Karte von Shikoku mit den 88 Haupt- und 20 Nebentempeln


Donnerstag, 1. Juli 2010

Donnerstag, 30.04.2009, Koyasan, Jugendherberge

Der 46. Tag in Japan
Heute bin ich zwar um 5.10 Uhr aufgewacht, habe mir die Morgenmeditation im Muryōkō-in dann doch verkniffen, weil ich einfach zu kaputt bin. Hajo geht schon hin und kann mir dann beim Frühstück davon berichten. Wir werden heute den Koyasan verlassen, Hajo, um nach Nara zu fahren und ich will dem Flugschalter im Flughafen Kansai einen Besuch abstatten, da ich vom Internetportal „Upandgo“ noch immer keine Infos über Umbuchungen erhalten habe. Ich bin aber pessimistisch. Mutter und Tochter aus Berlin, die ich auf Shikoku getroffen habe und ebenfalls vor ihrem eigentlichen Abflugtermin die Pilgertour beendet hatten, konnten nicht umbuchen und mussten das Geld für einen neuen Flug abdrücken. Es würde mich freuen, endlich mit meinen vielen Gesichten und Fotos nach Hause zu kommen, und den Daheimgebliebenen von meinen Abenteuern berichten zu können. Aber so wie es aussieht, werden ich mir ein Alternativprogramm überlegen müssen, denn für den Flugpreis könnte ich mich hier in Japan noch einige Zeit, wenn ich bescheiden lebe, durchschlagen. Ich befrage das Internet über eine Karate Trainingsmöglichkeit in Ōsaka. Es soll noch einen schönen Wanderweg zwischen Kyoto und Nara geben. Das Schicksal hat mich wieder mit Hajo zusammengeführt, und sollte ich meinen Flug nicht umbuchen kann, würde ich ihn in der Jugendherberge in Nara treffen, um wieder vereint von Nara nach Kyoto zu wandern. Leider gibt es im Netz keine Einzelheiten, vielleicht ist es ein alter Pilgerweg, vielleicht auch nur ein einfacher Wanderweg. Wenn wir Pech haben, ist es nur ein Gerücht und selbst wenn, dann können wir nicht auf so detailliertes Kartenmaterial wie in Shikoku zurückgreifen. Außerdem ist Shikoku die Insel der Pilger. Hier sind meist nur preiswerte Unterkünfte und Restaurants eingetragen. Doch auf dem „Festland“ gibt es wieder Business-Tarife für die Hotels und Eintritt für jeden Tempel, den man besuchen will. Wir sind dann wieder im „Touristenland“ und werden unser Pilgerland „Shikoku“ vermissen.

Nach dem Frühstück packen wir unsere Sachen. Ich schieße noch ein paar Fotos von der Jugendherberge. Es ist ein altes, japanisches Haus, das man zur Jugendherberge umgebaut hat. Ich hatte eine gemütliche, wenn auch durch Schlafmangel geprägte, Zeit hier oben unter dem Dach – juhe! Da die Unterbringung hier oben in den „Kämmerlein“ das gleiche gekostet hat, wie ein Platz im Schlafsaal unten im Haus, habe ich die private Alternative vorgezogen. Ich musste allerdings unter den Toilettengänger des Nachts leiden. Das Zimmer neben meinem ist auch so ein „Kämmerlein“. Ich konnte einen flüchtigen Blick beim Auszug hineinwerfen. Wenn man sich durch die kleine Tür gequetscht hat, war der Raum doch größer als erwartet. Aber ich lobe mir mein Bett, obwohl ich immer Gefahr gelaufen bin, mir am Dachbalken den Kopf zu stoßen - aber wofür hat man eine Taschenlampe. Der Aufenthaltsraum ließ keine Wünsche offen.

