Donnerstag, 1. Juli 2010
Mittwoch, 29.04.2009, Koyasan, Jugendherberge
Der 45. Tag in Japan
Heute ist für 5.00 Uhr Aufstehen angesagt, da Kurtsan uns für 6.00 Uhr zur Morgenmeditation in den Muryōkōin Tempel eingeladen hat. Leider habe ich heute Nacht nicht wirklich viel Schlaf gekommen: Ich bin alle paar Stunden aufgewacht, weil das Licht im Flur brannte, die anderen Gäste die Toilette benutzt haben oder das Gebälk hier oben sonst ein Knarren von sich gegeben hat. Zusammen mit Tamara und Hajo mache ich mich auf den Weg zum Tempel, der hier nur einige hundert Meter entfernt liegt. Es ist sehr kalt und wir scherzen darüber, dass der Frühling hier in Japan schon mal wärmer gewesen ist. Als wir an parkenden Autos vorbeikommen, sind doch tatsächlich die Scheiben befroren. Es ist zwar Ende April, aber in den Bergen so auf 1000 m Höhe ist es dann doch immer etwas kühler. Ich überlege, dass es mich schon reizen würde, einige Wochen so als „Azubine“ in einem Tempel zu leben, aber ich käme mit der Kälte nicht zurecht. In Japan ist eine Zentralheizung nicht gerade verbreitet, vielleicht im nördlichen Hokkaido, dem Schneeland. Aber allgemein scheint der Japaner sein Wärmebedürfnis im Winter mit einem heißen Bad am Abend und tagsüber mit dem Sitzen am Kotatsu (Tisch mit Decke und Heizstrahler) stillen zu können. Wenn man aber wie ich morgens ohnehin nur schlecht hochkommt und dann noch frierend in den Tag startet, dann muss man sich viel bewegen oder etwas heißes Essen. Ach ja – Frühstück haben wir auch noch nicht gegessen und ich hoffe, dass die Zeremonie nicht zu lange dauern wird.
Exkurs Muryōkō-in
http://www.shukubo.jp/eng/index.html
http://www.nzz.ch/2006/12/14/to/articleELDTU.html
http://www.swissinfo.ch/ger/Ein_Schweizer_Moench_in_Japan.html?cid=4439736
_2&bereich=Voxtours
Der Muryōkō-in („Unermessliches Licht“) Tempel wurde noch unter dem Namen „Take-in“ (Bambu Haus) vom vierten Sohn des Kaisers Kirakawa (1053-1129; 72. Tenno), Kakuho Shinno gegründet. Der Tempel wurde Buddha Murōyōju (auch Amitaba) gewidmet und später in Murōkō-in umbenannt. Von den ca. 117 Tempeln gehört er zu den ungefähr 53 Tempeln, die Shokubō, Tempelunterkunft, anbieten. Hierbei ist der Besucher in speziellen Gasträumen untergebracht und wird mit vegetarischer Kost verpflegt. Manche Tempel bieten auch spezielle Meditationskurse für die Gäste an bzw. man kann dort für einige Tage am Tempelleben teilnehmen. Das schließt die täglichen Zeremonien mit ein, aber auch das Putzen des Tempels und die Bewirtung von anderen Pilgern. Der Muryōkō-in ist berühmt für seinen Garten, aber wie erwähnt, ist auch Kurt Kübli Gensho einen Besuch wert. Er ist nicht der einzige Ausländer hier im Tempel, es gibt mehrere, nicht aus Japan stammende, Mönche und Nonnen.
