den Ort so richtig unheimlich machen können. Heute scheint zum Glück die Sonne, aber gestern, als ich hier im Nieselregen entlang gelaufen bin, planlos, orientierungslos, kam dieser Ort mir so trostlos vor. Aber jetzt kann ich das Rasseln von Waffen der stolzen Samurai und Shogune geradezu hören. Was muss dieser Wandermönch namens Kukai (Kōbō Daishi; posthumer buddhistischer Ehrentitel) doch für eine Wirkung durch die Jahrhunderte, sowohl auf die Ärmsten als auch die Mächtigsten, hier in Japan gehabt haben, dass sie sich entschlossen haben, in der Nähe des Daishis ihre letzte Ruhe zu finden.

Jetzt betreten wir wieder den heiligsten Bereich, der durch einen kleinen Fluss, abgeteilt ist. Hajo erklärt mir noch was die einzelnen Gebäude darstellen und wo genau denn der Daishi in ewiger Meditation verweilt. Wir opfern ein Bund Räucherstäbchen, den wir in der Stadt geschenkt bekommen haben und machen uns wieder auf den Rückweg. Wir sind doch mit Kurtsan um 15.00 Uhr verabredet und deshalb wollen wir noch einige Teigteilchen für unser „Tee Kränzchen“ besorgen. Der lokale Kombini (24-h-Shop) heißt hier „Coco“ und schnell sind einige Teilchen gekauft. Ich hoffe nur, dass Kurt als Priester diese Süßigkeiten auch essen darf bzw. überhaupt Süßes in seinen Ernährungsplan passt. Aber schließlich trudeln wir dann etwas verspätet um 15.30 Uhr im Muryōkō-in ein. Leider ist Kurts Frau, die zusammen mit ihm in den Zimmer lebt, nicht da und auch Kurt selber ist keine Naschkatze. Aber trotzdem haben wir bei einer Tasse Tee anregende Gespräche über seinen Lebenslauf, seine Projekte und das Leben allgemein. Er berichtet uns von einem Fernsehteam, das eine Dokumentation über die Shikoku Pilgertour drehen will und ihn als Experten befragen möchte. Auch die DVD „88 – Pilgern auf Japanisch“ befindet sich in seinem Besitz, so dass wir ihm von unserem Kontakt zum Regisseur, den wir zwecks Informationsaustausches in Berlin besucht hatten, berichten können. Wir haben echtes Glück, Kurtsan gerade jetzt anzutreffen, denn er ist, wie bereits erwähnt, erst gestern aus Thailand zurückgekehrt. Die Zeit vergeht wie im Fluge und als wir auf die Uhr gucken, ist es doch schon 19.00 Uhr. Kurz entschlossen laden wir Kurtsan in sein Stammlokal ein, das am Ende der Straße liegt. Es ist klein, aber fein, wie ich gestern mit Tamara feststellen konnte. Die Bestellung überlassen wir Kurt, da er wohl am Besten weiß, was hier schmeckt. Es gibt „Grünen Salat“ mit Tofu, Sashimi und eine Schüssel Reis bestellen wir auch noch. Aber leider haben wir schon alles verputzt, als die Wirtin mit dem Reis kommt. Kurtsan erklärt uns dann noch, was es mit den Hähnchenteilen auf sich hat, die eigentlich ganz gut geschmeckt haben. Es soll sich wohl um „Kropf“ gehandelt haben, also die muskulöse Aussackung des Halses beim Huhn, aber das hat jetzt nicht irgendwie ungewöhnlich geschmeckt. Da hätte er schon mit Natto (fermentierte Sojabohnen), Bienenembryos oder Zappel-Sushimi (roher Fisch) kommen müssen, um uns gestandene Shikoku Veteranen aus der Fassung zu bringen.

Wir treffen recht spät in der Jungendherberge ein, da wir auch in der Kneipe unser Gespräch fortgesetzt haben. Aber anstelle eines Bades krieche ich todmüde in mein Bett und sage Hajo, dass er am Morgen nicht mit mir rechnen soll, falls er wieder die Morgenmesse im Muryōkō-in besuchen möchte. Und ich tat wohl, denn während der Nacht werde ich von mindestens 8 Toilettenspülungen aus dem Schlaf gerissen.

Mittwoch, 30. Juni 2010

Dienstag, 28.04.2009, Tokushima, BR Sakura

Der 44. Tag in Japan
Um 6.30 Uhr ist Abmarsch bei mir angesagt, da der Bus um 7.05 Uhr abfährt. Ich werde erstmal mit dem Reisebus zum Kansai Airport fahren, um am Flugschalter Informationen einzuholen. Ich hatte zwar eine E-Mail an die Airline geschickt, jedoch noch keine Antwort erhalten. Wo ich das nächste Mal Gelegenheit finde, einen Internetanschluss zu finden ist fraglich. Natürlich gibt es im Kansai Airport im Keller eine Reihe von Internetterminals, von denen man für 100 Yen ca. 10 Minuten im Internet surfen kann, aber bei meiner Ankunft wird es ist in Japan noch früher Morgen sein (dementsprechend ist es in Europa noch mitten in der Nacht). Hier in Tokushima kaufe ich erstmal ein Ticket für den Bus, bekomme meine Gepäckscheine vom Fahrer ausgehändigt, der meinen Rucksack sofort im Gepäckfach verstaut. Als ich mich jedoch ganz vorne am Eingang platziere, so wie ich es schon bei der Hinfahrt mit Hajo getan hatte, werde ich darauf aufmerksam gemacht, dass ich ein Ticket 2. Klasse gekauft habe und die Sitzplätze dafür erst ab der 3. Reihe beginnen. Ich sehe dabei zwar keinen großen Unterschied zur Hinfahrt, ich habe beides mal 4000 Yen bezahlt, füge mich jedoch den Anweisungen. Als der Bus vom Busbahnhof vor dem Tokushima Hauptbahnhof abfährt, verabschiede ich mich innerlich von Shikoku. „Sayonara Shikoku – bis bald!“

Jetzt noch zurück über den Naruto Expressway, die Naruto Kaikyo Brücke, die Sikoku mit der Insel Awaji verbindet, und der Akashi Kaikyo Brücke, die die Verbindung zum Festland darstellt, und schon sind wir durch die Stadt Kobe wieder in Osaka. Als ich in Kansai aussteige, prüfe ich zuerst, ob der Airline Schalter besetzt ist. Aber Fehlanzeige – da es zurzeit keinen Flug dieser Airline gibt, ist auch keine Schalter geöffnet bzw. kein Personal, das ich hätte fragen können, anwesend. Ich gehe ins Kellergeschoß, um mir an der Touristeninformation Infos zum Koyasan zu besorgen. Vor allem benötige ich Infos wie ich am leichtesten dort hin komme. Leider ist die nette Japanerin, die mich und Hajo vor 6 Wochen weitergeholfen hatte nicht da, aber auch so bekomme ich viele nützliche Informationen. Ich erhalte eine Karte mit der Aufschrift „Map of Kansai Airport“, eine Karte, die ich jedem empfehle sich zu besorgen, da sie nicht nur eine Karte des Einzugsgebiets von Kansai aufweist, sondern auch das Liniennetz der JR („Japan Railways“) - und Privatbahnen der Gegend. Ich kann von Kansai mit der privaten Nankai Railway Linie nach Kishinosato Tamade fahren, dort umsteigen, um dann mit einer weiteren Nakai Linie direkt zum Koyasan zu fahren. Da ich ein Kombiticket kaufe, welches die Bergbahn vom Bahnhof Koyasan auf den Berg mit ein schließt, sollte ich so relativ sicher an mein Ziel gelangen. Das klingt erstmal gut, da es aber viele unterschiedlich schnelle Züge gibt, die nicht überall halten bzw. die Strecke nicht durchfahren, ist es dann doch komplizierter als gedacht. Es wird hier nicht nur in Express und Local (normal schnell) unterschieden, sondern es gibt hier Limited Express rapid, Ltd. Express Southern, Ltd. Express, Airport Express, Sub Express, Semi Express und natürlich den Bummelzug (local), der an wirklich jeder Haltestelle stoppt. Sitzt man im falschen Zug und wundert sich, dass alle Leute auf einmal den Wagon verlassen, ist das wohl die Endstelle. Man muss immer darauf achten bis wohin („bound for XY“) der Zug fährt, um von dort dann einen Anschlusszug zu nehmen.

