Karte von Shikoku mit den 88 Haupt- und 20 Nebentempeln


Montag, 7. Juni 2010

Sonntag, 05.04.2009, Ehime, Uwajima City, B.H. Kukusui

Der 21. Tag in Japan

Um ca. 6.00 Uhr wache ich auf, jetzt muss ich mein schönes warmes Bett verlassen. Draußen ist es Grau in Grau, zum Glück regnet es nicht mehr in Strömen, sondern tröpfelt nur noch gelegentlich. Ich lege mir meine Sachen immer für den nächste Tag bereit: Als erstes die Haarbänder zum Zopfflechten, Zahnbürste und Zahnpasta sowie Sonnenblocker, meine Handgelenksschoner und zum Schluss mein Frühstück, dass heute aus Cola und einer Apfeltasche besteht. Das Omchen von Wirtin lässt mich gegen 7.00 Uhr raus und ich laufe nochmals zum Bangai Tempel, um noch einige Fotos zu schießen. Sonnenschein wäre mir zwar lieber gewesen, aber ich kann schon froh sein, dass ich nicht wieder im strömenden Regen laufen muss. Da heute Sonntag ist, ist die Stadt Uwajima menschenleer, selbst hier am Bahnhof. Wäre das Wetter besser gewesen, hätte ich vielleicht das Uwajima Castle, ehemaliger Sitz des Date Klans, oder den Tenshaen Park, berühmt für seine 14 verschiedenen Bambussorten, besucht. So mache ich mich aber wieder auf den Weg und suche das Warei Jinja, das hier ganz nahe am Trail liegen soll. Ich habe mich zuerst verlesen und gedacht, dass der jüngere Brüder von Bishop Miyata, der Autor meines Tempelführers, hier Schreinvorstand ist. Der ist natürlich Tempelvorsteher im Bangai Tempel Ryūkoin (Nr. 6), aber trotzdem ist der Schrein einen Besuch wert. Er liegt hier irgendwo ganz in der Nähe, aber ich kann ihn nicht finden. Ich frage noch einen alten Japaner, der mit seinem Hund „Gassi geht“. Zurücklaufen – an der Schule vorbei. Die ist hier gar nicht verzeichnet, denke ich, und frage die Baseball spielenden Schulkinder, weil die Straße hier so nach oben führt. Ich hoffe doch nicht, dass ich für den Schreinbesuch in die Berge wandern muss. Endlich sehe ich eine Brücke mit auffälligen Steinsäulen und davor ist ein kleiner Park mit einem shintoistischen Tōri (Tor mit Säulen und Querbalken). Die Kirschbäume stehen in voller Blüte und die rot-weißen Lampions im Park geben schon ein tolles Bild ab, dann noch die detailreichen Steinsäulen, die Bogenbrücke und der Tempeleingang. Es ist noch früh, dennoch besucht schon ein Jogger den Schrein. Als ich das Tor durchschreite, fallen mir das dicke Strohseil, die großen Nō-Masken (trad. jap. Maskentheater) der Okame (stilisierte Bauersfrau) und eines Oni (Teufel) auf. Kaum bin ich die lange Treppe zum Schrein hinaufgestiegen, da entdecke ich eine Katze. Ich bin eine Katzenliebhaberin, obwohl ich seit Jahren keine eigene Katze mehr habe und mich bei meinen Katzen haltenden Freunden durchschmusen muss. Aber ich fotografiere japanische Katzen dennoch relativ selten, weil einige doch zu erbärmlich aussehen. Man darf gerne als Hund in Japan wiedergeboren werden, so als kleiner verpäppelter Schoßhund, aber als Katze fristet man hier ein klägliches Dasein, vor allem wenn man keine Wohnungskatze ist. Das tut mir immer in der Seele weh, wenn ich die kaputten Schwänzchen sehe. Mir ist zwar gesagt worden, dass es hier in Japan eine spezielle „Stummelschwanzkatze“ gibt, die offiziell „Japanese Bobtail“ genannt wird, aber ich kann ein gezüchtetes Stummelschwänzchen von einem verletzten unterscheiden und die meisten Katzen laufen hier mit Verletzung herum. Aber der Tiger, der jetzt das Treppengeländer zu mir hochgepirscht kommt, ist gesund und munter. Zur Begrüßung gibt es eine Runde Streicheleinheit, auch das mache ich nicht bei jedem potentiellen Flohzirkus! Auf dem Schreingelände stehen eine Pferdestatue, ein Anker und ein Gestell mit unzähligen Orakelzetteln. Auch für die Gottheit hier im Schrein habe ich einige Yen über. Ich klatsche in die Hände, verbeuge mich, wünsche mir eine gute Reise und ein klein bisschen mehr Sonnenschein, verbeuge mich erneut. Im Nebengebäude kann man Talismane kaufen und auch sein Pilgerbuch, wenn man denn ein shintoistisches Goshoin (Pilgerbuch) hätte, ausfüllen lassen. Im Shinto Schrein, ebenso wie im Tempel, gibt es ein Wasserbecken zur rituellen Reinigung, auf einem Schild wird sogar der Ablauf erklärt. Jetzt muss ich aber weiter, damit ich mein Etappenziel, Seiyo City, heute noch erreiche. Auf dem Weg dorthin treffe ich einen Herrn, den ich aufgrund seiner eigenartigen Augenstellung „Herrn Siam“ nenne, da er mich an meinen alten Siamkater erinnert, der etwas schielte. Leider spricht Herr Siam kein Englisch und auch bei unser vereinfachten Konversation habe ich Probleme, da ich nicht weiß mit welchem seiner beiden Augen, die sich nie gemeinsam in die gleiche Richtung bewegen, ich nun reden soll. Ich glaube, ich habe ihn schon mal in der Nähe von Bangai Nr. 6 getroffen, obwohl er mir später erklärt, dass er nur die offiziellen Tempel besucht. Ich laufe ihm eine Weile hinterher. Man verliert sich wieder, doch da treffe ich auf die zwei Frauen, die ich gestern schon mal gesehen habe. Ein nettes Lächeln, ein kurzer Gruß unter Pilgern und schon bin ich an den beiden, die gerade an einer Pilgerhütte Pause machen, vorbeigezogen. Der Weg zu Tempel Nr. 41 führt bei einer Ortschaft namens Muden über eine mit Kanälen bewässerte Anbaufläche. Die Strecke verlief bis jetzt ziemlich flach. Heute scheint hier Frühjahrsputz gemacht zu werden, da viele Bewohner in den Kanälen arbeiten und Grünzeug sowie Steine und Schlamm an der Straße anhäufen. Arbeiten am Sonntag, das ist hier nicht ungewöhnlich, vor allem die älteren Japaner scheinen mir geradezu arbeitswütig zu sein. Als ich den Weg zum Tempel Nr. 41 entlang laufe stutze ich einen Augenblick, da ich mir nicht sicher bin, ob das da vor mir nun ein Tempel oder doch ein Schrein ist. Ich sehe kein Tempeltor, nur ein steinernes Tōri und von weitem leuchtet mir ein rotes Shinto Tōri entgegen. Ein Japaner bemerkt mein Zögern und auf meine Frage, ob das nun ein Tempel (tera) oder Schrein (jinja) sei, erklärt er mir „Ryukōji“.

Exkurs Tempel Nr. 41 Ryūkōji (竜光寺)
„Der Tempel des Drachenstrahls“ wurde 807 von Kōbō Daishi gegründet, nachdem er hier laut Legende auf die shintoistische Gottheit Inari (Inari Myōjin) in Gestalt eines alten, weißhaarigen Mannes traf. Inari, Gott des Ackerbaus und Fruchtbarkeit, der normalerweise von Füchsen (kitsune) als Diener und Boten begleitet wird, sagte nur: „Ich lebe hier und ich werde alle Menschen erretten, die der Lehre des Buddhismus folgen.“ Alsbald verschwand der Mann und ließ nur ein Bündel Reisstroh zurück. Deshalb wird der Tempel auch volkstümlich „O-inari-san“ genannt. Neben dem Hondō (Haupthalle), welcher der Gottheit Jūichimen Kannon (Elfgesichtige Kannon) gewidmet ist, schnitzte Kōbō Daishi auch die Begleitstatuen des Fudō-Myōō und Bishamonten. Ein angrenzender Schrein trägt der Wichtigkeit Inaris Rechnung, die während der Edo-Periode (1603-1868) sowohl bei Kaufläuten als auch Samurai populär wurde und als oberster Tempel der Inari-Verehrung in Japan gegolten hat.

Man steigt hier die Treppen zum Tempel hoch, auf eine weitere Treppe folgt der Schrein an oberster Stelle. Es gibt neben Jizō Figuren auch die 7 Glücksgötter (shichi fukujin). Die Aussicht von hier über die durchwanderte Ebene wäre noch mal so schön, würde die Sonne scheinen, aber ich muss mich heute wohl mit Kirschblüten zufrieden geben. Wieder einmal nur ein Plumpsklo – bei den Löchern habe ich immer Angst, mir könnte etwas Wichtiges hineinfallen, z.B. meine Kamera oder meine Brille. Als ich dem Trail gemäß englischer Pilgerkarte folgen will, brüllt ein Japaner aus seinem Laden, dass ich in die andere Richtung gehen soll. Der eigentliche Trail scheint hier gesperrt zu sein und man muss links am Tempel vorbei und nicht rechts. Schade, denn der andere Weg hätte am Nakayama Teich vorbeigeführt, das wäre landschaftlich sehr reizvoll gewesen. Jetzt muss ich an der Straße Nr. 57 entlang laufen. Prinzipiell bevorzuge ich den Trail, der über Stock und Stein durch die Natur geht. Wenn ich lange Strecken Straße laufe, tun mir immer so die Füße weh, da meine Treckingschuhe zwar Schutz vorm Umknicken bieten, aber leider keine stoßgedämpfte Sohlen wie Joggingschuhe haben. Auf dem Weg zu Tempel Nr. 42 komme ich dann zum „Schmunzler des Tages“. Ich nenne es „Holländer Kurve“, da das Blumenbeet in diese langgestreckten Kurve vor dem Tempel aus hunderten von Tulpen besteht, die erst farblich abwechselnd, dann in Reih und Glied wie die Soldaten den Weg zum Tempel begleiten. Wer hat sich wohl die Mühe gemacht, diese Unzahl von Tulpen so exakt zu pflanzen. Sicherlich eine Schulklasse oder ein Dorfverein.
Ich betrete den Tempel durch den Hintereingang, ein paar Stufen und schon bin ich auf dem Gelände. Als erstes fallen mir die 7 Glücksgötter (shichi fukujin) auf, der Glockenturm und die viele Hallen. Ich weiß gar nicht, was hier Tempel und was Schrein ist. Wo ist die Haupthalle und wo die kleinere Daishi-Halle? Aber nach einiger Zeit finde ich mich dann doch zurecht. Als Gegenstück zu den 7 Glückgöttern sehen hier auch 7 Jizō Figuren, Ausgewogenheit zwischen Buddhismus und Shintoismus. Wenn nicht gerade wieder eine Busladung Pilger den Tempel überschwemmt, ist es hier ganz gemütlich und ich kann das große Eingangstor fotografieren. Hier gibt es unzählige Ecken und Winkel, Bäumchen und Gedenksteine, leider kann ich die Inschriften nicht lesen und fotografiere so, was mir interessant erscheint.

Exkurs Tempel Nr. 42 Butsumokuji (佛木寺)
„Der Tempel des Baumes von Buddha“ hat seinen Namen von einer Legende, die sich 807 zugetragen haben soll, bei der Kōbō Daishi ein „Wunschjuwel“ (jap. hōshu/engl. mani jewel), das er von China aus geworfen hatte, hier in einem Kampferbaum wiederfand. Zuvor war ihm noch von einem Bauern angeboten worden, auf einer Kuh zu reiten, da der Daishi wohl einen sehr erschöpften Eindruck auf den Einheimischen gemacht hat. Beides zusammen führte dazu, dass Kōbō Daishi aus dem Kampferbaum die Statue des Dainichi Nyorai als Honzon (Hauptgottheit) schnitzte, dessen Stirn er mit dem Wunschjuwel schmückte und den Tempel dem Wohlergehen von Haustieren widmete. Nachdem er das Kegon-Kyō (Avatamsaka Sutra; Blumengirlanden-Sutra der Kegon Sekte des Buddhismus) kopiert hatte, welches besagt, dass „Alles in Einem - Eines in Allem“ ist, widmet er diesen Ort der Verehrung des Kaisers Heijō (auch Heizei (806–809); 51. Tennō). Die Goeka, eine Art Hymne, diese Tempels lautet ungefähr: „Wenn selbst ein Baum und ein Grasshalm erleuchtet werden können, warum dann nicht auch Asuras (eifersüchtige Halbgötter), Hungergeister (gequälte Seelen), Tiere, Menschen und göttliche Körper? („Kusa mo ki mi, butsu ni nareru. Butsumokuji, naota no moshiki, kichiku ninten“). Es können im Tempel dem entsprechend Talismane für die Gesunderhaltung von Nutz- und Haustieren erworben werden, auch ist ein spezielles Mausoleum für Tiere errichtet worden, wo die Besitzer für ihre Lieblinge beten können. 1236 wurde der Tempel zum Familientempel des Saionji Clans, nördlichen Zweigs der Fujiwara-Familie, der im 13. Jahrhundert zu großem Einfluss am kaiserlichen Hof kam. Der Tempel wurde jedoch in den Wirren des Krieges zerstört und erst 1648 mithilfe des 1. Lord von Uwajima, Hidemune Date, wiederaufgebaut. 1688-1703 wurde der berühmte Glockenturm mit seinem Strohdach errichtet, die Haupthalle (Hondō) wurde im Jahre 1728 vom dritten Lord von Uwajima, Wakasa Date, gebaut. Sehenswert sind ebenfalls die 7 Glücksgötter, die Shichi Fukujin, im Tempelvorhof.

Ob das Bäumchen, das einen sehr zurückgeschnittenen Eindruck auf mich macht, wohl besagter Kampferbaum ist – ich weiß es leider nicht. Aber um 12.30 Uhr kommt die Sonne raus, das erhellt auch mein Gemüt. Der Trail läuft noch ein Stück flach, aber jetzt geht es wieder in die Berge. Ich hole Herrn Siam ein und wir machen gemeinsam eine Pause am Hanaga-Toge Pass. Hier ist eine steinerne Hütte errichtet worden und in der Umgebung gibt es viele Gedenksteine. Hier erklärt mir Herr Siam auch, dass ich meine Segenhut (sugegasa) mit der Silbe in Sanskrit (Altindische Sprache) nach vorne aufsetzten muss. Es ist die Silbe, die für Kōbō Daishi steht, und 4 weitere Gebote, mithilfe derer man die Erleuchtung und die Buddhaschaft erlangen soll. Sie lauten wie folgt und haben in folgende Bedeutung:

„Mayou ga yue ni sangai no shiro“ (Wenn man sich verliert, dann sind die drei großen Welten des Verlangens Schuld – Wir leiden, denn wir hängen an unserem Verlangen.)

„Satoru ga yue ni juppou ku nari „ (Mit der Erleuchtung kommen 10.000 Himmel – Man kann jedoch das Herz reinigen, z.B. mit einer Pilgerreise und von der Welt des Leidens befreit werden.)

„Honrai tozai nashi“(Ursprünglich gibt es keinen Osten und Westen – Doch wenn wir unser Selbst ablegen, uns ergebend dem Üben widmen und die Gunst Kōbō Daihis erlangen, werden alle Gegner verschwinden und es wird eine friedvolle Gesellschaft bilden.)

„Izukunika nanboku aran“ (Warum gibt es einen Norden und Süden? Wenn wir uns nicht an Dinge hängen, werden alle Sehnsüchte, Leiden und Elend vergehen. Eine gewaltige Welt wird sich vor uns auftun – die Welt der Erleuchtung.)

Bis wir den Tempel Nr. 43 erreichen, kommen wir noch an mindestens drei Pilgerhütten und Gedenksteinen vorbei, dabei sind es zwischen Tempel Nr. 42 und 43 nur 10 km, von denen der Anfangsteil allerdings steil durch die Berge führt. Der Abstand zwischen mir und Herrn Siam wird immer größer, da ich es mir nicht nehmen lasse, in Ruhe die Blumen am Wegesrand zu fotografieren. Und auch einen riesigen Regenwurm, den ich zuerst mit einem weggeworfenen, blauen Kleiderbügel verwechselt habe, hat mein Interesse geweckt. Aber als der Japaner, mit der japanischen Karte ausgestattet, die Einwohner nach dem Weg fragt, hole ich ihn wieder ein und wir betreten gemeinsam den Meisekiji Tempel.

Exkurs Tempel Nr. 43 Meisekiji (明石寺)
„Der Tempel des brillianten Steins“ wurde im 6. Jahrhundert von Shōchō Enjun auf Geheiß des damaligen Kaisers Kinmei (539–571; 29. Tennō) gegründet und Senju Kanzeon Bosatsu gewidmet. Der Legende nach soll eine junge Frau in einer Nacht eine gewisse Anzahl Steinen den Berg hinauftragen. Als jedoch jemand den Ruf des Hahns nachamte, ein Zeichen das der Morgen angebrochen war, verschwand die Frau spurlos. Es wird vermutet, dass Kannon Bosatsu eben diese Frau gewesen ist. Basierend auf dieser Geschichte war der ursprüngliche Name des Tempels „Ageishiji“ („Tempel des emporgehobenen Steins“).
734 baute ein Asket namens Jugen 12 weitere Gebäude, widmete sie den 12 Göttern der Kumano-Schreine und gründet hier ein Dōjō (Trainingshalle) für die Mitglieder des Shugendo (Bergasketentum), einer Mischung aus magischen Shinto und buddhistischer Lehre. Auf Anweisung des Kaisers Saga kam 822 Kōbō Daishi hierher, brachte das Lotos-Sutra (Hokke-kyō), in dem das Leben des historischen Buddhas Shakyamuni beschrieben wird, mit und belebte den Tempel neu. 1194 baute Yoritomo Minamoto (1147-1199), Gründer und erster Shogun der Kamakura Zeit (1185–1333), ein Gebäude zur Verehrung von Ike no Zenni, einer Person, der er im gewissen Sinne sein Leben verdankt. Da sie als Stiefmutter des damaligen Machthabers Kiyomori, den der Vater von Yoritomo in der gescheiterten Heiji Rebellion (1160) entmachten wollte, überreden konnte, den 13-jährigen Knaben zu verschonen und ihn nur ins Exil in die Provinz Izu zu schicken. Yoritomo soll auch einen Sutren-Hügel (kyōzuka) errichtet haben. Zwischen 1600 und 1867 beteten hier die Oberhäupter des Date Clans für Glück und Reichtum, aber der Tempel verfiel zunehmend. 1672 wurden die Gebäude wiederaufgebaut und 1874 der Hondō (Haupthalle) errichtet. Bemerkenswert sind die rötlichen Dachpfannen (sekishun-kawara), die sehr gut mit der grünen Umgebung harmonieren. Die Goeika (Hymne) des Tempels lautet „Kikunaraku Senju fushigino Chikaraniwa Daibanjakumo Karoku age-ishi“ und bedeutet so ungefähr „Die berühmte Kraft von Senju Kannon hebt die Felsen mit Leichtigkeit“.

Exkurs Yoritomo Minamoto (1147-1199) Gründer und erster Shogun der Kamakura Zeit
Minamoto no Yoritomo (1147-1199) war der erster Shōgun (Militärmachthaber) Japans und Begründer des Kamakura Shogunats (1185–1333), benannt nach dem neuen Regierungssitz in Kamakura, den er vom damaligen Kaisersitz in Kyoto (früher Heian-kyō; deshalb auch Heinan-Zeit von 794 bis 1192) verlegte. Er entstammte dem Minamoto Klan (bzw. Seiwa Genji), einer der vier großen Adelslinien neben den Taira, Fujiwara und Tachibana, die in der Hofpolitik mitmischten. Der Tennō (Kaiser) Go-Shirakawa (1127-1192; 77. Tennō Japans) übertrug ihm 1192 die militärische Macht über Japan, nachdem die Kaisermacht bzw. der die Hofpolitik bestimmende Taira Klan in einer Seeschlacht von Dan-no-ura (während der Gempei-Kriege (1180-1185)) geschlagen wurden. In der Heian-Zeit dominierte der kaiserliche Hof in Kyōto die Politik, doch allmählich verlagerte sich die Macht auf die Provinzfürsten, die vom Kaiser abstammten. Der Kaiser konnte diese Machtzerstreuung nur kompensieren, indem er die lokalen Fürsten gegeneinander ausspielte.

Minamoto Yoritomo gilt als Begründer des Yabusame, eine ritualisierten Form des berittenen Bogenschießens, dass alljährlich z.B. am Hachimangu Schrein in Kamakura zelebriert wird. Yoritomo war ein großzügiger Geldgeber vieler buddhistischer Tempel und Shinto Schreine Er wird noch heute als Shinto-Gottheit (kami) unter anderem im Kamakura Shirahata-Schrein und in zwei Hanawo-Schreinen in der Präfektur Kagoshima verehrt.


Im Tempel fällt mir das alte Tor auf, von dem man über eine Treppe direkt zur Haupthalle gelangt. Wenn man diese betritt, sollte man ein Blick an die Decke werfen, die mit einer Vielzahl von kleinen bemalten Täfelchen, die Naturmotive zeigen, geschmückt ist. Leider sind sie wohl schon sehr alt, so wie die Farben verblasst sind. Manche sind auch schon gerissen. Nichtsdestotrotz bewundere ich die schönen Schnitzereien an den Tempelgebäuden, es sind nicht die üblichen Motive, die mir sonst in den Tempeln auf Shikoku begegnet sind. Ich gehe nicht davon aus, dass Kannon hier die Felsbrocken für die Sicherung der Tempelstufen hoch getragen hat, aber diese, zu Teil bemoosten, Mauern lassen den Tempel noch älter und rustikaler wirken. Es gibt hier einen kleinen Teich und auch ein Blick hinter die Tempel lohnt sich, da hier Pilger kleine Figürchen augestellt haben. Bei meinem Besuch stand hier sogar eine in Plastik verpackte Beinschiene.

Wir verabschieden uns voneinander, da Herr Siam jetzt zu seinem Ryokan (jap. Pension) laufen will und dies der letzte Tempel für ihn an diesen Tag sein soll. Mit einem „Good luck“ wünschen wir uns noch eine gute Weiterreise. Unsere Wege trennen sich erst mal, doch sollen wir uns morgen früh überraschend wiedertreffen. In Seiyo City will ich eigentlich im „2nd Business Hotel Matsu-ya“ nach einem Zimmer fragen. Auf dem Weg dorthin sondiere ich schon mal die Lage und freue mich, dass ein McDoof ganz in der Nähe liegt. Leider ist das Business Hotel verschlossen und kein Mensch zu sehen. Ich laufe also zum Matsu-ya Ryokan – ebenfalls Fehlanzeige. Nach einer Stunde in der menschenleeren Eingangshalle, klären mich die spielenden Kinder im Hof darüber auf, das das Hotel „yasumi“ – Ferien macht. Es gibt hier noch andere Ryokans, doch als ich eine Person frage, die ich an einem Haus arbeiten sehe, erübrigt sich eigentlich schon die Frage nach dem Hotel. Denn hier gibt es Parkplätze direkt unter dem Gebäude, die noch dazu mit eine Art Vorhang vor allzu neugierigen Blicken abgeschirmt werden können. Ich frage zwar noch „Hoteru desu ka“ (Ist das ein Hotel?) und bekomme die Antwort „Hai, love hotel desu“ (Ja, ein Liebeshotel) und erhalte so die Bestätigung, das es sich hier um ein Love-Hotel handelt. Das ist eine Art Stundenhotel für japanische Ehepaare, die in den kleinen Häusern mit den dünnen Wänden nie so richtig „aus sich heraus gehen“ können.
Ich wandere weiter, meine letzte Chance ist das Uwa Park Hotel. Der Name schreckt mich schon ab, da es nach einem teueren und exklusiven Hotel klingt, aber in Wirklichkeit nicht ganz so vornehm ist, wie der Name vermuten lässt. Es ist vielmehr ein Zwischenstopp für Touristenbusse bzw. da es mitten in einer Ansammlung von Pachinko Hallen (jap. Spielautomaten) liegt, wohl auch eine Unterkunft für spielsüchtige Nachtschwärmer. Es spricht hier zwar niemand Englisch, aber ich kann mich dann doch verständlich machen und ein Tatami Zimmer für eine Nacht (4000 Yen) mieten. Ein „Westler Zimmer“, wahrscheinlich mit Bett, hätte mich 5000 Yen gekostet, so habe ich die Kosten für ein Abendesse und Frühstück raus, welche ich gleich im naheliegenden Sunkus Kombini in ein Fertig-Okonomiaki (jap. Pizza) und Weintrauben Limonade umsetze. Mein Zimmer hat zwar kein eigenes Badezimmer, aber ich warte einfach die Hauptzeit im Ofuro (jap. Bad) kurz vorm Abendessen ab und so habe ich meist das ganze Bad für mich. Auf den Zimmern gibt es sogar kleine Wäscheständer, die die meisten Bewohner vor die Tür stellen. Das ist schon ein Anblick, wenn man vom Bad kommt – lauter kleine Gestelle vor den Türen.

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