Erstmal heißt es, sich in dem Gewirr aus Gängen hier im Muryōkō-in Tempel zurecht zu finden. Zum Glück begleitet uns ein Mönch, vorbei am berühmten Garten in die Haupthalle. Mein Herz geht auf, denn hier hat jemand Mitleid mit uns Normalsterblichen gehabt und einige Wärmestrahler aufgestellt. Wir setzen uns auf den Boden und warten auf die Dinge die da kommen. Heute sind es vielleicht 10 Gäste, die hier der Morgenzeremonie beiwohnen. Übernachtungsgäste aus dem Tempel und natürlich wir drei von außerhalb. Kurtsan gibt eine kurzer Einführung, wer wir drei denn sind und weshalb wir nicht zu den Shokubō (Tempelunterkunft) Gästen gehören. Er erklärt den Teilnehmern, dass wir die Pilgertour von Shikoku absolviert und jetzt hier am Koyasan, dem Daishi unsere „Aufwartung“ gemacht haben. Ich muss grinsen, denn der gebürtige Schweizer erklärt den japanischen Gästen natürlich auf Japanisch, was es mit unserer Anwesenheit auf sich hat. Und verflucht noch mal - ich kann ihn richtig gut verstehen! Da läuft man wochenlang durch Japan, verständigt sich mit Händen und Füßen, weil man den lokalen Dialekt, vielleicht auch die im Land vorherrschende Ausdrucksweise bzw. Sprechgeschwindigkeit, nicht gewöhnt ist, und dann bemerkt man, dass man vom Unterricht so an die europäische Sprechweise des Japanischen gewöhnt ist, dass man einen japanischen Muttersprachler nicht mehr versteht. Aber jetzt beginnt die Zeremonie.
Exkurs Zeremonien im Shingon Buddhismus (siehe Exkurse)
Es ist relativ dunkel hier, nur die kleinen Feuer auf den Gebetsplattformen der Mönche und einige Kerzen flackern vor sich hin. Es ist ein eindrucksvolles Ritual, dass von Gesängen und Opferungen von Flüssigkeiten aus Schälchen, die in dem kleinen Feuer verbrannt werden, begleitet werden. Als das Herz Sutra (hannya shingyo) rezitiert wird, können wir natürlich in den Chor mit ein fallen. Die Mönche scheinen sich bei dem Ritus abzuwechseln, da der Gesang mal von hier und mal von dort kommt. Wenn ich richtig informiert bin, werden am Ende die Verstorbenen mit Namen genannt, für die diese Zeremonie abgehalten wurde bzw. wer zur Erfüllung eines Wunsches eine Zeremonie bestellt hatte. Auch wir werden in den Ritus miteingebunden: Beim Weihrauchopfer verbeugt man sich vor der Schale, in der ein kleiner Funke glimmt, nimmt etwas Weihrauchpulver zwischen Daumen und Zeigefinger, führt sie zur Stirn, verbeugt sich und fügt das Pulver vorsichtig dem Glimmen hinzu. Einfach den Vordermann beobachten und es ihm nachtun. Nachdem die Zeremonie beendet ist, geht Tamara noch auf einen Tasse „Grünen Tee“ mit zu Kurt, doch Hajo und ich haben Frühstück für 7.00 Uhr bestellt und treten dem entsprechend den Rückweg zur Jugendherberge an. Das Frühstück ist lecker und reichhaltig, wir bekommen sogar hartgekochte Eier. Später gesellt sich dann Tamara noch zu uns, die von ihrem Tee-Kränzchen berichtet.
Ich bin noch relativ planlos, was ich heute unternehmen will - natürlich den Koyasan erkunden. Da Tamara die nächste Nacht als Shokubō (Tempelunterkunft) in einem Tempel gebucht hat, wird sie nach dem Frühstück dorthin umziehen. Ich bekomme mein englischsprachiges Kartenbuch zurück, das ich ihr gestern Abend geliehen hatte. Da sie noch keine konkreten Vorstellungen über den weiteren Verlauf ihrer Reise hat, haben wir ihr einen Abstecher nach Shikoku empfohlen und auch ich überlege, was ich denn machen könnte, wenn ich den Flug nicht umbuchen kann. „Opandgo“, das Internetportal bei dem ich meinen Flug gebucht habe, hat sich noch nicht gemeldet. Da Hajo hier schon länger weilt und sich somit auskennt, beschließen wir wieder gemeinsam die Tempelstadt unsicher zu machen.