Ich habe leider Pech, so dass ich von 11.00 bis 14.00 Uhr auf so einem kleinen Bahnhof herumsitzen muss. Die Sonne scheint zwar, aber mir ist kalt. Vielleicht weil wir schon in den Bergen sind. Zum Aufwärmen ziehe ich mir eine Dose Nescafe aus dem Automaten, obwohl ich eigentlich sowohl den fertigen Dosenkaffee als auch Tee verabscheue. Aber wenn einem kalt ist, nutzt man jede Wärmequelle. Der Kaffe wird sogar in drei unterschiedlichen Geschmacksrichtungen angeboten. Die Dosen tragen die Aufschriften „France“, „Italia“ und „Tanzania“ in Romaji (Lateinische Buchstaben) und ich schätze, dass hier mit Milchkaffee, Espresso und Normalkaffe gemeint sein könnten. Ich bin ja schon froh, dass es Nescafe ist und nicht diese übersüßten, mit Milch verunreinigten Koffeinbomben, die sich „Morning Shot“ oder so ähnlich nennt. Doch endlich geht es weiter.

Der Zug schleppt sich den Berg hoch, allzu weit kann es nicht mehr sein, denn der Zug hat ganz schön zu tun, hier hochzukommen. Bald werden ich auf die Zugbahn („Cablecar“) umsteigen müssen, da es trotz Tunnel einfach zu steil für einen Normalzug wird. Als ich dann in Gokarukobashi eintreffe, wuchten ich mich und mein Gepäck zur besagten Seilzugbahn, die nur wenige Meter weiter ihren Ausgangspunk hat. Wir sind nur wenige Personen im Wagon, der keinen Gang, sondern eine Treppe im Inneren aufweist, da es hier so steil ist. Mir fällt sofort eine Frau mit lindgrüner Jacke auf, die hier einige Fotos schießt. Ausländer fallen hier schnell auf und auch mich hat sie entdeckt. Als sie sich wieder zu ihrem Manns setzt, fang ich ein Gespräch an. Es sind Franzosen, die im Zuge ihres Japanurlaubs den Koyasan besuchen wollen. In Kyoto, Osaka und Nara sind sie schon gewesen, jetzt wollen sie den berühmten Koyasan besuchen. Ich berichte ihnen von meiner Shikoku Tour und so plaudern wir fast die ganze Fahrt nur über Japan. Es gibt hier zwei Bahnen, die jeweils nach oben und unter fahren. In einem kleinen Bereich ist die Strecke zweigleisig ausgebaut, hier müssen sich die Bahnen treffen, da der Rest nur eingleisig ist. Ich frage mich gerade, wie man hier als Wanderer bzw. Pilger den Berg hoch kommt, da die Strecke zeitweilig parallel zu einem Schotterweg verläuft. Aber schließlich kommen wir an der Bergstation an und ich bin wieder etwas geschockt, wie viel Betrieb hier auf einmal ist.

Ich dachte, ich wäre am Ziel, aber hier muss man noch auf Busse umsteigen, die einen in die eigentliche Stadt bzw. zu den Tempel, von denen es hier über 100 gibt, bringen soll. Da man den ersten Teil bis zum Eingang nicht laufen darf, sei es als Vorsichtsmaßnahme damit man hier nicht unter die Räder kommt, oder als Einnahmequelle für die Tempelstadt, kaufe ich mir an der Kasse erstmal ein Tagesticket. Zum Glück bekomme ich hier gleich einen Lageplan und eine Informationsbroschüre in englischer Sprache ausgehändigt. Etwas verwirrt, weil ich mich noch nicht entscheiden konnte, besteige ich den erstbesten Bus, um erstmal in die Stadt zu kommen. Meine Vorstellung von einem kleinen Dorf, das ganz traditionell und schlicht, dafür aber mit etlichen prächtigen Tempeln hier auf dem Koyasan liegt, muss ich begraben. Ich habe das gleiche Gefühl, welches ich damals beim ersten Besuch von Kyoto hatte, das ich mir als beschauliches Städtchen mit hübschen kleinen Tempeln vorgestellt hatte. Es präsentierte sich mir jedoch als Großstadt ähnlich wie Tokyo, welche die Tempel als Sehenswürdigkeiten vermarkten und mit einem gut ausgebauten Transportsystem verbunden hatten. Was soll ich sagen, so etwas nennt man wohl Kulturschock! Ich hätte mich vorher besser informieren sollen, aber jetzt lasse ich mich treiben und guck mal wo ich lande.

Ich steige am “Friedhof” bzw. als Okunoin („innerstes Heiligtum“) bezeichneten Bereich aus, da diese die letzte Bushaltestelle („Okunion mae“) ist. Von hier kann ich die Tempelstadt von hinten aufrollen, aber als erstes werde ich mir die Stempel für mein Pilgerbuch (nokyochō) holen. Ich bin ohnehin „durch den Wind“ und fürchte, es sonst zu vergessen. Hier am Pilgerbüro stehen kleine Grüppchen von jungen Leuten. Ein junger Japaner ist gerade damit beschäftigt eigenhändig, die weißen Pilgerwesten zu stempeln, der Priester beschäftig sich derweil mit den anderen Pilgern. Es dauert bis ich an der Reihe bin, aber schließlich und endlich habe ich dann doch mein Schicksal, respektive mein Pilgerbuch, erfüllt. Die Herrschaften hier, vor allem der etwas ältere, ich möchte ihn mal mit „Lackaffen“ umschreiben, unterhält hier die ganze Meute von jungen Männern. Mir sträuben sich die Nackenhaare, so würde ich mir einen Yakusa (jap. Mafia) vorstellen. Der nette und hilfsbereite Onkel von nebenan, der wenn du nicht auf seine Bitten eingehst, eine Spende für die hilfsbedürftige Gaunerschaft deines Stadtteils zu geben, dir die Finger bricht. Allzu gerne würde ich wissen, was er unter seinen Klamotten trägt, da es fast ausnahmslos Yakusa sind, die hier in Japan Tätowierungen tragen. Deshalb sind Tätowierungen in Japan auch heute noch verpönt und dieser „Gesellschaft“ verboten, öffentliche Badehäuser zu betreten. Aber ich will mich nicht noch mehr runterziehen. Da es hier oben nicht nur sehr kalt ist, sondern auch noch angefangen hat zu regnen, will ich mich nicht lange aufhalten. Ich durchwandere den „Friedhof“, es sollen hier mehr als 2000 Grabsteine stehen. Von Kaisern und Daimyō (lokaler Fürst), über Dichter bis zum einfachen Mann, ist hier alles vertreten, sogar Firmenlogos mit Gedenksteinen für die verstorbenen Mitarbeiter kann ich ausmachen. Da der Daishi im Alter von 62 Jahren in die „ewigen Jagdgründe“ eingegangen ist bzw. in ewiger Meditation (Samadhi) seit dem 21. März des Jahres 835 hier seine letzte Ruhe gefunden hat, dachten viele Anhänger, dass die Nähe des Heiligen ihnen ein gutes Karma (Schicksal) für das nächste Leben bescheren könnte. Diese Art der wundersamen Überdauerung, weder richtig tot und erleuchtet, noch lebendig und um die endgültige Auflösung (Nirvana) strebend, ist nicht ungewöhnlich hier in Japan. Denn auch dem Tendai Sektengründer Saicho („Höchste Klarheit“), der mit dem Daishi nach China gereist war, wird nachgesagt, seit 822 in seinem Tempel Enrakuji auf dem Berg Hiei (bei Kyoto) in Meditation zu verweilen. (Vielleicht hat jemandem den Bericht über den „Marathonmönch“ vom Hiei gesehen, eben dieser steht in der Tradition des Tendai Buddismus; siehe auch http://www.3sat.de/dynamic/sitegen/bin/sitegen.php?query_string=Japan&days_published=365&scsrc=1 Eingabe "Marathonmönch"

Ich wandere hier also über den Friedhof, aber die Orientierung ist schwierig, da keine Karte wirklich alle Gebäude auflistet. So vergleiche ich meine drei Auswahlmöglichkeiten, um meinen Standpunkt auch nur ansatzweise ermitteln zu können. Als ich an einem schreinartigen Gebäude vorbeikomme, es ist das Eireiden, dachte ich schon, dass es das Okunoin („Innerstes Heiligtum“) mit dem Mausoleum des Daishis wäre, aber es sieht eher nach Schrein aus. Aber ich bin auf dem falschen Weg, der richtige, eine etwa 2 km mit uralten Zedern eingefasste Straße, hätte mich über die Ichinobashi, die Nakanobashi und Gobyōbashi genannten Brücken direkt zum Daishi Mausoleum führen müssen. Die Brücken trennen jeweils die Bereiche in das „Reich der Toten“, das „Reich der Reinigung“ und das „Reich der Erleuchtung“. Ich fühle mich nach Shikoku zurückversetzt, wo ich mit jeder Provinz bzw. Dōjo (Übungsraum) der Erleuchtung (Nirvana) näher kommen sollte.

