Der 20. Tag in Japan
Heute bin ich um 7.00 Uhr aufgestanden, aber schon um 6.30 Uhr aufgewacht. Leider ist es bewölkt und die ersten Regentropfen sind auch schon gefallen. Hoffentlich setzt jetzt nicht das Wetter ein, vor dem man mich gewarnt hat: von sieben Tagen sollte es mindestens drei Tage regnen. Ich habe nicht viel geschlafen, da ich bis spät in die Nacht Karaoke Musik gehört habe. Es haben sich wohl auf dem Hotel Parkplatz junge Leute getroffen, um bis spät in die Nacht die Kirschblüte zu feiern. Um nicht zu verschlafen benutze ich einen einfachen Trick, ich lasse die Vorhänge auf, damit mich das erste Tageslicht wecken kann. Da mit Hajo auch der einzige Wecker unser Pilgergemeinschaft verlassen hat, muss man sich was einfallen lassen.
Schnell bin ich wieder auf der Piste, da ich meinen Rucksack schon abends gepackt habe, brauche ich das Zahnputzzeug nur noch in die Seitentasche packen und los geht’s. Ich treffe das Ehepaar vom Vortag im Sunkus wieder. Die sind wohl auch nicht früher weggekommen als ich. Ich kaufe einen Bouze, ein hackfleischgefüllte Teigtasche, zum Frühstück und für die Füße, die durch das Wandern und abendliche heiße Bad trocken und spröde werden, die gute alte Nivea Creme.
Jetzt fängt es an richtig zu regnen, und der Ehemann erklärt mir, dass es nur einen Tag dauern wird bzw. die Regenwahrscheinlichkeit laut TV Wetterbericht hier in der Gegend bei 50 % liegt. Wetterbericht - den sollte ich auch sehen, denke ich so bei mir, dann kann man die Tagesetappen noch besser planen. Man muss immer einen Plan B, C und auch D bereithalten. Meist setze ich mir ein Ziel so in 20 bis 30 km Entfernung (Plan A), wähle mir eine Unterkunft. Wenn ich dann dieses Ziel erreicht habe, gucke ich auf die Uhr und ist es dann noch früh am Nachmittag, tritt Plan B in Kraft und ich wandere noch ein paar Kilometer bis zum nächsten Unterkunftsmöglichkeit. Ich plane dann schon im Voraus, wenn der Ryokan komplett belegt sein sollte, wo ich dann unterkommen könnte (Plan C) und reißen dann alle Stricke, hoffe ich, dass mir jemand auf der Straße aufliest und mit nach Hause nimmt (Plan D). Aber letzteres ist glücklicher Weise nie eingetreten.
Ich folge also dem erwähnten Ehepaar, da muss man nicht so viel Aufmerksamkeit aufs Navigieren lenken, es ist auch mal sehr entspannend einfach nur hinterher zu laufen. Aber am Matsuo Tunnel trennen sich unsere Wege. Die beide wählen den Pilgertrail über den Tunnel, doch da es mittlerweile Bindfäden rechnet, bevorzuge ich den zwar trockenen, aber lauten Weg durch Tunnel. Das kann schon zum Nerventest werden, wenn man mehrere Kilometer in so einem schlecht beleuchteten, schmutzigen Tunnel laufen muss. Auf dem Festland ist das übrigens anders, da gibt es für Fußgänger und Fahrradfahrer meist separate Tunnel. Es gibt hier im Matsuo Tunnel zwar einen kleinen „Bürgersteig“, der ist aber so eng, dass nur eine Person darauf laufen kann. Man sollte außerdem die richtige Richtung gewählt haben. Da hier in Japan Linksverkehr herrscht und ich die Fahrzeuge gerne vorher sehe, bevor mich und mein Hut der Windstoß erfasst, laufe ich kontinuierlich rechts auf der Straße. Am Tunneleingang fällt mir noch eine Henrohütte auf, am Tunnelausgang gibt es eine Coinlaundry, einen Waschsalon, der nicht nur von Pilgern genutzt wird. Ich laufe weiter, bis ich in die Stadt Uwajimo City komme, auf den Weg dorthin passiere ich viele Pachinko Hallen, die hier mit dem Namen „Century 21“ werben. Pachinko ist eine weitere Leidenschaft der Japaner, nur um die Seele baumeln zu lassen, oder seinen Lebensunterhalt damit zu verdienen. Es ist eine Kombination aus Spielautomat „Einarmigem Bandit“) und Flipperautomat, bei dem über den Spielautomaten Multiplikationsfaktoren gewonnen werden, die die Punkte, die im Flipperspiel erzielt werden, vervielfachen. Man kann da, außer an einem kleinen Rädchen zu drehen, das den Winkel der auf ein Nagelgitter treffenden Metallkugeln bestimmt, nicht viel verändern. Die Punkte werden einem inform von Metallkügelchen „ausgezahlt“, die wiederum den Automaten am Laufen halten. Überschüssige Kugeln werden meist in kleinen Wannen, die einem der Stewart des jeweiligen Spielbebereichs reicht, gesammelt. Es ist schon ein Glücksspiel, was in Japan eigentlich verboten ist, aber durch einen Trick umgeht man das Gesetz: Es werden in der Spielhalle keine Geldbeträge ausgezahlt, man bekommt kleinere Sachpreise und Gegenstände, es soll sich laut Literatur um Feingoldbarren handeln, ausgehändigt, die für einen bestimmten Geldwert stehen. Mit diesen Gegenständen verlässt man das Gebäude und tausche sie an einer, in der Nähe liegenden Kasse ein. Die eigentliche Kasse besteht meist nur aus einer Art Schalter, vielmehr eine Klappe, bei der man die Gegenstände in Geld umtauscht.
Ich treffe die beiden Frauen vom Vortag wieder bzw. eigentlich habe ich sie in ihrer Regenkleidung mit dem Ehepaar verwechselt. Nein - Regen macht keinen Spaß, alles ist nass und da ich mir auch keine Gamaschen besorgt hatte. Was nützen mir atmungsaktive Wanderschuhe, wenn es keine atmungsaktive Gamaschen gibt. Der Regenponcho ist super, er umhüllt mich und meinen Rucksack, nur die Beine und vor allem die Schuhe sind jetzt durchgeweicht wie ein Schwamm. Vielleicht hätte ich mir auch eine Regenhose besorgen sollen. Hier in Japan sind sie was Regenkleidung betrifft Spezialisten, wer eine jährliche Regenzeit im Juni und Juli durchstehen muss, der sollte doch bestimmt wissen, wie man es möglichst trocken hinter sich bringen kann. Aber ich glaube, ich könnte da so Probleme mit der Größe bekommen. Ich komme an einem Sportgeschäft vorbei und halte inne, die müssten doch Handgelenksbandagen führen. Schnell habe ich ein Paar elastische Handbänder bekauft und hoffe, dass sie meine, jetzt beidseitig, entzündeten Handgelenke entlasten mögen.
Da es immer noch regnet, ich habe selten so ein gleichmäßig starkes Geplätscher gesehen, werde ich mir wohl gleich in Uwajima ein Business Hotel suchen und morgen meinen Weg fortsetzen. Ich wandere vorbei am Tenshaen Park und Uwajima Castle, wenn das Wetter besser gewesen wäre, hätte ich hier eine Stippvisite eingelegt. Aber endlich finde ich den Weg zu Bangai Tempel Nr. 6.
Exkurs Bangai Tempel Nr. 6 Ryūkōin (龍 光院)
„Der Tempel des Drachenlichts“ liegt zwischen dem Tempel Nr. 40 und Nr. 41, gehört aber als Okunoin zu Tempel 40. Tempel haben meist die Endung „-ji“ für Tempel und Subtempel die Endung „-in“ als Institution. Er soll ursprünglich auf einer Insel namens Kushima gestanden haben, doch dann an seinen jetzigen Ort, Uwajima City, versetzt worden sein. Für die Gründung des Tempels kommen laut Literatur gleich drei Personen in Frage: Natürlich Kōbō Daishi, eine Person mit Namen Ganjōji und von einem Eiyu Jōnin ist auch die Rede. Leider kann ich keine weiteren Infos im Netz auftreiben und muss mich so an meine Vorlage halten. Laut Bishof Taisen Miyata, dessen jüngerer Bruder oberster Priester dieses Tempels ist, wurde er von Kōbō Daishi unter dem Namen Ganjōji gegründet und ist Jūichimen Kannon, der elfgesichtigen Kannon, gewidmet. Im letzten Jahrhundert brannte der Tempel zweimal aus, das letzte Mal 1945 durch den Abwurf eines amerikanischen N-29 Bombers ausgelöst.
Es wird empfohlen, den Berg hinter dem Hondō (Haupthalle) zu besteigen, da dort eine riesige Kannon Statue steht und auch einen Stein mit einem Haiku von Basho soll sich auf dem Tempelgelände befinden.
Die Kannon Statue finde ich später auf einem Foto, da sie recht weit entfernt auf dem angrenzenden Friedhof steht. Da habe ich wohl vor Ort nicht so wahrgenommen, weil er Begriff „riesig“ doch auch etwas recht großes impliziert. Dafür hat man vom Tempel aus eine tolle Aussicht auf das Schloss von Uwajima, eines von wenigen Schlössern bzw. Burgen, die noch im Originalzustand stehen. Und auch eine Miniaturausführung der 88-Tempel-Tour kann hier absolviert werden.
Exkurs Bashō und Haiku
Matsuo Bashō gilt als bedeutenster japanische Dichter der Versform Haiku. Traditionell besteht das Haiku aus drei Gruppen von jeweils 5, 7, 5 Silben. Mit insgesamt 17 Silben ist das Haiku die kürzeste Gedichtform der Welt. Es beschreibt traditionell ein Bild aus der Natur und gibt anhand sogenannter Jahreszeitenwörter (Kigo) den Handlungszeitraum zu erkennen. Matsu Bashō, eigentlich Matsuo Munefusa, er wählte seinen Künstlernamen nach der Bananenblatt (bashō)-Hütte, in der er zeitweise wohne, wurde in eine Samuraifamilie niederen Ranges geboren. Er widersetzte sich jedoch der Tradition und zog als Wanderer, der den Weg und die Geschichte des Zen studierte und sich klassischer chinesische Poesie widmete, umher. Basho gab dem Haiku eine ganz neue Anmut. Er vertiefte im Haiku den Zen-Gedanken und begriff Poesie als einen ganz eigenen Lebensstil (Kado, der Weg der Poesie). Basho war der festen Überzeugung, Poesie könne eine Quelle der Erleuchtung sein.
Sein berühmtestes Haiku, das Frosch-Haiku, besticht durch seine Einfachheit:
古池や furu ike Ein alter Weiher
蛙飛び込む kawazu tobi komu Ein Frosch springt hinein
水の音 mizu no oto Der Klang des Wassers
Das Kigo (Jahreszeitenwort) des Frosches ist die Frühlingsmitte, der Japaner (und auch Europäer) erwartet das Froschquaken, aber ein ganz anderer Laut dringt durch unseren Geist.
Ich kann kein einzigen Pilger hier im Tempel sehen, kein Wunder bei dem Regenwetter. Plötzlich öffnet eine Frau das Fenster vom Pilgerbüro, wir halten einen kleinen Klönschnack, so gut es eben geht. Zum Abschied bekomme ich als Osettai (Pilgergeschenk) ein Tütchen mit 300 Yen, ich habe meine Kosten für den Pilgerbucheintrag sozusagen erstattet bekommen. Morgen werde ich hier nochmals herkommen, um eine paar Fotos zu machen. Der Regen verhindert leider das Fotografieren, da immer wieder Regentropfen auf das Objektiv fallen. Da der Tempel fast direkt am Bahnhof liegt, versuche ich hier eine Unterkunft zu finden. Es sind in meinem Plan genügend Unterkünfte eingetragen, doch muss ich über eine Stunde suchen, um endlich ein trockenes Plätzchen zu finden. Das Shoshiku hat geschlossen, in der Touristeninformation gegenüber der Uwajima Station (Bahnhof) erklärt man mir, dass auch das Business Hotel Makoto-ya und Teuroshima geschlossen sind. Ob nun wegen der unpassenden Saison oder für immer, das bekomme ich leider nicht raus. Ich irre also durch den Regen, hier im Kikusui Gebiet, finde jedoch nach langem Suchen doch noch einen Ryokan. Business Hotel Kikusui heißt der Laden, aber er wirkt alles andere als ein Business Hotel.
Es wird von einem alten Mütterchen und ihrer Schwester geführt. Es ist ein altes, schmuddeliges Gebäude, aber ich bin froh, dass ich bei dem Regen ein Dach über dem Kopf habe. Da es erst 14.00 Uhr ist, erklärt mir das Muttchen, nicht vor 15.00 Uhr zu baden, das habe ich dann auch verstanden, obwohl die Kommunikation extrem schwer ist, da ich die beiden alten Damen so gut wie nicht verstehen kann. Ich beziehe also mein Zimmer und kuschle mich zum Aufwärmen ins Bett. Ja - ein richtiges Bett mit Holzgestell und viel zu weicher Matratze. So verbringe ich den Nachmittag mit Fernsehgucken und amüsiere mich mit Beyonce Knowles, die Werbung für Crystal Geysir Mineralwasser macht und Penelope Cruze, die NesKaffee in Dosen verkaufen will. Es gibt sogar einen Bericht über die Sushi Fair (Sushi Messe) in London und eine Reportage über Judo.
Gegen 18.00 Uhr macht sich bei mir ein Hungergefühl breit und ich beschließe etwas zu Essen zu kaufen. Es regnet immer noch und die beiden Damen zeigen mir, dass ich nach rechts gehen soll, wenn ich was zu Essen kaufen möchte. Eigentlich hätte ich jetzt Appetit auf Takoyaki (Tintenfischbällchen), aber es gibt hier nur Oekonmiaki (japanische Pizza), auch am Bahnhof gibt es keinen Kombini, aber schließlich und endlich finde ich doch noch ein Lädchen, in dem ich mir mein Abendessen zusammenstellen kann. Nach dem Essen wollte ich eigentlich heiß Duschen, aber es kommt keine heißes Wasser. Die Damen hatten nur was von 15.00 Uhr geschnackt, aber dass es jetzt abends auch kein Heißwasser gibt. Als ich nachfrage, entgegnet die Alte was von „Boira“ und ich bitte inständig, dass sich der Ausdruck auf einen Heißwasserboiler bezieht und ich so doch noch zu meinem heißen Bad komme. Sie fragt auch noch was, was wie „Auto“ klingt, nach einigem Hin und Her, komme ich auf die Idee, es könnte „check outo“ heißen, also wann ich das Hotel wieder verlassen möchte. Roku-ji (6.00 Uhr) ist den Damen zu früh, also einigen wir uns auf 7.00 Uhr. Später am Abend kommt dann noch ein Gast und der Wetterbericht verkündet, dass es hier ab 12 Uhr wieder Sonnenschein geben soll.
Mittwoch, 7. Oktober 2009
Freitag, 03.04.2009 Kochi, Ainan Town, Kanjisaiji Tempel Nr. 40, Tempelunterkunft
Der 19. Tag in Japan
7.15 Uhr werde ich durch die Tempelglocke geweckt, ich bin gestern gar nicht dazu gekommen zu fragen, ob es heute eine Morgenandacht gibt. Von meinem Fenster aus kann ich das ganze Areal vor den Tempelhallen überblicken.
Exkurs Tempel Nr. 40 Kanjizaiji (観自在寺)
Obwohl der Tempelname „Tempel des Avalokitesvara/Kannon“ bedeutet, ist die Hauptgottheit (Honzon) hier Yakushi Nyorai. 807 gründete Kōbō Daishi den Tempel auf Anweisung des Kaisers Heizei (774-824). Er schnitzte drei Statuen, Yakushi Nyorai, Amida Nyorai und Kannon, aus einem Holzblock, wobei er vor jedem Schnitt drei Niederwerfungen vollzog. Im 9. Jahrhundert besuchten die Kaiser Heizei und Saga (786-842) den Tempel und stifteten als Förderer des Tempels Sutren. Ihnen zu Ehren wurden der Tempel und die Stadt in Heijōzan Kanjizaiji bzw Mishō umbenannt. Zu einem früheren Zeitpunkt zählte der Tempel 48 Subtempel, die jedoch niederbrannten (1775). 1679 wurde der Tempel durch den damaligen Daimyō (Landesherrn) von Uwajima, Munetoshi Date, wiederaufgebaut. 1959 verwüstete abermals ein Feuer den Komplex und 1964 entschlossen sich die Gemeindemitglieder den Hondō (Haupthalle) in Beton errichten zu lassen. Die Legende besagt, dass nachdem Kōbō Daishi die drei Statuen geschnitzt hatte, noch ein Stück Holz übrig geblieben ist. Er schnitzte das sogenannte Funa-gata (Schiff-förmige) Gebet an Amida, „Namu Amida Buddha“ („Ehre Dir Amida Buddha“), ins Holz, um es wie eine Druckplatte zu benutzen. Es wird zwar nicht mehr die originale Druckplatte für die Kopien verwendet, aber noch heute glauben die Pilger, dass ein Abdruck, den man im Tempel kaufen kann, Krankheiten wie Blindheit, Stummheit und Herzprobleme heilen kann. Bei schwangeren Frauen soll ein Stück Stoff mit dem Abdruck über dem Bauch getragen eine leichte Schwangerschaft und Geburt ermöglichen. Als der Taira (Heike) Klan von den Minamoto (Genji) im 12. Jahrhundert geschlagen wurden, die Minamoto errangen die Regierungsmacht und verlegten den Regierungssitz nach Kamakura, lebten die Mitglieder des Heike Klans hier als Flüchtlinge. Bemerkenswert sind die 5-stöckige Pagode, der Turm Shingyo-Hōtō (Schatzturm des Shingyo) mit Kopien des Herz-Sutra aus ganz Japan, sowie das Mausoleum des Kaisers Heizei, obwohl dieses auch die Stadt Nara für sich beansprucht. Das Eingangstor ist über 200 Jahre alt und ist mit dem Prädikat „Lokales Erbe“ versehen. Vor dem Daishidō (Daishi-Halle) gibt es eine Miniatur-88-Tempeltour.
Immer wieder erstaunlich wie unterschiedliche doch die Tempelbeschreibungen sind. Im Kanjizaiji , der direkt am Sōzu-gawa liegt, konnte ich leider nicht den Miniatur-Pilgerweg entdecken, dafür aber die „Hachitai butsu“ genannte Göttergruppe, die einem Wünsche erfüllen können, wenn man sie mit Wasser besprengt. Und auch die Pagode, sowie ein Mausoleum blieben meinem Blick verborgen. Schade, dass ich nicht mehr Japanisch verstehe, sonst hätte ich danach fragen können. Auch ein Gebäude direkt vor meinem Fenster, das den sieben Glücksgöttern, Daikoku, Ebisu, Benten, Bishamonten, Fukurojuji, Jurōjin und dem dicken Hotei, gewidmet ist, wird leider nicht erwähnt.
Exkurs 7 Glücksgötter
Shichi Fukujin (七福神; „Sieben Glücksgötter“) sind ein aus der Muromachi-Zeit (1333 – 1568) stammende Gesellschaft von Glück bringenden Göttern, die ursprünglich aus anderen Religionen stammen. Zu ihnen gehören Daikoku („großer Schwarzer“), der für die Erde, Wohlstand, Landwirtschaft, Hochwasserschutz, Küche zuständig ist. Ebisu, der Patron der Fischerei, ist für Glück und erfolgreicher Handel zuständig. Benten, die einzige Frau, ist Förderin der Musik, Künste, Literatur und alles was mit Wasser zu tun hat. Bishamonten, buddhistischer Wächtergott des Nordens, ist uns bereits bekannt. Fukurokuji steht für Weisheit und langes Leben, Jurōjin ist Sinnbild für langes Leben. Hotei, der dicke Mönch, der uns hier in Deutschland meist im chinesischen Restaurant begegnet, steht für Zufriedenheit und Seligkeit.
Am Neujahrstag laufen der Sage nach die sieben Glücksgötter auf ihrem Schiff (Takarabune) in einen Hafen ein. Dieses Schiff trägt nicht nur sieben Glücksgötter, sondern bringt auch die sieben immaterielle Schätze (Klugheit, Wissen, Erfahrung, Gelehrsamkeit, Tapferkeit, Wohlstand und langes Leben, Glück und Zufriedenheit) sowie fünf materielle Schätze (den unerschöpflichen Geldbeutel, den unsichtbar machenden Hut, den Glücksmantel, den hölzernen Hammer des Reichtums und die Geister jagende Ratte) mit. Hat der Japaner zu Neujahr ein Bild dieser sagenhaften Sieben unter dem Kopfkissen, so sollen seine Träume in dieser Nacht in Erfüllung gehen.
Und wieder habe ich schlecht geschlafen, da es wieder einmal kalt geworden ist, die Klimaanlage aber leider zu laut war, so dass ich sie ausgestellt habe. Ich will am Morgen noch ein paar Bilder vom Badezimmer schießen, doch leider ist es schon verschlossen. Ich hinterlasse eine Notiz ins Gästebuch mit den deutschen Worten „Herzlichen Dank“ und lege den Zimmerschlüssel auf den Empfangstisch. Nachdem ich im Tempel meine beiden Sutren rezitiert habe, lasse ich mein Pilgerbuch signieren und bekomme sogar noch zwei schöne Postkarten als Pilgergeschenk (Osettai). Im Tempel bewundere ich die mächtigen Waffen, Varja nennt sich dieses Shingon typische Kampfzepter und auch der Medizinbuddha Binzuru bekommt noch einen Extra Groschen bzw. Yen von mir, da ich an meine etwas lädierten Füße denke, aber vor allem um eine Handgelenke fürchte. Ich umrunde noch mal den Pavillon der 7 Glücksgöttern, man kann nie genug göttlichen Beistand haben, und schon verlasse ich das Tempelgelände, um die knapp 50 km zu Tempel Nr. 41 in Angriff zu nehmen. Ich passiere noch einen Schrein, in dem mithilfe eines Feuers „aufgeräumt“ wird. Der Qualm ist schon von Weitem zu riechen. Etwas Wegzehrung wird noch im „Spar“ Markt gekauft. Ja, richtig gehört, der gute, alte, deutsche Spar Markt hat überlebt, zumindest hier in Japan!