Wir wollen als erstes den Kongōbuji, also den eigentlichen Haupttempel des Shingon Buddhismus, besuchen und danach den als „Danjo Garan“ bezeichneten Tempelkomplex. Doch als wir die Hauptstraße in Richtung Kongōbuji laufen, treffen wir vor dem Muryōkō-in, Kurt, der sich mit einem Fahrrad gerade auf den Weg machen will. Wir verabreden uns für 15.00 Uhr im Muryōkō-in und setzen unseren Weg fort. Aber es ist schwierig hier voran zu kommen, da die vielen Tempeltore einen immer wieder staunend fesseln. Wir passieren eine einstöckige Pagode, die hier an der Straße steht und nicht den Anschein erweckt, als würde sie zu einem der angrenzenden Tempel gehören. Die daneben stehende Statue aus polierten, schwarzen Stein, wirkt auf mich eher untypisch, das es eine dicke Buddha Statue (ähnlich Hotei von den 7 Glücksgöttern) ist, aber eine Art Kapuze trägt, die mich eher an einen Kampfmönch erinnert. Wir folgen der Straße, aber ich schaue immer wieder neugierig in die Eingangstore und was sich dahinter verbirgt. Mein Gott, was sind wir neugierig! Wir wollen zwar nur einen Blick auf die dahinterliegenden Gebäude werfen, doch meist kommt gleich ein Mönch auf uns zu gestürmt. Wir laufen die Odawara Straße entlang, hier gibt es viele interessante Geschäfte, in denen man Pilgerutensilien, Omiyage (Reisegeschenke für die Daheimgebliebenen) und die lokalen, kulinarischen Spezialitäten erstehen kann. Jetzt führt mich Hajo aber zum Kongōbuji (Diamant Tempel) Tempel, den ich unbedingt besuchen soll, da er einen der größten Zen Gärten Japans beherbergt. Hajo schwärmt für diese Art von „Japanischen Garten“, da sie relativ schlicht sind, meist nur aus einer Fläche aus hellen Kieselsteinen und den symbolträchtigen Felsen bestehen. Sie sind allenfalls von einigen Bäumen oder Sträuchern sowie Moosflächen eingerahmt, so dass sich die meiste Pflege darauf beschränkt, die Kiesel mit einem großen Rechen in Form zu harken und eventuell vorhandenen Blätter abzusammeln. So ein Garten hätte Hajo auch gerne zuhause in Hamburg.
In der Erläuterung zu diesem Garten wird vermerkt, dass er 2340 m2 umfasst und die Kieselsteine aus Kyoto stammen, die Felsen jedoch von Shikoku herbei geschafft worden sind. Wir machen einen Abstecher durch die Küche des Tempels und ich frage mich, ob die Mönche hier heutzutage immer noch verköstigt werden, oder ob es sich um eine Art „Ersatzküche“ handelt, die beim allzu großen Pilgerandrang z.B. an Festtagen wieder in Funktion genommen wird. Der Tempel wurde ursprünglich von Hideyoshi Toyotomie (1537-1589) erbaut. „Affe“, wie man ihn aufgrund seiner Gesichtszüge nannte, ist ein berühmten General aus bäuerlichen Verhältnissen gewesen, der zu seinen Glanzzeiten sogar Herrscher (Kampaku, „kaiserlichen Regenten“) über Japan war und den Weg für den Aufstieg Tokugawa Ieyasus (1545-1616) zum Shogun (Militärmachthaber) ebnete. Ieyasus schließlich konnte sich nach etlichen Schlachten gegen konkurrierende Samurai Clans durchsetzen, das Reich einigen und sich vom Kaiser (Tennō) 1603 zum ersten Shogun Japans ernennen lassen. Berühmt ist der Kongōbuji nicht nur weil er faktisch der Haupttempel über 3500 Zweigtempel in ganz Japan ist, sondern er birgt auch in künstlerischer Hinsicht einige Schätze. So z.B. das Ohiroma Zimmer, das für wichtige Zeremonien genutzt wird und dessen Schiebetüren (fusuma) vom Künstler Tanyuu Kanō (1602-1674) gestaltet worden sind. Vom gleichen Künstler stammen auch die Trauerweiden in einem weiteren Raum, in dem der Neffe bzw. Adoptivsohn Toyotomies (siehe oben) Hidetsugu 1595 rituellen Selbstmord (Seppuku) begangen hat, um einer Bestrafung wegen Hofverrats zu entgehen.
Schließlich kommen Hajo und ich in eine große Halle, in der das Bildnis Kōbō Daishis neben zwei seltsam anmutende Mandala (Bildhafte Erläuterung der Verhältnisse der Buddhas und der Welt) hängt. Es ist weder das mir bekannte Diamantreich- (Kongōkai) noch das Mutterschoßmandala (Taizokai). Doch bei näherem Hinsehen, könnte es eine „Abschrift“ der Mandalas sein, in dem die Buddhas nicht als Bilder, sondern inform ihrer Sanskrit-Silben (Keimsilben) aufgeführt sind. Man wird doch immer wieder überrascht! Hier ist es sogar erwünscht, bei einer Tasse „Grünen Tees“ zu verweilen. Die großen Heizöfen, auf den das Teewasser kocht haben es mir besonders angetan, da ich schon wieder durchgefroren bin. Aber jetzt gibt es sowohl Wärme von außen als auch von innen und selbst die Seele kann sich hier bei einer bei einer Runde Meditation für den Shingon Buddhismus erwärmen.