Jetzt laufe ich aber ein bisschen querfeldein und bewundere die vielen Statuen, Grabanlagen und Gedenksteine. Ich sehe eine Statue eines Hundes, ein kleiner Samurai im Manga Stil. (Manga bezeichnet die japanischen Comics, während Anime für die Zeichentrick- oder Animationsfilme verwendet wird.) Am Nissan Denkmal kann ich zwei Arbeiter erkennen und zwischendurch stehen diese riesigen Bäume, von denen die ältesten 900 Jahre alt sein sollen. Aus der Broschüre erfahre ich, dass aus Sicherheitsgründen immer wieder Bäume gefällt werden müssen, da sie abgestorben oder von einem Taifun beschädigt worden sind. Dies geschieht aber nur im Notfall und unter Rezitation von Sutren (Gebetsformeln). Es gibt hier so viele interessante Details, ich kann mich gar nicht satt sehen. Ein Buch lesender Herr mit Schal und einige Reliefs, bei denen ich europäische Kleidung und Gesichter ausmachen kann, sowie die „Berge“ von kleinen Steinen und Jizō Figuren habe es mir angetan. Später erfahre ich, dass diese Jizō „Aufschichtungen“ für Verstorbene errichtet worden sind, die keine Verwandten hatten, so dass sich auch niemand um die Riten nach dem Tod hätte kümmern können.

Ich sehe eine bronzene Gruppe von Figuren, „Mizumuke Jizō“ werden sie hier genannt, und es soll gutes Karma (Schicksal) bringen, sie mit Wasser zu bespritzen, was anwesende Pilger auch mit viel Schwung tun. Nach der letzten der drei Brücken ist es leider untersagt, Fotos zu machen oder hier mit Yukata (Baumwollkimono) durchzuschlendern. Ein Schild in englischer Sprache weist mich nachdrücklich darauf hin. Im Tama Fluss ist wohl eine Art spiritueller Reinigungshölzer aufgebaut, dies ist leider mein letztes Foto, da man im Okunoin (innerstes Heiligtum) nicht fotografieren darf. In der darauffolgenden Halle, es ist weder ein Tempel noch das Mausoleum, werden von Mönchen Bestellungen entgegengenommen, die sind auf Riten für die Toten und auf die Wunscherfüllung beziehen. Links vorbei, wieder aus der Halle, kommt man dann zu einer kleinen Hütte, die als „Knochenhaus“ genutzt wird. Hier werden Knochen derjenigen verwahrt, die wohl auf dem Friedhof vor dem Komplex weder Platz noch das nötige Kleingeld besaßen, um hier dauerhaft und endgültig die letzte Ruhe zu finden. Man kann sich hier auf dem Koyasan eine „Portion Glück“ erkaufen, z.B. indem man eine Sutra Abschrift anfertigt und sie dann gegen Bezahlung für einen gewissen Zeitraum hier lagert. Wer sich einbildet, die Sachen würde hier ewig verwahrt, wie es für Sutrenspeicher auf Shikoku in früheren Jahrhunderten üblich war, wird enttäuscht, denn dann würde der Berg aus allen Nähten platzen, so viel Stauraum gäbe es gar nicht. Aber so eine temporäre Zwischenlösung.

Jetzt stehe ich endlich vor dem Mausoleum des Daishi, kann aber kaum was sehen, da es hier keine Tempelhalle gibt, sondern nur ein Zaun, vor dem man Weihrauch abbrennt und seine Gebete tätigt. Irgendwo dahinten, hinter einer kleinen Tür, versteckt im Grünen, soll der Daishi in seinem Mausoleum in ewiger Meditation zwischen Dies- und Jenseits schweben. Dabei halten ich ihn doch in der Hand, meinen Daishi bzw. Wanderstock, der mich ohne größere Probleme über die Insel Shikoku geführt hat. „Arigatō gozaimasu“ (Herzlichen Dank), denke ich und will mich auf den Weg in die Stadt machen. Ich habe in einem kleinen Plan gesehen, dass es hier sogar eine Jugendherberge gibt. Vielleicht sollte ich da erstmal einkehren und mich von meinem Kulturschock erholen. Hier gibt es sicherlich noch mehr zu sehen und wenn ich schon mal hier bin, dann sollte es mir nicht entgehen lassen, mich erstmal gründlich zu informieren.

Ich laufe diesmal rechts am Gebäude vorbei und stoße auf eine Halle die Totodō („Laternhalle“) genannt wird und in der in ununterbrochener Folge, seit dem Eintreten des Daishis in seinen jetzigen Zustand, die gestifteten Laternen brennen. Die berühmtesten Laternen stammen vom Shirakawa Tennō (1053-1129; 72. Tenno) und einer armen Frau names Oteru (http://www.koyasan.or.jp/english/visitors/midokoro/torodo.html).
Ich halte mich hier aber nicht lange auf. Es ist kalt, tröpfelt vor sich hin, weshalb ich es vorziehe, mein Glück in der Jugendherberge zu suchen. Die liegt zwar fast am anderen Ende der Tempelstadt, aber da ich die 2 km Pinienallee ohnehin besichtigen wollte, laufe ich diesen Weg entlang. Als ich dann wieder auf die Hauptstraße treffe, auf der ich mit dem Bus gekommen bin, staune ich dann doch nicht schlecht, da sich hier ein Tempel an den nächsten reiht. Natürlich sehe ich nur die Tempeleingänge mit den Toren, aber alles ist hier schön gestaltet mit Pinienzweigen, Wasserbehältern und sogar Japanflaggen. Es gibt einen großen Pilgerutensilien Shop und kleine Stände wo man Opfergaben wie Orangen und erwähnte Pinienzweige kaufen kann. Zum Glück bestätigt sich meine Befürchtung nicht, hier eine Großstadt wie Kyoto vorzufinden. Vielleicht eine Kleinstadt oder um die jetzige Uhrzeit vielleicht ein Dorf, da die Tagestouristen schon wieder auf der Heimreise sind bzw. sich in die angrenzenden Tempel zum Shokubō (Tempelübernachtung) zurückgezogen haben.

Als ich in den Vorraum der Jugendherberge (http://www2.ocn.ne.jp/~koyasan/indexe.html) trete, es ist ein herrliches, altes Japanhaus, und ich bete, dass es heute Nacht noch ein Plätzchen für mich gibt. Die Wirtin spricht etwas Englisch und so kann ich mich sogar für zwei Nächte hier einmieten. Ob Schlafsaal oder Einzelzimmer spielt keine Rolle, da hier alle Übernachtungen das gleich viel kosten. Abendessen gibt es heute leider nicht, dafür morgen aber Frühstück. Als die Herbergsmutter mich zu meinem Zimmer führt, fällt meine Blick in den Aufenthaltsraum, der, dem Haus entsprechend, mit einem Go-Tisch (jap. Spiel mit weißen und schwarzen Steinen) sowie Shogi-Brett (jap. Schach), einer Sitzgruppe mit Rückenstützen und Utensilien für die Teezeremonie bestückt ist. Es gibt zwar auch einen Fernseher, ein schwarzes Klavier und eine Computerecke, aber das gehört mit zum Service. Was mich wundert, ist nur der Ausländer mit den grauen Haaren am Computer. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich ihn für Hajo halten. Doch der müsste mittlerweile in Nara oder Kyoto sein Unwesen treiben. Aber diese Schirmmütze und diese Größe, das ist tatsächlich Hajo, der vertieft in seine Computerarbeit, mich wohl nicht gesehen hat! Auch als ich ihn anspreche, höre ich von ihm nur ein abwesenden „gleich, ich muss noch was raussuchen“. Na ja, er wird mir nicht gleich davon laufen und so beziehe ich erstmal mein Zimmer ganz oben unter dem Dach.

Herrlich, ein richtiges Bett, zwar liegt ein dicken Dachbalken in gefährlicher Kopfhöhe, doch habe ich das Zimmer ganz für mich. Die Toilette liegt nur kurz um die Ecke, das Badezimmer unten neben der Küche. Ich lade mein Gepäck ab und stoße wieder zu Hajo. Wir begrüßen uns erstmal und trinken eine Runde Tee bzw. ich ziehe einen Kaffee vor. Während wir uns noch unsere Erlebnisse erzählen, vor allem wie wir die Strecken am Bangai Nr. 20 gemeistert haben, stößt eine junge Frau zu uns. Sie ist Schweizerin und auf ihrer Japanreise für eine Stippvisite hier auf dem Koyasan gelandet, da sie einen Verwandten in Japan besucht hat. Sie hat noch keinen festen Plan, wo es als nächstes hin gehen soll. Beseelt von unseren Shikoku Erlebnissen unterbreiten wir ihr den Vorschlag, doch die kleine Runde von Tempel Nr. 1 bis Nr. 17 zu machen. Dann hat man einen schönen Einblick in den Pilgeralltag und ist auch sportlich etwas gefordert. Man muss es ja nicht gleich übertreiben und wie wir die ganze Runde machen. Als wir uns überlegen, wie wir den frühen Abend verbringen wollen, wir müssen noch irgendetwas zum Abendessen organisieren, fällt mir die Telefonnummer vom „Kult-san“ aus dem Muryōkō ein, die mir der junge Mann vom Bangai Nr. 20 gegeben hatte. Kurzerhand drücke ich die Nummer Hajo in die Hand, der bei seiner Rückkehr stolz berichtet, dass wir sogleich im Muryōkōin Tempel vorbeikommen können. Unsere Schweizerin kennt den Priester Kurt Genso aus der Presse, da es vor kurzem Berichte über den gebürtigen Schweizer gab, der hier vor mehreren Jahren herkam, um Shingon Priester zu werden. Er lebt im Muryōkōin, einem Tempel, in dem mehrere ausländische Mönche und Nonnen ordiniert sind.