Ich verlasse zusammen mit Hajo das Haus. Der Bus zum Bahnhof kostet 280 Yen. Da man das kurvige Stück kurz vor der Ortschaft nicht zu Fuß erklimmen darf, es gibt hier keinen Bürgersteig und keine Möglichkeit den Touristenbussen in den Kurven auszuweichen, sind wir gezwungen, unseren letzten Gruß vom Bus aus zu entrichten. „Sayonara Kōbō Daishi“ und „Tschüß“ Kurtsan!“ Wir hatten hier auf dem Koyasan und auf Shikoku eine schöne, wenn auch nicht unproblematische, Zeit. Für den Zug zum Kansai Airport berappe ich nochmals 1980 Yen, aber erstmal geht es mit der Bergbahn zurück zum Bahnhof der JR (Japanese Railways). Als ich mir das Ticket kaufe, erhalte ich als Wechselgeld einen 2000-Yen-Schein. So einen habe ich noch nie hier in Japan gesehen, aber ich werde ihn als Andenken aufgewahren. Wir fahren mit dem Zug wieder in Richtung Ōsaka. Am Bahnhof „Hashimoto“ verlässt mich Hajo, um in einen Zug nach Nara zu wechseln. Wenn ich den Flug nicht umbuchen kann und nicht weiß, was ich tun soll, kann ich Hajo in den nächsten Tagen in Nara finden. Danach wird er nach Kyoto reisen, um hier die berühmtesten Tempel Japans zu besuchen. Ich habe ihm noch einen meiner Reiseführer mitgegeben, damit er einen Eindruck davon gewinnt, was ihn erwartet. Alle Tempel in Kyoto besuchen zu wollen, ist fast unmöglich in der kurzen Zeit. Er muss also eine Vorauswahl treffen. Ich selber war vor einigen Jahren für eine Woche in Kyoto und hatte das Glück beim alljährlichen Abschluss des Allerseelenfestes (O-Bon) in Japan, dem „Gozan no Okuribi“ in Kyoto beizuwohnen. Bei diesem Ritual werden auf mehreren Bergen im Norden der Stadt große Feuer entfacht, die aus der Ferne gesehen die japanische Schriftzeichen für „Buddhas große Lehre“ ergeben. Eindrucksvoll, aber nach dem Entzünden herrscht das reine Verkehrschaos in der Stadt, da alle Zuschauer wieder schnell nach Hause wollen. Also nachdem Hajo den Goldenen Pavillon (Kinkaku-ji), den Silbernen Tempel (Gingaku-ji), den anschließenden Philosophenpfad erkundet hat, wird er wohl den Kiyomizu-dera („Tempel des Gutes Wassers“) mit seinen drei Quellen, die Zwillingstempel Nishi und Higashi Honganji besuchen und im Tōji-Tempel („Ost-Tempel“ oder Kyō Goku-ji, „Das Land beschützender Tempel des Königs der Lehre“) wieder auf Kōbō Daishi treffen, der hier seine erste Wirkungsstätte hatte. Die Pagode des Tōji ist übrigens das Wahrzeichen Kyotos, obwohl der hypermoderne Bahnhof ihr heutzutage den Rang streitig machen könnte. Ja – Kyoto ist keine Kleinstadt mit ein paar Tempeln, sondern eine Großstadt, in der man nur selten noch ruhige Ecken findet. Aber für den ambitionierten Japan Touristen ein Muss, ebenso wie die Tempel- bzw. Schreinanlage von Nikko, die Hajo auch noch besuchen möchte, bevor her über Tokyo und den Flughafen Narita wieder nach Hamburg zurückkehrt. Auch ich soll später wieder den Weg nach Kyoto finden. Nachdem ich von Ise dem Kumano-Kodo zu den drei Großschreinen von Kumano abgewandert habe, soll mich mein Weg über Ōsaka und Nara wieder in die Tempelstadt führen. Während ich den Kiyomizudera Tempel zum zweiten Mal im meinem Leben besuchte, soll mir der erste Besuch des Daigo-ji in bleibender Erinnerung bleiben. Der Name Daigo-ji kam mir von Anfang an so bekannt vor, bis mir einfiel, dass es letztes Jahr (2008; http://www.kah-bonn.de/index.htm?ausstellungen/daigoji/index.htm) eine Ausstellung in der Kunsthalle Bonn gegeben hat. Sie trug den Titel „Tempelschätze des heiligen Berges Daigo-ji – Der Geheime Buddhismus in Japan“. Und eben diesen Tempel wollte ich im Rahmen der Saikoku Pilgertour (33 Tempel der Kanon in Westjapan) besuchen. Als man mir jedoch im Haupttempel mit ratlosen Gesichtern und einem „arimasen“ (gibt es nicht!) verständlich machen wollte, dass es den Tempel nicht gibt, zweifelte ich schon an meinem Verstand. Als dann aber ein Mönch hinter mir her gestürmt kommt, den man telefonisch um Hilfe gebeten hatte, konnte der mir erklären, dass die Haupthalle (hondō) des Daigo-jis in den Bergen vor einem Jahr abgebrannt ist. Diese Nachricht hat mich dann fast sprachlos gemacht. Wie konnte bei all den Vorsichtsmaßnahmen gegen Feuer so ein Unglück passieren? Jahrhunderte alte Kulturgüter waren verbrannt – ein unermesslicher Verlust für Kyoto, für die Mönche, für Japan. Ich habe mir dann das ganze Ausmaß der Katastrophe angesehen und habe mich hierzu bei strömendem Regen den ganzen Berg hoch gequält. Ich musste sogar Eintritt für den Bereich des Kami-Daigos bezahlen, obwohl man mich bei dieser Gelegenheit hätte aufklären können. Doch nichts – außer ein paar steinernen Fundamenten, auf denen die Holzsäulen standen, war von der Halle nichts mehr übrig. Ich wäre fast vorbei gelaufen, wenn mich die Steintreppen nicht darauf aufmerksam gemacht hätten, dass hier früher ein Gebäude gestanden haben muss. Anstatt mir also einen Eintrag in mein Pilgerbuch am Daigo-ji geben zu lassen, war jetzt der Tempel im Tal, der Shimo-Daigo, für diese Aufgabe zuständig. Als ich später im Internet nach Informationen suche, wird das Feuer, das die Kannon-Halle vollständig zerstört hatte, mit keinem Wort erwähnt. Nur die Bemerkung, dass der Zugang zum Kami-Daigo Bereich zwecks Wiederaufbau nach einem Unfall gesperrt ist („Entry to Kami-Daigo Area is prohibited because of disaster restoration construction“ erschien auf der Homepage (http://www.daigoji.or.jp/index_e.html)