Wir streifen noch durch den Tempel, gucken uns die ausgestellten Sänften und Holzscheiben an. Letztere stammen wohl von den alten Bäumen aus der Pinienallee am Okunoin (Mausoleum) und auch vom Vorhof des Kongōbuji schieße ich noch einige Fotos. Besonders von den Brandschutzmaßnahmen hier sind wir amüsiert, da große Holzbottiche nicht nur am Boden, sondern direkt auf dem Schilf gedeckten Dach postiert sind. Das gäbe so eine richtige Dusche, wenn so ein Behältnis von da oben runterpurzeln würde. Jetzt müssen wir aber weiter, doch die Kirschblüte am Tor bremst mich abermals. Wie gesagt es ist hier auf dem Plateau des Koyasan, das sich zwischen 8 Bergspitzen erstreckt, immer etwas kühler, so dass auch die Kirschblüte etwas später stattfindet. Allgemein ähnelt der Koyasan im Aufbau einem Mandala, das sich über ganz Japan erstreckt. Kōbō Daishi hat diesen Platz also nicht ohne Hintergedanken ausgewählt, als er 816 vom damaligen Kaiser Saga (786-842; 52. Tennō) die Erlaubnis bekommen hat, hier sein Hauptquartier zu errichten.
Wir passieren die „Rojuji no Kane“, die 6-Uhr-Glocke, und laufen zum Danjo Garan Komplex. Er besteht aus der Kondo Halle (Goldene Halle), der Konpon Daito Pagode und dem Miedo (Halle der ewigen Einkehr), dazwischen liegen noch kleinere Gebäude wie das Aizendo, Daiendo, Junteido, sowie der Myo Schrein. Das dazugehörige Daimon („Große Tor“) liegt etwas abseits dieses Komplexes – wir wollen es später noch besuchen. Die Kondo Halle stammt ursprünglich aus dem Jahre 819 und wurde noch von Kukai persönlich erbaut und Ashuku Nyorai gewidmet. Ashuku gehört zu den 13 Buddhas des Shingon, und ist im Diamantreichmandala (Kongōkai) Begleitbuddha von Dainichi Nyorai, dem höchsten Buddha im Shingon Buddhismus. Ashuku repräsentiert die Erde und in dieser Aufgabe wird er auch als „Lotos König“ bezeichnet, da er einer der 5 Könige der Weisheit ist. Die jetzige Halle stammt aus dem Jahre 1932 und ist die 7. Rekonstruktion, da auch der Koyasan nicht von Feuersbrünsten verschont geblieben ist. Im Miedo soll Kōbō Daishi gelebt haben. Hier wurde ein Bildnis des Daishi aufgehängt, das der Künstler Shinnyo Shinno, ein Schüler Kōbō Daishis, geschaffen hat. Die Rekonstruktion der Halle stammt aus dem Jahre 1848. Die Fudodo Halle soll im Jahr 1198 vom Gyosho Shonin erbaut worden sein, sie ist somit das älteste noch im Originalzustand erhaltene Gebäude auf dem Koyasan. Sie wurde im Kamakura Stil erbaut und zählt heute zu den Nationalschätzen. Die Konpon Daito Pagode ist 48,5 m hoch und Dainichi Nyorai geweiht. Sie ist vollständig mit Lack überzogen und erst 1937 fertig gestellt worden. Betrachtet man den Koyasan als Teil eines Madalas, so ist diese Pagode der Mittelpunkt, dementsprechend finden sich in ihr sowohl der Dainichi Nyorai aus dem Taizokai (Mutterschoß) Mandala als auch vier Buddhas aus dem Kongōkai (Diamantreich).