Der Muryōkōin (http://www.muryokoin.org/) liegt hier direkt um die Ecke. Schnell haben wir uns aufgerappelt und schnellen Schrittes den Weg bis zum Eingangstor hinter uns gelassen. Hajo fragt einen Mönch, der ihm im Innenhof entgegenkommt, nach Kurt Genso. Wenige Augenblicke später kommt der Schweizer auch schon, um uns durch das Labyrinth von Treppen und Gängen zu seiner kleinen Kammer zu führen, wo er gemeinsam mit seiner japanischen Frau lebt. Er sei gerade aus Thailand zurückgekehrt, wo er ein Projekt durchführt, das den thailändischen Mönchen ein Studium ermöglichen soll. Leider ist es noch immer so, dass es in Thailand den Mönchen verboten ist, sich in der Nähe der holden Weiblichkeit aufzuhalten. Bei einem Studium, bei dem man nun mal gemeinsam die „Schulbank drückt“, kann das leider nicht ausgeschlossen werden, so dass die Mönche entweder das Studium oder den Mönchsstatus aufgeben müssen. Kurt schwebt, nicht nur aufgrund dieses Geschlechterproblems, eine Universität für Mönche vor. Er selber unterstützt einige Jungs, die er im thailändischen Tempel kennengelernt hat mit Geld und als väterlicher Führer. Den Aufbau einer Biologieabteilung in einer Schule hat er gerade abgeschlossen und ein Projekt, um eine Bibliothek aufzubauen, wurde gerade wieder gekippt, da es sinnvoller erschien für das Geld Computer zu kaufen, die einem den Zugriff auf aktuelle Informationen ermöglichen. Dann war da noch das Problem mit der Computerbedienung. Aber glücklicher Weise hat Kurt einen Lehrer gefunden, der den Lernwilligen Computerunterricht erteilen konnte. Es scheint mir, er folgt dem alten Spruch – „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“ und so bekommen wir bei seinen Erzählungen einen Eindruck von seinen Projekten. Von ihm selbst erfahren wir nur, dass er aus der Schweiz stammt, Kunst studiert und lange in, ich glaube Venedig, gelebt hat, wo er auch seine japanische Frau kennengelernt hat. Tamara, unsere Begleiterin aus der Schweiz, kennt Kurt aus Zeitungsberichten und Reportagen, die aus seinem Heimatland stammen. Wir sitzen hier bei einer Tasse Tee auf dem Boden seiner Mönchszelle an einem kleinen Tisch, die Wände sind mit Bücherregalen zugestellt. Ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Irgendwie schlicht und spartanisch hatte ich mir so ein Mönchzimmer vorgestellt. Aber für seine vielen Projekte, er dient dem Koyasan als Dolmetscher und ist, obwohl es nicht gerne hört, so eine Art Diplomat des Koyasan, fungiert für ausländische Touristen als Fremdenführer und auch sonst Foto-, Buch-, und Fernsehprojekte am laufen. Ein vielbeschäftigter Mann, der noch dazu eine Ehefrau hat, und als Priester seinen Dienst im Tempel auch nicht vernachlässigen darf. Er erzählt uns, dass demnächst ein Produktionsteam von ZDF ihn besuchen will, da es um den Pilgerweg von Shikoku geht. Den ist er zwar als Shingon Buddhist noch nie gepilgert, dafür können wir ihm umso mehr Geschichten davon erzählen. Es endet damit, dass wir, wie in Japan üblich, Visitenkarten austauschen und eine Einladung zur Morgenmeditation bekommen, die um 6.00 Uhr stattfinden soll.

Da wir noch kein Abendessen hatten, erklärt Kurt-san uns noch den Weg zu einer kleinen Kneipe, in die die Tempelmitglieder des Öfteren einkehren, weil es dort gutes, preiswertes Essen gibt. Hajo muss uns jetzt verlassen, da er so pünktlich eingecheckt hat, dass er noch Abendessen in der Jugendherberge ergattern konnte. So mache ich mich dann mit Tamara auf, um die Kneipe zu besuchen, dessen Speisekarte ebenfalls von Kurt-san ins Englische übersetzt worden ist. Ich esse ein Curry Ramen für 600 Yen. Das ist so eine Mischung aus Ramen, dünne, chinesischen Nudeln mit Suppe und einem Curry, das man sonst als Reisgericht serviert bekommt. Die Kneipe ist klein und wir futtern an der Theke. Auf der Toilette suche ich das Handwaschbecken vergeblich, das finde ich dann im Gastraum an der Wand. Als wir unsere großen Schüsseln serviert bekommen, überlege ich noch, ob ich es wagen kann, mir die riesige Schüsse, wie in Japan durchaus üblich, an die Lippen zu setzen, um sie dann geräuschvoll auszuschlürfen. Aber mit einem beherzten „supuno arimasuka“ (Gibt es Löffel?) bekommen wir dann doch noch Löffel gereicht. Als wir heute Abend in die Jugendherberge komme, rauscht mir vor lauter Informationseingabe der Kopf. Was habe ich heute alles Interessantes gesehen und erfahren. Allein das Gespräch mit Kurt-san hat mehrere Stunden gedauert. Ich falle heute tot müde ins Bett. Ich hab es nicht mal mehr geschafft, ein heißes Bad im Ofuro (jap. Bad) zu nehmen. Morgen werde ich mit Hajo den Koyasan erkunden und mir von ihm die Tempel zeigen lassen, in denen ich noch nicht gewesen bin.


Pilgerwege http://www.sekaiisan-wakayama.jp/english/sisan_index.htm

Dienstag, 29. Juni 2010

Montag, 27.04.2009, Awa City, Business Hotel Acess Awa

Der 43. Tag in Japan
Ich bin zwar schon um 6.00 Uhr auf, aber da es das Frühstück erst ab 7.00 Uhr gibt, packe ich meinen Rucksack und gehe ins Internet, um noch ein paar E-Mails zu schreiben und mir Infos zum Koyasan herauszusuchen. Endlich wieder einmal ein Frühstück so ganz nach meinem Herzen: Minichroissants, Brioschbrötchen und Kaffee satt! Das hatte ich so richtig vermisst! Ein richtig westliches Frühstück, wenn man mal davon absieht, dass das Messer für die Brötchen so ähnlich gestaltet ist wie der Löffel für den Kaffee, mehr Spatel als Messer und ich die Brötchen eher aufreiße als schneide. Die Frühstückseier sind zwar hart, aber kalt, dafür labe ich mich am Kaffee, der hier frisch aus dem Kaffeeautomaten kommt. Ich laufe, nachdem ich im Awa Access ausgecheckt habe, in Richtung Tempel Nr. 1. Es ist ganz schön schwierig, den Weg zu finden, da jetzt die Schilder alle in der falschen Richtung stehen. Während man sich auf dem Hinweg leicht orientieren konnte, hängen die Schilder einem jetzt meist im Rücken und man muss sich in Gegenrichtung orientieren. Die steinernen Wegweiser (hyoseki) sind leichter zu finden, da sie so aufgestellt sind, dass man sie aus beiden Richtungen leicht erkennen kann. Das ist wohl auch einer der Gründe, weshalb einem eine Pilgertour in Gegenrichtung (gyaku uchi) wie vier Touren in richtiger Richtung (jun uchi) angerechnet werden. So kann man die Tour nur einmal (in Gegenrichtung) gelaufen sein, aber schon bei der nächsten Tour in der richtigen Richtung grünen Namenszetteln (osamefuda) in den Tempeln verteilen. Es gibt auch so eine Hierachie in der Anzahl absolvierter Pilgerreisen. Wie ich im Pilgermuseum lernen konnte, sind auf den Touren Nr. 1 bis Nr. 4 weiße Namenszettel (osamefuda) zu verwenden, ab 5 Runden sind es grüne, ab 8 Runden rote. Danach folgen ab 24 Runden silberne, von 55 bis 88 goldenen und ab 100 Runden auf der Pilgerreise (ob zu Fuß oder motorisiert) darf der Pilgerwütige dann Stoffkarten verwenden, die mit „Brokat“ bezeichnet werden.

