Karte von Shikoku mit den 88 Haupt- und 20 Nebentempeln


Mittwoch, 7. Oktober 2009

Mittwoch, 01.04.2009, Kochi, Kap Ashisuri, Jugendherberge

Der 17. Tag in Japan

Der Wecker klingelt um 7.00 Uhr, da Hajo noch vor 8.00 Uhr zum Tempel will, um sich den Eintrag abzuholen und dann gleich seine Reise, jetzt ohne mich, mit dem Bus fortzusetzen. Wir packen wortlos unsere Sachen, es folgt eine kurze, frostige Verabschiedung. Er lässt die Tempelinformation von Tempel Nr. 38 von der Turkington Seite für mich da. Ich bleibe in der Jugendherberge und esse die Reste vom Abendbrot als Frühstück. „Lass’ ihn ziehen“, denke ich so bei mir, “der soll ruhig durch Shikoku hetzen.“ Kurze Zeit später klopft es an der Zimmertür. Es ist Hajo, er hat jemanden gefunden, der ihm das Pilgerbuch gestempelt hat. Jetzt hat er noch genug Zeit, um mir einen Kurzbesuch abzustatten, und dann pünktlich den Bus zu erreichen. Auf einmal super gelaunt, will er mich noch nach meiner E-Mail Adresse fragen, da wir hier in Japan in Kontakt bleiben wollen. Für ihn ist die Welt wieder in Ordnung und er zieht ab.

Tja, jetzt bin ich allein und dies ist kein Aprilscherz! Dafür muss ich niemandem mehr hinterherlaufen, kann meine Herz Sutra in Ruhe zweimal beten, muss mich nicht hetzen lassen, kann in Ruhe Fotos schießen und muss den Zeitverlust nicht mehr im Laufschritt aufholen. Kann Japaner kennenlernen, in meinem Tempo laufen und so weit laufen, wie es meine Kondition zulässt. Allerdings muss ich jetzt auch selber Navigieren und mir eine Unterkunft suchen, aber da ich eine alleinreisende Frau bin, denke ich sollte letzteres das geringere Problem sein. Beim Navigieren muss ich zugeben, habe ich mich vor allem auf meinen Globetrotter Hajo verlassen, aber einen ganz so schlechten Orientierungssinn wie man Frauen nachsagt, habe ich dann doch auch nicht.

Also auf zum Tempel Kongōfukuji! Der Tempel ist so früh am Morgen besonders sehenswert. Die goldene Morgensonne ergießt sich über die dunklen Gebäude und der Teich in der Mitte ist glatt wie ein Spiegel. Wenn man ganz bewusst hinguckt, damit man weiß ob es die Wirklichkeit oder das Spiegelbild ist. Dieses „Spiel“ macht vor allem mit den zerklüfteten Felsen Spaß. Ich rezitiere noch am Hondō (Haupthalle) und am Daishi-Dō (Daishi-Halle) das Herz Stura und betrete dann das Pilgerbüro, um meinen Besuch dokumentieren zu lassen.
Als Osettai (Pilgergeschenk) bekomme ich einen kleinen Pilger als Schlüsselanhänger geschenkt. Ich mache noch einen kurzen Abstecher ans Kap Ashizuri: Der Blick auf die schroffe Steilküste und den Leuchtturm sind hier atemberaubend – Teufelsnase oder auch Tengu-Nase - wird dieser Teil des Kaps auch genannt. Ich bewundere noch die Statue von John Manjiro und die Tafel, auf der seine Geschichte erzählt wird. Hier sind so manche Schilder in Englisch, so z.B. der Wegweise zur den Hakusan Höhle, einer 16 m hohen Granithöhle am Strand. Ich muss jetzt fast den kompletten Weg, den wir gestern mit dem Bus absolviert haben, zu Fuß zurücklaufen. Ich durchquere also das Dorf und die Orte, an denen wir gestern nichts zu Essen gefunden haben. Vorbei an der Bushaltestelle folge ich der Busroute und kann jetzt Fotos von den Landschaften machen, die ich gestern nur durch das Busfenster bewundern durfte. Die Sonne scheint warm und kaum ein Wölkchen ist am Himmel, das ideale Wanderwetter.