Nach und nach besuchen wir die Hauptgebäude. Dann und wann muss man Eintritt bezahlen, eine freiwillige Spende abdrücken oder man kommt gar nicht ins Gebäude rein, weil sie verschlossen sind oder wir einfach zu doof sind, die richtige Tür der unzähligen Türen zu finden. Zum Glück gibt es hier Informationstafeln in englischer Sprache, so dass man sich dann doch nicht ganz so verloren vorkommt, zwischen all der Kultur und Religiosität. Wir besuchen den Saito aus dem Jahre 1834, eine 27 Meter hohe Schatzpagode (tahōto), die von riesigen Zedern umstanden ist. Das Gegenstück ist die Toto Pagode im Nordosten, die 1843 nieder brannte, aber erst 1984 wiedererbaut wurde. Wir besichtigen noch den Aizendō, die „Sanko-no-Matsu“ genannte Riesenpinie und den Pfauentempel „Kujako“, der vom Ex Kaiser Go-Toba (1180-1239; 82. Tennō) errichtet wurde und dessen Statue des Pfauengottes Mayura Videyara vom Künstler Kaikei um das Jahr 1200 geschaffen wurde. Das derzeitige Gebäude stammt allerdings aus dem Jahre 1984, nachdem ein Brand das gesamte Gebäude mit Ausnahme der Statue vernichtet hatte. Rokakku Kyōzō ist ein Sechseckbau, der aus dem Jahre 1159 stammt. Das Gebäude fiel ebenfalls einem Brand zum Opfer, so dass das jetzige neu errichtet werden musste. Ursprünglich enthielt der Bau eine chinesische Triplika (dreiteiliges Bild) mit goldenen Schriftzeichen auf purpurnem Untergrund, dies wird jetzt jedoch im naheliegenden Reihōkan Museum verwahrt.
Es gibt hier sogar einen Schrein, dessen weibliche Gottheiten Nyuu und die männliche Gottheit Koya bzw. Kariba von Kōbō Daishi dazu eingeladen worden waren, als Schutz-Kami (Shinto Gottheiten) für den Tempelbezirk zu dienen. Er soll sie, wenn ich es richtig verstanden habe, vom Amano am Fuße des Koyasan mit hierher gebracht haben.
Jetzt raucht mir aber der Kopf von den vielen Gebäuden und Eindrücken. Alles hier hat Geschichte, alles ist wichtig und man will ja auch nichts verpassen, was hier sehenswert ist. Aber schließlich laufen wir in Richtung Daimon („Großes Tor“), welches den eigentlichen Eingang zum Koyasan darstellt. Es gibt im Konpon Daito Komplex zwar noch das Mausoleum von Chisen Daitoku, das Sanmaido, den Bentensha Schrein in einem Teich, aber jetzt wandern wir über die Ruinen des ehemaligen als „Mitteltor“ bezeichneten Areals zurück zur Straße. Auch das auf der gegenüberliegenden Straßenseite liegende Reihokan Museum schenken wir uns und kommen nach einigen Minuten Fußmarsch an das beeindruckend große, an die 25 Meter hohe Dainmon (Tor). Es ist eine Rekonstruktion von 1705 und die Wächterstatuen stammen vom Künstler Hokyo Uncho, über den ich aber nichts weiter in Erfahrung bringen konnte. Die Hauptstraße läuft hier direkt in einer Kurve vorbei, und um nicht von den doch recht zügig vorbeifahrenden Autos und Motorrädern angefahren zu werden, muss ich beim Fotografieren schon recht vorsichtig sein. Geschützt von kleinen Dächern gibt es die beiden „Otasuke Jizōs“ hier direkt an der Straße. Die Jizōs sollen Wünsche erfüllen können, doch bei der Aussicht von hier, bin ich eigentlich wunschlos glücklich. Das hätte ich vorher wissen müssen, denke ich so bei mir, als ich ein Schild mit den lokalen Wanderwegen entdecke. Ich hatte mir schon im Zug Gedanken darüber gemacht, wie der Pilger, der das Pilgern so richtig Ernst nimmt, hier denn hochkommen könnte. Diese Frage wird mir hier beantwortet:
Exkurs: Wander-/Pilgerwege der Kii-Berge
http://whc.unesco.org/pg.cfm?cid=31&id_site=1142
Über einen alten Wanderpfad „Koyasan cho ishi michi“), der am Fuße des Koyasan am Tempel Jison-in in Kudoyama beginnt, kann der geneigte Pilger, aber auch der einfache Wanderer, den Weg bis zum Okunoin (Mausoleum) zurücklegen. Diese 24 Kilometer werden jeweils alle 109 Meter durch steinerne Säulen markiert, so dass man nach 216 erwanderten Wegmarkierungen vor dem Mausoleum von Kōbō Daishi steht. Da es Frauen bis 1872, die magische Zahl der Meiji-Restauration, verboten war, den Koyasan zu betreten, gibt es bis heute den sogenannten „Frauenweg“, der um das Plateau des Koyasans herumführt. Nach einer ca. 6-stündigen Wanderung konnten sich die Pilgerinnen dann am Ortseingang im „Nyonindo“ genannten Gebäude ausruhen, denn näher durften sie zu damaligen Zeit dem heiligsten Ort im Shingon Buddhismus, dem Mausoleum des Daihi, nicht kommen. Aber der Koyasan ist und war nicht nur Ziel von Pilgerwanderungen, sondern auch Ausgangspunkt für solche. Ise-ji wird zum Beispiel der Pilgerweg zum Ise-Schrein genannt, zu Japans wichtigstem Schrein, der der Sonnengöttin Amaterasu gewidmet ist. 2004 wurde das gesamte Gebiet der Kii-Berges von der UNESCO zum Weltkulturerbe ernannt. Unter dem Titel „Heiligtümer und Pilgerrouten in den Kii-Bergen“ umfasst es den gesamten Koyasan, sowie die Pilgerrouten (Naka-hechi, Ō-hechi, Ko-hechi) zu den Kumano-sanzan, den drei Großschreinen von Kumano (Honguu-Taisha, Hayatama-Taisha und Nachi-Taisha), die Gebirgsregion um Yoshino und Ōmine, sowie die die beiden Tempel Fudarukusan-ji und Seiganto-ji.
Letzterer Tempel soll mir später noch begegnen, da er der erste der sogenannten „Saikoku“ Pilgerroute ist, eine aus 33 Tempeln bestehende Pilgerroute, die der Gottheit Kannon gewidmet ist. Ohne vorgreifen zu wollen, aber der Flug lässt sich nicht umbuchen und ich werden den Entschluss fassen, meine verbleibenden 3 Wochen in Japan zu verbringen. Ich werde den shintoistischen Schrein in Ise besuchen und von dort dem Kumano-Kodo oder exakter dem Ise-ji, zu den shintoistischen Großschreinen von Kumano folgen. Da ich dann noch Zeit habe und durch “Zufall“ am Honguu-Taisha Schrein auf den direkt daneben liegenden Saiganto-ji Tempel treffe, werde ich in der mir verbleibenden Zeit auch noch 20 dieser 33 Tempel besuchen.
Aber jetzt laufen Hajo und ich wieder die Hautstraße entlang, vorbei am Hasu-ike, dem Teich, in dem auf einer Insel, nur über eine Brücke zu erreichend, der Bentensha Schrein liegt. „Wollen wir noch eine Sutra kopieren“, fragt mich Hajo und grinst breit. Wie sollen wir bei unseren mangelnden bis gar nicht vorhandenen Japanisch Kenntnissen eine Sutra abschreiben? Ich habe das Schreiben von Kanji (Symbolzeichen) zwar schon geübt, das beschränkte sich jedoch auch einfach Zeichen, die kaum mehr als 5 Striche aufwiesen. Aber als wir von einer netten Japanerin in den Raum für das Shakyo (Sutra kopieren/abschreiben) geführt werden, liegt da ein Filzstift mit pinselartiger Schreibspitze und die zu kopierende Sutra, deren Schriftzeichen grau unterlegt sind, so dass wir die Strich nur nachziehen müssen. Aufatmen, wir werden uns also nicht blamieren, zumal eine Anweisung in Englischer Sprache beiliegt.