Aber ich will jetzt erstmal meine erste Runde abschließen bzw. noch den fehlenden Besuch in Bangai Tempel Nr. 1 nachholen. Ich passiere ein Schild mit der Aufschrift „Gosho Kindergarten“. Dazu muss ich noch bemerken, dass das deutsche Wort im englischen Sprachraum mit der deutschen Schreibweise übernommen worden ist. Als mir Pilger entgegenkommen, grüße ich sie mit einem herzlichen „Gambatte Kudasai“ (Geben sie Ihr Bestes – nur Mut!). Ich sehe allerdings auch immer wieder Pilger, die mich aus der Entfernung sehen und dann etwas Japanisches zurufen, als ob ich in die falsche Richtung laufen würde. Mit einem japanischen „Owarimashita“ („Ich habe beendet“) kläre ich sie dann auf und versuche dann unbeirrt, meinen Rückweg zu finden. Auf dem Bürgersteig entdecke ich einen klappbaren Kamm. Wieder einmal versorgt mich mein Meiser, Kōbō Daishi, mit allen Notwendigen. Mein eigener Kamm hatte vor ein paar Tagen so viele Zinken verloren, dass ich ihn weggeworfen habe. Aber wie schon mit den Miniatur-Sandalen als Glücksbringer, kann der Daishi bescheidenen Wünsche erfüllen (;-) grins!).

Bei einem Kurzbesuch im Tempel Nr. 7 (Juurakuji), bin ich dann doch erstaunt, was von den Eindrücken aus den 88 Tempeln noch so hängen geblieben ist. Anfangs habe ich das Gefühl, als würde ich ihn das erste Mal in meinem Leben besuchen. Nun muss ich dazu sagen, dass so ein paar grüne Bäume einen Tempel doch schon sehr verändern können. Ich hatte vor knapp 6 Wochen hier nur kahle oder spärlich blühende Pflaumen- und Kirschbäume zu sehen bekommen. Während die zart rosa Kirschblüte einem Tempel noch so eine edle Note verleiht, zieht das grüne Laub ihn wieder in die Gefilde der Normalität. Ja ich möchte sagen in die Art Ländlichkeit, die ich auf Shikoku kennengelernt habe. Derb, aber mit Herz, freundlich, aber mit respektvollem Abstand. Oh, wie werde ich das vermissen! Aber ich wundere mich, dass man dann doch so ein paar Gedächtnisblitze hat. Man erkennt zwar nicht mehr die Einzelheiten der Lokalitäten, kann sich aber an bestimmte Situationen erinnern, wo man Pilger getroffen, nach Unterkunft oder Weg gefragt hatte oder etwas anderes mit verbindet, als es nur angeguckt oder fotografiert zu haben. Hier im Pilgerbüro kaufe ich einige Kleinigkeiten, die ich mir auf der Hintour zwecks Gewichtsbeschränkung verkniffen hatte. Ich kaufe eine weiße Tasche (zudabukuro), eine Glocke (jirei) und eine Wagesa, eine Art Kragen, der an eine Mönchkutte (kesa) erinnern soll. Ich werde meine Pilgerausstattung komplettieren und kann sie dann vom nächstmöglichen Postamt nach Hause schicken.

Mein weiterer Plan für heute sieht vor, mein Gepäck, wenn möglich, bei Tempel Nr. 6 (Anrakuji) zu deponieren, um dann den Weg unter dem Tokushima Expressway (Autobahn) zum Bangai Tempel Nr. 1 zu nehmen. Als wir den Tempel Nr. 4 (Dainichiji) vor einiger Zeit besucht haben, wurde uns gesagt, dass die Route von dort zum Bangai nicht passierbar sei. So wähle ich die andere Route, ausgehend von Tempel Nr. 6, und hoffe, dass mir der Übergang von der englischen Karte auf die japanische gelingt. Glücklicher Weise ist der Bangai Tempel nicht ganz so weit entfernt, so dass mir erlaubt wird, mein schweres Gepäck im Tempel zu deponieren. Wenn ich mich recht erinnere, so kann man hier im Glockenturm sogar kostenlos schlafen. Wenn ich also spät dran wäre, hätte ich schon mal ein Nachtlager sicher. Außerdem gibt es hier vor dem Parkplatz des Tempels noch eine recht komfortable Pilgerhütte mit WC.

So mache ich mich auf den Weg, aber was in der Karte einfach wirkt, ist in Natura dann doch komplizierter. Zwischen den ganzen Häusern und Feldern ist es nicht leicht den Pilgerpfad zu finden und zur Orientierung gibt es auch nur wenige Anhaltspunkte. Nur nicht die falsche Autobahnunterquerung wählen, sonst bin ich gleich auf dem falschen Weg, den ich dann auch nicht mehr korrigieren kann. Ich merke mir die Nr. 42, die hier auf einem Schild an einer Unterquerung angebracht ist. Ich werde versuchen, den gleichen Rückweg wie Hinweg zu laufen, dann sollte ich wohlbehalten wieder im Tempel Nr. 6 ankommen. Aber es ist schwierig, die spärliche Wegbeschilderung zu interpretieren, da nicht alle Schilder mit rotem Pfeil unbedingt auf den Taisanji (Bangai Tempel Nr.1) hindeuten. Das Gelände ist steil und schwierig und ich bin mir nicht sicher, ob ich den richtigen Pfad gewählt habe. Ich glaube aber, dass es hier eine steilen Autostraße gibt und einen noch steileren Pilgerpfad. Aber je höher ich den Berg hinaufsteige, desto besser wird die Aussicht über die Ebenen von Awa City bzw. Kamiita Town. Auf einem Nebenhügel kann ich ein Häuschen ausmachen, ob es ein Schrein oder ein Tempel ist kann ich leider nicht erkennen. Funkmasten, die wie Pagoden wirken, täuschen mich, aber ich habe während meiner Pilgerreise noch ganz andere „Gebilde“ gesehen, die sich dann doch als modern gestaltete Pagoden herausgestellt haben. Es ist warm und die Sonne brennt. Die Kälte der letzten Tage hatte, wie erwähnt, dann doch ihren Sinn, aber jetzt schmore ich im eigenen Saft. Als ich den Weg zum Tempel schon fast geschafft habe, hält ein Auto neben mir. Die ganze Zeit hatte ich weder einen Pilger noch ein Auto hier oben gesehen, und jetzt besteht der Fahrer darauf, mich das letzte Stück mit nach oben zu nehmen. Aber auch der Motor des Autos hat arge Probleme hier den steilen Berg hochzukommen oder ist es einfach die rasante Fahrweise, die hier Maschine und Bremsen zum Ächzen bringen. Auf dem Gelände entlässt mich mein japanischer Autofahrer, er wirkt aber nicht, als sei er ein Pilger. Na - hoffentlich ist der nicht nur wegen mir den Berg hochgebraust, hat mich irgendwo zwischen den Häusern laufen gesehen und ist dann, damit ich mich nicht verlaufe, nachgefahren.

Exkurs Bangai Tempel Nr. 1 Taisanji (大山寺)
„Der große Berg Tempel“ kann im Japanischen aufgrund der Lesung der Kanji (Symbolzeichen), die für jedes Zeichen eine ursprünglich chinesische (bzw. sino-japanische) und eine japanische Lesung vorsieht, sowohl „Taisanji“ als auch Oyamaji“ gelesen werden. An der Bedeutung der Kanji ändert das jedoch nichts. Der Tempel wurde vor ca. 1470 Jahren, also vor der Zeit Kōbō Daishis gegründet, und war damals ein wichtiger Tempel des Shugendō (Bergasketentum). Als der Daishi hierher kam, war der Tempel verfallen und musste erstmal wiederaufgebaut werden. Der Tempel ist Senju Kannon gewidmet. Einer Legende nach soll Kōbō Daishi sie von seinem chinesischen Lehrer Huikuo geschenkt bekommen haben als er in China den Buddhismus studierte. Nachdem er wieder in Japan war hat er dem Tempel die Statue geschenkt, aber es gibt auch noch eine Fudō Myōō Statue im Hondō (Haupthalle). Eine weitere Namikiri Fudō Statue („Wellen glättende Fudō“) befindet sich im Schrein auf der Bergspitze. Der Tempel ist ebenfalls als „Wunsch Gewährungstempel“ bekannt, weil hier Minamoto Yoshitsune für den Sieg gebetet haben soll, bevor er zum Kampf nach Yashima geritten ist, wo er, wie wir jetzt wissen, den Kampf gegen den Klan der Taira (Heike) gewann. Sein Pferd (jap. uma) soll in der Nähe der Pagode des Taisanji begraben worden sein. Aber der Tempel ist in der ganzen Präfektur bekannt als „Heiratstempel“. Da die Silben „go en“ im Japanischen sowohl „fünf Yen“ als auch „gute Heirat“ bedeuten, wirft man hier 5 Yen-Stücke in die Spendenbox. Man sollte dann eine schöne Hochzeit feiern können bzw., wenn man noch nicht verheiratet ist, den richtigen Partner dafür finden. Es gibt hier noch eine weitere Legende, die sich vor ca. 400 Jahren zugetragen haben soll, als ein lokaler Kriegsherr 21 Tage lang für Kraft betete. Auf seinem Heimweg begegnete ihm eine Monsterkuh, die er mit einem Hieb niederstreckte. Doch als man das Untier inspizieren wollte, fand man nur eine Jizō Statue, die in zwei Hälften gespalten war. Nun glaubte man, dass sich die Gottheit Kannon in das Monster verwandelt hatte, um den Kriegsherrn seine Kraft zu „demon“-strieren. In Erinnerung daran steht im Tempel eine neunstufige Steinpagode, die der Kriegsherr zum Dank von der Spitze des Berges zum Tempel getragen haben soll.

Man merkt sofort, dass es hier kein gewöhnlicher Tempel ist, sondern ein, wie soll ich sagen, alternativer Shugendō Tempel. Die vielen Besonderheiten, das europäisch wirkende Giebelhaus, die weiße Statue mit dem Block und die vielen farbenprächtigen Bilder sprechen für sich. Ich erkunde das Tempelgelände, der Verbindungsgang zwischen Daishidō (Dasihi Halle) und Hondō (Haupthalle) mit den vielen Votivtäfelchen (ema) und den überdimensionierten Holzketten hat es mir angetan. Als ich mich für ein kleines Päuschen niedersetzen will, dringt ein Fiepen an mein Ohr. Immer wieder höre ich es und in meiner Vorstellung formt sich aus dem Fiepen schemenhaft ein Kätzchen. Ich bin dann doch ganz schön erstaunt, dass mein Kätzchen dann, Federn hat und der weit aufgerissene Schnabel so gar nicht zu dem kleinen Körper passt. Ein Spätzchen sitzt hier im Sand auf der Erde und ruft vielleicht nach seiner Mutter. Er hat zwar schon Flugfedern, macht aber keine Anstalten. Mit den weichen Puschelfedern um den eingezogenen Hals sieht her mehr wie eine fiepende Fellkugel aus. Na, wollen wir hoffen, dass es hier keine Tempelkatze gibt, die sich über leichte Beute freut.

Nachdem ich meinen Pilgerverpflichtungen nachgegangen bin und mein Pilgerbuch habe vervollständigen lassen, trete ich fröhlichen Herzens den Rückmarsch an. Aber ganz so fröhlich bin ich dann doch nicht, weil das Auto immer noch auf den Parkplatz steht. Beim Hinauffahren war mir das verwitterte Eingangstor aufgefallen, welches ich unbedingt noch besuchen möchte. Ich wandere also wieder talwärts. Das Tor ist wirklich sehr alt und verwittert. Als ich es besuche ist es sogar mit einer blauen Plane als Dachersatz ausgestattet, wohl um weitere Schäden zu minimieren. Der Weg bergab ist natürlich umso leichter, da es abwärts geht und man sich nicht allzu viele Sorgen machen muss, den Weg zu verlieren. In einer Kurve, in der ich über die Bäume hinweg sehen kann, genieße ich die Aussicht von hier oben. Es ist zwar etwas diesig, aber trotzdem habe ich eine phänomenale Weitsicht. Ich bin immer wieder verwundert, wie es so flache Örtlichkeiten zwischen so vielen Bergen geben kann. Gleich so, als hätte eine riesige Hand, die Ebenen flachgeklopft. Als ich noch in der Kurve stehe, höre ich von hinten ein Auto angerauscht kommen. Natürlich mein hilfsbereiter Autofahrer, der mich schon das Stück zum Tempel hinauf mitgenommen hat. Mit den Worten „aruki henro desu“, „ich bin ein Laufpilger“, entschuldige ich mich mit einem Lächeln und bedanke mich mit einer Verbeugung für seine Hilfsbereitschaft. Der Rückweg, ich verlaufe mich in einem Orangenhain, ist dann doch schneller gefunden als gedacht. Ich beobachte noch eine Bäuerin und einen Bauer wie sie im Feld arbeiten und sich durch den schlammigen Untergrund vorankämpfen. Das ist hier so eine richtige Kunst, die Reisfelder zu bewässern, überall muss genügend Wasser stehen, aber es darf nicht stagnieren.

Mitten hier in der Pampa sehe ich ein Schild, dass auf den „Jingui Fruchtmarkt“ verweist und Waza-no-yakata, eine Art Museum zum Mitmachen, in dem der Besucher traditionelles Handwerk der Präfektur Tokushima ausprobieren kann. Das ist auch wieder so typisch Japanisch, nicht nur in Museen Wissen konsumieren, sondern etwas im wahrsten Sinne des Wortes „begreifbar“ machen. So werden Papierschöpfen, Färbe- und Webetechniken zum Selbermachen angeboten. Ich bin dann schneller wieder im Tempel Nr. 6 als erwartet, nehme meinen Rucksack wieder in Empfang und mache eine Pause in besagter Pilgerhütte vor dem Parkplatz. Den weiteren Weg laufe ich an der Straße Nr. 12 entlang, wenn ich dem Pilgertrail folgen müsste, ich laufe jetzt in Gegenrichtung, würde ich schnell Probleme bekommen. Hier an der Hauptstraße finde ich eine Vielzahl von Automaten, der eine für Fertignudelsuppen („Cup Noodle“), für Süßigkeiten, Getränke und sogar einen für Eiscreme. Ich genehmige mir ein Erdbeereis, denn leider war meine Lieblingssorte „matcha“ ausverkauft. Macha oder „Grüner Tee“ ist mein Favorit, da der bittere Geschmack des Grünen Tees so herrlich mit der Süße des Vanilleeises harmoniert. Ich hatte zwar auch zwischenzeitlich ein Schokolade überzogenes Vanilleeis als Eiskonfekt probiert, aber Grünteeeis mit Waffel oder pur als kleine Eiskugeln sind für mich unschlagbar.

Ich passiere Tempel Nr. 2, der hier direkt in der Kurve liegt und lande schließlich wieder in Tempel Nr. 1, dem Ryōzenji. Ich hatte noch auf Höhe des Abzweigers zum Deutschen Haus überlegt, ob ich Patrik noch einen Besuch abstatten sollte, da es aber schon 16.15 Uhr ist, und die Öffnungszeit nur bis 16.00 Uhr geht, habe ich mich dann doch dazu entschlossen, weiter zu wandern. Jetzt bin ich wieder am Anfang, dort wo ich gestartet bin, voller Anspannung, voller Tatendrang und voller Ungewissheit, was die nächsten Wochen wohl bringen werden. Ich muss mir ein Tränchen verdrücken, als ich meine Herz Sutra rezitiere, aber ich habe es wirklich geschafft! Aus der anfangs vor allem sportlichen Herausforderung ist eine spirituelle geworden. Hier schließt sich der Kreis! Ich erhalte einen weiteren Eintrag in mein Pilgerbuch (nokyochō) und kaufe noch Namenskarten (osamefuda), Baumwolltücher (tenugui), Räucherstäbchen und Kerzen. Zusammen mit den anderen Pilgerutensilien, die ich nicht mehr für den Besuch des Koyasans benötige, schicke ich sie nach Deutschland. Kurz vor Dienstschluss kann ich noch ins Postamt von Bando stürmen und oh Wunder – es gibt kein Problem mit der Adresse! Mit dem „Tempelbus“ fahre ich dann um 17.22 Uhr in Richtung Tokushima und ich schwöre, dass dies bestimmt nicht meine letzte Pilgertour gewesen ist. Von meinem Sitzplatz aus beobachte ich, wie die Sonnen unter geht. Ich hoffe jetzt nur, dass ich das Businesshotel Sakura, in dem ich mit Hajo auf dem Hinweg abgestiegen waren, wiederfinde. Aber es läuft alles wie am Schnürchen. Ich checke im BR Sakura ein und stelle verwundert fest, dass sich im Gästebuch hauptsächlich Ausländer eingetragen haben. Typische Ausländer Absteige, denke ich so bei mir, als ich die Menge und vor allem die Größe der Schuhe im Eingangsbereich bemerke. Japaner hätten sie alle ordentlich in Reih und Glied gestellt, aber bei den Ausländer fliegen sie alle durcheinander. Ich kaufe noch etwas zum Abendessen aus dem Lawson Kombini (24-h-Markt) am Hauptbahnhof Tokushima und frage nach, wann der Bus morgen zum Flughafen Kansai fährt. Auf meinem Zimmer finde ich bei meiner Rückkehr eine Banane, sowie ein Stück Baumkuchen und Tee. Diesen Ritus lob ich mir, da kann man bei Einchecken schon mal ein kleines Teepäuschen einlegen, bevor man sich dann wieder aufrappelt, um noch Besorgungen zu machen oder ein heißes Bad im Ofuro zu nehmen.

Sonntag, 26.04.2009, Hotel S. 106 Onsen

Der 42. Tag in Japan
Heute ist Sonntag, das Frühstück hier im Onsen (Thermalquelle) Hotel gibt es zwar erst um 7.00 Uhr, aber ich bin schon früher auf, da ich meine Sachen noch packen muss. Ich hatte sie zum Trocknen aufgehängt, weil ich gestern doch ziemlich durchgeweicht bin. Das Wetter ist trübe, aber es regnet zum Glück nicht. Als ich heute in den Spiegel schau, muss ich grinsen, denn mein Gesicht ist voller Sommersprossen. Das war mir bis jetzt nicht aufgefallen. Ganz am Anfang meiner Pilgertour hatte ich echte Schwierigkeiten mit der starken Sonneneinstrahlung. Meine Hände hatten eine Sonnenallergie entwickelt und waren, neben den sich entwickelnden Sommersprossen, mit kleinen Bläschen überseht. Auch die Sehnenscheidenentzündung der Handgelenke hat sich ohne medikamentöse Unterstützung zurückgebildet. Meinen Füßen geht es gut, wenn ich mal von den etwas tauben Zehenspitzen und meinen verkürzten Achillessehnen absehe. Nichts, was so schlimm gewesen wäre, als dass ich hätte pausieren oder womöglich die Pilgerreise abrechen müssen. In wenigen Tagen werde ich mein Ausgangspunkt wieder erreicht haben und mit Ausnahme kleinerer Blessuren, mir tut der Hintern von gestern noch etwas weh, bin ich doch ganz gesund durchgekommen.

Zum Frühstück gibt’s diesmal nicht nur die gewöhnliche Miso Suppe mit Einlage, sondern so einen Nudelsuppentopf auf einem Stövchen. Nach einem reichhaltigen Frühstück checke ich aus. Ich kann mir mittlerweile auch ungefähr denken, wo ich mich jetzt befinde, denn hier in der Gegend gibt es nicht viele Unterbringungsmöglichkeiten. Wenn ich hier am Hotel die Straße entlang laufe und nach einem Fluss auf die Straße Nr. 193 treffe, weiß ich, wo ich heute Nacht geschlafen habe. Zurück zum Tempel Nr. 88 sollte es dann kein Problem mehr sein. Das Wetter ist, wie gesagt, bedeckt, doch kaum stehe ich vor der Tür, fegt mir ein kräftiger Windstoß meinen Pilgerhut vom Kopf. Ich flüchte wieder hinter die automatische Eingangstür des Hotels und krame meinen Regenponcho heraus. Den Pilgerhut binde ich am Rucksack fest. Anstelle meines Seggenhuts ziehe ich meine Mütze über die Ohren, die ich sonst nur bei den Übernachtungen in den Pilgerhütten getragen habe. Zusammen mit den Handschuhen haben sie mich immer schön warm gehalten. Und das brauche ich heute auch, denn der Wind ist eisig, kein Sonnenstrahl hat es seit geraumer Zeit geschafft, hier Wärme zu verbreiten, dabei habe ich zeitweilig schon richtig auf meiner Tour schwitzen müssen. Aber auf einmal ist es, als wäre ich in einem anderen Land, in dem es nur Kälte und Wind gibt. Dabei ist es doch fast Ende April und so hoch in den Bergen liegt diese Ortschaft auch nicht.

Laut Karte sollte es bis zum Ōkuboji ca. 14 km sein, natürlich muss ich den Tempel nochmals besuchen, da ich gestern bei dem vielen Regen nicht ein Foto schießen konnte. Auf meinem Weg liegt eine große Steinmetzfabrik, auf deren Betonmauer sind unzählige kleine Steinlaternen aufgestellt. Ich kann eine Steinsäule mit Löwen erkennen, eine Statue von Hotei, dem dicken, lachenden Mönch und eine Gruppe von drei Katzen. Es regnet noch ein paar Tropfen, der Wind weht mir um die Ohren, aber schließlich habe ich die Ortschaft erreicht, an der ich gestern zum Damm abgebogen bin. Hier hat sogar ein kleiner Laden geöffnet und das am Sonntagmorgen! Ich kaufe mir eine Tüte mit Muffins als Proviant und gefüllte Brötchen, die ich sogleich verspeise. Ohne Brot bzw. Stärke komme ich morgens nicht in Tritt! Der Weg zu Tempel Nr. 88 erscheint mir dann auch viel länger, vielleicht weil man die Strecke schon kennt. Aber kurz vor dem Ziel überholt mich so ein japanischer Schnellläufer. Ich hatte zwar versucht, ihn nicht davon wandern zu lassen, es ist immer gut, einen Tempomacher zu folgen, aber schließlich muss ich ihn dann doch ziehen lassen.

Exkurs Tempel Nr. 88 Ōkuboji (大窪寺)
„Der Tempel der großen Höhle“ geht auf eine Höhle zurück, die hier einmal existiert hat. Der Tempel wurde 717 von Gyōgi (669-749) auf Geheiß der Kaiserin Genshō (680-748; 44. Tennō) gegründet. Im 9. Jahrhundert, nachdem er aus China zurückgekehrt war, schnitzte Kōbō Daishi den Honzon (Hauptgottheit) Yakushi Nyorai und widmete ihm und seinen Wanderstab mit rasselnden Metallringen (shakujō) eine Halle. Zwischen 1573 und 1592 brannten alle Hallen bis auf eine nieder. Nur die Statue und der Stab des Daishi überdauerten die Zeit der brandschatzenden Chōsokabe Truppen. Zwischen 1673 und 1704 wurde der Tempel unter Masudaira Yorishige, Herrscher von Takamatsu, wiederaufgebaut. Um 1900 brannte der Tempel abermals nieder, wurde aber nach einiger Zeit wiederhergestellt. Der Daishidō (Daishi Halle) stammt aus dem Jahre 1984. Man beachte die Krücken, die Pilger hierließen, nachdem sie auf der Pilgerreise geheilt wurden, die heiligen Buppōsō Vögel und die Kechigan Omamori (Talismane der abgeschlossenen Pilgerreise). Früher war Frauen der Zutritt verboten, heute gilt das glücklicher Weise nicht mehr. Auf einer Steinsäule vor dem Wächtertor (niōmon) kann man lesen, dass das Ende der Pilgerreise naht. „Hachijuchaich Kechigan-sho“, steht da in Kanji (Symbolzeichen) geschrieben, was so viel heißt wie „die heiligen Orte der Shikoku Pilgerreise, wo die Wünsche sich erfüllen“. Hier endet die Pilgerreise für viele Pilgerstöcke, die in der Hōjō Halle verwahrt werden und am Tag der Tag-und-Nacht-Gleiche im Frühling oder während eines Goma Feuerrituals im August verbrannt werden. Aber der Pilger muss jetzt noch den Kreis mit dem Besuch des Tempels Nr. 1 schließen und den erfolgreichen Abschluss der Pilgerreise im Hauptquartier des Shingon Buddhismus, der gleichzeitig auch das Mausoleum des Daishis birgt, im Pilgerbuch (nokyochō) quittieren lassen.

Ich sehe mich auf dem Tempelgelände um, das Wetter ist zwar grau und windig, aber noch regnet es nicht. Gestern musste ich infolge von Dauerregen das Fotografieren aufgeben, aber auch heute mache ich nur wenige Fotos. Da ich meinen Kōbō Daishi Stock liebgewonnen habe, möchte ich ihn hier nicht zurücklassen. Schließlich muss ich noch zu Tempel Nr. 1 wandern. Wenn dann auf einmal der Wanderstock fehlt, den man über 40 Tage mit sich herumgeschleppt hat, ist das ein ganz komisches Gefühl. Man hat auf einmal eine Hand frei und weiß nicht, was man damit machen soll. Aber meinen kurzgelaufenen Stock, ich schätze er hat mindestens 10 cm verloren, wird sich Zuhause als Souvenir zu meinem Wanderstock vom Fuji und einem anderen Pilgerstock aus Kamakura (Nähe Tokyō) gesellen. Auf dem Gelände des Ōkuboji ist heute richtig was los, das liegt auch daran, dass die wenigen Läden und Shops hier direkt vor dem Tempelgelände liegen.

Mein Plan für heute sieht vor, nach einer kurzen Fotosession in Tempel Nr. 88 den Rückweg nicht direkt zu Tempel Nr. 1 einzuschlagen, sondern den Umweg über Tempel 10 zu wählen, da ich den am Anfang ausgelassenen Bangai Tempel Nr. 1 noch in meinem Pilgerbuch (nokyochō) verewigen lassen möchte. Den Bangai Tempel Nr. 1 direkt anlaufen zu wollen, zerschlägt sich schnell, da das Kartenmaterial keine solche Querfeldeinwanderung hergibt. Aber ich bin fast drei Wochen vor meinem eigentlichen Plan, wie und was ich danach mache, ob ich umbuchen oder die Restzeit in Japan verbringen kann, steht jetzt noch in den Sternen. Ich habe also Zeit und muss mich nicht beeilen und so wandere über den verzeichneten Trail in Richtung Tempel Nr. 10 (Krihataji), der hier in fast einer Linien mit den anderen Tempel, (Nr. 9 bis Nr. 1) liegt.

Ich mache mich jetzt auf den Rückweg, über die mehrspurig ausgebaute Autostraße wandere ich am Higaidani Fluss entlang. Kurz vor einem Tunnel entdecke ich noch eine nichtverzeichnete Übernachtunsmöglichkeit. Es ist wohl so eine Art Rastplatz mit Toilettenhäuschen, das direkt über dem Fluss gebaut worden ist. Wenn es von der gegenüberliegenden Rinderfarm nicht so stinkend herüberwehen würde, wäre dies ein gemütliches Plätzchen. So aber sehe ich zu, dass ich meine Pause so kurz wie möglich halte. Auf einem Schild, auf der die Internetseite (http://www.road.pref.tokushima.jp/h/i/index.html) vermerkt ist, gibt es Informationen zu allen Möglichen wie Verkehr, Wetter, Erdbeben, Tsunami und Wasserstandmeldungen, leider alles nur in Japanisch und ohne Bilder. Hier esse ich meine Osettai (Pilgergeschenk) vom Bangai Nr. 20, die Nudelcracker und ein paar Kekse.

Die Luft ist irgendwie raus. Die anfängliche Spannung war sorglosem Wandern gewichen. Keine Sorge, wie weit man kommt, keine Sorge, ob man eine Unterkunft findet, aber immer Aufmerksamkeit darauf, Alternativen zu finden, die einem eine Ausweichmöglichkeit eröffnen. Nicht lange über etwas ärgern, nein - andere Möglichkeiten finden, weiter zu kommen oder im Zweifelsfall früher einkehren, als plötzlich im dunklen Wald zu stehen. Kein regelmäßiges Fernsehen, kaum Nachrichten, obwohl die japanischen Berichte über die Schweinegrippe aus Mexiko verfolgt habe und auch versucht habe, regelmäßig den Wetterbericht zu sehen. Die Dinge auf solcher Tour bekommen eine andere Wertigkeit. Man überdenkt Gewohnheiten, fragt sich, ob das wirklich nötig ist und erkennt, dass „Weniger oft Mehr“ ist. Das ist jetzt wieder so eine buddhistische Phrase, aber es ist wirklich so. Auf meiner Tour habe ich gemerkt, was ich wirklich brauche, natürlich bezogen auf die Tour, man muss sich wundern, mit wie wenig Sachen man über die Runden kommt und natürlich wägt man ihm wahrsten Sinne des Wortes jedes Stück ab, was man mit sich herumschleppt. Sollte man das nicht auch im täglichen Leben so machen, denn nichts anderes ist unser Alltag, eine Pilgerreise, die wir umso mehr genießen können, je weniger wir Wert auf Nebensächlichkeiten legen, die uns die Zeit für Dinge rauben, die wirklich wichtig sind. Ich hoffe ich kann diesen Aspekt in meinen deutschen Alltag hinüberretten.

Aber genug des Philosophierens – noch bin ich nicht wieder in Deutschland. Zurzeit wandere ich noch durch die Wälder hier in den Bergen, die sich vor mir wie eine grüne Wand auftürmen. Zwischendurch mal eine Brücke, die, im Gegensatz zu vielen Straßen, jede einen eigenen Namen trägt. An einem kleinen Bambushain sehe ich wie ein Japaner Bambussprossen ausgräbt. Später erfahre ich aus dem Internet (Wikipedia sei Dank!), dass Bambus bis zu 1 m pro Tag wachsen kann und zu den am schnellsten wachsenden Pflanzen überhaupt zählt! Waldbambus kann bis zu 38 m hoch wachsen und gehört dem Namen nach zu den „Süßgräsern“. Ein Grashalm von 38 m Höhe – Japan wartet gerne mit Superlativen auf!

Ich passiere so ein blaues „Ensemble“ aus Getränkeautomaten, Sitzbank und Blumenständer. Da hat sich jemand aber besonders Mühe gegeben, um es hier gemütlich zu machen. Man muss immer bedenken, dass es hier in Japan durchaus nicht üblich ist, in der Sonne zu sitzen. Fast jede Etagenwohnung besitzt zwar einen Balkon, der aber wird nicht zum Entspannen genutzt, sondern dient als Rumpelkammer bzw. Waschkeller. Hier hängt die Wäsche zum Trocknen, werden die Futon-Betten zum Lüften aufgehängt und alles gelagert, was man nicht mehr in den kleinen Wohnräumen unterbringen kann. Apropos kleine Räume, da fällt mir ein, dass ich nicht eine Nacht in einer Reismühle übernachten musste, obwohl das ideale Unterkünfte sind. Auch eine Übernachtung in einem Kapsel-Hotel ist mir erspart geblieben, obwohl in Kōchi die Möglichkeit bestanden hätte. Letzteres kenne ich vom Hörensagen aus Tokyo, wo man, wenn man den letzten Zug verpasst hat, die Nacht in so einem kleinen Schlafcontainer (capsule) in einem Saal übernachten kann. Hinter einem kleinen Vorhang findet sich ein mit TV, Radio und Lampe ausgestattetes Bett. In letzter Zeit werden auch immer mehr Internetcafes zum Übernachten genutzt, da sie meist billig sind als ein Hotel. Man muss allerdings erwähnen, dass in Japan diese Art der Cafes aus abgetrennten und abschließbaren Kabinen besteht, also kein großer Raum ist wie bei uns, in dem sich die Computer dicht an dicht drängen. Duschmöglichkeiten und Decken gehören in den Cafes meist mit zu Service – es ist zwar anders gedacht gewesen, aber man muss eben ein bisschen erfinderisch sein.

Für heute ist mein Ziel allerdings weder eine Reismühle, noch ein Internetcafe, obwohl ich das Internet in meiner geplanten Unterkunft kostenlos benutzten darf. Wie schon auf dem Hinweg werde ich im Hotel Awa Access, eiem Businesshotel, absteigen. Es liegt hinter dem Hōrinji (Tempel Nr. 9) etwas abseits vom Pilgerpfad. Ich hatte es mir in die Karte eingetragen, weil hier die Unterkunftsmöglichkeit doch recht dünn gesät sind. Als ich durch Awa City laufe, immer an der Straße Nr. 12 entlang, kommt mir die Strecke dann doch länger vor. Als ich an einer Bushaltenstelle vorbeikomme, die mit einem soliden Holzhäuschen versehen ist und an einen „Getränkeautomaten Park“ grenzt, überlege ich noch kurz hier zu übernachten. So könnte ich immerhin 5500 Yen sparen, aber ich freue mich schon auf das „Westliche Frühstück“ mit Eiern und Kaffee satt. Außerdem möchte ich das Internet dazu nutzen, mir Informationen über Umbuchungsmöglichkeiten, Transportmöglichkeiten zum Koya-san und weitere Reisetipps in Japan, zu beschaffen. Ja, ich nehme langsam Abschied von der Pilgertour, der Natur und der Insel, auf der ich so viel Spaß hatte. Morgen noch den letzten Abschnitt bis zum Tempel Nr. 1 gewandert und eine Stippvisite auf dem Koyasan und was danach kommen mag, weis bis jetzt nicht mal Kōbō Daishi.

Als ich heute Abend am Computer im Access Awa meine E-Mails checke, erwartet mich eine Überraschung. Sowohl die „Berliner Mädels“ als auch Hajo haben mir eine Warnung zukommen lassen, dass die vielbesagten Schlangen unterwegs sind. Explizit Hajo warnt mich davor den Trail bei Bangai Tempel Nr. 20 zu benutzen, da er erstens schlecht markiert ist und zweitens es viele Schlangen auf dem Berg geben soll. Knapp daneben ist auch vorbei, denke ich so bei mir, bei der Kälte auf dem Berg, hätte ich die allenfalls „Schlange in Eis“ oder „Schlange ganz steif“ begegnen können. So hatte das kalte Wetter also doch sein gutes: Ich habe zwar ziemlich gefroren, dafür hatte ich keinen Schlangenkontakt. Im nahe liegenden Sunkus Kombini (24-h-Shop) besorge ich mir zum Abendessen, im Hotel wird nur Frühstück angeboten, eine japanische Pizza (okonomiaki) und eine Traubenlimonade („Fanta Budo“), sowie für morgen Gebäckteilchen mit Schokostreußeln und Teile, die wie „Berliner“ schmecken.