Ich folge der „Ashizuri Sunny Road“ (Straße Nr.27) immer an der Küste entlang, nach Tosa-Shimizu City, in der Stadt kann ich endlich was zu essen kaufen, meine Reste vom gestrigen Abendbrot sind längst aufgebraucht. Der Laden sieht zwar wie ein Gartencenter aus, trotzdem kann ich hier Schokokekse und ein Melonen-Brot kaufen. Eigentlich will ich im Kashima Park ein Päuschen machen, doch kurz vorher weht mir der Küstenwind den Hut vom Kopf. Ich bekomme fast einen Herzinfakt, als ich sehe, wie mein gutes Stück die Straßen herunter rollt und immer näher der, nur durch ein Geländer abgesicherten, Steilküste entgegentrudelt.

Ich mache meine Pause am Straßenrand. Auf so eine Art Spielplatz esse ich meine Schokokekse und benutze ein siffiges Klo, in dem es kein Klopapier gibt. Das fängt ja gut an!
Ich wandere durch Tosa, vorbei am Hafen und an Fischräuchereien. Auf meinem Weg in die Berge kann ich immer wieder Japaner am Meer beobachten, sie sammeln Muscheln, tauchen sogar nach ihnen, und werfen ihre Angeln aus, um Fische und Tintenfische zu fangen. Hier scheinen sich die Leute noch vielfach selbst aus dem Meer zu versorgen, bei uns käme keiner auf die Idee, seine Miesmuscheln im Herbst selbst sammeln zu wollen. Beim Fluss Masumo biege ich wieder in Richtung Norden, von der Küste weg, in die Berge ab. Es ist eine frisch geteerte Straße, die noch nicht einmal Fahrbahnmarkierungen aufweist. Anfangs bin ich mir nicht sicher, ob ich die richtige Abzweigung gewählt habe, denn hier läuft, laut Karte, auch eine andere Straße irgendwo in die Berge. Da die Straße aber anscheinend neu ist, finde ich auch den ganzen Tag nicht ein Pilgerzeichen. „Wenn Du irgendwie total weit ab vom Trail kommst, dann setzt du dich ins nächste Taxi und lässt dich wieder auf den Trail fahren, du hast ja eine Karte dabei“, geht es mir durch den Kopf. Aber den ganzen restlichen Tag komme ich nicht mal durch eine Ortschaft, in der ich jemanden nach dem Weg hätte fragen können. Das ist schon komischer Straßenbau hier in Japan, der Anfang und das Ende sind in Bau, sie werden zweispurig ausgebaut, in der Mitte ist die Straße immer noch einspurig und von Schlaglöchern übersät.
Mir begegnet eine Bäuerin im Kleinlaster, sie schenkt mir zwei Bunta Früchte. Ich wandere weiter den Berg hoch, doch hier ist es menschenleer, kein Pilger, kein Auto, nichts, nur ich und mein Wanderstock „Tock“. Ich habe mittlerweile die Hand gewechselt, mit der ich den Wanderstock führe, ich hoffe noch, dass meine Sehnenscheidenentzündung nicht vom Fotografieren kommt. Am späten Nachmittag kommt ein Pickup an mir vorbei und der Fahrer fragt mich, ob er mich mitnehmen kann. Ich verneine, ich bin doch Pilger. Er fährt weiter, wendet außer Sichtweite und fährt wieder an mir vorbei. Da ist schon ein eigenartiges Verhalten, aber ich hoffe, dass dies nur der Ehemann der Bäuerin ist, der dafür sorgen will, dass ich hier heil über die Berge komme. An einem Wasserfall oder besser einer Leitung, die das Wasser hoch in den Bergen sammelt und es dann hierher leitet, mache ich eine Pause. Ich sitze auf einem großen Stein und esse meine Buntas. „Bunta macht die Britta munter und mit Orangi, da kann sie“. Was man so alles denkt, wenn man keine Ablenkung hat. Aber wo lasse ich die Schalen, hier gibt es keinen Mülleimer?