Man soll in dem, was man tut vollständigen aufgehen, heißt es meist, wenn man den Weg der Erleuchtung sucht. Nicht nur etwas schreiben, sondern zum Geschriebenen werden. Volle Konzentration auf die Aufgabe, auch wenn es in japanischen Augen eine einfache Schreibübung ist. Doch wir Ausländer, die nicht so vertraut mit den Kanji sind, denken bei den Zeichen eher an zu Boden gefallene Spaghetti, als an so einleuchtende Kombinationen, wie dass aus Frau und Kind das Kanji für „sich mögen“ entsteht. Die „noch nicht Frau“ die kleine Schwester bezeichnet und die Kombination Frau und Markt, für die ältere Schwester steht, die durchaus schon alleine zum Markt gehen kann. Aber für uns Gaijin (Ausländer) ist der Umgang mit den Kanji ohnehin mit viel Konzentration verbunden, da wir die Strichführung ohnehin nicht kennen und es mehr wie eine Art „Malen nach Zahlen“ abläuft. Erstaunlich schnell haben wir dann unser Blatt gefüllt. Liegt es an der Schreibgeschwindigkeit oder an der Konzentration, die einem Stunden wie Minuten vorkommen lassen. Auf alle Fälle sind wir mit unserem Kunstwerk zufrieden und stellten uns jetzt die Frage, ob wir es als Souvenir mit nach Hause nehmen oder für eine, doch recht hohe, Gebühr zu Ehren des Daishi in einem Sutrenspeicher im Tempel für 1 Jahr verwahren lassen wollen. Wir entscheiden uns für die preiswerte Variante, obwohl ich mir noch ein Schreibset zulege, damit ich Zuhause noch ein bisschen üben kann.
Wir verlassen das Gebäude und wandern weiter in Richtung Okunoin. Kehren am Karukayado Doshin ein, um ein paar Postkarten zu kaufen. Im Karukayado Doshin (http://www.koyasan.net/i/english/sightseeing/seeingspot/karukayadou.html) wird die Geschichte von Karykaya Doshin und seinem Sohn Ishido-maru anhand hübscher Bilder erzählt. Sie lebten fast 40 Jahre hier in diesem Gebäude zusammen, ohne zu wissen, dass sie Vater und Sohn sind. Die Mutter verstarb kurz bevor sie ihrem Sohn seinen Vater vorstellen konnte am Fuße des Koyasan. Das Verbot für Frauen den Koyasan zu betreten tat ein Übriges, so dass die Frau ihren Mann nicht direkt seinen Sohn übergeben konnte. Aber die beiden fanden auch so nach dem Tod der Mutter zusammen. Wie die Zusammenhänge nun gelüftet wurden, verschießt sich meiner Kenntnis. Soll es eine Parabel über das Schicksal (Karma) sein, das grausam ist und dem man nicht entrinnen kann oder eine Geschichte über Fügung, dass was zusammen gehört schließlich und endlich auch zusammen findet?
Wir wandern weiter die Straße entlang, ein Schild weist den Weg zu einer Universität. Man muss bedenken, dass hier ca. 4000 Menschen leben, vielleicht 1000 davon sind Mönche. Von den vielen Touristen, die jährlich den Koyasan besuchen, will ich gar nicht reden. Aber die Menschen müssen versorgt werden, so gibt es neben Souvenirshops, kleine Supermärkte, Restaurants und Kneipen. Der Koyasan hat natürlich eine Universität (Koyasan Daigaku) zur Ausbildung der Mönche und Priester, aber auch eine Primary School (Grundschule), eine Junior High School (Realschule) und eine High School (Gymnasium), wo die Kinder der Einwohner zur Schule gehen. Über die Sando, die Zedernallee, gelangen wir wieder zum Okunoin, dem Mausoleum des Daishi. Auf meiner Karte sind verschiedene Gedenksteine eingetragen, z.B. für die Familie Toyotomi, Maeda oder Tokugawa. Es macht richtig Spaß, die Gedenksteine zu erkunden, da es ohne diese Hintergrundinformation einfach nur großr Steine mit japanischen Schriftzeichen sind. Bei besonders ungewöhnlichen Steinen hätte ich mir gerne eine Tafel in Englisch gewünscht, so z.B. bei der bereits erwähnten Hundestatue, oder auch bei dem kleinen Samurai, der mit seinen Zügen auf dem glattpolierten, schwarzen Marmor wie eine Manga-Figur (Comic-Figur) wirkt. Eine Firma hat hier sogar eine Tasse Kaffe in Stein arbeiten lassen. Kaum zu glauben, dass in Deutschland ein Kaffeeröster einen Gedenkstein für seine verstorbenen Betriebsmitglieder auf einem Friedhof errichten lassen würde - aber das ist Japan. Es gibt hier nicht nur ungewöhnliche Gedenksteine, sondern ganze Hütten aus Stein, mit einem Steintori (shintoistisches Tor) und Steinzaun, die mehr oder weniger verwittert, zum Teil mit Moos überzogen, den Ort so richtig unheimlich machen können. Heute scheint zum Glück die Sonne, aber gestern, als ich hier im Nieselregen entlang gelaufen bin, planlos, orientierungslos, kam dieser Ort mir so trostlos vor. Aber jetzt kann ich das Rasseln von Waffen der stolzen Samurai und Shogune geradezu hören. Was muss dieser Wandermönch namens Kukai (Kōbō Daishi; posthumer buddhistischer Ehrentitel) doch für eine Wirkung durch die Jahrhunderte, sowohl auf die Ärmsten als auch die Mächtigsten, hier in Japan gehabt haben, dass sie sich entschlossen haben, in der Nähe des Daishis ihre letzte Ruhe zu finden.
Jetzt betreten wir wieder den heiligsten Bereich, der durch einen kleinen Fluss, abgeteilt ist. Hajo erklärt mir noch was die einzelnen Gebäude darstellen und wo genau denn der Daishi in ewiger Meditation verweilt. Wir opfern ein Bund Räucherstäbchen, den wir in der Stadt geschenkt bekommen haben und machen uns wieder auf den Rückweg. Wir sind doch mit Kurtsan um 15.00 Uhr verabredet und deshalb wollen wir noch einige Teigteilchen für unser „Tee Kränzchen“ besorgen. Der lokale Kombini (24-h-Shop) heißt hier „Coco“ und schnell sind einige Teilchen gekauft. Ich hoffe nur, dass Kurt als Priester diese Süßigkeiten auch essen darf bzw. überhaupt Süßes in seinen Ernährungsplan passt. Aber schließlich trudeln wir dann etwas verspätet um 15.30 Uhr im Muryōkō-in ein. Leider ist Kurts Frau, die zusammen mit ihm in den Zimmer lebt, nicht da und auch Kurt selber ist keine Naschkatze. Aber trotzdem haben wir bei einer Tasse Tee anregende Gespräche über seinen Lebenslauf, seine Projekte und das Leben allgemein. Er berichtet uns von einem Fernsehteam, das eine Dokumentation über die Shikoku Pilgertour drehen will und ihn als Experten befragen möchte. Auch die DVD „88 – Pilgern auf Japanisch“ befindet sich in seinem Besitz, so dass wir ihm von unserem Kontakt zum Regisseur, den wir zwecks Informationsaustausches in Berlin besucht hatten, berichten können. Wir haben echtes Glück, Kurtsan gerade jetzt anzutreffen, denn er ist, wie bereits erwähnt, erst gestern aus Thailand zurückgekehrt. Die Zeit vergeht wie im Fluge und als wir auf die Uhr gucken, ist es doch schon 19.00 Uhr. Kurz entschlossen laden wir Kurtsan in sein Stammlokal ein, das am Ende der Straße liegt. Es ist klein, aber fein, wie ich gestern mit Tamara feststellen konnte. Die Bestellung überlassen wir Kurt, da er wohl am Besten weiß, was hier schmeckt. Es gibt „Grünen Salat“ mit Tofu, Sashimi und eine Schüssel Reis bestellen wir auch noch. Aber leider haben wir schon alles verputzt, als die Wirtin mit dem Reis kommt. Kurtsan erklärt uns dann noch, was es mit den Hähnchenteilen auf sich hat, die eigentlich ganz gut geschmeckt haben. Es soll sich wohl um „Kropf“ gehandelt haben, also die muskulöse Aussackung des Halses beim Huhn, aber das hat jetzt nicht irgendwie ungewöhnlich geschmeckt. Da hätte er schon mit Natto (fermentierte Sojabohnen), Bienenembryos oder Zappel-Sushimi (roher Fisch) kommen müssen, um uns gestandene Shikoku Veteranen aus der Fassung zu bringen.
Wir treffen recht spät in der Jungendherberge ein, da wir auch in der Kneipe unser Gespräch fortgesetzt haben. Aber anstelle eines Bades krieche ich todmüde in mein Bett und sage Hajo, dass er am Morgen nicht mit mir rechnen soll, falls er wieder die Morgenmesse im Muryōkō-in besuchen möchte. Und ich tat wohl, denn während der Nacht werde ich von mindestens 8 Toilettenspülungen aus dem Schlaf gerissen.
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