Ich fahre mit dem Zug noch bis Chaya und steige dann in einen Zug zum Kansai Airport um. Doch ich werde enttäuscht, da heute kein Flug stattfindet, ist der Schalter nicht besetzt. An der Information bekomme ich eine Telefonnummer, unter der sich jedoch keiner meldet. Am Internet Terminal bei der Touristeninformation, wo man für 100 Yen 10 Minuten surfen kann, finde ich auf der Airline Homepage die jeweiligen Flugdaten (Mo, Di, Mi, Do, So jeweils 11.00 und 18.30 Uhr). Wollten heute nicht Mutter und Tochter nach Berlin zurückfliegen? Ich frage nochmals an der Information und mir wird gesagt, dass der nächste Flug für morgen um 11.00 Uhr angesetzt ist. Da ich heute also nichts mehr ausrichten kann, beschließe ich die Jugendherberge in Hagoromo aufzusuchen. Ich würde zwar gerne in Ōsaka im Kikue, einem Business Hotel, das ich schon von einer früheren Japanreise kenne, absteigen, doch die Jugendherberge liegt einfach näher. In der Jugendherberge (http://www.osaka-yha.com/shin-osaka/shin-osaka-e/g-osaka-kokusai.html), in der schon Hajo seine erste Nacht in Japan verbracht hat, bin ich im Schlafsaal bzw. 8-Bett-Zimmer untergebracht. Ich teile mir das Zimmer heute nach mit zwei Französinnen, die vielleicht etwas älter sind als ich. Aber erstmal nutze ich das Ofuro (Gemeinschaftsbad) zum Entspannen. Das kann dann aber auch peinlich werden, wenn man zwar alle Regeln, die hier sorgfältig auf einem Plakat erklärt werden, beherzigt, aber so eine Schulklasse junger Mädchen, wie eine Gänseschar einfällt. Natürlich wird man als Ausländerin ganz anders beäugt als Einheimische. Wenn sich dann jemand vortraut und mit einem beherzten englischen „Hello“, versucht, einen ins Gespräch zu verwickeln, gackert der Rest der Mädchenschar los, als sei man ein Fuchs und habe es auf sie abgesehen. Natürlich kehrt die Mutige dann ganz schnell wieder in den Schoß der Gänsefamilie zurück und man selber steht allein auf weiter Flur und kann nur freundlich grinsen. Als ich vom Bad wiederkomme, überlege ich ob es “Paxnaturon“ (http://www.paxnaturon.com/) ein Jugendherbergen exklusives Haarpflegeprodukt wohl auch in Deutschland zu kaufen gibt. Es riecht herrlich und durch die Schaumspender, haut man sich nicht so viel davon in die Haare. Doch als ich ins Zimmer komme, hocken die beiden Französinnen vor einem Mini-Altar und murmeln ein Gebet. Still setze ich mich auf mein Bett und frage sie, nachdem sie geendet haben, ob sie gerade ein Sutra rezitiert haben. Sie erzählen mir, dass sie der japanischen Nishiren Schule des Buddhismus angehören und für einen Kongress hier nach Japan gekommen sind. Beim Abendbrot, es gibt eine Art Büffet, traue ich meinen Ohren nicht, als mich ein junger Japaner mit akzentfreien Deutsch anspricht. In einem Gespräch erfahre ich, dass er aus Wuppertal stammt, seine Mutter Japanerin ist und er hier seinen Zivildienst ableistet. Ich gehe heute früh zu Bett, da ich schon letzte Nacht nicht richtig schlagen konnte. Zum Glück haben meine beiden Zimmergenossinnen die gleiche Idee.

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