Ein ohrenbetäubendes Dröhnen zerreißt meine Stille, hier fahren LKWs in regelmäßigen Abständen an mir vorbei. Die gehören wohl zur Baustelle, die kurz vor mir liegen muß.
Ich winke einem Lastkraftwagenfahrer mit Schlapphut, der immer wieder an mir vorbei kommt. Jetzt habe ich auch die eigentliche Baustelle passiert, ich muss ein wenig darauf achten, zwischen den LKW und Baggern nicht unter die Räder zu kommen. Freundlich grüßend passiere ich die Kontrollposten, die die Straße für den nicht vorhandenen Autoverkehr sperren sollen. Aber jetzt hurtig, bevor es dunkel wird. Ich kann die nächste Ortschaft von hier oben schon sehen, ich muss mich aber beeilen, wenn ich nicht ins Dunkel kommen will. Ohje, ich glaube ich habe mich verlaufen, doch glücklicher Weise kommt da ein Tunnel und ich weiß anhand meiner Karte, dass es der Kurusunno Tunnel sein muss.
Kurz vor dem Tunnel hält wieder ein Autofahrer neben mir und fragt mich, ob er mir Unterkunft oder eine Mitfahrgelegenheit anbieten kann. Ich blöde Kuh lehne abermals ab, obwohl es schon ziemlich dunkel ist. Ich habe mir in der Karte eine geschlossene Hütte ausgesucht, die im Dorf Mihara steht und keine 2 km mehr entfernt ist. Jetzt fängt es auch noch an zu regnen und ich überlege, ob ich in Bushaltestelle übernachten soll, die ich eben passiert habe. Es ist jetzt richtig dunkel, ich lege meinen Regenponcho an und habe meine Kurbel-Taschenlampe gezückt, um den Weg zu finden. Vor mir laufen Dorfbewohner mit ihren Hunden Gassi. Der Regen wird stärker. Ich habe mir eine Hütte ausgesucht, die
direkt vor dem Shimizugawa-so Ryokan steht, zur Not könnte ich dort einkehren. Die erste Hütte im Dorf, es ist eine offene, so eine Art Unterstand mit Toilette, verpasse ich und auch mein eigentliches Ziel scheint mir weiter entfernt zu sein, als es die Karte mir weismachen will. Ich laufe die Straße also wieder zurück und frage in einer Kneipe nach, wo der Shimizugawa Ryokan liegt. Ich bin schon auf dem richtigen Weg gewesen, doch leider mangelt es mir am Entfernungsgefühl. Schließlich finde ich die Hütte dann doch noch. Aber sie liegt nicht rechts, sondern links der Straße, direkt vor dem erwähnten Ryokan. Und außerdem lebt die Hütte, als ich näher komme und die Getränkeautomaten passiert habe, höre ich, wie sich zwei Menschen unterhalten. „Oh nein, die ist wohl voll“, denke ich so bei mir und gewöhne mich an den Gedanken, die nächste offene Hütte im Umenoki Park anzusteuern zu müsse. Aber alles ist halb so wild, die zwei aus der etwas baufällig wirkenden Bambushütte sind Matthew aus USA und ein rothaariger Kanadier, der in Japan lebt. Anfangs können wir uns nicht sehen, weil es zu dunkel ist, aber ich kann die Jungs mit meiner Kurbel-Taschenlampe beeindrucken. Die Jungs nehmen gerade ihren Schlaftrunk ein, Kirin Bier, das sie zum Ausklang des Tages genießen. Wir halten noch einen kleinen Klönschnack über unsere Pilgerreise. So erfahre ich von ihnen, dass sie sich auf der Tour zusammengefunden haben, dass der Kanadier morgen wieder mit dem Zug nach Hause, irgendwo auf dem japanischen Festland, fahren muss und Matthew die Tour alleine weiterwandern will. Während ich noch rätsle, wie wir drei hier in der kleinen Bambushütte Platz finden sollen, verabschiedet sich der Amerikaner, und erklärt, dass er sich in der Nähe erst mal einen Zeltplatz suchen muss. Ich atme auf, denn dann wird wohl der andere auf der Bank schlafen und ich kann mir hier am Boden mein Nachtlager ausbreiten. Die Nacht ist sehr kalt, ich friere, ziehe mir nachträglich meine zweite Hose und noch einen Sack über die Füße. Es gibt immer wieder einen Regenschauer und da die Bambushütte keine geschlossenen Wände hat, treffen immer wieder einigen Regentropfen mein Gesicht. Ich liege hier auf einem Stapel Bambusstangen und bete, dass sich unter mir nicht irgendeine japanische Spinne oder Schlange auf den Weg macht, mir hier oben einen Besuch abzustatten. Eine Toilette gibt es auch nicht. In unregelmäßigen Abständen erhellen Autoscheinwerfer das Dunkel der Hütte, einige Autos halten sogar an den Getränkeautomaten, die ca. 20 m entfernt aufgestellt sind. Ich kann den Sternenhimmel sehen und wie die Wolken vorbeijagen. Schließlich und endlich schlafe ich dann doch ein. Mein erster Tag so allein und doch nicht so allein.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen