Karte von Shikoku mit den 88 Haupt- und 20 Nebentempeln


Mittwoch, 7. Oktober 2009

Donnerstag, 02.04.2009, Kochi, Mihara Village/Shimizu gawa; Bambushütte

Der 18. Tag in Japan

Ich habe diese Nacht kaum geschlafen und bin froh, dass es wieder hell ist. Die vorbeifahrenden Autos, die Regentropfen und von Zeit zu Zeit das Rauschen eines Regengusses, sind nicht wirklich Schlaf fördernd. Außerdem wollte ich den Kanadier nicht mit meinem Geraschel stören, aber ich wusste einfach nicht wie ich liegen sollte, da nach einer gewissen Zeit mir immer wieder die Knie und Hüfte derart weh taten, das ich die Lage wechseln musste. Matthew hat in seinem Zelt bestimmt mehr Ruhe gefunden. Aber allein bei dem Gedanken, ein ganzes Zelt mitschleppen zu müssen, frage ich mich wie viel er denn mit sich herumschleppt. Dabei wirkt sein Rucksack nicht größer als der meine. Ich wollte anfangs auch ein Zelt mitnehmen, doch die wirklich leichten Zelte waren derart unwirklich teure, das ich dafür locker mehrere Ryokan Übernachtungen bezahlen hätte können. Man muss eben seine Ansprüche herunterschrauben, will man sein Reisebudget nicht heraufschrauben. Auch die beiden Jungs haben fleißig gespart, obwohl ich zugeben muss, dass mir ein vollständiges Pilgerbuch als Nachweis meiner Pilgerschaft dann doch sehr wichtig ist. Die beiden wollen zwar alle Tempel besuchen, haben es sich aber nur ab und zu den Besuch im Pilgerbuch dokumentieren lassen, da jeder Eintrag 300 Yen kostet. Bei 88 Tempeln bzw. 108, wenn man die Bangai (Nebentempel) dazurechnet kommt da schon was zusammen.

Ich bin als erste auf und gönne mir einen Flasche heißen Tee aus dem naheliegenden Automaten, das wärmt die kalten Finger und weckt die Lebensgeister. Da es hier kein Mineralwasser gibt, muss ich mir mit einem Rest Cola die Zähne putzen. Als der Kanadier mich fragt, von wo ich denn gestern gekommen bin, ist er sehr erstaunt. „Wenn Du vom Kap Ashizuri gestartet bist, dann bis du ja fast 50 km gelaufen!“ Das habe ich gar nicht gemerkt, so langsam wie ich mich gestern den Berg heraufgekämpft habe, so schnell bin ich in der Dämmerung im Laufschritt dann auch wieder talwärts galoppiert. Aber trotzdem habe ich keine Probleme mit den Beinen, viel mehr hat es jetzt auch die andere Hand erwischt, die jetzt auch schmerzt und wie ein altes Holzscharnier knarrt. Die Jungs sagen mir „Goodby“, da sie noch Tempel Nr. 39 besuchen wollen, bevor der Kanadier wieder nach Hause fährt. Ich lasse ihnen den Vorsprung, hoffe aber, dass ich sie bzw. Matthew in Zukunft noch öfter in den Tempeln treffen werde. Ich mache mich dann auch wieder auf den Weg, verlaufe mich jedoch im Umenoki Park, da ich ein Schild falsch interpretiere. Es zeigt nicht den Trail an, sondern dass hier auf dem Hügel am Nakasuji Damm eine Pilgerhütte und Toilette stehen. Aber ich finde dann doch noch den richtigen Weg und als ich den Tempel betrete, kommen mir die Jungs gerade entgegen.

Exkurs Tempel Nr. 39 Enkōji (延光寺)
„Der Tempel des strahlenden Lichts“ wurde 725 von Gyōgi auf Befehl des Kaisers Shōmu gegründet. Gyōgi baute den Hondō (Haupthalle), 12 kleinere Hallen und hat auch die Statue der Hauptgottheit, Yakushi Nyorai, geschnitzt. 795 baute Kōbō Daishi die Tempelhalle wieder auf und widmete diesen Ort der Andacht an Kaisers Kanmu und weihte die Geleitgottheiten der Samurai Nikko und Gekko (Sonnen- und Mondlicht) ein.
911 wurde die Tempelglocke in Kupfer (7,5 kg) gegossen. Sie gilt heute als Nationales Kulturgut und wird in einem Museum in Tokyo ausgestellt. Obwohl die Legende eine andere Geschichte parat hält, die mit einer roten Schildkröte, von der der Tempelberg „akagame-zan“ („Berg der roten Schildkröte“) seinen Namen erhielt, zu tun hat. So soll besagte Schildkröte die Glocke auf ihrem Rücken in den Tempel gebracht haben. Ein Bildnis der Schildkröte mit Glocke kurz hinter dem Eingangstor trägt dieser Geschichte Rechnung. Auch entspringt hier wieder eine Quelle, die Hōisui, die als „Schatzmedizin“ bezeichnet wird, und an deren Entstehung Kōbō Daishi nicht unschuldig ist. Auch die Bezeichnung „me-arai-ido“ (Augen-wasch-Quell) wird gebraucht, da sich die Pilger Heilung ihrer Augenkrankheiten versprechen.
Eine seltene Abbildung eines lachenden Fudō Myōō (Warai Fudō) zählt ebenfalls zu den Tempelschätzen und wird als Nationalen Schatz gelistet.

Als ich den Tempel verlasse, sehe ich einen Pilger, der sich an zwei Stöcken hochziehend, den Berg hoch humpelt. Ich glaube, wenn man verletzt ist und sich nicht die Zeit zum Ausruhen nimmt, kann die Pilgertour auch mal schnell zur Tortour werden. Glücklicher Weise sind meine Handgelenke nicht so beansprucht, hätte ich das Gleiche an den Fußgelenken, sehe die Geschichte schon anders aus. Aber Toi, Toi, Toi, was das angeht, ist mir Kōbō Daishi wohlgesonnen bzw. habe ich mich gut vorbereitet. Nach kurzer Zeit hole ich Andrew und den Kanadier wieder ein, wir laufen bis Sukumo City zusammen. Aber da der Kanadier zum Bahnhof muss, trennen sich unsere Wege hier. Leider habe Matthew nicht wieder gesehen, er muss mich, vielleicht während meiner Bangai Tempel Abstecher, irgendwie überholt haben. Später erzählt mir Hajo, dass er Matthew getroffen hat und mit ihm in E-Mail-Kontakt stand, so sind sie nur kurz nacheinander einer Affenherde kurz vor Tempel Nr. 88 begegnet.

Eigentlich suche ich Anschluss an andere Pilger, dann ist man sicher, dass man auf dem richtigen Weg ist. Aber nicht so viel Anschluss, dass man ins Klönen kommt, denn dann verliert man durch Unaufmerksamkeit ebenfalls den Trail. Auf alle Fälle nehme ich den falschen Abzweiger in einem kleinen Dorf und drehe erstmal eine Extrarunde über eine Orangenplantage. Kehre um, um dann schnurstracks das Dorf zu durchqueren. Ich komme an den Matsuo-daishi Ruinen vorbei und überquere die Grenze zur Präfektur Ehime. Ich befinde mich jetzt im 3. Dōjō (Bodai no Dōjō), dem Trainingsraum der Erleuchtung. Mal sehen ob mir hier ein Licht aufgeht, was ich früher falsch gemacht habe und was ich zukünftig besser machen kann.

Die Kirschbäume hier in den Bergen sind fantastisch, die zartrosa blühenden Bäume kann man schon aus großer Entfernung leuchten sehen. Auf meinem Weg, ich möchte wenn möglich heute im Tempel Nr. 40 übernachten, begegnet mir eine atemberaubende Natur. Ich studiere die Pilgerhütten auf dem Weg und überlege, ob ich das Frieren in den Nächten mit zunehmender Zeit bessern wird oder ob ich doch den Schutz eines Ryokan den Vorzug geben sollte. Man würde immerhin 3000 bis 6000 Yen sparen, je nach Ausstattung und Mahlzeiten. Ich passiere unzählige Schreintore. In den Tälern befinden sich Bauernhöfe, deren Bullen mit ungläubig mustern. Mit so einem Ring in der Nase habe ich schon Respekt vor den Viechern, aber anscheinend tragen hier alle Bullen einen Nasenring, unabhängig von ihrem Temperament. Ach ist das herrlich, ich mache Pause, wenn ich eine Pause brauche, laufe mein eigenes Tempo. Wenn ich ein schönes Fotomotiv sehe, muss ich mich nicht darum scheren, die verlorene Zeit wieder im Laufmarsch einzuholen.
Nachdem ich die Stadt Ainan durchwandert habe, treffe ich auf einen Japaner, den ich glaube ich schon im Tempel Nr. 39 gesehen habe. Mit ein bisschen Japanisch und ein wenig Englisch kann ich ihm erläutern, dass ich heute im Tempel 40 schlafen will. „Das ist aber noch ein langer Weg“, er guckt mich ungläubig an und schenkt mir eine Tüte Puffreis als Wegzehrung.
Jetzt geht’s hier volle Pulle bergab, der ältere Herr gibt Gas und ich komme kaum noch hinterher. Aber das ist meine Taktik, da ich mit meinem Gepäck nicht so schnell bin und keinen Ryokan im Voraus gebucht habe, laufte ich einfach länger am Tag und so lange wie ich kann. Er soll nicht auf mich warten und an einem Getränkeautomaten „hänge“ ich ihn ab bzw. da ich ohnehin weit hinter ihm laufe, bleibe ich einfach stehen und trinke in Ruhe eine Cola. Jetzt kann oder muss ich wieder eigenes Tempo laufen und selbst meinen Weg finden. Meist orientiere ich mich an irgendwelchen Bezugspunkten wie Postämtern, Schulen oder Kombini-Märkten in der Karte, von diesen Punkten suche ich den nächsten im Abstand von einigen Kilometern, habe ich diesen erreicht, zücke ich wieder das Kartenbuch und suche mir einen neuen Zielpunkt. Das läuft recht gut, wenn ich mich vertue, dann ist es, weil ich die Entfernung falsch einschätze, da der Maßstab im Kartenmaterial von Seite zu Seite wechseln kann. Wie lang 1 km sein kann, erfahre ich, als ich in der Dämmerung am Kanal des Sōzu-gawa Flusses entlanglaufe. Der Tempel Nr. 40 liegt hier fast direkt am Fluss und ich zähle zur Orientierung die Brücken. Als ich dann um 18.00 Uhr im Tempel eintreffe, herrscht hier gähnende Leere, da das Tempelbüro schon um 17.00 Uhr geschlossen wurde. Ich durchstöbere also das Tempelgelände und treffe in einem Seitengebäude auf eine Frau. Sie ist zum Glück für die Tempelübernachtungen zuständig und hat ein Zimmer frei. Da außer mir nur noch ein anderer Pilger heute hier übernachtet, gibt es leider auch kein Abendessen, aber ich habe wohlweislich schon etwas Proviant in der letzten Stadt gekauft. Es wird empfohlen einen Ryokan bis spätestens 17.00 Uhr aufzusuchen, damit der Wirt sich zum Abendessen, welches meist um 18.00 Uhr stattfindet, auf die Gästeanzahl einstellen kann. Man nimmt außerdem vor dem Essen ein Bad, so dass man es sich gut erholt vom heißen Bad richtig schmecken lassen und danach herrlich entspannt das Bett aufsuchen kann. Ins Gästebuch klebe ich kurzerhand einen meiner Adress-Aufkleber, die es mir ersparen sollen, meine Adresse in Katakana, der japanischen Schrift für ausländische Bezeichnungen, hineinzuschreiben. Für meine 4000 Yen bekomme ich zwar kein Abendessen, dafür aber einen großen Tatamiraum mit Klimaanlage.
Ein Kühlschrank auf dem Flur bzw. eine Heißwasserbereiter, der wie eine Thermoskanne das Wasser heiß hält, darf ich ebenfalls benutzen.
Beim Duschen entdecke ich Sonnenbrand auf meinen Armen, obwohl ich morgens nach dem Waschen immer gleich den Sonnenblocker 50 +++ aufgetragen habe und auch die Sonnenallergie auf meinen Händen blüht in voller Pracht. Vielleicht der Stress der letzten Zeit? Da bin ich heute über 30 km gelaufen und habe nur eine kleine Blase oder ist es auch nur eine Druckstelle. Mein Kleiner Zeh wirkt lädiert, so schimmert der Nagel etwas schwarz. Bei einer Tasse Tee plane ich den nächsten Tag. Da ich keine Ahnung habe, wie schnell ich die Pilgerrunde schaffen kann, nehme ich mir vor, erst eine Woche vor Abflug auf den großen Übersichtsplan zu gucken, wo ich mich befinde und dann gegebenenfalls mit Zug und Bus weiterzureisen, um die Route vor dem Rückflug nach Deutschland noch beenden zu können.
Anhand des Kartenmaterials des Pilgerbuchs ist es nur sehr schwer, seinen derzeitigen Standort zu bestimmen.

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