Wieder wandere ich an der Küste entlang, in den Buchten sind Netze gespannt, ob da Seetang oder Muscheln gezüchtet werden, ich weiß es leider nicht. An einem Haus kann ich zum Trocknen aufgespannte Wildscheinfelle sehen. Dass mich so ein Keiler irgendwann vom Trail so einen Abhang hinunter jagt, davor habe ich die meist Angst. Schlangen kann man, mit ein bisschen Aufmerksamkeit noch ausweichen, denke ich, aber so eine Rotte mit Frischlingen (Wildschweinferkel), wie will man denen entkommen. Und ich glaube nicht, dass sich auf Shikoku noch Bären aufhalten, vielleicht im hohen Norden auf Hokkaido, aber hier. Ich habe mal gehört, dass die Glöckchen an den Wanderstäben, egal ob Shikoku, Kamakura (in der Nähe von Tokyo) oder am ruhenden Vulkan Fuji, Bären vertreiben sollen. Verlassen würde ich mich darauf aber nicht. Ich treffe alte Bekannte: Shisas, kleine Löwenhundfiguren, die eigentlich von der südlichsten Insel Japans aus Okinawa stammen. Doch bevor ich noch in alten Erinnerungen an meinen Trip nach Okinawa schwelgen kann, reißt mich ein ganz anders Bild aus meinen Gedanken. Eine Adlerfamilie schein hier einen Ausflug zu machen. Mama Greifvogel zeigt ihrer vierköpfigen Meute, wie man fliegt und geschickt ins Reisfeld stößt, um mit einem zappelten Leckerbissen zurückkehrt.
Ich lasse mich von niemand mehr hetzen, fotografiere nach Herzenslust und beobachte das drollige Treiben. Es ist schon witzig zu sehen, wie vier Greifvögel auf einer Leitung sitzen und jedes Mal, wenn der letzte im Anflug begriffen ist, das Quartet ins Wackeln kommt. Dabei zeigt Mama den Halbstarken immer wieder wie geschickt so ein Greif agieren kann.
Ich treffe wieder auf „Mr. Road Runner“ wie ich ihn nenne, oder “Michi no Sensei“ (Meister des Weges), den ich gestern mit Absicht am Getränkeautomaten „verloren“ habe und erkläre ihm, dass ich gestern einfach zu langsam war, um ihm folgen zu können. Der Seitenstreifen des Wegs ist mit Stiefmütterchen bepflanzt, die einen atemberaubenden Geruch verströmen. Wer die wohl gepflanzt hat? Manchmal sind Schilder aufgestellt, auf denen steht, wer sich hier zusammengefunden hat, um ein Beet anzulegen. Dorfbewohner, Kindergärten oder auch eine Hausgemeinschaft sind ausgerückt um, nach dem Motto „unser Dorf soll schöner werden“, am Pilgertrail Beete anzulegen. Jetzt geht es wieder bergauf und ich komme an einer Toilette vorbei, bei der ich mir einen Besuch verkneife, da es lediglich eine Bretterbude ist. „Da kann man dann doch viel besser in der freien Natur, es sieht einen doch sowieso keiner hier oben in den Bergen“, denke ich so bei mir. Es geht bergauf und wieder runter und das ganz ohne Bergtempel. Warum tue ich mir das an, frage ich mich und während einer Pause schwirrt mir wieder der Spruch durch den Kopf: “Mit Oranji da kann sie, nur Bunta macht munter!“ Und ich denke, dass ich zu wenig Vitamine und Proteine zu mir nehme, da ich viel Cola trinke und mittlerweile den japanischen Teilchen, wie Melonenbrot und mit Bohnenmuss oder Vanille Creme gefüllte Brioche-Brötchen verfallen bin. Wieder merke ich wie mein Pilgerhut an den Anstiegen mein Blickfeld einschränkt. Man soll im Jetzt leben, sich die Schritte überlegen und nicht an die Strecke denken, die noch vor einem liegt. Man weiß, dass man auf den Berg muss, das ist das langfristige Ziel, aber mit jedem noch so kleinen Schritt kommt man seinem Ziel näher! Ein Schild mit der eigentümlichen Transkription der japanischen Worte für „Henro Michi“ (Pilgerweg) muntert mich wieder auf, denn da steht in lateinischen Lettern „Henro Miti“. Der Wille war also da, nur an der Umsetzung hat es gehapert. Ich treffe auf ein wanderndes Ehepaar, aber unsere Kommunikation verläuft im Sand, da sie zu wenig Englisch und ich zu wenig Japanisch sprechen oder sind wir alle nur geistig etwas abgeschlafft, da der Weg unsere Aufmerksamkeit bedarf. Kurze Zeit später sehe ich erneut Henros (Pilger), aber es ist weder das Ehepaar, noch Herr „Road Runner“, sondern zwei Frauen, die anscheinend zusammen wandern. Erst sehe ich tagelang nicht einen Pilger und jetzt scheine ich auf ein Nest gestoßen zu sein. Da nicht alle Pilger am Anfang starten, es gibt auch Leute die jährlich einen Abschnitt oder ein Dojō absolvieren, ist es nicht verwunderlich neue Gesichter zu sehen. Wir laufen am Yoshiharagawa Fluss entlang, ein schmaler Trail. Das Ehepaar vor mir fordert mich auf, zu überholen, aber in der nächsten Ortschaft, ich kaufe gerade im Sunkus Kombini so eine Art Hähnchenschnitzel, sehe ich, wie sie an der gegenüberliegenden Straßenseite entlang laufen. Ich folge den beiden unauffällig, mal gucken in welchem Ryokan die beiden verschwinden. Auf meiner Tour werde ich vermehrt nicht in Ryokans, sondern Business Hotels einkehren, da ich zwar das Wort Business Hotel lesen kann, aber beim Lesen der Schriftzeichen (Kanji) für die Ryokan Namen Probleme habe. Außerdem kann man die mehrstöckigen Hotels mit ihren weit sichtbaren Schildern schon frühzeitig erkennen und muss nicht anhand der Karte rätseln, welches Gässchen zum Ryokan führt.
Ich suche die Hütte „Ohenrosan Resthut“ in Tsushima, frage noch in einem sehr hübschen Tempel, der nicht mal in den Karten verzeichnet ist, nach, aber die billige Unterkunft scheint wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Ich finde allerdings ein hochmodernes WC Häuschen, in dem ich eigentlich mein müdes Haupt zur Ruhe betten wollte. Leider treiben sich lärmende Jugendliche in der Nähe herum und außerdem wäre es mir dann doch zu peinlich, im Klohäuschen entdeckt zu werden. Ich ziehe also weiter, komme jedoch nicht sehr weit, da ein Business Hotel hier direkt am Trail liegt. Ich checke im Business Hotel Ailin für 5000 Yen die Nacht ein. Es ist zwar noch recht früh am Tag, doch ich merke, dass mir meine Marathonstrecke über 50 km dann doch noch in den Beinen steckt. Ich nehme eine heiße Dusche und entdecke meine erste kleine Blase am Fuß.
7.15 Uhr werde ich durch die Tempelglocke geweckt, ich bin gestern gar nicht dazu gekommen zu fragen, ob es heute eine Morgenandacht gibt. Von meinem Fenster aus kann ich das ganze Areal vor den Tempelhallen überblicken.
Exkurs Tempel Nr. 40 Kanjizaiji (観自在寺)
Obwohl der Tempelname „Tempel des Avalokitesvara/Kannon“ bedeutet, ist die Hauptgottheit (Honzon) hier Yakushi Nyorai. 807 gründete Kōbō Daishi den Tempel auf Anweisung des Kaisers Heizei (774-824). Er schnitzte drei Statuen, Yakushi Nyorai, Amida Nyorai und Kannon, aus einem Holzblock, wobei er vor jedem Schnitt drei Niederwerfungen vollzog. Im 9. Jahrhundert besuchten die Kaiser Heizei und Saga (786-842) den Tempel und stifteten als Förderer des Tempels Sutren. Ihnen zu Ehren wurden der Tempel und die Stadt in Heijōzan Kanjizaiji bzw Mishō umbenannt. Zu einem früheren Zeitpunkt zählte der Tempel 48 Subtempel, die jedoch niederbrannten (1775). 1679 wurde der Tempel durch den damaligen Daimyō (Landesherrn) von Uwajima, Munetoshi Date, wiederaufgebaut. 1959 verwüstete abermals ein Feuer den Komplex und 1964 entschlossen sich die Gemeindemitglieder den Hondō (Haupthalle) in Beton errichten zu lassen. Die Legende besagt, dass nachdem Kōbō Daishi die drei Statuen geschnitzt hatte, noch ein Stück Holz übrig geblieben ist. Er schnitzte das sogenannte Funa-gata (Schiff-förmige) Gebet an Amida, „Namu Amida Buddha“ („Ehre Dir Amida Buddha“), ins Holz, um es wie eine Druckplatte zu benutzen. Es wird zwar nicht mehr die originale Druckplatte für die Kopien verwendet, aber noch heute glauben die Pilger, dass ein Abdruck, den man im Tempel kaufen kann, Krankheiten wie Blindheit, Stummheit und Herzprobleme heilen kann. Bei schwangeren Frauen soll ein Stück Stoff mit dem Abdruck über dem Bauch getragen eine leichte Schwangerschaft und Geburt ermöglichen. Als der Taira (Heike) Klan von den Minamoto (Genji) im 12. Jahrhundert geschlagen wurden, die Minamoto errangen die Regierungsmacht und verlegten den Regierungssitz nach Kamakura, lebten die Mitglieder des Heike Klans hier als Flüchtlinge. Bemerkenswert sind die 5-stöckige Pagode, der Turm Shingyo-Hōtō (Schatzturm des Shingyo) mit Kopien des Herz-Sutra aus ganz Japan, sowie das Mausoleum des Kaisers Heizei, obwohl dieses auch die Stadt Nara für sich beansprucht. Das Eingangstor ist über 200 Jahre alt und ist mit dem Prädikat „Lokales Erbe“ versehen. Vor dem Daishidō (Daishi-Halle) gibt es eine Miniatur-88-Tempeltour.
Immer wieder erstaunlich wie unterschiedliche doch die Tempelbeschreibungen sind. Im Kanjizaiji , der direkt am Sōzu-gawa liegt, konnte ich leider nicht den Miniatur-Pilgerweg entdecken, dafür aber die „Hachitai butsu“ genannte Göttergruppe, die einem Wünsche erfüllen können, wenn man sie mit Wasser besprengt. Und auch die Pagode, sowie ein Mausoleum blieben meinem Blick verborgen. Schade, dass ich nicht mehr Japanisch verstehe, sonst hätte ich danach fragen können. Auch ein Gebäude direkt vor meinem Fenster, das den sieben Glücksgöttern, Daikoku, Ebisu, Benten, Bishamonten, Fukurojuji, Jurōjin und dem dicken Hotei, gewidmet ist, wird leider nicht erwähnt.
Exkurs 7 Glücksgötter
Shichi Fukujin (七福神; „Sieben Glücksgötter“) sind ein aus der Muromachi-Zeit (1333 – 1568) stammende Gesellschaft von Glück bringenden Göttern, die ursprünglich aus anderen Religionen stammen. Zu ihnen gehören Daikoku („großer Schwarzer“), der für die Erde, Wohlstand, Landwirtschaft, Hochwasserschutz, Küche zuständig ist. Ebisu, der Patron der Fischerei, ist für Glück und erfolgreicher Handel zuständig. Benten, die einzige Frau, ist Förderin der Musik, Künste, Literatur und alles was mit Wasser zu tun hat. Bishamonten, buddhistischer Wächtergott des Nordens, ist uns bereits bekannt. Fukurokuji steht für Weisheit und langes Leben, Jurōjin ist Sinnbild für langes Leben. Hotei, der dicke Mönch, der uns hier in Deutschland meist im chinesischen Restaurant begegnet, steht für Zufriedenheit und Seligkeit.
Am Neujahrstag laufen der Sage nach die sieben Glücksgötter auf ihrem Schiff (Takarabune) in einen Hafen ein. Dieses Schiff trägt nicht nur sieben Glücksgötter, sondern bringt auch die sieben immaterielle Schätze (Klugheit, Wissen, Erfahrung, Gelehrsamkeit, Tapferkeit, Wohlstand und langes Leben, Glück und Zufriedenheit) sowie fünf materielle Schätze (den unerschöpflichen Geldbeutel, den unsichtbar machenden Hut, den Glücksmantel, den hölzernen Hammer des Reichtums und die Geister jagende Ratte) mit. Hat der Japaner zu Neujahr ein Bild dieser sagenhaften Sieben unter dem Kopfkissen, so sollen seine Träume in dieser Nacht in Erfüllung gehen.
Und wieder habe ich schlecht geschlafen, da es wieder einmal kalt geworden ist, die Klimaanlage aber leider zu laut war, so dass ich sie ausgestellt habe. Ich will am Morgen noch ein paar Bilder vom Badezimmer schießen, doch leider ist es schon verschlossen. Ich hinterlasse eine Notiz ins Gästebuch mit den deutschen Worten „Herzlichen Dank“ und lege den Zimmerschlüssel auf den Empfangstisch. Nachdem ich im Tempel meine beiden Sutren rezitiert habe, lasse ich mein Pilgerbuch signieren und bekomme sogar noch zwei schöne Postkarten als Pilgergeschenk (Osettai). Im Tempel bewundere ich die mächtigen Waffen, Varja nennt sich dieses Shingon typische Kampfzepter und auch der Medizinbuddha Binzuru bekommt noch einen Extra Groschen bzw. Yen von mir, da ich an meine etwas lädierten Füße denke, aber vor allem um eine Handgelenke fürchte. Ich umrunde noch mal den Pavillon der 7 Glücksgöttern, man kann nie genug göttlichen Beistand haben, und schon verlasse ich das Tempelgelände, um die knapp 50 km zu Tempel Nr. 41 in Angriff zu nehmen. Ich passiere noch einen Schrein, in dem mithilfe eines Feuers „aufgeräumt“ wird. Der Qualm ist schon von Weitem zu riechen. Etwas Wegzehrung wird noch im „Spar“ Markt gekauft. Ja, richtig gehört, der gute, alte, deutsche Spar Markt hat überlebt, zumindest hier in Japan!
Wieder wandere ich an der Küste entlang, in den Buchten sind Netze gespannt, ob da Seetang oder Muscheln gezüchtet werden, ich weiß es leider nicht. An einem Haus kann ich zum Trocknen aufgespannte Wildscheinfelle sehen. Dass mich so ein Keiler irgendwann vom Trail so einen Abhang hinunter jagt, davor habe ich die meist Angst. Schlangen kann man, mit ein bisschen Aufmerksamkeit noch ausweichen, denke ich, aber so eine Rotte mit Frischlingen (Wildschweinferkel), wie will man denen entkommen. Und ich glaube nicht, dass sich auf Shikoku noch Bären aufhalten, vielleicht im hohen Norden auf Hokkaido, aber hier. Ich habe mal gehört, dass die Glöckchen an den Wanderstäben, egal ob Shikoku, Kamakura (in der Nähe von Tokyo) oder am ruhenden Vulkan Fuji, Bären vertreiben sollen. Verlassen würde ich mich darauf aber nicht. Ich treffe alte Bekannte: Shisas, kleine Löwenhundfiguren, die eigentlich von der südlichsten Insel Japans aus Okinawa stammen. Doch bevor ich noch in alten Erinnerungen an meinen Trip nach Okinawa schwelgen kann, reißt mich ein ganz anders Bild aus meinen Gedanken. Eine Adlerfamilie schein hier einen Ausflug zu machen. Mama Greifvogel zeigt ihrer vierköpfigen Meute, wie man fliegt und geschickt ins Reisfeld stößt, um mit einem zappelten Leckerbissen zurückkehrt.
Ich lasse mich von niemand mehr hetzen, fotografiere nach Herzenslust und beobachte das drollige Treiben. Es ist schon witzig zu sehen, wie vier Greifvögel auf einer Leitung sitzen und jedes Mal, wenn der letzte im Anflug begriffen ist, das Quartet ins Wackeln kommt. Dabei zeigt Mama den Halbstarken immer wieder wie geschickt so ein Greif agieren kann.
Ich treffe wieder auf „Mr. Road Runner“ wie ich ihn nenne, oder “Michi no Sensei“ (Meister des Weges), den ich gestern mit Absicht am Getränkeautomaten „verloren“ habe und erkläre ihm, dass ich gestern einfach zu langsam war, um ihm folgen zu können. Der Seitenstreifen des Wegs ist mit Stiefmütterchen bepflanzt, die einen atemberaubenden Geruch verströmen. Wer die wohl gepflanzt hat? Manchmal sind Schilder aufgestellt, auf denen steht, wer sich hier zusammengefunden hat, um ein Beet anzulegen. Dorfbewohner, Kindergärten oder auch eine Hausgemeinschaft sind ausgerückt um, nach dem Motto „unser Dorf soll schöner werden“, am Pilgertrail Beete anzulegen. Jetzt geht es wieder bergauf und ich komme an einer Toilette vorbei, bei der ich mir einen Besuch verkneife, da es lediglich eine Bretterbude ist. „Da kann man dann doch viel besser in der freien Natur, es sieht einen doch sowieso keiner hier oben in den Bergen“, denke ich so bei mir. Es geht bergauf und wieder runter und das ganz ohne Bergtempel. Warum tue ich mir das an, frage ich mich und während einer Pause schwirrt mir wieder der Spruch durch den Kopf: “Mit Oranji da kann sie, nur Bunta macht munter!“ Und ich denke, dass ich zu wenig Vitamine und Proteine zu mir nehme, da ich viel Cola trinke und mittlerweile den japanischen Teilchen, wie Melonenbrot und mit Bohnenmuss oder Vanille Creme gefüllte Brioche-Brötchen verfallen bin. Wieder merke ich wie mein Pilgerhut an den Anstiegen mein Blickfeld einschränkt. Man soll im Jetzt leben, sich die Schritte überlegen und nicht an die Strecke denken, die noch vor einem liegt. Man weiß, dass man auf den Berg muss, das ist das langfristige Ziel, aber mit jedem noch so kleinen Schritt kommt man seinem Ziel näher! Ein Schild mit der eigentümlichen Transkription der japanischen Worte für „Henro Michi“ (Pilgerweg) muntert mich wieder auf, denn da steht in lateinischen Lettern „Henro Miti“. Der Wille war also da, nur an der Umsetzung hat es gehapert. Ich treffe auf ein wanderndes Ehepaar, aber unsere Kommunikation verläuft im Sand, da sie zu wenig Englisch und ich zu wenig Japanisch sprechen oder sind wir alle nur geistig etwas abgeschlafft, da der Weg unsere Aufmerksamkeit bedarf. Kurze Zeit später sehe ich erneut Henros (Pilger), aber es ist weder das Ehepaar, noch Herr „Road Runner“, sondern zwei Frauen, die anscheinend zusammen wandern. Erst sehe ich tagelang nicht einen Pilger und jetzt scheine ich auf ein Nest gestoßen zu sein. Da nicht alle Pilger am Anfang starten, es gibt auch Leute die jährlich einen Abschnitt oder ein Dojō absolvieren, ist es nicht verwunderlich neue Gesichter zu sehen. Wir laufen am Yoshiharagawa Fluss entlang, ein schmaler Trail. Das Ehepaar vor mir fordert mich auf, zu überholen, aber in der nächsten Ortschaft, ich kaufe gerade im Sunkus Kombini so eine Art Hähnchenschnitzel, sehe ich, wie sie an der gegenüberliegenden Straßenseite entlang laufen. Ich folge den beiden unauffällig, mal gucken in welchem Ryokan die beiden verschwinden. Auf meiner Tour werde ich vermehrt nicht in Ryokans, sondern Business Hotels einkehren, da ich zwar das Wort Business Hotel lesen kann, aber beim Lesen der Schriftzeichen (Kanji) für die Ryokan Namen Probleme habe. Außerdem kann man die mehrstöckigen Hotels mit ihren weit sichtbaren Schildern schon frühzeitig erkennen und muss nicht anhand der Karte rätseln, welches Gässchen zum Ryokan führt.
Ich suche die Hütte „Ohenrosan Resthut“ in Tsushima, frage noch in einem sehr hübschen Tempel, der nicht mal in den Karten verzeichnet ist, nach, aber die billige Unterkunft scheint wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Ich finde allerdings ein hochmodernes WC Häuschen, in dem ich eigentlich mein müdes Haupt zur Ruhe betten wollte. Leider treiben sich lärmende Jugendliche in der Nähe herum und außerdem wäre es mir dann doch zu peinlich, im Klohäuschen entdeckt zu werden. Ich ziehe also weiter, komme jedoch nicht sehr weit, da ein Business Hotel hier direkt am Trail liegt. Ich checke im Business Hotel Ailin für 5000 Yen die Nacht ein. Es ist zwar noch recht früh am Tag, doch ich merke, dass mir meine Marathonstrecke über 50 km dann doch noch in den Beinen steckt. Ich nehme eine heiße Dusche und entdecke meine erste kleine Blase am Fuß.
Donnerstag, 02.04.2009, Kochi, Mihara Village/Shimizu gawa; Bambushütte
Der 18. Tag in Japan
Ich habe diese Nacht kaum geschlafen und bin froh, dass es wieder hell ist. Die vorbeifahrenden Autos, die Regentropfen und von Zeit zu Zeit das Rauschen eines Regengusses, sind nicht wirklich Schlaf fördernd. Außerdem wollte ich den Kanadier nicht mit meinem Geraschel stören, aber ich wusste einfach nicht wie ich liegen sollte, da nach einer gewissen Zeit mir immer wieder die Knie und Hüfte derart weh taten, das ich die Lage wechseln musste. Matthew hat in seinem Zelt bestimmt mehr Ruhe gefunden. Aber allein bei dem Gedanken, ein ganzes Zelt mitschleppen zu müssen, frage ich mich wie viel er denn mit sich herumschleppt. Dabei wirkt sein Rucksack nicht größer als der meine. Ich wollte anfangs auch ein Zelt mitnehmen, doch die wirklich leichten Zelte waren derart unwirklich teure, das ich dafür locker mehrere Ryokan Übernachtungen bezahlen hätte können. Man muss eben seine Ansprüche herunterschrauben, will man sein Reisebudget nicht heraufschrauben. Auch die beiden Jungs haben fleißig gespart, obwohl ich zugeben muss, dass mir ein vollständiges Pilgerbuch als Nachweis meiner Pilgerschaft dann doch sehr wichtig ist. Die beiden wollen zwar alle Tempel besuchen, haben es sich aber nur ab und zu den Besuch im Pilgerbuch dokumentieren lassen, da jeder Eintrag 300 Yen kostet. Bei 88 Tempeln bzw. 108, wenn man die Bangai (Nebentempel) dazurechnet kommt da schon was zusammen.
Ich bin als erste auf und gönne mir einen Flasche heißen Tee aus dem naheliegenden Automaten, das wärmt die kalten Finger und weckt die Lebensgeister. Da es hier kein Mineralwasser gibt, muss ich mir mit einem Rest Cola die Zähne putzen. Als der Kanadier mich fragt, von wo ich denn gestern gekommen bin, ist er sehr erstaunt. „Wenn Du vom Kap Ashizuri gestartet bist, dann bis du ja fast 50 km gelaufen!“ Das habe ich gar nicht gemerkt, so langsam wie ich mich gestern den Berg heraufgekämpft habe, so schnell bin ich in der Dämmerung im Laufschritt dann auch wieder talwärts galoppiert. Aber trotzdem habe ich keine Probleme mit den Beinen, viel mehr hat es jetzt auch die andere Hand erwischt, die jetzt auch schmerzt und wie ein altes Holzscharnier knarrt. Die Jungs sagen mir „Goodby“, da sie noch Tempel Nr. 39 besuchen wollen, bevor der Kanadier wieder nach Hause fährt. Ich lasse ihnen den Vorsprung, hoffe aber, dass ich sie bzw. Matthew in Zukunft noch öfter in den Tempeln treffen werde. Ich mache mich dann auch wieder auf den Weg, verlaufe mich jedoch im Umenoki Park, da ich ein Schild falsch interpretiere. Es zeigt nicht den Trail an, sondern dass hier auf dem Hügel am Nakasuji Damm eine Pilgerhütte und Toilette stehen. Aber ich finde dann doch noch den richtigen Weg und als ich den Tempel betrete, kommen mir die Jungs gerade entgegen.
Exkurs Tempel Nr. 39 Enkōji (延光寺)
„Der Tempel des strahlenden Lichts“ wurde 725 von Gyōgi auf Befehl des Kaisers Shōmu gegründet. Gyōgi baute den Hondō (Haupthalle), 12 kleinere Hallen und hat auch die Statue der Hauptgottheit, Yakushi Nyorai, geschnitzt. 795 baute Kōbō Daishi die Tempelhalle wieder auf und widmete diesen Ort der Andacht an Kaisers Kanmu und weihte die Geleitgottheiten der Samurai Nikko und Gekko (Sonnen- und Mondlicht) ein.
911 wurde die Tempelglocke in Kupfer (7,5 kg) gegossen. Sie gilt heute als Nationales Kulturgut und wird in einem Museum in Tokyo ausgestellt. Obwohl die Legende eine andere Geschichte parat hält, die mit einer roten Schildkröte, von der der Tempelberg „akagame-zan“ („Berg der roten Schildkröte“) seinen Namen erhielt, zu tun hat. So soll besagte Schildkröte die Glocke auf ihrem Rücken in den Tempel gebracht haben. Ein Bildnis der Schildkröte mit Glocke kurz hinter dem Eingangstor trägt dieser Geschichte Rechnung. Auch entspringt hier wieder eine Quelle, die Hōisui, die als „Schatzmedizin“ bezeichnet wird, und an deren Entstehung Kōbō Daishi nicht unschuldig ist. Auch die Bezeichnung „me-arai-ido“ (Augen-wasch-Quell) wird gebraucht, da sich die Pilger Heilung ihrer Augenkrankheiten versprechen.
Eine seltene Abbildung eines lachenden Fudō Myōō (Warai Fudō) zählt ebenfalls zu den Tempelschätzen und wird als Nationalen Schatz gelistet.
Als ich den Tempel verlasse, sehe ich einen Pilger, der sich an zwei Stöcken hochziehend, den Berg hoch humpelt. Ich glaube, wenn man verletzt ist und sich nicht die Zeit zum Ausruhen nimmt, kann die Pilgertour auch mal schnell zur Tortour werden. Glücklicher Weise sind meine Handgelenke nicht so beansprucht, hätte ich das Gleiche an den Fußgelenken, sehe die Geschichte schon anders aus. Aber Toi, Toi, Toi, was das angeht, ist mir Kōbō Daishi wohlgesonnen bzw. habe ich mich gut vorbereitet. Nach kurzer Zeit hole ich Andrew und den Kanadier wieder ein, wir laufen bis Sukumo City zusammen. Aber da der Kanadier zum Bahnhof muss, trennen sich unsere Wege hier. Leider habe Matthew nicht wieder gesehen, er muss mich, vielleicht während meiner Bangai Tempel Abstecher, irgendwie überholt haben. Später erzählt mir Hajo, dass er Matthew getroffen hat und mit ihm in E-Mail-Kontakt stand, so sind sie nur kurz nacheinander einer Affenherde kurz vor Tempel Nr. 88 begegnet.
Eigentlich suche ich Anschluss an andere Pilger, dann ist man sicher, dass man auf dem richtigen Weg ist. Aber nicht so viel Anschluss, dass man ins Klönen kommt, denn dann verliert man durch Unaufmerksamkeit ebenfalls den Trail. Auf alle Fälle nehme ich den falschen Abzweiger in einem kleinen Dorf und drehe erstmal eine Extrarunde über eine Orangenplantage. Kehre um, um dann schnurstracks das Dorf zu durchqueren. Ich komme an den Matsuo-daishi Ruinen vorbei und überquere die Grenze zur Präfektur Ehime. Ich befinde mich jetzt im 3. Dōjō (Bodai no Dōjō), dem Trainingsraum der Erleuchtung. Mal sehen ob mir hier ein Licht aufgeht, was ich früher falsch gemacht habe und was ich zukünftig besser machen kann.
Die Kirschbäume hier in den Bergen sind fantastisch, die zartrosa blühenden Bäume kann man schon aus großer Entfernung leuchten sehen. Auf meinem Weg, ich möchte wenn möglich heute im Tempel Nr. 40 übernachten, begegnet mir eine atemberaubende Natur. Ich studiere die Pilgerhütten auf dem Weg und überlege, ob ich das Frieren in den Nächten mit zunehmender Zeit bessern wird oder ob ich doch den Schutz eines Ryokan den Vorzug geben sollte. Man würde immerhin 3000 bis 6000 Yen sparen, je nach Ausstattung und Mahlzeiten. Ich passiere unzählige Schreintore. In den Tälern befinden sich Bauernhöfe, deren Bullen mit ungläubig mustern. Mit so einem Ring in der Nase habe ich schon Respekt vor den Viechern, aber anscheinend tragen hier alle Bullen einen Nasenring, unabhängig von ihrem Temperament. Ach ist das herrlich, ich mache Pause, wenn ich eine Pause brauche, laufe mein eigenes Tempo. Wenn ich ein schönes Fotomotiv sehe, muss ich mich nicht darum scheren, die verlorene Zeit wieder im Laufmarsch einzuholen.
Nachdem ich die Stadt Ainan durchwandert habe, treffe ich auf einen Japaner, den ich glaube ich schon im Tempel Nr. 39 gesehen habe. Mit ein bisschen Japanisch und ein wenig Englisch kann ich ihm erläutern, dass ich heute im Tempel 40 schlafen will. „Das ist aber noch ein langer Weg“, er guckt mich ungläubig an und schenkt mir eine Tüte Puffreis als Wegzehrung.
Jetzt geht’s hier volle Pulle bergab, der ältere Herr gibt Gas und ich komme kaum noch hinterher. Aber das ist meine Taktik, da ich mit meinem Gepäck nicht so schnell bin und keinen Ryokan im Voraus gebucht habe, laufte ich einfach länger am Tag und so lange wie ich kann. Er soll nicht auf mich warten und an einem Getränkeautomaten „hänge“ ich ihn ab bzw. da ich ohnehin weit hinter ihm laufe, bleibe ich einfach stehen und trinke in Ruhe eine Cola. Jetzt kann oder muss ich wieder eigenes Tempo laufen und selbst meinen Weg finden. Meist orientiere ich mich an irgendwelchen Bezugspunkten wie Postämtern, Schulen oder Kombini-Märkten in der Karte, von diesen Punkten suche ich den nächsten im Abstand von einigen Kilometern, habe ich diesen erreicht, zücke ich wieder das Kartenbuch und suche mir einen neuen Zielpunkt. Das läuft recht gut, wenn ich mich vertue, dann ist es, weil ich die Entfernung falsch einschätze, da der Maßstab im Kartenmaterial von Seite zu Seite wechseln kann. Wie lang 1 km sein kann, erfahre ich, als ich in der Dämmerung am Kanal des Sōzu-gawa Flusses entlanglaufe. Der Tempel Nr. 40 liegt hier fast direkt am Fluss und ich zähle zur Orientierung die Brücken. Als ich dann um 18.00 Uhr im Tempel eintreffe, herrscht hier gähnende Leere, da das Tempelbüro schon um 17.00 Uhr geschlossen wurde. Ich durchstöbere also das Tempelgelände und treffe in einem Seitengebäude auf eine Frau. Sie ist zum Glück für die Tempelübernachtungen zuständig und hat ein Zimmer frei. Da außer mir nur noch ein anderer Pilger heute hier übernachtet, gibt es leider auch kein Abendessen, aber ich habe wohlweislich schon etwas Proviant in der letzten Stadt gekauft. Es wird empfohlen einen Ryokan bis spätestens 17.00 Uhr aufzusuchen, damit der Wirt sich zum Abendessen, welches meist um 18.00 Uhr stattfindet, auf die Gästeanzahl einstellen kann. Man nimmt außerdem vor dem Essen ein Bad, so dass man es sich gut erholt vom heißen Bad richtig schmecken lassen und danach herrlich entspannt das Bett aufsuchen kann. Ins Gästebuch klebe ich kurzerhand einen meiner Adress-Aufkleber, die es mir ersparen sollen, meine Adresse in Katakana, der japanischen Schrift für ausländische Bezeichnungen, hineinzuschreiben. Für meine 4000 Yen bekomme ich zwar kein Abendessen, dafür aber einen großen Tatamiraum mit Klimaanlage.
Ein Kühlschrank auf dem Flur bzw. eine Heißwasserbereiter, der wie eine Thermoskanne das Wasser heiß hält, darf ich ebenfalls benutzen.
Beim Duschen entdecke ich Sonnenbrand auf meinen Armen, obwohl ich morgens nach dem Waschen immer gleich den Sonnenblocker 50 +++ aufgetragen habe und auch die Sonnenallergie auf meinen Händen blüht in voller Pracht. Vielleicht der Stress der letzten Zeit? Da bin ich heute über 30 km gelaufen und habe nur eine kleine Blase oder ist es auch nur eine Druckstelle. Mein Kleiner Zeh wirkt lädiert, so schimmert der Nagel etwas schwarz. Bei einer Tasse Tee plane ich den nächsten Tag. Da ich keine Ahnung habe, wie schnell ich die Pilgerrunde schaffen kann, nehme ich mir vor, erst eine Woche vor Abflug auf den großen Übersichtsplan zu gucken, wo ich mich befinde und dann gegebenenfalls mit Zug und Bus weiterzureisen, um die Route vor dem Rückflug nach Deutschland noch beenden zu können.
Anhand des Kartenmaterials des Pilgerbuchs ist es nur sehr schwer, seinen derzeitigen Standort zu bestimmen.
Ich habe diese Nacht kaum geschlafen und bin froh, dass es wieder hell ist. Die vorbeifahrenden Autos, die Regentropfen und von Zeit zu Zeit das Rauschen eines Regengusses, sind nicht wirklich Schlaf fördernd. Außerdem wollte ich den Kanadier nicht mit meinem Geraschel stören, aber ich wusste einfach nicht wie ich liegen sollte, da nach einer gewissen Zeit mir immer wieder die Knie und Hüfte derart weh taten, das ich die Lage wechseln musste. Matthew hat in seinem Zelt bestimmt mehr Ruhe gefunden. Aber allein bei dem Gedanken, ein ganzes Zelt mitschleppen zu müssen, frage ich mich wie viel er denn mit sich herumschleppt. Dabei wirkt sein Rucksack nicht größer als der meine. Ich wollte anfangs auch ein Zelt mitnehmen, doch die wirklich leichten Zelte waren derart unwirklich teure, das ich dafür locker mehrere Ryokan Übernachtungen bezahlen hätte können. Man muss eben seine Ansprüche herunterschrauben, will man sein Reisebudget nicht heraufschrauben. Auch die beiden Jungs haben fleißig gespart, obwohl ich zugeben muss, dass mir ein vollständiges Pilgerbuch als Nachweis meiner Pilgerschaft dann doch sehr wichtig ist. Die beiden wollen zwar alle Tempel besuchen, haben es sich aber nur ab und zu den Besuch im Pilgerbuch dokumentieren lassen, da jeder Eintrag 300 Yen kostet. Bei 88 Tempeln bzw. 108, wenn man die Bangai (Nebentempel) dazurechnet kommt da schon was zusammen.
Ich bin als erste auf und gönne mir einen Flasche heißen Tee aus dem naheliegenden Automaten, das wärmt die kalten Finger und weckt die Lebensgeister. Da es hier kein Mineralwasser gibt, muss ich mir mit einem Rest Cola die Zähne putzen. Als der Kanadier mich fragt, von wo ich denn gestern gekommen bin, ist er sehr erstaunt. „Wenn Du vom Kap Ashizuri gestartet bist, dann bis du ja fast 50 km gelaufen!“ Das habe ich gar nicht gemerkt, so langsam wie ich mich gestern den Berg heraufgekämpft habe, so schnell bin ich in der Dämmerung im Laufschritt dann auch wieder talwärts galoppiert. Aber trotzdem habe ich keine Probleme mit den Beinen, viel mehr hat es jetzt auch die andere Hand erwischt, die jetzt auch schmerzt und wie ein altes Holzscharnier knarrt. Die Jungs sagen mir „Goodby“, da sie noch Tempel Nr. 39 besuchen wollen, bevor der Kanadier wieder nach Hause fährt. Ich lasse ihnen den Vorsprung, hoffe aber, dass ich sie bzw. Matthew in Zukunft noch öfter in den Tempeln treffen werde. Ich mache mich dann auch wieder auf den Weg, verlaufe mich jedoch im Umenoki Park, da ich ein Schild falsch interpretiere. Es zeigt nicht den Trail an, sondern dass hier auf dem Hügel am Nakasuji Damm eine Pilgerhütte und Toilette stehen. Aber ich finde dann doch noch den richtigen Weg und als ich den Tempel betrete, kommen mir die Jungs gerade entgegen.
Exkurs Tempel Nr. 39 Enkōji (延光寺)
„Der Tempel des strahlenden Lichts“ wurde 725 von Gyōgi auf Befehl des Kaisers Shōmu gegründet. Gyōgi baute den Hondō (Haupthalle), 12 kleinere Hallen und hat auch die Statue der Hauptgottheit, Yakushi Nyorai, geschnitzt. 795 baute Kōbō Daishi die Tempelhalle wieder auf und widmete diesen Ort der Andacht an Kaisers Kanmu und weihte die Geleitgottheiten der Samurai Nikko und Gekko (Sonnen- und Mondlicht) ein.
911 wurde die Tempelglocke in Kupfer (7,5 kg) gegossen. Sie gilt heute als Nationales Kulturgut und wird in einem Museum in Tokyo ausgestellt. Obwohl die Legende eine andere Geschichte parat hält, die mit einer roten Schildkröte, von der der Tempelberg „akagame-zan“ („Berg der roten Schildkröte“) seinen Namen erhielt, zu tun hat. So soll besagte Schildkröte die Glocke auf ihrem Rücken in den Tempel gebracht haben. Ein Bildnis der Schildkröte mit Glocke kurz hinter dem Eingangstor trägt dieser Geschichte Rechnung. Auch entspringt hier wieder eine Quelle, die Hōisui, die als „Schatzmedizin“ bezeichnet wird, und an deren Entstehung Kōbō Daishi nicht unschuldig ist. Auch die Bezeichnung „me-arai-ido“ (Augen-wasch-Quell) wird gebraucht, da sich die Pilger Heilung ihrer Augenkrankheiten versprechen.
Eine seltene Abbildung eines lachenden Fudō Myōō (Warai Fudō) zählt ebenfalls zu den Tempelschätzen und wird als Nationalen Schatz gelistet.
Als ich den Tempel verlasse, sehe ich einen Pilger, der sich an zwei Stöcken hochziehend, den Berg hoch humpelt. Ich glaube, wenn man verletzt ist und sich nicht die Zeit zum Ausruhen nimmt, kann die Pilgertour auch mal schnell zur Tortour werden. Glücklicher Weise sind meine Handgelenke nicht so beansprucht, hätte ich das Gleiche an den Fußgelenken, sehe die Geschichte schon anders aus. Aber Toi, Toi, Toi, was das angeht, ist mir Kōbō Daishi wohlgesonnen bzw. habe ich mich gut vorbereitet. Nach kurzer Zeit hole ich Andrew und den Kanadier wieder ein, wir laufen bis Sukumo City zusammen. Aber da der Kanadier zum Bahnhof muss, trennen sich unsere Wege hier. Leider habe Matthew nicht wieder gesehen, er muss mich, vielleicht während meiner Bangai Tempel Abstecher, irgendwie überholt haben. Später erzählt mir Hajo, dass er Matthew getroffen hat und mit ihm in E-Mail-Kontakt stand, so sind sie nur kurz nacheinander einer Affenherde kurz vor Tempel Nr. 88 begegnet.
Eigentlich suche ich Anschluss an andere Pilger, dann ist man sicher, dass man auf dem richtigen Weg ist. Aber nicht so viel Anschluss, dass man ins Klönen kommt, denn dann verliert man durch Unaufmerksamkeit ebenfalls den Trail. Auf alle Fälle nehme ich den falschen Abzweiger in einem kleinen Dorf und drehe erstmal eine Extrarunde über eine Orangenplantage. Kehre um, um dann schnurstracks das Dorf zu durchqueren. Ich komme an den Matsuo-daishi Ruinen vorbei und überquere die Grenze zur Präfektur Ehime. Ich befinde mich jetzt im 3. Dōjō (Bodai no Dōjō), dem Trainingsraum der Erleuchtung. Mal sehen ob mir hier ein Licht aufgeht, was ich früher falsch gemacht habe und was ich zukünftig besser machen kann.
Die Kirschbäume hier in den Bergen sind fantastisch, die zartrosa blühenden Bäume kann man schon aus großer Entfernung leuchten sehen. Auf meinem Weg, ich möchte wenn möglich heute im Tempel Nr. 40 übernachten, begegnet mir eine atemberaubende Natur. Ich studiere die Pilgerhütten auf dem Weg und überlege, ob ich das Frieren in den Nächten mit zunehmender Zeit bessern wird oder ob ich doch den Schutz eines Ryokan den Vorzug geben sollte. Man würde immerhin 3000 bis 6000 Yen sparen, je nach Ausstattung und Mahlzeiten. Ich passiere unzählige Schreintore. In den Tälern befinden sich Bauernhöfe, deren Bullen mit ungläubig mustern. Mit so einem Ring in der Nase habe ich schon Respekt vor den Viechern, aber anscheinend tragen hier alle Bullen einen Nasenring, unabhängig von ihrem Temperament. Ach ist das herrlich, ich mache Pause, wenn ich eine Pause brauche, laufe mein eigenes Tempo. Wenn ich ein schönes Fotomotiv sehe, muss ich mich nicht darum scheren, die verlorene Zeit wieder im Laufmarsch einzuholen.
Nachdem ich die Stadt Ainan durchwandert habe, treffe ich auf einen Japaner, den ich glaube ich schon im Tempel Nr. 39 gesehen habe. Mit ein bisschen Japanisch und ein wenig Englisch kann ich ihm erläutern, dass ich heute im Tempel 40 schlafen will. „Das ist aber noch ein langer Weg“, er guckt mich ungläubig an und schenkt mir eine Tüte Puffreis als Wegzehrung.
Jetzt geht’s hier volle Pulle bergab, der ältere Herr gibt Gas und ich komme kaum noch hinterher. Aber das ist meine Taktik, da ich mit meinem Gepäck nicht so schnell bin und keinen Ryokan im Voraus gebucht habe, laufte ich einfach länger am Tag und so lange wie ich kann. Er soll nicht auf mich warten und an einem Getränkeautomaten „hänge“ ich ihn ab bzw. da ich ohnehin weit hinter ihm laufe, bleibe ich einfach stehen und trinke in Ruhe eine Cola. Jetzt kann oder muss ich wieder eigenes Tempo laufen und selbst meinen Weg finden. Meist orientiere ich mich an irgendwelchen Bezugspunkten wie Postämtern, Schulen oder Kombini-Märkten in der Karte, von diesen Punkten suche ich den nächsten im Abstand von einigen Kilometern, habe ich diesen erreicht, zücke ich wieder das Kartenbuch und suche mir einen neuen Zielpunkt. Das läuft recht gut, wenn ich mich vertue, dann ist es, weil ich die Entfernung falsch einschätze, da der Maßstab im Kartenmaterial von Seite zu Seite wechseln kann. Wie lang 1 km sein kann, erfahre ich, als ich in der Dämmerung am Kanal des Sōzu-gawa Flusses entlanglaufe. Der Tempel Nr. 40 liegt hier fast direkt am Fluss und ich zähle zur Orientierung die Brücken. Als ich dann um 18.00 Uhr im Tempel eintreffe, herrscht hier gähnende Leere, da das Tempelbüro schon um 17.00 Uhr geschlossen wurde. Ich durchstöbere also das Tempelgelände und treffe in einem Seitengebäude auf eine Frau. Sie ist zum Glück für die Tempelübernachtungen zuständig und hat ein Zimmer frei. Da außer mir nur noch ein anderer Pilger heute hier übernachtet, gibt es leider auch kein Abendessen, aber ich habe wohlweislich schon etwas Proviant in der letzten Stadt gekauft. Es wird empfohlen einen Ryokan bis spätestens 17.00 Uhr aufzusuchen, damit der Wirt sich zum Abendessen, welches meist um 18.00 Uhr stattfindet, auf die Gästeanzahl einstellen kann. Man nimmt außerdem vor dem Essen ein Bad, so dass man es sich gut erholt vom heißen Bad richtig schmecken lassen und danach herrlich entspannt das Bett aufsuchen kann. Ins Gästebuch klebe ich kurzerhand einen meiner Adress-Aufkleber, die es mir ersparen sollen, meine Adresse in Katakana, der japanischen Schrift für ausländische Bezeichnungen, hineinzuschreiben. Für meine 4000 Yen bekomme ich zwar kein Abendessen, dafür aber einen großen Tatamiraum mit Klimaanlage.
Ein Kühlschrank auf dem Flur bzw. eine Heißwasserbereiter, der wie eine Thermoskanne das Wasser heiß hält, darf ich ebenfalls benutzen.
Beim Duschen entdecke ich Sonnenbrand auf meinen Armen, obwohl ich morgens nach dem Waschen immer gleich den Sonnenblocker 50 +++ aufgetragen habe und auch die Sonnenallergie auf meinen Händen blüht in voller Pracht. Vielleicht der Stress der letzten Zeit? Da bin ich heute über 30 km gelaufen und habe nur eine kleine Blase oder ist es auch nur eine Druckstelle. Mein Kleiner Zeh wirkt lädiert, so schimmert der Nagel etwas schwarz. Bei einer Tasse Tee plane ich den nächsten Tag. Da ich keine Ahnung habe, wie schnell ich die Pilgerrunde schaffen kann, nehme ich mir vor, erst eine Woche vor Abflug auf den großen Übersichtsplan zu gucken, wo ich mich befinde und dann gegebenenfalls mit Zug und Bus weiterzureisen, um die Route vor dem Rückflug nach Deutschland noch beenden zu können.
Anhand des Kartenmaterials des Pilgerbuchs ist es nur sehr schwer, seinen derzeitigen Standort zu bestimmen.
Mittwoch, 01.04.2009, Kochi, Kap Ashisuri, Jugendherberge
Der 17. Tag in Japan
Der Wecker klingelt um 7.00 Uhr, da Hajo noch vor 8.00 Uhr zum Tempel will, um sich den Eintrag abzuholen und dann gleich seine Reise, jetzt ohne mich, mit dem Bus fortzusetzen. Wir packen wortlos unsere Sachen, es folgt eine kurze, frostige Verabschiedung. Er lässt die Tempelinformation von Tempel Nr. 38 von der Turkington Seite für mich da. Ich bleibe in der Jugendherberge und esse die Reste vom Abendbrot als Frühstück. „Lass’ ihn ziehen“, denke ich so bei mir, “der soll ruhig durch Shikoku hetzen.“ Kurze Zeit später klopft es an der Zimmertür. Es ist Hajo, er hat jemanden gefunden, der ihm das Pilgerbuch gestempelt hat. Jetzt hat er noch genug Zeit, um mir einen Kurzbesuch abzustatten, und dann pünktlich den Bus zu erreichen. Auf einmal super gelaunt, will er mich noch nach meiner E-Mail Adresse fragen, da wir hier in Japan in Kontakt bleiben wollen. Für ihn ist die Welt wieder in Ordnung und er zieht ab.
Tja, jetzt bin ich allein und dies ist kein Aprilscherz! Dafür muss ich niemandem mehr hinterherlaufen, kann meine Herz Sutra in Ruhe zweimal beten, muss mich nicht hetzen lassen, kann in Ruhe Fotos schießen und muss den Zeitverlust nicht mehr im Laufschritt aufholen. Kann Japaner kennenlernen, in meinem Tempo laufen und so weit laufen, wie es meine Kondition zulässt. Allerdings muss ich jetzt auch selber Navigieren und mir eine Unterkunft suchen, aber da ich eine alleinreisende Frau bin, denke ich sollte letzteres das geringere Problem sein. Beim Navigieren muss ich zugeben, habe ich mich vor allem auf meinen Globetrotter Hajo verlassen, aber einen ganz so schlechten Orientierungssinn wie man Frauen nachsagt, habe ich dann doch auch nicht.
Also auf zum Tempel Kongōfukuji! Der Tempel ist so früh am Morgen besonders sehenswert. Die goldene Morgensonne ergießt sich über die dunklen Gebäude und der Teich in der Mitte ist glatt wie ein Spiegel. Wenn man ganz bewusst hinguckt, damit man weiß ob es die Wirklichkeit oder das Spiegelbild ist. Dieses „Spiel“ macht vor allem mit den zerklüfteten Felsen Spaß. Ich rezitiere noch am Hondō (Haupthalle) und am Daishi-Dō (Daishi-Halle) das Herz Stura und betrete dann das Pilgerbüro, um meinen Besuch dokumentieren zu lassen.
Als Osettai (Pilgergeschenk) bekomme ich einen kleinen Pilger als Schlüsselanhänger geschenkt. Ich mache noch einen kurzen Abstecher ans Kap Ashizuri: Der Blick auf die schroffe Steilküste und den Leuchtturm sind hier atemberaubend – Teufelsnase oder auch Tengu-Nase - wird dieser Teil des Kaps auch genannt. Ich bewundere noch die Statue von John Manjiro und die Tafel, auf der seine Geschichte erzählt wird. Hier sind so manche Schilder in Englisch, so z.B. der Wegweise zur den Hakusan Höhle, einer 16 m hohen Granithöhle am Strand. Ich muss jetzt fast den kompletten Weg, den wir gestern mit dem Bus absolviert haben, zu Fuß zurücklaufen. Ich durchquere also das Dorf und die Orte, an denen wir gestern nichts zu Essen gefunden haben. Vorbei an der Bushaltestelle folge ich der Busroute und kann jetzt Fotos von den Landschaften machen, die ich gestern nur durch das Busfenster bewundern durfte. Die Sonne scheint warm und kaum ein Wölkchen ist am Himmel, das ideale Wanderwetter.
Ich folge der „Ashizuri Sunny Road“ (Straße Nr.27) immer an der Küste entlang, nach Tosa-Shimizu City, in der Stadt kann ich endlich was zu essen kaufen, meine Reste vom gestrigen Abendbrot sind längst aufgebraucht. Der Laden sieht zwar wie ein Gartencenter aus, trotzdem kann ich hier Schokokekse und ein Melonen-Brot kaufen. Eigentlich will ich im Kashima Park ein Päuschen machen, doch kurz vorher weht mir der Küstenwind den Hut vom Kopf. Ich bekomme fast einen Herzinfakt, als ich sehe, wie mein gutes Stück die Straßen herunter rollt und immer näher der, nur durch ein Geländer abgesicherten, Steilküste entgegentrudelt.
Ich mache meine Pause am Straßenrand. Auf so eine Art Spielplatz esse ich meine Schokokekse und benutze ein siffiges Klo, in dem es kein Klopapier gibt. Das fängt ja gut an!
Ich wandere durch Tosa, vorbei am Hafen und an Fischräuchereien. Auf meinem Weg in die Berge kann ich immer wieder Japaner am Meer beobachten, sie sammeln Muscheln, tauchen sogar nach ihnen, und werfen ihre Angeln aus, um Fische und Tintenfische zu fangen. Hier scheinen sich die Leute noch vielfach selbst aus dem Meer zu versorgen, bei uns käme keiner auf die Idee, seine Miesmuscheln im Herbst selbst sammeln zu wollen. Beim Fluss Masumo biege ich wieder in Richtung Norden, von der Küste weg, in die Berge ab. Es ist eine frisch geteerte Straße, die noch nicht einmal Fahrbahnmarkierungen aufweist. Anfangs bin ich mir nicht sicher, ob ich die richtige Abzweigung gewählt habe, denn hier läuft, laut Karte, auch eine andere Straße irgendwo in die Berge. Da die Straße aber anscheinend neu ist, finde ich auch den ganzen Tag nicht ein Pilgerzeichen. „Wenn Du irgendwie total weit ab vom Trail kommst, dann setzt du dich ins nächste Taxi und lässt dich wieder auf den Trail fahren, du hast ja eine Karte dabei“, geht es mir durch den Kopf. Aber den ganzen restlichen Tag komme ich nicht mal durch eine Ortschaft, in der ich jemanden nach dem Weg hätte fragen können. Das ist schon komischer Straßenbau hier in Japan, der Anfang und das Ende sind in Bau, sie werden zweispurig ausgebaut, in der Mitte ist die Straße immer noch einspurig und von Schlaglöchern übersät.
Mir begegnet eine Bäuerin im Kleinlaster, sie schenkt mir zwei Bunta Früchte. Ich wandere weiter den Berg hoch, doch hier ist es menschenleer, kein Pilger, kein Auto, nichts, nur ich und mein Wanderstock „Tock“. Ich habe mittlerweile die Hand gewechselt, mit der ich den Wanderstock führe, ich hoffe noch, dass meine Sehnenscheidenentzündung nicht vom Fotografieren kommt. Am späten Nachmittag kommt ein Pickup an mir vorbei und der Fahrer fragt mich, ob er mich mitnehmen kann. Ich verneine, ich bin doch Pilger. Er fährt weiter, wendet außer Sichtweite und fährt wieder an mir vorbei. Da ist schon ein eigenartiges Verhalten, aber ich hoffe, dass dies nur der Ehemann der Bäuerin ist, der dafür sorgen will, dass ich hier heil über die Berge komme. An einem Wasserfall oder besser einer Leitung, die das Wasser hoch in den Bergen sammelt und es dann hierher leitet, mache ich eine Pause. Ich sitze auf einem großen Stein und esse meine Buntas. „Bunta macht die Britta munter und mit Orangi, da kann sie“. Was man so alles denkt, wenn man keine Ablenkung hat. Aber wo lasse ich die Schalen, hier gibt es keinen Mülleimer?
Ein ohrenbetäubendes Dröhnen zerreißt meine Stille, hier fahren LKWs in regelmäßigen Abständen an mir vorbei. Die gehören wohl zur Baustelle, die kurz vor mir liegen muß.
Ich winke einem Lastkraftwagenfahrer mit Schlapphut, der immer wieder an mir vorbei kommt. Jetzt habe ich auch die eigentliche Baustelle passiert, ich muss ein wenig darauf achten, zwischen den LKW und Baggern nicht unter die Räder zu kommen. Freundlich grüßend passiere ich die Kontrollposten, die die Straße für den nicht vorhandenen Autoverkehr sperren sollen. Aber jetzt hurtig, bevor es dunkel wird. Ich kann die nächste Ortschaft von hier oben schon sehen, ich muss mich aber beeilen, wenn ich nicht ins Dunkel kommen will. Ohje, ich glaube ich habe mich verlaufen, doch glücklicher Weise kommt da ein Tunnel und ich weiß anhand meiner Karte, dass es der Kurusunno Tunnel sein muss.
Kurz vor dem Tunnel hält wieder ein Autofahrer neben mir und fragt mich, ob er mir Unterkunft oder eine Mitfahrgelegenheit anbieten kann. Ich blöde Kuh lehne abermals ab, obwohl es schon ziemlich dunkel ist. Ich habe mir in der Karte eine geschlossene Hütte ausgesucht, die im Dorf Mihara steht und keine 2 km mehr entfernt ist. Jetzt fängt es auch noch an zu regnen und ich überlege, ob ich in Bushaltestelle übernachten soll, die ich eben passiert habe. Es ist jetzt richtig dunkel, ich lege meinen Regenponcho an und habe meine Kurbel-Taschenlampe gezückt, um den Weg zu finden. Vor mir laufen Dorfbewohner mit ihren Hunden Gassi. Der Regen wird stärker. Ich habe mir eine Hütte ausgesucht, die
direkt vor dem Shimizugawa-so Ryokan steht, zur Not könnte ich dort einkehren. Die erste Hütte im Dorf, es ist eine offene, so eine Art Unterstand mit Toilette, verpasse ich und auch mein eigentliches Ziel scheint mir weiter entfernt zu sein, als es die Karte mir weismachen will. Ich laufe die Straße also wieder zurück und frage in einer Kneipe nach, wo der Shimizugawa Ryokan liegt. Ich bin schon auf dem richtigen Weg gewesen, doch leider mangelt es mir am Entfernungsgefühl. Schließlich finde ich die Hütte dann doch noch. Aber sie liegt nicht rechts, sondern links der Straße, direkt vor dem erwähnten Ryokan. Und außerdem lebt die Hütte, als ich näher komme und die Getränkeautomaten passiert habe, höre ich, wie sich zwei Menschen unterhalten. „Oh nein, die ist wohl voll“, denke ich so bei mir und gewöhne mich an den Gedanken, die nächste offene Hütte im Umenoki Park anzusteuern zu müsse. Aber alles ist halb so wild, die zwei aus der etwas baufällig wirkenden Bambushütte sind Matthew aus USA und ein rothaariger Kanadier, der in Japan lebt. Anfangs können wir uns nicht sehen, weil es zu dunkel ist, aber ich kann die Jungs mit meiner Kurbel-Taschenlampe beeindrucken. Die Jungs nehmen gerade ihren Schlaftrunk ein, Kirin Bier, das sie zum Ausklang des Tages genießen. Wir halten noch einen kleinen Klönschnack über unsere Pilgerreise. So erfahre ich von ihnen, dass sie sich auf der Tour zusammengefunden haben, dass der Kanadier morgen wieder mit dem Zug nach Hause, irgendwo auf dem japanischen Festland, fahren muss und Matthew die Tour alleine weiterwandern will. Während ich noch rätsle, wie wir drei hier in der kleinen Bambushütte Platz finden sollen, verabschiedet sich der Amerikaner, und erklärt, dass er sich in der Nähe erst mal einen Zeltplatz suchen muss. Ich atme auf, denn dann wird wohl der andere auf der Bank schlafen und ich kann mir hier am Boden mein Nachtlager ausbreiten. Die Nacht ist sehr kalt, ich friere, ziehe mir nachträglich meine zweite Hose und noch einen Sack über die Füße. Es gibt immer wieder einen Regenschauer und da die Bambushütte keine geschlossenen Wände hat, treffen immer wieder einigen Regentropfen mein Gesicht. Ich liege hier auf einem Stapel Bambusstangen und bete, dass sich unter mir nicht irgendeine japanische Spinne oder Schlange auf den Weg macht, mir hier oben einen Besuch abzustatten. Eine Toilette gibt es auch nicht. In unregelmäßigen Abständen erhellen Autoscheinwerfer das Dunkel der Hütte, einige Autos halten sogar an den Getränkeautomaten, die ca. 20 m entfernt aufgestellt sind. Ich kann den Sternenhimmel sehen und wie die Wolken vorbeijagen. Schließlich und endlich schlafe ich dann doch ein. Mein erster Tag so allein und doch nicht so allein.
Der Wecker klingelt um 7.00 Uhr, da Hajo noch vor 8.00 Uhr zum Tempel will, um sich den Eintrag abzuholen und dann gleich seine Reise, jetzt ohne mich, mit dem Bus fortzusetzen. Wir packen wortlos unsere Sachen, es folgt eine kurze, frostige Verabschiedung. Er lässt die Tempelinformation von Tempel Nr. 38 von der Turkington Seite für mich da. Ich bleibe in der Jugendherberge und esse die Reste vom Abendbrot als Frühstück. „Lass’ ihn ziehen“, denke ich so bei mir, “der soll ruhig durch Shikoku hetzen.“ Kurze Zeit später klopft es an der Zimmertür. Es ist Hajo, er hat jemanden gefunden, der ihm das Pilgerbuch gestempelt hat. Jetzt hat er noch genug Zeit, um mir einen Kurzbesuch abzustatten, und dann pünktlich den Bus zu erreichen. Auf einmal super gelaunt, will er mich noch nach meiner E-Mail Adresse fragen, da wir hier in Japan in Kontakt bleiben wollen. Für ihn ist die Welt wieder in Ordnung und er zieht ab.
Tja, jetzt bin ich allein und dies ist kein Aprilscherz! Dafür muss ich niemandem mehr hinterherlaufen, kann meine Herz Sutra in Ruhe zweimal beten, muss mich nicht hetzen lassen, kann in Ruhe Fotos schießen und muss den Zeitverlust nicht mehr im Laufschritt aufholen. Kann Japaner kennenlernen, in meinem Tempo laufen und so weit laufen, wie es meine Kondition zulässt. Allerdings muss ich jetzt auch selber Navigieren und mir eine Unterkunft suchen, aber da ich eine alleinreisende Frau bin, denke ich sollte letzteres das geringere Problem sein. Beim Navigieren muss ich zugeben, habe ich mich vor allem auf meinen Globetrotter Hajo verlassen, aber einen ganz so schlechten Orientierungssinn wie man Frauen nachsagt, habe ich dann doch auch nicht.
Also auf zum Tempel Kongōfukuji! Der Tempel ist so früh am Morgen besonders sehenswert. Die goldene Morgensonne ergießt sich über die dunklen Gebäude und der Teich in der Mitte ist glatt wie ein Spiegel. Wenn man ganz bewusst hinguckt, damit man weiß ob es die Wirklichkeit oder das Spiegelbild ist. Dieses „Spiel“ macht vor allem mit den zerklüfteten Felsen Spaß. Ich rezitiere noch am Hondō (Haupthalle) und am Daishi-Dō (Daishi-Halle) das Herz Stura und betrete dann das Pilgerbüro, um meinen Besuch dokumentieren zu lassen.
Als Osettai (Pilgergeschenk) bekomme ich einen kleinen Pilger als Schlüsselanhänger geschenkt. Ich mache noch einen kurzen Abstecher ans Kap Ashizuri: Der Blick auf die schroffe Steilküste und den Leuchtturm sind hier atemberaubend – Teufelsnase oder auch Tengu-Nase - wird dieser Teil des Kaps auch genannt. Ich bewundere noch die Statue von John Manjiro und die Tafel, auf der seine Geschichte erzählt wird. Hier sind so manche Schilder in Englisch, so z.B. der Wegweise zur den Hakusan Höhle, einer 16 m hohen Granithöhle am Strand. Ich muss jetzt fast den kompletten Weg, den wir gestern mit dem Bus absolviert haben, zu Fuß zurücklaufen. Ich durchquere also das Dorf und die Orte, an denen wir gestern nichts zu Essen gefunden haben. Vorbei an der Bushaltestelle folge ich der Busroute und kann jetzt Fotos von den Landschaften machen, die ich gestern nur durch das Busfenster bewundern durfte. Die Sonne scheint warm und kaum ein Wölkchen ist am Himmel, das ideale Wanderwetter.
Ich folge der „Ashizuri Sunny Road“ (Straße Nr.27) immer an der Küste entlang, nach Tosa-Shimizu City, in der Stadt kann ich endlich was zu essen kaufen, meine Reste vom gestrigen Abendbrot sind längst aufgebraucht. Der Laden sieht zwar wie ein Gartencenter aus, trotzdem kann ich hier Schokokekse und ein Melonen-Brot kaufen. Eigentlich will ich im Kashima Park ein Päuschen machen, doch kurz vorher weht mir der Küstenwind den Hut vom Kopf. Ich bekomme fast einen Herzinfakt, als ich sehe, wie mein gutes Stück die Straßen herunter rollt und immer näher der, nur durch ein Geländer abgesicherten, Steilküste entgegentrudelt.
Ich mache meine Pause am Straßenrand. Auf so eine Art Spielplatz esse ich meine Schokokekse und benutze ein siffiges Klo, in dem es kein Klopapier gibt. Das fängt ja gut an!
Ich wandere durch Tosa, vorbei am Hafen und an Fischräuchereien. Auf meinem Weg in die Berge kann ich immer wieder Japaner am Meer beobachten, sie sammeln Muscheln, tauchen sogar nach ihnen, und werfen ihre Angeln aus, um Fische und Tintenfische zu fangen. Hier scheinen sich die Leute noch vielfach selbst aus dem Meer zu versorgen, bei uns käme keiner auf die Idee, seine Miesmuscheln im Herbst selbst sammeln zu wollen. Beim Fluss Masumo biege ich wieder in Richtung Norden, von der Küste weg, in die Berge ab. Es ist eine frisch geteerte Straße, die noch nicht einmal Fahrbahnmarkierungen aufweist. Anfangs bin ich mir nicht sicher, ob ich die richtige Abzweigung gewählt habe, denn hier läuft, laut Karte, auch eine andere Straße irgendwo in die Berge. Da die Straße aber anscheinend neu ist, finde ich auch den ganzen Tag nicht ein Pilgerzeichen. „Wenn Du irgendwie total weit ab vom Trail kommst, dann setzt du dich ins nächste Taxi und lässt dich wieder auf den Trail fahren, du hast ja eine Karte dabei“, geht es mir durch den Kopf. Aber den ganzen restlichen Tag komme ich nicht mal durch eine Ortschaft, in der ich jemanden nach dem Weg hätte fragen können. Das ist schon komischer Straßenbau hier in Japan, der Anfang und das Ende sind in Bau, sie werden zweispurig ausgebaut, in der Mitte ist die Straße immer noch einspurig und von Schlaglöchern übersät.
Mir begegnet eine Bäuerin im Kleinlaster, sie schenkt mir zwei Bunta Früchte. Ich wandere weiter den Berg hoch, doch hier ist es menschenleer, kein Pilger, kein Auto, nichts, nur ich und mein Wanderstock „Tock“. Ich habe mittlerweile die Hand gewechselt, mit der ich den Wanderstock führe, ich hoffe noch, dass meine Sehnenscheidenentzündung nicht vom Fotografieren kommt. Am späten Nachmittag kommt ein Pickup an mir vorbei und der Fahrer fragt mich, ob er mich mitnehmen kann. Ich verneine, ich bin doch Pilger. Er fährt weiter, wendet außer Sichtweite und fährt wieder an mir vorbei. Da ist schon ein eigenartiges Verhalten, aber ich hoffe, dass dies nur der Ehemann der Bäuerin ist, der dafür sorgen will, dass ich hier heil über die Berge komme. An einem Wasserfall oder besser einer Leitung, die das Wasser hoch in den Bergen sammelt und es dann hierher leitet, mache ich eine Pause. Ich sitze auf einem großen Stein und esse meine Buntas. „Bunta macht die Britta munter und mit Orangi, da kann sie“. Was man so alles denkt, wenn man keine Ablenkung hat. Aber wo lasse ich die Schalen, hier gibt es keinen Mülleimer?
Ein ohrenbetäubendes Dröhnen zerreißt meine Stille, hier fahren LKWs in regelmäßigen Abständen an mir vorbei. Die gehören wohl zur Baustelle, die kurz vor mir liegen muß.
Ich winke einem Lastkraftwagenfahrer mit Schlapphut, der immer wieder an mir vorbei kommt. Jetzt habe ich auch die eigentliche Baustelle passiert, ich muss ein wenig darauf achten, zwischen den LKW und Baggern nicht unter die Räder zu kommen. Freundlich grüßend passiere ich die Kontrollposten, die die Straße für den nicht vorhandenen Autoverkehr sperren sollen. Aber jetzt hurtig, bevor es dunkel wird. Ich kann die nächste Ortschaft von hier oben schon sehen, ich muss mich aber beeilen, wenn ich nicht ins Dunkel kommen will. Ohje, ich glaube ich habe mich verlaufen, doch glücklicher Weise kommt da ein Tunnel und ich weiß anhand meiner Karte, dass es der Kurusunno Tunnel sein muss.
Kurz vor dem Tunnel hält wieder ein Autofahrer neben mir und fragt mich, ob er mir Unterkunft oder eine Mitfahrgelegenheit anbieten kann. Ich blöde Kuh lehne abermals ab, obwohl es schon ziemlich dunkel ist. Ich habe mir in der Karte eine geschlossene Hütte ausgesucht, die im Dorf Mihara steht und keine 2 km mehr entfernt ist. Jetzt fängt es auch noch an zu regnen und ich überlege, ob ich in Bushaltestelle übernachten soll, die ich eben passiert habe. Es ist jetzt richtig dunkel, ich lege meinen Regenponcho an und habe meine Kurbel-Taschenlampe gezückt, um den Weg zu finden. Vor mir laufen Dorfbewohner mit ihren Hunden Gassi. Der Regen wird stärker. Ich habe mir eine Hütte ausgesucht, die
direkt vor dem Shimizugawa-so Ryokan steht, zur Not könnte ich dort einkehren. Die erste Hütte im Dorf, es ist eine offene, so eine Art Unterstand mit Toilette, verpasse ich und auch mein eigentliches Ziel scheint mir weiter entfernt zu sein, als es die Karte mir weismachen will. Ich laufe die Straße also wieder zurück und frage in einer Kneipe nach, wo der Shimizugawa Ryokan liegt. Ich bin schon auf dem richtigen Weg gewesen, doch leider mangelt es mir am Entfernungsgefühl. Schließlich finde ich die Hütte dann doch noch. Aber sie liegt nicht rechts, sondern links der Straße, direkt vor dem erwähnten Ryokan. Und außerdem lebt die Hütte, als ich näher komme und die Getränkeautomaten passiert habe, höre ich, wie sich zwei Menschen unterhalten. „Oh nein, die ist wohl voll“, denke ich so bei mir und gewöhne mich an den Gedanken, die nächste offene Hütte im Umenoki Park anzusteuern zu müsse. Aber alles ist halb so wild, die zwei aus der etwas baufällig wirkenden Bambushütte sind Matthew aus USA und ein rothaariger Kanadier, der in Japan lebt. Anfangs können wir uns nicht sehen, weil es zu dunkel ist, aber ich kann die Jungs mit meiner Kurbel-Taschenlampe beeindrucken. Die Jungs nehmen gerade ihren Schlaftrunk ein, Kirin Bier, das sie zum Ausklang des Tages genießen. Wir halten noch einen kleinen Klönschnack über unsere Pilgerreise. So erfahre ich von ihnen, dass sie sich auf der Tour zusammengefunden haben, dass der Kanadier morgen wieder mit dem Zug nach Hause, irgendwo auf dem japanischen Festland, fahren muss und Matthew die Tour alleine weiterwandern will. Während ich noch rätsle, wie wir drei hier in der kleinen Bambushütte Platz finden sollen, verabschiedet sich der Amerikaner, und erklärt, dass er sich in der Nähe erst mal einen Zeltplatz suchen muss. Ich atme auf, denn dann wird wohl der andere auf der Bank schlafen und ich kann mir hier am Boden mein Nachtlager ausbreiten. Die Nacht ist sehr kalt, ich friere, ziehe mir nachträglich meine zweite Hose und noch einen Sack über die Füße. Es gibt immer wieder einen Regenschauer und da die Bambushütte keine geschlossenen Wände hat, treffen immer wieder einigen Regentropfen mein Gesicht. Ich liege hier auf einem Stapel Bambusstangen und bete, dass sich unter mir nicht irgendeine japanische Spinne oder Schlange auf den Weg macht, mir hier oben einen Besuch abzustatten. Eine Toilette gibt es auch nicht. In unregelmäßigen Abständen erhellen Autoscheinwerfer das Dunkel der Hütte, einige Autos halten sogar an den Getränkeautomaten, die ca. 20 m entfernt aufgestellt sind. Ich kann den Sternenhimmel sehen und wie die Wolken vorbeijagen. Schließlich und endlich schlafe ich dann doch ein. Mein erster Tag so allein und doch nicht so allein.
Dienstag, 31.03.09, Kochi, Tosa, Kokumin-shukucha Tosa Hotel
Der 16. Tag in Japan
Wir stehen heute um 7.00 Uhr auf, da wir uns mit dem Engländer zum Frühstück verabredet haben. Zum Frühstück gibt es leider nur Tee, keinen Kaffee. Hajo klönt noch mit den jungen Engländer und geht nach dem Frühstück noch kurz ins Internet, da Herr Ikegawa, wie der Hotelbesitzer heißt, uns gegen 9.00 Uhr zur nächsten Bushaltestelle fahren will. Das ist doch Service – nicht dass man nur hochgekarrt wird, nein – jetzt hilft er uns auch noch auf dem schnellsten Weg zurück. Ich hatte eigentliche gedacht, dass er uns hier am Ende der Brücke am Skyline-iriguchi Bus Stopp wieder rauslassen würde, aber er fährt noch ein ganzes Stück die Yokonami, eine Küstenstraße durch den Yokonami National Park, entlang. Er zeigt uns eine Henrohütte, die kurz hinter der Usa-Ohashi Brücke steht. Die hat er gespendet, verkündet er uns stolz, sie ist sogar mit Tatami Matten ausgestattet. Er erklärt uns, dass die Weiterreise ab hier eigentlich mit dem Schiff erfolgen sollte, da das die traditionelle Weise ist, wie man früher, als die ganzen Brücken und Straßen noch nicht gebaut waren, zum nächsten Tempel gereist ist. Jetzt auch noch Seekrank werden, dazu habe ich keine Lust, obwohl ich sonst immer für die traditionelle Weise zu begeistern bin. Aber da wir ohnehin mit dem Bus vorankommen, spielt das dann wohl auch keine Rolle. Ich will die Tour nicht schnell hinter mich bringen, sondern das Pilgern genießen, ich will Erfahrungen machen und von der Landschaft berührt werden! Hajo hat gestern noch mit dem Engländer erörtert, dass er als Marathonläufer das Loch ab Kilometer 35 kennt, toll – ich aber nicht. Vielleicht will ich gerade diese Erfahrung hier machen und meinen inneren Schweinehund bezwingen, das soll hier doch keine Spritztour werden, sondern eine Pilgerreise!
Es ist bewölkt und einige Regentopfen fallen aus dem grauen Himmel. Auf die Wale angesprochen, in Hafen von Usa gibt es einen Aussichtpunkt für „Whale Watching“, erklärt uns Herr Ikegawa die üblichen Ausreden, die Japaner im Bezug auf Walfang haben. Aber die Jagd zu Forschungszwecken wird nicht aufgegriffen, nein – die dichte Population an Walen soll den Japanern die Fische wegfressen. Früher war die Bezeichnung für „Wal“ das gleiche Wort wie für „Essen“ bzw.“ Mahlzeit“, erklärt er uns. Ich weiß nicht warum Japaner bei diesem Thema immer so empfindlich reagieren. Aber es wird als japanisches Privileg gesehen, Walfleisch zu essen, dabei mag die junge Generation das Notessen, was es nach dem Krieg war, gar nicht. Es sind eigentlich nur die Alten, die noch stur an der Tradition festhalten. Man kann nur das Ernten, was im Überfluss vorhanden ist. Ich verzichte auch auf meine heißgeliebte Scholle, seit ich gehört habe, dass die Bestände überfischt sind. Mal ganz davon abgesehen, dass ich nicht verstehe wie ein so naturbezogenes Volk wie die Japaner alle Warnungen in den Wind schießen können. Aber das ist wohl Teil der japanischen Kultur – Gegensätze überwinden: Hier Moderne – da Tradition, hier Zen und Buddhismus da Technik und Internet, hier beheizbare und ferngesteuerte Toiletten – da Plumpsklos, die nicht einmal mehr „plumps“ machen, weil es keine Grub gibt!
Endlich haben wir die Bushaltestelle erreicht. Wir bedanken uns für die Gastfreundschaft und Herr Ikegawa wünscht uns noch eine gute Reise. Da dieser Busbahnhof, oder ist es eine Haltestelle, nicht in unserem Kartenmaterial verzeichnet ist, hätten wir ihn ohne die Hilfe von Herrn Ikegawa gar nicht erst gefunden. Aber wir haben doppeltes Glück, da heute der letzter Tag ist, an der diese Buslinie offiziell noch fährt. Mehr kriegen wir aus dem Busfahrer leider nicht raus, so z.B. ob es der allerletzte Tag ist oder ob es nur für die Saison der letzte ist und die Linien im Herbst wieder gefahren wird. Auf alle Fälle geht es bis zur Bahnstation Susaki Station, da in der Nähe der Bangai Tempel Nr. 5 liegt, den wir besuchen wollen.
Ab hier sind es noch so ca. 3 km, die wir durchs Wohngebiet laufen müssen, der
Bangai Tempel Daizenji liegt hier auf einem Hügel. Wir passieren die „Kawabata Symbol Road„, hier ist am Straßenrand ein richtiger kleiner Park mit Flusslauf und Kirschbäumen angelegt. Ich nehme mir fest vor, auf der Rücktour ein paar Fotos zu machen, da Hajo ein derartiges Tempo vorlegt, als würden ihn japanische Oni (Teufel) jagen. Der Tempel ist mit so einer Art Fahrstuhl zu erreichen, aber wenn man ein Stückchen weiter um die Ecke läuft, kann man auch die Stufen zum Tempel benutzen. Da wir noch nicht allzu lädiert sind, Hajos Bein ist in medikamentöser Behandlung, nehmen wir die paar Stufen gerne in Kauf.
Exkurs Bangai Tempel Nr. 5 Daizenji (大善寺)
„Der Tempel der großen Tugend“ wurde von Kōbō Daishi gegründet und ist der einzige Tempel auf der Pilgertour, der Kōbō Daishi als Hauptgottheit (Honzon) geweiht ist. Viele Gebäude sind erneuert worden, deshalb wirkt der Tempel relativ frisch und hell. Vor allem die Daishi-Halle (Dashi-dō) ist neu und liegt jetzt am Fuße des Berges. Es gibt hier sogar eine Art Lift, der auch diejenigen zur Halle bringt, die die wenigen Stufen bis dahin nicht steigen können. Mitten im Wohngebiet, auf einer Anhöhe liegend, hat man einen tollen Ausblick über die Bucht.
Der Tag ist noch jung. Es ist zwar zu früh, um Mittag zu essen, aber da wir nicht wissen, wann wir die nächste Gelegenheit haben „Nabeyaki Ramen“ zu probieren, kehren wir in eine kleine Kneipe ein. Nabeyaki Ramen, so sagt unser Pilgerführer, wird nur in Susaki City serviert. Es ist eine Ramen Nudelsuppe, also chinesische, dünne Weizennudeln in Hühnerbrühe mit grünen Zwiebeln, Fischwurst (kamaboko) und einem rohen Ei. Ja, richtig gehört, der Genuss von rohen Eiern ist in Japan durchaus üblich. Als Dipp beim Sukiyaki (japanisches Fondue) oder um den Frühstücksreis schmackhafter zu machen. Obwohl ich zugeben muss, dass das Ei meist gerinnt, da die Suppe extrem heiß in einem Steinguttopf serviert wird. Da wir den Namen des Gerichts kennen, welches wir essen wollen, haben wir mit der Bestellung weniger Schwierigkeiten, dann schon eher beim Essen der wirklich heißen Spezialität.
Zurück am Susaki Bahnhof wollen wir mit der JR Dosan Linie bis Kubokawa fahren, hier liegt Tempel Nr. 37 direkt um die Ecke. Es beginnt mal wieder das Spiel mit den Fahrkarten – Express oder Local Train, 1600 Yen oder 530 Yen – zwar können wir unsere Expresskarten mal wieder umtauschen, verlieren aber satte 1,5 Stunden durch das Warten.
Exkurs Tempel Nr. 37 Iwamotoji (岩本寺)
„Der Tempel des steinigen Weges“ bestand ursprünglich aus 7 Tempeln, die von Gyōgi auf Geheiß des Kaisers Shōmu im 8. Jahrhundert unter dem Namen „Niida“ gegründet worden sind. Niida heißt noch heute der Fluss, der in der Nähe fließt. Damals hieß der zentrale Tempel Fuku Enmanji (福円満寺; Tempel des vollständigen Glücks). Die Zahl 7 spielt hier eine besondere Rolle: Gyōgi wollte hier den sieben Formen des Leidens den sieben Formen des Glücklichseins gegenüberstellen. Zwischen 810 und 823 baute Kōbō Daishi hier weitere Gebäude, die er mit selbst geschnitzten Statuen von Amida Nyorai, Kannon Bosatsu, Fudō Myōō, Yakushi Nyorai und Jizō Bosatsu ausstattete. Ein bekannter japanischer Spruch lautet:
Fudō, um den Einfluss des Bösen zu entkommen,
Kannon für das Glück,
Jizō kümmert sich um die Kinder,
Amida für das zukünftige Leben,
Yakushi, um das Böse zu besiegen.
Aber auch alle diese Buddhas und Bosatsus konnten nicht verhindern, dass die Gebäude im 16. Jahrhundert von Chōsokabe Truppen niedergebrannt wurden. Erst mit der Hilfe des obersten Priesters aus dem Tempel Nr. 38 (Kongfukuji) konnte er wiederaufgebaut und umbenannt werden.1867 brannte er abermals nieder, wurde 1869 unter dem Gesetzt zur Trennung von Buddhismus und Shintoismus geschlossen, aber schon 1890 mit der Vereinigung aller Statuen in einem gemeinsamen Hondō (Haupthalle) wiedereröffnet. Der ursprüngliche Niida-Tempel stand früher am Shimanto Fluss, an der Stelle, wo heute der Takaoka Schrein steht. Der Shimanto Fluss ist der längst auf Shikoku und der einzige seiner Größe in Japan, der nicht eingedämmt worden ist. Der Legende nach soll Kōbō Daishi hier 7 Wunder vollbracht haben, die wie folgt benannt werden:
1. Sando-kuri (dreimalig Kastanien): Als Kōbō Daishi hier einen weinenden Jungen traf, der keine Kastanien pflücken konnte, sang der Mönch ein Lied und fortan konnten drei Ernten pro Jahr die Einwohner erfreuen.
2. Koyasu-zakura (Kirschblüte für eine leichte Geburt): Kōbō Daishi traf eine schwangere Frau unter einem Kirschbaum, deren Niederkunft schwierig zu werden schien. Er betete also und schlug am Waschbecken des Tempels den Boden der Schöpfkelle heraus. Die Frau hat eine komplikationslose und leichte Geburt.
3. Kuchi-nashi Hiru (Die mundlose Egel): Durch Gebete von Kōbō Daishi verwandelten sich Blutegel, die sonst die Pilger gequält hatten, in mundlose Würmer.
4. Sakura-gai (Die Kirschblüten Muscheln): Kōbō Daishi weinte, als er in den Tempel kam, um das Fallen der Kirschblüten zu sehen, das sie in diesem Jahr schon früher verblüht waren. Der Drachengott der See schickte Muscheln, die, als sie die Erde berührten, sich in Kirschblüten verwandelten und so das Herz des Mönchs beruhigten.
5. Fude-kusa (Das Pinselgras): Als Kōbō Daishi seinen Pinsel beiseite legte, um den Mond zu betrachten, schlug das Schreibgerät Wurzeln ins Erdreich.
6. Totatezu-no Shoya (Das Haus ohne Tür): Als Kōbō Daishi für die Sicherheit eines Landbesitzers betete, der gerade ausgeraubt worden war, wurde es unmöglich für Diebe ins Haus zu gelangen, auch wenn die Tür angelweit offen stand.
7. Shiri-nashi-gai (Die fußlosen Muscheln): Im Fluss Sakase in der Nähe von Ono (Ashu) gab es Muscheln, die mit ihren spiralförmigen, scharfen Schalen immer wieder die Füße der Pilger verletzten, die durch den Fluss wateten. Nach einem Gebet Kōbō Daishis rundeten sich die Schalen ab und so konnten die Pilger unverletzt das Ufer erreichen.
Sehenswert ist auch die Decke der Haupthalle, die 1978 mit 575 Bildern bestückt worden ist, die aus ganz Japan zusammengetragen worden sind. Von Buddhas, Geishas, Blumen und Pflanzenmotiven, Tierdarstellungen, Drachenbilder, die über mehrere Felder reichen, Bildnisse berühmter Maler und sogar eine Abbildung von Marylin Monroe sind hier zu finden.
Leider sind die Lichtverhältnisse im Tempel sehr schlecht, da der Himmel grau verhangen ist. Aber wir können schon froh sein, dass es nicht regnet. Da ich so gut wie nie mit Blitzlicht fotografieren, meist ist das Fotografieren sogar verboten, kann ich leider nur etwas unscharfe Bilder von der Deckenbemalung machen, aber als Eindruck soll dies reichen. Im Pilgerbüro, am Eingang stehen wieder meine geliebten Tanuki (Marderhund) Figuren, diesmal im Mönchsgewand, fällt uns schon wieder Ossis Buch in die Hände. Diesmal mit einer Strippe gesichert, da man es zwar anschauen, aber nicht kaufen kann. Leider haben wir hier nur einen kurzen Aufenthalt, obwohl dieser Tempel viele Details birgt, die ich noch erkunden wollte, aber wenn wir heute noch bis Kap Ashisuri kommen wollen, müssen wir uns etwas sputen!
Von Bahnhof Kubokawa fahren wir mit der Tosa-kuroshio-Railway nach Nakamura und von hier mit dem Bus nach Kap Ashisuri. Im Zug macht uns eine ganze Horde von Kindern aus einem Kindergarten unsere Sitzplätze streitig. Wir rücken zusammen, da es üblich ist Kleinkindern, Schwangeren oder älteren Personen einen Platz anzubieten. Es gibt sogar sogenannte „Priority Seats“ wo diese Personengruppe Anspruch auf einen Sitzplatz erheben könnte. Da ich versuche immer höflich zu sein, springe ich schon mal unverholt auf, wenn eine ältere Dame oder Herr an mir vorbeigehen will und biete ihnen meinen Sitzplatz an.
Und wieder flitzt alles nur an mir vorbei, die schönen Landschaften, Sehenswürdigkeiten und Leute, denen ich begegnen wollte. Felsformationen mit Reistrohseil, im shintoistischen Sinne verheiratete Felsen, kleine Inseln und die ganze Atmosphäre kann ich wieder nur durch die Fensterscheibe bewundern. Da es schon spät ist, fragt der Busfahrer uns an der Endstelle, ob wir alle zur Jugendherberge wollen, da er dann noch etwas weiter in diese Richtung fahren will. Da wir zwei, es sitzt außer uns nur noch ein weiterer Ausländer im Bus, heute dort übernachten wollen, begrüßen wir das Angebot des Fahrers, uns noch über den nächsten Hügel zu fahren.
Die Jugendherberge liegt direkt neben einem Schrein. Wir checken gemeinsam mit dem Ausländer, er ist Franzose, ein. Leider gibt es kein Abendessen, aber der Herbergsvater bietet sich an, uns mit seinem Auto ins Dorf zu fahren, damit wir heute noch was zwischen die Zähne bekommen. Wir wollen aber vorher noch schnell einen Abstecher zum Tempel machen. Wenn wir heute noch einen Stempel kriegen könnten, wäre die schnelle Weiterreise morgen gesichert. Auf dem Weg zum Tempel fallen mir die Palmen, Hibiskussträucher und die fast tropisch wirkende Vegetation auf. Wir finden den Eingang zum Tempel nicht gleich, da der Weg über einen Parkplatz führt. Es schein das Gästehaus des Tempels zu sein, aber wir sehen keine einzige Person. Und auch das Tempelbüro ist schon geschlossen. Dafür haben wir eine tolle Aussicht auf den jetzt windstill liegenden Teich, in dem sich die Felsen so spiegeln, dass man nicht mehr erkennen kann was oben und was unten ist.
Exkurs Tempel Nr. 38 Kongōfukuji (金剛福寺)
„Der Tempel der ewigen Glückseeligkeit“ wurde von Kōbō Daishi mit der Unterstützung des Kaisers Saga 822 gegründet. Im 7. Jahrhundert soll ein asketischer Priester namens En no Gyoja einen Tengu (Bergkobold) ausgetrieben haben, der hier herumvagabundierte und ihn bei der Meditation störte. Ein Platz am Kap wird heute noch „Tengu no hana“ (Tengu bzw. Teufels-Nase) genannt. Am Kap Ashizuri gelegen, wird der Tempel auch kurz Ashizuri-san genannt und ist nach dem indischen Ort Potalaka (jap. Fudaruku), dem „Reinen Land Kannons“ (Paradies und Wohnsitz Kannons) nachempfunden. Dementsprechenden ist die Hauptgottheit Senju Kannon (dreigesichtige Kannon). Im 14 Jahrhundert schrieb eine Dame namens Nijō ein Buch mit dem Titel „Kagerō Nikki“, in dem sie die Legende, die sich um das „Kap des stampfenden Fußes“ (Ashizuri) rankt beschreibt: Ein junger Novize teilte sich sein Essen mit einem anderen jungen Mönch, der auf wundersame Weise im Tempel aufgetaucht war. Das missfiel aber dem Meister des Novizen, der ihm den Umgang mit dem Fremden verbot. Dies teile der Novize dem fremden Mönch mit, der wiederum lud den Novizen zu sich nach Hause zum Essen ein. Sie bestiegen also ein Boot und als der Meister, der den beiden gefolgt war, ihnen hinterher rief, wohin sie denn fahren wollten, entgegnete der mysteriöse Mönch “ins Land von Kannon“. Nun bemerkte der Meister seinen blinden Stolz, stampfe mit dem Fuß auf, so dass sich sein Fußabdruck auf den Felsen abzeichnete. Dieser Legende ist es leider auch zu verdanken, dass immer wieder Selbstmörder den Weg zum Kap finden, um nach ihrem Tod direkt ins Paradies von Kannon zu gelangen, aber auch die Vorstellung, dass man sich früher von hier mit dem Schiff auf sie Suche nach Kannons „Reinem Land“ gemacht hat, tut ein Übriges (fudaraku tokai – das Meer überqueren, um ins Paradies zu gelangen).
Es gibt im Tempel viele Steine, die an sieben Wunder von Kōbō Daishi erinnern: Yurugi-Ishi (ゆるぎ石; unerschütterliche Fels), Kame-Ishi (亀石; Schildkrötenfels), Chikara-no-Ishi (力の石; Felsen der Kraft), Kame-yobi-Ba (亀呼び場; Ort der rufenden Schildkröte), Ryuutoo-no Matsu (竜灯の松; Kiefer des Meeresleuchten) Tatsu-no-Koma (竜の駒; Drachenpony), Meigoo-no Iwa (名号の岩; Amitaba Felsen). Zu den Tempelschätzen zählt auch eine Schriftrolle, die „Kōya Kōjō Zuga“ genannt wird und auf 10 Bildern das Leben Kōbō Daishis erzählt. Außerhalb des Tempels befinden sich ein Leuchtturm und das Denkmal zu Ehren von John Manjirō, dem ersten japanischen Immigranten, der im 18. Jahrhundert in Amerika eingewandert war. Nachdem er 1841 Schiffbruch erlitten hatte, wurde er von einem amerikanischen Wallfänger mit nach Connecticut genommen, da er zur damaligen Zeit, Japan hatte sich per Gesetz der übrigen Welt verschlossen, nicht in seine Heimat zurückkehren durfte. Er blieb ca.10 Jahren in Amerika, wo er die Englische Sprache und den „Westlichen Lebensstil“ erlernte. 1852 erzwang der amerikanische Kommodore Perry mit seinen Schwarzen Schiffen die Öffnung Japans für Ausländer. Im Zuge dieser Entwicklungen brach die sogenannte Bafuku Regierung bzw. das herrschende Shogunat der Tokugawa in Japan zusammen und unter dem neueneingesetzten Kaiser Meiji, öffnete sich Japan nicht nur dem Westen, sondern zog vermehrt ausländisches Wissen und Technologie ins Land. 1852 durfte John Manjiroo nach Japan zurückkehren und wurde aufgrund seiner Sprachkenntnisse und Vertrautheit mit den westlichen Geflogenheiten Mitglied der ersten diplomatischen Delegation, die nach Amerika reiste.
Es ist ein toller Anblick so in der Abendsonne, die dann doch noch rausgekommen ist. Die roten Wächterfiguren im Haupttor, das wir schließlich doch finden, scheinen im Licht zu glühen. Wir drehen noch eine Runde ums Kap und auch hier begegnet uns schon wieder ein Standbild eines Japaners, der (wie wir oben erfahren haben) John Manjiro heißt.
Wir nehmen den Herbergsvater beim Wort und er fährt uns, der Franzose wollte auf eigene Faust sein Glück suchen, durchs Dorf auf der Suche nach Essbarem. Leider schein jede Kneipe und jedes Hotel in der Gegend heute geschlossen zu haben. Erfolglos rollen wir mit dem Auto den Berg herunter. Da - ein Lebensmittelgeschäft, der Herbergsvater bleibt mir laufendem Motor davor stehen, eine Marotte, die ich bei den derzeitigen Ölpreise nicht verstehen kann, zumal die Klimaanlage bei den momentanen Temperaturen wohl nicht nötig ist. Wir treffen im Laden den Franzosen, ausgestattet mit einer Würzreismischung und großen Mochi (Stampfreiskugeln mit süßer Bohnenmussfüllung) treten wir gemeinsam den Rückweg an. Hajo zieht sich noch ne Buddel Bier aus dem Automaten, da der Laden komischer Weise kein Bier verkauft. Wir treffen uns im Essraum wieder, doch vorher fragen wir, ob wir vielleicht Teller und Gläser bekommen könnten. Hajo klönt mit dem Franzosen und ich frage mich, wie ich unseren Raum heizen kann. Wir haben hier nicht nur eine Klimaanlage, die ich anfangs nicht zum Laufen bekomme, sondern auch einen Kotatsu. Früher war ein Kotatsu eine in ein Loch im Boden versenkbare Kohlepfanne über der ein niedriger Esstisch gestellt wurde. Man konnte seine Beine unter der Steppdecke, die über dem Gestell und unter der darüberliegenden Tischplatte lag, stecken. Heutzutage ist im Tischgestell ein kleiner Elektroofen angebracht, aber auch heute wärmt der vor allem die Beine.
Ich versuche den Tatami Raum mit dem Kotatsu, den ich auf die Seite gelegt habe, damit der die Wärme in den Raum abstrahlt, und der Klimaanlage zu erwärmen. Aber die Klimaanlage gibt nichts außer kalter Luft von sich. Ich frage noch beim Herbergsvater nach, der gerade mit seiner Familie zu Abend isst, welche Einstellung ich wählen soll, da alles in Japanisch geschrieben ist. Aber ich soll nur Geduld haben, da es etwas dauert bis diese alte Klimaanlage auf Temperatur kommt. Nachdem Hajo und ich gebadet haben, die Temperatur im Raum ist auch erträglich geworden, besprechen wir unsere Pläne für den nächsten Tag. Da wir den
Pilgerbucheintrag erst ab 8.00 Uhr bekommen können, vorher macht eigentlich kein Büro auf, und der Bus aber zur gleichen Zeit von hier losfährt, muss jemand den Bus aufhalten während der andere zum Pilgerbüro rennt, um die Einträge zu holen. „Entweder ich oder Du, einer von uns musst den Bus aufhalten“, erklärt mir Hajo. Da sind wir schon viel zu schnell und hetzen immer noch wie vom Teufel gejagt durch Shikoku und jetzt soll ich auch noch den Kasper spielen, damit wir den ersten Bus nehmen können? Nee, mit tränenerstickter Stimme erkläre ich, so gut es mir möglich ist: „Ab morgen sind wir getrennte Leute. Ich bin zum Pilgern nach Japan gekommen, nicht um mit dem Bus zu fahren“. Hajo beschwichtigt, dass er ab Tempel Nr. 41 wieder wandern will, aber er hatte auch gesagt, dass er sich in Kochi ausruhen wollte. Nein, ich hab gesehen, dass er sich ganz gut auf Englisch durchfragen kann und eigentlich braucht er mich nicht. Das ist mein Traumurlaub, diese Chance als Pilger die Route zu laufen bekomme ich vermutlich nie wieder!
Kein Wort mehr, jeder widmet sich der Sache, die er bis eben gemacht hat. Man geht wortlos zu Bett und schläft ein…
Wir stehen heute um 7.00 Uhr auf, da wir uns mit dem Engländer zum Frühstück verabredet haben. Zum Frühstück gibt es leider nur Tee, keinen Kaffee. Hajo klönt noch mit den jungen Engländer und geht nach dem Frühstück noch kurz ins Internet, da Herr Ikegawa, wie der Hotelbesitzer heißt, uns gegen 9.00 Uhr zur nächsten Bushaltestelle fahren will. Das ist doch Service – nicht dass man nur hochgekarrt wird, nein – jetzt hilft er uns auch noch auf dem schnellsten Weg zurück. Ich hatte eigentliche gedacht, dass er uns hier am Ende der Brücke am Skyline-iriguchi Bus Stopp wieder rauslassen würde, aber er fährt noch ein ganzes Stück die Yokonami, eine Küstenstraße durch den Yokonami National Park, entlang. Er zeigt uns eine Henrohütte, die kurz hinter der Usa-Ohashi Brücke steht. Die hat er gespendet, verkündet er uns stolz, sie ist sogar mit Tatami Matten ausgestattet. Er erklärt uns, dass die Weiterreise ab hier eigentlich mit dem Schiff erfolgen sollte, da das die traditionelle Weise ist, wie man früher, als die ganzen Brücken und Straßen noch nicht gebaut waren, zum nächsten Tempel gereist ist. Jetzt auch noch Seekrank werden, dazu habe ich keine Lust, obwohl ich sonst immer für die traditionelle Weise zu begeistern bin. Aber da wir ohnehin mit dem Bus vorankommen, spielt das dann wohl auch keine Rolle. Ich will die Tour nicht schnell hinter mich bringen, sondern das Pilgern genießen, ich will Erfahrungen machen und von der Landschaft berührt werden! Hajo hat gestern noch mit dem Engländer erörtert, dass er als Marathonläufer das Loch ab Kilometer 35 kennt, toll – ich aber nicht. Vielleicht will ich gerade diese Erfahrung hier machen und meinen inneren Schweinehund bezwingen, das soll hier doch keine Spritztour werden, sondern eine Pilgerreise!
Es ist bewölkt und einige Regentopfen fallen aus dem grauen Himmel. Auf die Wale angesprochen, in Hafen von Usa gibt es einen Aussichtpunkt für „Whale Watching“, erklärt uns Herr Ikegawa die üblichen Ausreden, die Japaner im Bezug auf Walfang haben. Aber die Jagd zu Forschungszwecken wird nicht aufgegriffen, nein – die dichte Population an Walen soll den Japanern die Fische wegfressen. Früher war die Bezeichnung für „Wal“ das gleiche Wort wie für „Essen“ bzw.“ Mahlzeit“, erklärt er uns. Ich weiß nicht warum Japaner bei diesem Thema immer so empfindlich reagieren. Aber es wird als japanisches Privileg gesehen, Walfleisch zu essen, dabei mag die junge Generation das Notessen, was es nach dem Krieg war, gar nicht. Es sind eigentlich nur die Alten, die noch stur an der Tradition festhalten. Man kann nur das Ernten, was im Überfluss vorhanden ist. Ich verzichte auch auf meine heißgeliebte Scholle, seit ich gehört habe, dass die Bestände überfischt sind. Mal ganz davon abgesehen, dass ich nicht verstehe wie ein so naturbezogenes Volk wie die Japaner alle Warnungen in den Wind schießen können. Aber das ist wohl Teil der japanischen Kultur – Gegensätze überwinden: Hier Moderne – da Tradition, hier Zen und Buddhismus da Technik und Internet, hier beheizbare und ferngesteuerte Toiletten – da Plumpsklos, die nicht einmal mehr „plumps“ machen, weil es keine Grub gibt!
Endlich haben wir die Bushaltestelle erreicht. Wir bedanken uns für die Gastfreundschaft und Herr Ikegawa wünscht uns noch eine gute Reise. Da dieser Busbahnhof, oder ist es eine Haltestelle, nicht in unserem Kartenmaterial verzeichnet ist, hätten wir ihn ohne die Hilfe von Herrn Ikegawa gar nicht erst gefunden. Aber wir haben doppeltes Glück, da heute der letzter Tag ist, an der diese Buslinie offiziell noch fährt. Mehr kriegen wir aus dem Busfahrer leider nicht raus, so z.B. ob es der allerletzte Tag ist oder ob es nur für die Saison der letzte ist und die Linien im Herbst wieder gefahren wird. Auf alle Fälle geht es bis zur Bahnstation Susaki Station, da in der Nähe der Bangai Tempel Nr. 5 liegt, den wir besuchen wollen.
Ab hier sind es noch so ca. 3 km, die wir durchs Wohngebiet laufen müssen, der
Bangai Tempel Daizenji liegt hier auf einem Hügel. Wir passieren die „Kawabata Symbol Road„, hier ist am Straßenrand ein richtiger kleiner Park mit Flusslauf und Kirschbäumen angelegt. Ich nehme mir fest vor, auf der Rücktour ein paar Fotos zu machen, da Hajo ein derartiges Tempo vorlegt, als würden ihn japanische Oni (Teufel) jagen. Der Tempel ist mit so einer Art Fahrstuhl zu erreichen, aber wenn man ein Stückchen weiter um die Ecke läuft, kann man auch die Stufen zum Tempel benutzen. Da wir noch nicht allzu lädiert sind, Hajos Bein ist in medikamentöser Behandlung, nehmen wir die paar Stufen gerne in Kauf.
Exkurs Bangai Tempel Nr. 5 Daizenji (大善寺)
„Der Tempel der großen Tugend“ wurde von Kōbō Daishi gegründet und ist der einzige Tempel auf der Pilgertour, der Kōbō Daishi als Hauptgottheit (Honzon) geweiht ist. Viele Gebäude sind erneuert worden, deshalb wirkt der Tempel relativ frisch und hell. Vor allem die Daishi-Halle (Dashi-dō) ist neu und liegt jetzt am Fuße des Berges. Es gibt hier sogar eine Art Lift, der auch diejenigen zur Halle bringt, die die wenigen Stufen bis dahin nicht steigen können. Mitten im Wohngebiet, auf einer Anhöhe liegend, hat man einen tollen Ausblick über die Bucht.
Der Tag ist noch jung. Es ist zwar zu früh, um Mittag zu essen, aber da wir nicht wissen, wann wir die nächste Gelegenheit haben „Nabeyaki Ramen“ zu probieren, kehren wir in eine kleine Kneipe ein. Nabeyaki Ramen, so sagt unser Pilgerführer, wird nur in Susaki City serviert. Es ist eine Ramen Nudelsuppe, also chinesische, dünne Weizennudeln in Hühnerbrühe mit grünen Zwiebeln, Fischwurst (kamaboko) und einem rohen Ei. Ja, richtig gehört, der Genuss von rohen Eiern ist in Japan durchaus üblich. Als Dipp beim Sukiyaki (japanisches Fondue) oder um den Frühstücksreis schmackhafter zu machen. Obwohl ich zugeben muss, dass das Ei meist gerinnt, da die Suppe extrem heiß in einem Steinguttopf serviert wird. Da wir den Namen des Gerichts kennen, welches wir essen wollen, haben wir mit der Bestellung weniger Schwierigkeiten, dann schon eher beim Essen der wirklich heißen Spezialität.
Zurück am Susaki Bahnhof wollen wir mit der JR Dosan Linie bis Kubokawa fahren, hier liegt Tempel Nr. 37 direkt um die Ecke. Es beginnt mal wieder das Spiel mit den Fahrkarten – Express oder Local Train, 1600 Yen oder 530 Yen – zwar können wir unsere Expresskarten mal wieder umtauschen, verlieren aber satte 1,5 Stunden durch das Warten.
Exkurs Tempel Nr. 37 Iwamotoji (岩本寺)
„Der Tempel des steinigen Weges“ bestand ursprünglich aus 7 Tempeln, die von Gyōgi auf Geheiß des Kaisers Shōmu im 8. Jahrhundert unter dem Namen „Niida“ gegründet worden sind. Niida heißt noch heute der Fluss, der in der Nähe fließt. Damals hieß der zentrale Tempel Fuku Enmanji (福円満寺; Tempel des vollständigen Glücks). Die Zahl 7 spielt hier eine besondere Rolle: Gyōgi wollte hier den sieben Formen des Leidens den sieben Formen des Glücklichseins gegenüberstellen. Zwischen 810 und 823 baute Kōbō Daishi hier weitere Gebäude, die er mit selbst geschnitzten Statuen von Amida Nyorai, Kannon Bosatsu, Fudō Myōō, Yakushi Nyorai und Jizō Bosatsu ausstattete. Ein bekannter japanischer Spruch lautet:
Fudō, um den Einfluss des Bösen zu entkommen,
Kannon für das Glück,
Jizō kümmert sich um die Kinder,
Amida für das zukünftige Leben,
Yakushi, um das Böse zu besiegen.
Aber auch alle diese Buddhas und Bosatsus konnten nicht verhindern, dass die Gebäude im 16. Jahrhundert von Chōsokabe Truppen niedergebrannt wurden. Erst mit der Hilfe des obersten Priesters aus dem Tempel Nr. 38 (Kongfukuji) konnte er wiederaufgebaut und umbenannt werden.1867 brannte er abermals nieder, wurde 1869 unter dem Gesetzt zur Trennung von Buddhismus und Shintoismus geschlossen, aber schon 1890 mit der Vereinigung aller Statuen in einem gemeinsamen Hondō (Haupthalle) wiedereröffnet. Der ursprüngliche Niida-Tempel stand früher am Shimanto Fluss, an der Stelle, wo heute der Takaoka Schrein steht. Der Shimanto Fluss ist der längst auf Shikoku und der einzige seiner Größe in Japan, der nicht eingedämmt worden ist. Der Legende nach soll Kōbō Daishi hier 7 Wunder vollbracht haben, die wie folgt benannt werden:
1. Sando-kuri (dreimalig Kastanien): Als Kōbō Daishi hier einen weinenden Jungen traf, der keine Kastanien pflücken konnte, sang der Mönch ein Lied und fortan konnten drei Ernten pro Jahr die Einwohner erfreuen.
2. Koyasu-zakura (Kirschblüte für eine leichte Geburt): Kōbō Daishi traf eine schwangere Frau unter einem Kirschbaum, deren Niederkunft schwierig zu werden schien. Er betete also und schlug am Waschbecken des Tempels den Boden der Schöpfkelle heraus. Die Frau hat eine komplikationslose und leichte Geburt.
3. Kuchi-nashi Hiru (Die mundlose Egel): Durch Gebete von Kōbō Daishi verwandelten sich Blutegel, die sonst die Pilger gequält hatten, in mundlose Würmer.
4. Sakura-gai (Die Kirschblüten Muscheln): Kōbō Daishi weinte, als er in den Tempel kam, um das Fallen der Kirschblüten zu sehen, das sie in diesem Jahr schon früher verblüht waren. Der Drachengott der See schickte Muscheln, die, als sie die Erde berührten, sich in Kirschblüten verwandelten und so das Herz des Mönchs beruhigten.
5. Fude-kusa (Das Pinselgras): Als Kōbō Daishi seinen Pinsel beiseite legte, um den Mond zu betrachten, schlug das Schreibgerät Wurzeln ins Erdreich.
6. Totatezu-no Shoya (Das Haus ohne Tür): Als Kōbō Daishi für die Sicherheit eines Landbesitzers betete, der gerade ausgeraubt worden war, wurde es unmöglich für Diebe ins Haus zu gelangen, auch wenn die Tür angelweit offen stand.
7. Shiri-nashi-gai (Die fußlosen Muscheln): Im Fluss Sakase in der Nähe von Ono (Ashu) gab es Muscheln, die mit ihren spiralförmigen, scharfen Schalen immer wieder die Füße der Pilger verletzten, die durch den Fluss wateten. Nach einem Gebet Kōbō Daishis rundeten sich die Schalen ab und so konnten die Pilger unverletzt das Ufer erreichen.
Sehenswert ist auch die Decke der Haupthalle, die 1978 mit 575 Bildern bestückt worden ist, die aus ganz Japan zusammengetragen worden sind. Von Buddhas, Geishas, Blumen und Pflanzenmotiven, Tierdarstellungen, Drachenbilder, die über mehrere Felder reichen, Bildnisse berühmter Maler und sogar eine Abbildung von Marylin Monroe sind hier zu finden.
Leider sind die Lichtverhältnisse im Tempel sehr schlecht, da der Himmel grau verhangen ist. Aber wir können schon froh sein, dass es nicht regnet. Da ich so gut wie nie mit Blitzlicht fotografieren, meist ist das Fotografieren sogar verboten, kann ich leider nur etwas unscharfe Bilder von der Deckenbemalung machen, aber als Eindruck soll dies reichen. Im Pilgerbüro, am Eingang stehen wieder meine geliebten Tanuki (Marderhund) Figuren, diesmal im Mönchsgewand, fällt uns schon wieder Ossis Buch in die Hände. Diesmal mit einer Strippe gesichert, da man es zwar anschauen, aber nicht kaufen kann. Leider haben wir hier nur einen kurzen Aufenthalt, obwohl dieser Tempel viele Details birgt, die ich noch erkunden wollte, aber wenn wir heute noch bis Kap Ashisuri kommen wollen, müssen wir uns etwas sputen!
Von Bahnhof Kubokawa fahren wir mit der Tosa-kuroshio-Railway nach Nakamura und von hier mit dem Bus nach Kap Ashisuri. Im Zug macht uns eine ganze Horde von Kindern aus einem Kindergarten unsere Sitzplätze streitig. Wir rücken zusammen, da es üblich ist Kleinkindern, Schwangeren oder älteren Personen einen Platz anzubieten. Es gibt sogar sogenannte „Priority Seats“ wo diese Personengruppe Anspruch auf einen Sitzplatz erheben könnte. Da ich versuche immer höflich zu sein, springe ich schon mal unverholt auf, wenn eine ältere Dame oder Herr an mir vorbeigehen will und biete ihnen meinen Sitzplatz an.
Und wieder flitzt alles nur an mir vorbei, die schönen Landschaften, Sehenswürdigkeiten und Leute, denen ich begegnen wollte. Felsformationen mit Reistrohseil, im shintoistischen Sinne verheiratete Felsen, kleine Inseln und die ganze Atmosphäre kann ich wieder nur durch die Fensterscheibe bewundern. Da es schon spät ist, fragt der Busfahrer uns an der Endstelle, ob wir alle zur Jugendherberge wollen, da er dann noch etwas weiter in diese Richtung fahren will. Da wir zwei, es sitzt außer uns nur noch ein weiterer Ausländer im Bus, heute dort übernachten wollen, begrüßen wir das Angebot des Fahrers, uns noch über den nächsten Hügel zu fahren.
Die Jugendherberge liegt direkt neben einem Schrein. Wir checken gemeinsam mit dem Ausländer, er ist Franzose, ein. Leider gibt es kein Abendessen, aber der Herbergsvater bietet sich an, uns mit seinem Auto ins Dorf zu fahren, damit wir heute noch was zwischen die Zähne bekommen. Wir wollen aber vorher noch schnell einen Abstecher zum Tempel machen. Wenn wir heute noch einen Stempel kriegen könnten, wäre die schnelle Weiterreise morgen gesichert. Auf dem Weg zum Tempel fallen mir die Palmen, Hibiskussträucher und die fast tropisch wirkende Vegetation auf. Wir finden den Eingang zum Tempel nicht gleich, da der Weg über einen Parkplatz führt. Es schein das Gästehaus des Tempels zu sein, aber wir sehen keine einzige Person. Und auch das Tempelbüro ist schon geschlossen. Dafür haben wir eine tolle Aussicht auf den jetzt windstill liegenden Teich, in dem sich die Felsen so spiegeln, dass man nicht mehr erkennen kann was oben und was unten ist.
Exkurs Tempel Nr. 38 Kongōfukuji (金剛福寺)
„Der Tempel der ewigen Glückseeligkeit“ wurde von Kōbō Daishi mit der Unterstützung des Kaisers Saga 822 gegründet. Im 7. Jahrhundert soll ein asketischer Priester namens En no Gyoja einen Tengu (Bergkobold) ausgetrieben haben, der hier herumvagabundierte und ihn bei der Meditation störte. Ein Platz am Kap wird heute noch „Tengu no hana“ (Tengu bzw. Teufels-Nase) genannt. Am Kap Ashizuri gelegen, wird der Tempel auch kurz Ashizuri-san genannt und ist nach dem indischen Ort Potalaka (jap. Fudaruku), dem „Reinen Land Kannons“ (Paradies und Wohnsitz Kannons) nachempfunden. Dementsprechenden ist die Hauptgottheit Senju Kannon (dreigesichtige Kannon). Im 14 Jahrhundert schrieb eine Dame namens Nijō ein Buch mit dem Titel „Kagerō Nikki“, in dem sie die Legende, die sich um das „Kap des stampfenden Fußes“ (Ashizuri) rankt beschreibt: Ein junger Novize teilte sich sein Essen mit einem anderen jungen Mönch, der auf wundersame Weise im Tempel aufgetaucht war. Das missfiel aber dem Meister des Novizen, der ihm den Umgang mit dem Fremden verbot. Dies teile der Novize dem fremden Mönch mit, der wiederum lud den Novizen zu sich nach Hause zum Essen ein. Sie bestiegen also ein Boot und als der Meister, der den beiden gefolgt war, ihnen hinterher rief, wohin sie denn fahren wollten, entgegnete der mysteriöse Mönch “ins Land von Kannon“. Nun bemerkte der Meister seinen blinden Stolz, stampfe mit dem Fuß auf, so dass sich sein Fußabdruck auf den Felsen abzeichnete. Dieser Legende ist es leider auch zu verdanken, dass immer wieder Selbstmörder den Weg zum Kap finden, um nach ihrem Tod direkt ins Paradies von Kannon zu gelangen, aber auch die Vorstellung, dass man sich früher von hier mit dem Schiff auf sie Suche nach Kannons „Reinem Land“ gemacht hat, tut ein Übriges (fudaraku tokai – das Meer überqueren, um ins Paradies zu gelangen).
Es gibt im Tempel viele Steine, die an sieben Wunder von Kōbō Daishi erinnern: Yurugi-Ishi (ゆるぎ石; unerschütterliche Fels), Kame-Ishi (亀石; Schildkrötenfels), Chikara-no-Ishi (力の石; Felsen der Kraft), Kame-yobi-Ba (亀呼び場; Ort der rufenden Schildkröte), Ryuutoo-no Matsu (竜灯の松; Kiefer des Meeresleuchten) Tatsu-no-Koma (竜の駒; Drachenpony), Meigoo-no Iwa (名号の岩; Amitaba Felsen). Zu den Tempelschätzen zählt auch eine Schriftrolle, die „Kōya Kōjō Zuga“ genannt wird und auf 10 Bildern das Leben Kōbō Daishis erzählt. Außerhalb des Tempels befinden sich ein Leuchtturm und das Denkmal zu Ehren von John Manjirō, dem ersten japanischen Immigranten, der im 18. Jahrhundert in Amerika eingewandert war. Nachdem er 1841 Schiffbruch erlitten hatte, wurde er von einem amerikanischen Wallfänger mit nach Connecticut genommen, da er zur damaligen Zeit, Japan hatte sich per Gesetz der übrigen Welt verschlossen, nicht in seine Heimat zurückkehren durfte. Er blieb ca.10 Jahren in Amerika, wo er die Englische Sprache und den „Westlichen Lebensstil“ erlernte. 1852 erzwang der amerikanische Kommodore Perry mit seinen Schwarzen Schiffen die Öffnung Japans für Ausländer. Im Zuge dieser Entwicklungen brach die sogenannte Bafuku Regierung bzw. das herrschende Shogunat der Tokugawa in Japan zusammen und unter dem neueneingesetzten Kaiser Meiji, öffnete sich Japan nicht nur dem Westen, sondern zog vermehrt ausländisches Wissen und Technologie ins Land. 1852 durfte John Manjiroo nach Japan zurückkehren und wurde aufgrund seiner Sprachkenntnisse und Vertrautheit mit den westlichen Geflogenheiten Mitglied der ersten diplomatischen Delegation, die nach Amerika reiste.
Es ist ein toller Anblick so in der Abendsonne, die dann doch noch rausgekommen ist. Die roten Wächterfiguren im Haupttor, das wir schließlich doch finden, scheinen im Licht zu glühen. Wir drehen noch eine Runde ums Kap und auch hier begegnet uns schon wieder ein Standbild eines Japaners, der (wie wir oben erfahren haben) John Manjiro heißt.
Wir nehmen den Herbergsvater beim Wort und er fährt uns, der Franzose wollte auf eigene Faust sein Glück suchen, durchs Dorf auf der Suche nach Essbarem. Leider schein jede Kneipe und jedes Hotel in der Gegend heute geschlossen zu haben. Erfolglos rollen wir mit dem Auto den Berg herunter. Da - ein Lebensmittelgeschäft, der Herbergsvater bleibt mir laufendem Motor davor stehen, eine Marotte, die ich bei den derzeitigen Ölpreise nicht verstehen kann, zumal die Klimaanlage bei den momentanen Temperaturen wohl nicht nötig ist. Wir treffen im Laden den Franzosen, ausgestattet mit einer Würzreismischung und großen Mochi (Stampfreiskugeln mit süßer Bohnenmussfüllung) treten wir gemeinsam den Rückweg an. Hajo zieht sich noch ne Buddel Bier aus dem Automaten, da der Laden komischer Weise kein Bier verkauft. Wir treffen uns im Essraum wieder, doch vorher fragen wir, ob wir vielleicht Teller und Gläser bekommen könnten. Hajo klönt mit dem Franzosen und ich frage mich, wie ich unseren Raum heizen kann. Wir haben hier nicht nur eine Klimaanlage, die ich anfangs nicht zum Laufen bekomme, sondern auch einen Kotatsu. Früher war ein Kotatsu eine in ein Loch im Boden versenkbare Kohlepfanne über der ein niedriger Esstisch gestellt wurde. Man konnte seine Beine unter der Steppdecke, die über dem Gestell und unter der darüberliegenden Tischplatte lag, stecken. Heutzutage ist im Tischgestell ein kleiner Elektroofen angebracht, aber auch heute wärmt der vor allem die Beine.
Ich versuche den Tatami Raum mit dem Kotatsu, den ich auf die Seite gelegt habe, damit der die Wärme in den Raum abstrahlt, und der Klimaanlage zu erwärmen. Aber die Klimaanlage gibt nichts außer kalter Luft von sich. Ich frage noch beim Herbergsvater nach, der gerade mit seiner Familie zu Abend isst, welche Einstellung ich wählen soll, da alles in Japanisch geschrieben ist. Aber ich soll nur Geduld haben, da es etwas dauert bis diese alte Klimaanlage auf Temperatur kommt. Nachdem Hajo und ich gebadet haben, die Temperatur im Raum ist auch erträglich geworden, besprechen wir unsere Pläne für den nächsten Tag. Da wir den
Pilgerbucheintrag erst ab 8.00 Uhr bekommen können, vorher macht eigentlich kein Büro auf, und der Bus aber zur gleichen Zeit von hier losfährt, muss jemand den Bus aufhalten während der andere zum Pilgerbüro rennt, um die Einträge zu holen. „Entweder ich oder Du, einer von uns musst den Bus aufhalten“, erklärt mir Hajo. Da sind wir schon viel zu schnell und hetzen immer noch wie vom Teufel gejagt durch Shikoku und jetzt soll ich auch noch den Kasper spielen, damit wir den ersten Bus nehmen können? Nee, mit tränenerstickter Stimme erkläre ich, so gut es mir möglich ist: „Ab morgen sind wir getrennte Leute. Ich bin zum Pilgern nach Japan gekommen, nicht um mit dem Bus zu fahren“. Hajo beschwichtigt, dass er ab Tempel Nr. 41 wieder wandern will, aber er hatte auch gesagt, dass er sich in Kochi ausruhen wollte. Nein, ich hab gesehen, dass er sich ganz gut auf Englisch durchfragen kann und eigentlich braucht er mich nicht. Das ist mein Traumurlaub, diese Chance als Pilger die Route zu laufen bekomme ich vermutlich nie wieder!
Kein Wort mehr, jeder widmet sich der Sache, die er bis eben gemacht hat. Man geht wortlos zu Bett und schläft ein…
Montag, 30.03.09, Kōchi, Engyojiguchi, Jugendherberge Sakenokuni
Der 15. Tag in Japan
Um 7.00 Uhr ist heute Aufstehen und Packen angesagt. Die Sonne scheint schon, ich hoffe dass der heutige Tag etwas wärmer wird als der gestrige. Zum Frühstück gibt es heute mal Kaffee, da es gestern spät geworden ist. Wir haben die Route kalkuliert und sind zum dem Schluss gekommen, dass wenn alles so weiterläuft, wir schon Ende April wieder in Naruto sein könnten. Eine Idee, die mir gar nicht behagt, da ich noch nicht weiß, ob ich umbuchen kann bzw. wenn nicht, was ich dann in Japan besuchen könnte und ob es nicht ein allzu großes Loch in meine Finanzen reißt. Wir verabschieden uns recht herzlich von unserem netten Herbergsvater. Er hat uns sehr mit seinen Karten und Tipps für die Busanfahrt zu den Tempeln geholfen. Wir müssen heute unbedingt einen Geldautomaten finden, der unsere Karten akzeptiert. Hierzu wollen wir das Postamt besuchen und danach unsere Reise fortsetzen. Wenn alles gut läuft, wollen wir Tempel Nr. 35 und 36 besuchen.
Schon auf der Straße vor der Jugendherberge erhalten wir unser erstes Osettai (Pilgergeschenk), Schokoladentäfelchen von einer Radfahrerin, die gerade an uns vorbeifahren will. Der Tag fängt ja gut an, denke ich so bei mir, wenn wir jetzt noch an Bargeld kommen ohne eine Bank überfallen zu müssen, ist der Tag gerettet. Am Bahnhof Engyojiguchi essen wir unsere Schokotäfelchen, die würde bei Witterung, es ist sonnig und windstill, ohnehin nur weich werden. Vom Bahnsteig aus kann ich eine große Kannon Statue in der Ferne sehen, zu welchem Tempel die wohl gehört? Pünktlich stehen wir vor dem Hauptpostamt in Kochi, die Tür zu den ATM Automaten wird etwas früher geöffnet, als die Postschalter. Und oh Wunder – nein Kōbō Daishi sei Dank – die ATMs schlucken nicht nur unsere Kreditkarten, sondern spucken sogar japanische Yen Scheine aus! Die weitere Reise ist gesichert. Ich mache noch einen kurzen Abstecher ins Postamt, um einige Prospekte und Unterlagen zwecks Übergewicht nach Hause zu schicken. Man geht ja davon aus, dass man in jedem Postamt auch Umschläge für das kaufen kann, was man wegschicken will, aber leider nicht hier. Ich springe also zurück auf die Straße, vorher erkläre ich Hajo, dass ich schnell noch einen Umschlag kaufen muss. Mir rattert das Gehirn, wo habe ich heute einen Kombini gesehen? Ich laufe die Straße rauf und wieder runter. Im Hauptbahnhof müsste es doch einen 24-Stunden-Markt geben. Hier kaufe ich ein Zehnerpack Umschläge, die leider viel zu klein sind, was mir aber erst im Postamt auffällt. Als ich wieder im Schalterraum stehe und mit meinem gebrochenen Japanisch erneut erkläre, diese Prospekte nach Doitsu (Deuchland) schicken zu wollen, gibt es auf einmal doch große Kuverte. Das sind aber keine Umschläge (fudō), sondern Verpackungen für Pakete, klärt mich eine der drei Postangestellten auf, die sich am Schalter versammelt haben, um ihrer Kollegin, die ich angesprochen hatte, zu unterstützen. Wenn ein Ausländer ein Postamt betritt, ist immer derjenige der Doofe, der etwas Englisch spricht, aber meist rotten sich mehrere Personen zusammen, die dann kichernd im Hintergrund den oder die Mutigste vorschicken, den Gaijin (Ausländer) zu bedienen. Das Ende vom Lied ist, dass ich 1800 Yen Porto für ein paar Broschüren berappen muss, da mir bei dem ganzen Hickhack nicht einfällt, die Sachen per Seepost (funebin) zu schicken. Ich war dermaßen mit dem Ausfüllen des Zoll- bzw. Ausfuhrformulars beschäftigt, dass ich weder nach der günstigsten Möglichkeit gefragt noch sie angekreuzt habe. Ich kaufe dann noch 10 Briefmarken für Postkarten (ich hatte am Kap Muroto einige schöne Postkarten gekauft). Es könnte alle so einfach sein, wenn man vorher wissen würde, wie der Hase läuft. So muss man sich umständlich durchfragen. Aber unser weiterer Weg ist schon geplant: Wir laufen zurück zum Hauptbahnhof, essen noch beim Bäcker ein „Teilchen“ und setzen uns in die Wartehalle des Busbahnhofs, der auf der Rückseite (der Innenstadt abgewandten Seite) liegt. Eigentlich wollten wir am Takaoka-eigyoosho Bus Stopp aussteigen, aber der Bus fährt noch näher an den Tempel Nr. 35 ran.
Da wir nicht genau wissen, wo wir hier sind, fragen wir fast jeden, den wir treffen nach dem Tempel. Wir passieren einen Lawson Kombini, vorbei an einem „Mos Burger“ Restaurant, das ist so eine Art japanischer McDoof, bei dem eigentlich Reis-Burger verkauft werden, die sich dadurch auszeichnen, dass sie nicht warmgehalten, sondern frisch zubereitet werden. MOS ist die Abkürzung für die englischen Worte Moon (Mond), Ocean (Meer) und Sun (Sonne). Wir fragen bei einem Reifenhändler, ob wir unsere Rucksäcke unterstellen dürfen. Von hier glauben wir, den Tempel am Berghang schon sehen zu können, aber da es hier viele Tempel gibt, heißt das noch lange nicht, dass es auch Tempel Nr. 35 ist.
Während der Anstieg anfangs noch recht gemächlich ist, nimmt die Schwierigkeit des Trail hinter einer Brücke unter dem Kochi Expressway (Autobahn) doch merklich zu. Hajo nimmt zwar jetzt Medikamente für sein überlastetes Bein, doch geschont hat er es nicht und der Weg zum Tempel ist auch kein Zuckerschlecken.
Exkurs Tempel Nr. 35 Kiyotakiji (清滝寺)
„Der Tempel des reinen Wasserfalls“ wurde im frühen 8. Jahrhundert (723) von Gyōgi gegründet, damals hieß der Tempel noch Keizanmitsuin Taku-mokuji. Yakushi Nyorai gewidmet, hat Gyōgi auch dessen Statue geschnitzt. Knapp ein Jahrhundert später kam Kōbō Daishi hierher, um sein religiöses Training fortzuführen. Am Ende einer 7-tägigen Fastenperiode soll der Daishi mit seinem Stock gegen den Altar gestoßen sein und siehe da – Wasser rann aus dem Boden, welches einen kleinen Teich bildete. Der Tempel erhielt nun seinen neuen Namen und die Quelle sprudelt noch heute (sie liegt rechts hinter der Haupthalle und ist auf keinem Schild eingetragen). 848 kam Prinz Takaoka, auch bekannt unter seinem Mönchsnamen Shinyo Shinnō, dritter Sohn des damaligen Kaisers Heizei und einer der 10 Schüler Kōbō Daishis, hierher. Der Prinz soll in eine Verschwörung verstrickt gewesen sein, wurde seiner Privilegien beraubt und vom Hofe verstoßen. Die unabwendbare Verbannung wartete er nicht ab, sondern reiste nach Shikoku, wo er diesen Tempel zu seinem Ahnentempel (bodasiho) erklärte und eine „5-Fuß-5-Stockwerke Pagode“, sowie ein Monument, das Gayakushu-to genannt wird, erbaute. Als treuer Schüler von Kōbō Daishi, wollte er nach Indien reisen, um die Ursprünge des Buddhismus zu studieren, aber auf dem Weg dorthin starb er in Indochina. Eine Legende besagt, er sei in Laos von einem Tiger gefressen worden, doch seine Seele verblieb in der Pagode dieses Tempels und beschützt diesen vor Unglück.
Der Weg zum Tempeltor wird „hacchōzaka“ („Anstieg der 880 m“) genannt. Das Tempeltor wurde vom Künstler Kubo Nansō (1868-1912) mit einem Drachenbild (kōryuuzu) versehen. Hier stehen auch 8 besondere Jizō Statuen. 1933 wurde vor den beiden Tempelhallen eine 15 m hohe Yakushi Nyorai Statue erbaut, die im Sockel einen schmalen Rundgang aufweist. Der Pilger gelangt über 88 Schritte durch die Dunkelheit an einen kleinen Altar, der wiederum beleuchtet ist. Ein Gebet hier soll vor Unglück schützen.
Bei gutem Wetter hat man eine tolle Aussicht auf den Ozean und die Takaōka Ebene.
Es ist wirklich ein schöner Tempel und zur Zeit der Kirschblüte (sakura) einfach umwerfend. Leider ist der „Anstieg der 880 m“ nicht nur ein leeres Versprechen und wir müssen uns ganz schön anstrengen, dieses letzte Hindernis vor dem Tempel zu nehmen. Als wir das Tempeltor erreichen, kann ich das Drachenbild im Durchgang bewundern. Mir fallen vor allem die Tempelwächter auf, die so alt sind, dass ihnen schon die Augen herausgefallen sind. Auch die nachfolgenden Jizō Figuren bekommen wir zu sehen. Doch endlich haben wir das eigentliche Tempelareal erreicht. Nachdem wir unseren Pilgerverpflichtungen nachgekommen sind und unsere Pilgerbücher (nokyochō) unterschreiben haben lassen, bekomme ich als Osettai (Pilgergeschenk) ein kleines Tütchen mit Stift und Tenugui (Baumwolltuch). Die
begehbare Statue mit Altar nehme ich anfangs gar nicht so richtig wahr, da mich hier vor allem die beiden alten Tempelhallen und die vielen Details locken. Da der Eingang der Statue mit Bändern und Pylonen (Verkehrshüttchen) irgendwie abgesperrt wirkt, traue ich mich auch nicht hinein. Eine Japanerin, die meine Unsicherheit wohl beobachtet hat, zeigt welchen Eingang ich nehmen muss und es ist wirklich stockfinster und recht eng. Hajo will sich nicht durch die Enge quetschen, aber später das Bild vom Altar sehen, das ich in der Statue gemacht habe. Die 5-Fuß-Pagode, sie könnte so ca. 1,6 m messen, finde ich leider nicht und auch die Quelle übersehe ich und merke erst später, dass ich ein Foto davon gemacht habe.
Leider ist nicht immer alles ausgeschildert oder wenn es doch beschildert ist, kann ich meist die Kanji (Schriftzeichen) nicht lesen. Von hier oben hat man eine gute Aussicht auf die Takaooka Ebene. Auf dem Rückweg bekomme ich von einem Obsthändler, der hier am Parkplatz seine Früchte verkauft, zwei Klementinen als Pilgergeschenk (osettai), doch schon wird der Platz von einem Strom Buspilger überflutet. Es werden auch ein paar Mönche oder sind es die dazugehörigen Gemeindevorsteher mit Taxis den Berg rauf gekarrt. Jetzt wird es hektische und wir beschließen den Rückzug anzutreten.
Wir holen unsere Rucksäcke beim Reifenhändler ab und verbringen unsere Mittagspause bei einem Lawson Kombini, der sogar mit Tischen und Stühlen vor der Tür ausgestattet ist. Man hat sich hier wohl auf die Pilger eingestellt, denn ich habe noch nie eine Sitzmöglichkeit in oder vor einem Kombini gesehen. Ganz im Gegenteil, meist setze ich mich auf den kleinen Vorsprung, den das große Schaufenster frei lässt. Das ist zwar nichts Halbes und nichts Ganzes, aber besser als Stehen oder auf dem Fußboden sitzen. Hajo probiert Oden, das ist eine Suppe, deren Einlage man sich aus einem großen Suppentopf selber zusammenstellen kann. Die Brühe ist also nicht der wichtige Teil dieses Gerichts, das sind vielmehr die in dem Sud gekochten Eier (tamago), Rettichstücke (daikon),“Fischwurst“ (kamaboko), Stärkeblöckchen aus Konyakuwurzelmehl (konyaku), Kartoffeln, Tofu usw.
Bis zum nächsten Tempel (Nr. 36) sind es ca. 12 km, eine recht ordentliche Strecke, wenn man keinen Bus findet. Aber wir laufen erst mal an einer sehr großen Straße in Tosa City entlang. Als wir an einem Sunny Mart Kombini abbiegen wollen, hält Hajo ein Auto an, um nach dem Weg zu fragen oder sich fahren zulassen, das weis man bei Hajo nie. Aber der Autofahrer will uns ein Stück mitnehmen bzw. eigentlich fährt er uns fast ganz bis zu Tempel Nr. 36. Hier vor der Usa-ohashi Brücke gäbe es eine Bushaltestelle, aber von wo man da hätte starten können ist mir schleierhaft. Auf alle Fälle sind wir unserem heutigen Ziel ein großes Stück näher gekommen. Wir bedanken uns beim Fahrer und ich winke ihm noch nach, als er wieder zurück fährt. Das ist hier eine tolle Trailführung! Durch so eine Art Moor oder ist es ein Naturschutzgebiet mit Seen führt ein Trampelpfad über eine kaputte Brücke zum Tempel Nr. 36. Der Weg ist hier so verwittert wie das nachfolgende Tempeltor mit seinen Wächtern. Früher, als es noch nicht die Usa-ohashi Brücke gab, sind die Pilger hier mit einer Fähre angelandet, aber heute ist alles per pedes (zu Fuß) erreichbar.
Exkurs Tempel Nr. 36 Shōryūji (青竜寺)
„Der Tempel des grünen Drachen“ wurde von Kōbō Daishi in Erinnerung an seinen chinesischen Meister Keika (Hui kuo), 7. Patriarch des Ching-lung Tempels in Chang-an, gegründet. Bevor Kōbō Daishi China verließ warf er eine Vajra (rituelles Kampfzepter, jap. auch tokko) in Richtung Japan. Der Legende nach fand er es in einer Pinie wieder, in deren Nähe er, unter Absprache mit dem Kaiser Saga, den Tempel gründete. Als Honzon (Hauptgottheit) für den Tempel schnitzte er einen Fudō Myōō, der als Beschützer der Fischer gilt und von ihnen auch „Drachen Fudōō“ genannt wird. „Shōryūji“ ist die japanische Übersetzung der chinesischen Schriftzeichen des Tempelnamens „Ching-lung Tempel in Chang-an“. Bis 1975 mussten die Pilger mithilfe eines Bootes den Tempel besuchen, doch in diesem Jahr wurde die Brücke gebaut. Von Interesse ist die Halle zu Ehren des 7. Patriarchen Keika, die sich vor dem Eingangstor befindet, sowie die von Fischern verehrte Namikiri Fudō Statue („Wellen zerschneidende Fudō“). Im Hondō (Haupthalle) steht ein Aizen Myōō (mit grimmigem Gesicht) und unzählige „Ema“ (Votivholztäfelchen), auf die Pilger ihre Wünsche schreiben können. Der Hafen von Usa liegt mehr oder weniger in der Nähe des Tempels, dessen Aufbau sehr an sein chinesisches Vorbild erinnert.
Die Pagode hier ist wirklich eindrucksvoll und der rote Baum davor sind ideale Fotomotive. Aber dass der Tempel hier direkt am Meer liegt heißt nicht, dass keine Treppen überwunden werden müssen. Ganz im Gegenteil, damit nicht jeder Taifun (Wirbelsturm) oder Tsunami (Riesenwelle v. a. durch Seebeben ausgelöst) den Tempel gleich hinwegfegen kann, ist er hier in sicherer Höhe an den Berg gebaut worden. Im Pilgerbüro sehen wir Ossis Buch in der Auslage, als wir fragen, ob man es kaufen kann, verneint die Frau, aber wir können uns die schönen Bilder anschauen.
Auf der Rückseite der Haupthallen (Honzon) fallen mir die kleinen Kōbō Daishi Figürchen auf, die haben wohl Pilger hier zum Dank aufgestellt. Es gibt auch eine Quelle, die über ca. 3 m bemooster Steine herunterplätschert. Leider finde ich in meinem Pilgerführer nichts zu dieser Quelle, aber wahrscheinlich ist Kōbō Daishi hier mit dem Großen Zeh gegen gestoßen. Vom Tempelbüro aus ruft jemand für uns im Kokuminshikushu Tosa Ryokan an, nicht auszudenken, wenn wir uns den ganzen Berg hoch gequält haben und es ist alles besetzt. Aber wir haben doppeltes Glück – wir bekommen ein Zimmer und der Hotelier persönlich holt uns mit dem Auto ab. Das nenne ich Service!
Schnell ist der Hoteleigner mit seinem silbernen Minibus den Berg heruntergeflitzt und packt uns und unser Gepäck ein. Er spricht hervorragend Englisch und Hajo schnackt erst mal eine Runde mit ihm. Beim Hochfahren, das Hotel liegt wirklich auf der Spitze des Berges, fällt mir immer wieder ein blau-weißes Schilder auf, das eine „Villa Santorini“ ankündigt. Und die Überraschung ist nicht geringer, als wir vor dem Hotel eintreffen, denn links vom doch eher postmodern wirkenden Hotelkomplex, leuchtet uns blau-weiß eine Anlage entgegen, die verdammt an das griechische Santorin erinnert. Der Hotelier erklärt uns, dass er so begeistert von griechischen Santorin war, dass er als er diesen Platz sah genau wusste, dass er sich sein kleines Santorin hier hinbauen wollte. Und nicht nur die Anlage selber, sondern auch die Aussicht ist hier atemberaubend. Wenn man sich eine Gelegenheit für ein heißes Bad (Onsen) nicht entgehen lassen sollte, dann ist es hier. Auch wenn man nicht unbedingt hier übernachten will, so sollte man jedoch ein Bad mit der dazugehörigen Aussicht genießen. Da wäre auch ein Fußmarsch über die ganzen Serpentinen gerechtfertigt.
Für 6800 Yen gibt es hier Übernachtung mit Frühstück und Abendessen, und nicht nur die Aussicht ist eine Superlative, sondern auch das Essen.
Als ich heute meine Onsen-Premiere habe, bin ich froh, dass ich fast alleine bin, da ich noch nicht so über die Regeln in so einem Freiluft- bzw. Thermalbad Bescheid weiß. Hier im Onsen baden Männlein und Weiblein getrennt, obwohl ich anfangs Hajos Stimme noch hören kann. „Dem werden die japanischen Männer schon zeigen, wie alles funktioniert“, denke ich so bei mir und bemerke nicht, dass ich mein „toru“ (Handtuch) bzw. Waschlappen, der im Zimmer auslag, vergessen haben. Zum Glück bin ich mit einer Japanerin allein. Ich seife mich ganz schnell unter den tief hängenden Duschen ab, denn es ist kalt. Wir haben Ende März, liegen hier direkt am Meer und ich mach’ einen auf Freiduscher. Schnell sitze ich im heißen Bad, der kleinen Frau gegenüber und sie versucht einen schüchternden Smalltalk. Ich versuche mit ihr zu kommunizieren und ersetze die japanischen Worte, die ich nicht kenne durch Englische Vokabeln, die ich etwas japanisiere. Viele japanische Worte haben ihren Ursprung im Englischen, so z.B. toru (towel – Handtuch), suripa (slippa – Hausschuhe), nekutai (tai – Schlips), baasu (bus) oder auch depaato (department store – Geschäft). Mit meiner alten Unterwäsche muss ich mich abtrocknen, aber das ist der einzige Wehrmutstropfen an diesem Tag. Wie gesagt, das Essen ist nicht nur vom Geschmack, sondern auch von der Präsentation, es wird in lackierten Holzboxen serviert, eine echte Wucht. Die Muschelschalen aus der Muschelsuppe behalte ich als Andenken. Von unserem Fenster aus, wie wohnen leider nicht in der griechisch angehauchten Villa, sondern in der danebenliegenden Bettenburg, haben wir trotzdem einen tollen Blick über die ganze Buch. Man kann die Autos sehen, die die Serpentinen hochgeflitzt kommen, die Pilger haben da schon weniger Tempo drauf. Wenn man Besucher erwartet, hält man einfach nur Ausschau und wenn sie in Blickfeld kommen, kann man schon man den Kaffee bzw. in Japan wohl eher Tee aufsetzen. Raubvögel kreisen in der Höhe und ein Foto von ihnen zu schießen, ist zum Scheitern verurteilt, da sie einfach zu schnell sind. Wir lernen noch einen Engländer kennen, der hier auch die Pilgertour läuft. Wir verabreden uns mit ihm zum Frühstück. In einer kleinen Ecke steht ein Computer, von dem aus man kostenlos ins Internet gehen kann. Während Hajo also seine Verbindung zur Heimat übers Internet aufrecht hält, scheint mir das Telefon das probatere Mittel zu sein, mich bei meinen Eltern zu melden.
Um 7.00 Uhr ist heute Aufstehen und Packen angesagt. Die Sonne scheint schon, ich hoffe dass der heutige Tag etwas wärmer wird als der gestrige. Zum Frühstück gibt es heute mal Kaffee, da es gestern spät geworden ist. Wir haben die Route kalkuliert und sind zum dem Schluss gekommen, dass wenn alles so weiterläuft, wir schon Ende April wieder in Naruto sein könnten. Eine Idee, die mir gar nicht behagt, da ich noch nicht weiß, ob ich umbuchen kann bzw. wenn nicht, was ich dann in Japan besuchen könnte und ob es nicht ein allzu großes Loch in meine Finanzen reißt. Wir verabschieden uns recht herzlich von unserem netten Herbergsvater. Er hat uns sehr mit seinen Karten und Tipps für die Busanfahrt zu den Tempeln geholfen. Wir müssen heute unbedingt einen Geldautomaten finden, der unsere Karten akzeptiert. Hierzu wollen wir das Postamt besuchen und danach unsere Reise fortsetzen. Wenn alles gut läuft, wollen wir Tempel Nr. 35 und 36 besuchen.
Schon auf der Straße vor der Jugendherberge erhalten wir unser erstes Osettai (Pilgergeschenk), Schokoladentäfelchen von einer Radfahrerin, die gerade an uns vorbeifahren will. Der Tag fängt ja gut an, denke ich so bei mir, wenn wir jetzt noch an Bargeld kommen ohne eine Bank überfallen zu müssen, ist der Tag gerettet. Am Bahnhof Engyojiguchi essen wir unsere Schokotäfelchen, die würde bei Witterung, es ist sonnig und windstill, ohnehin nur weich werden. Vom Bahnsteig aus kann ich eine große Kannon Statue in der Ferne sehen, zu welchem Tempel die wohl gehört? Pünktlich stehen wir vor dem Hauptpostamt in Kochi, die Tür zu den ATM Automaten wird etwas früher geöffnet, als die Postschalter. Und oh Wunder – nein Kōbō Daishi sei Dank – die ATMs schlucken nicht nur unsere Kreditkarten, sondern spucken sogar japanische Yen Scheine aus! Die weitere Reise ist gesichert. Ich mache noch einen kurzen Abstecher ins Postamt, um einige Prospekte und Unterlagen zwecks Übergewicht nach Hause zu schicken. Man geht ja davon aus, dass man in jedem Postamt auch Umschläge für das kaufen kann, was man wegschicken will, aber leider nicht hier. Ich springe also zurück auf die Straße, vorher erkläre ich Hajo, dass ich schnell noch einen Umschlag kaufen muss. Mir rattert das Gehirn, wo habe ich heute einen Kombini gesehen? Ich laufe die Straße rauf und wieder runter. Im Hauptbahnhof müsste es doch einen 24-Stunden-Markt geben. Hier kaufe ich ein Zehnerpack Umschläge, die leider viel zu klein sind, was mir aber erst im Postamt auffällt. Als ich wieder im Schalterraum stehe und mit meinem gebrochenen Japanisch erneut erkläre, diese Prospekte nach Doitsu (Deuchland) schicken zu wollen, gibt es auf einmal doch große Kuverte. Das sind aber keine Umschläge (fudō), sondern Verpackungen für Pakete, klärt mich eine der drei Postangestellten auf, die sich am Schalter versammelt haben, um ihrer Kollegin, die ich angesprochen hatte, zu unterstützen. Wenn ein Ausländer ein Postamt betritt, ist immer derjenige der Doofe, der etwas Englisch spricht, aber meist rotten sich mehrere Personen zusammen, die dann kichernd im Hintergrund den oder die Mutigste vorschicken, den Gaijin (Ausländer) zu bedienen. Das Ende vom Lied ist, dass ich 1800 Yen Porto für ein paar Broschüren berappen muss, da mir bei dem ganzen Hickhack nicht einfällt, die Sachen per Seepost (funebin) zu schicken. Ich war dermaßen mit dem Ausfüllen des Zoll- bzw. Ausfuhrformulars beschäftigt, dass ich weder nach der günstigsten Möglichkeit gefragt noch sie angekreuzt habe. Ich kaufe dann noch 10 Briefmarken für Postkarten (ich hatte am Kap Muroto einige schöne Postkarten gekauft). Es könnte alle so einfach sein, wenn man vorher wissen würde, wie der Hase läuft. So muss man sich umständlich durchfragen. Aber unser weiterer Weg ist schon geplant: Wir laufen zurück zum Hauptbahnhof, essen noch beim Bäcker ein „Teilchen“ und setzen uns in die Wartehalle des Busbahnhofs, der auf der Rückseite (der Innenstadt abgewandten Seite) liegt. Eigentlich wollten wir am Takaoka-eigyoosho Bus Stopp aussteigen, aber der Bus fährt noch näher an den Tempel Nr. 35 ran.
Da wir nicht genau wissen, wo wir hier sind, fragen wir fast jeden, den wir treffen nach dem Tempel. Wir passieren einen Lawson Kombini, vorbei an einem „Mos Burger“ Restaurant, das ist so eine Art japanischer McDoof, bei dem eigentlich Reis-Burger verkauft werden, die sich dadurch auszeichnen, dass sie nicht warmgehalten, sondern frisch zubereitet werden. MOS ist die Abkürzung für die englischen Worte Moon (Mond), Ocean (Meer) und Sun (Sonne). Wir fragen bei einem Reifenhändler, ob wir unsere Rucksäcke unterstellen dürfen. Von hier glauben wir, den Tempel am Berghang schon sehen zu können, aber da es hier viele Tempel gibt, heißt das noch lange nicht, dass es auch Tempel Nr. 35 ist.
Während der Anstieg anfangs noch recht gemächlich ist, nimmt die Schwierigkeit des Trail hinter einer Brücke unter dem Kochi Expressway (Autobahn) doch merklich zu. Hajo nimmt zwar jetzt Medikamente für sein überlastetes Bein, doch geschont hat er es nicht und der Weg zum Tempel ist auch kein Zuckerschlecken.
Exkurs Tempel Nr. 35 Kiyotakiji (清滝寺)
„Der Tempel des reinen Wasserfalls“ wurde im frühen 8. Jahrhundert (723) von Gyōgi gegründet, damals hieß der Tempel noch Keizanmitsuin Taku-mokuji. Yakushi Nyorai gewidmet, hat Gyōgi auch dessen Statue geschnitzt. Knapp ein Jahrhundert später kam Kōbō Daishi hierher, um sein religiöses Training fortzuführen. Am Ende einer 7-tägigen Fastenperiode soll der Daishi mit seinem Stock gegen den Altar gestoßen sein und siehe da – Wasser rann aus dem Boden, welches einen kleinen Teich bildete. Der Tempel erhielt nun seinen neuen Namen und die Quelle sprudelt noch heute (sie liegt rechts hinter der Haupthalle und ist auf keinem Schild eingetragen). 848 kam Prinz Takaoka, auch bekannt unter seinem Mönchsnamen Shinyo Shinnō, dritter Sohn des damaligen Kaisers Heizei und einer der 10 Schüler Kōbō Daishis, hierher. Der Prinz soll in eine Verschwörung verstrickt gewesen sein, wurde seiner Privilegien beraubt und vom Hofe verstoßen. Die unabwendbare Verbannung wartete er nicht ab, sondern reiste nach Shikoku, wo er diesen Tempel zu seinem Ahnentempel (bodasiho) erklärte und eine „5-Fuß-5-Stockwerke Pagode“, sowie ein Monument, das Gayakushu-to genannt wird, erbaute. Als treuer Schüler von Kōbō Daishi, wollte er nach Indien reisen, um die Ursprünge des Buddhismus zu studieren, aber auf dem Weg dorthin starb er in Indochina. Eine Legende besagt, er sei in Laos von einem Tiger gefressen worden, doch seine Seele verblieb in der Pagode dieses Tempels und beschützt diesen vor Unglück.
Der Weg zum Tempeltor wird „hacchōzaka“ („Anstieg der 880 m“) genannt. Das Tempeltor wurde vom Künstler Kubo Nansō (1868-1912) mit einem Drachenbild (kōryuuzu) versehen. Hier stehen auch 8 besondere Jizō Statuen. 1933 wurde vor den beiden Tempelhallen eine 15 m hohe Yakushi Nyorai Statue erbaut, die im Sockel einen schmalen Rundgang aufweist. Der Pilger gelangt über 88 Schritte durch die Dunkelheit an einen kleinen Altar, der wiederum beleuchtet ist. Ein Gebet hier soll vor Unglück schützen.
Bei gutem Wetter hat man eine tolle Aussicht auf den Ozean und die Takaōka Ebene.
Es ist wirklich ein schöner Tempel und zur Zeit der Kirschblüte (sakura) einfach umwerfend. Leider ist der „Anstieg der 880 m“ nicht nur ein leeres Versprechen und wir müssen uns ganz schön anstrengen, dieses letzte Hindernis vor dem Tempel zu nehmen. Als wir das Tempeltor erreichen, kann ich das Drachenbild im Durchgang bewundern. Mir fallen vor allem die Tempelwächter auf, die so alt sind, dass ihnen schon die Augen herausgefallen sind. Auch die nachfolgenden Jizō Figuren bekommen wir zu sehen. Doch endlich haben wir das eigentliche Tempelareal erreicht. Nachdem wir unseren Pilgerverpflichtungen nachgekommen sind und unsere Pilgerbücher (nokyochō) unterschreiben haben lassen, bekomme ich als Osettai (Pilgergeschenk) ein kleines Tütchen mit Stift und Tenugui (Baumwolltuch). Die
begehbare Statue mit Altar nehme ich anfangs gar nicht so richtig wahr, da mich hier vor allem die beiden alten Tempelhallen und die vielen Details locken. Da der Eingang der Statue mit Bändern und Pylonen (Verkehrshüttchen) irgendwie abgesperrt wirkt, traue ich mich auch nicht hinein. Eine Japanerin, die meine Unsicherheit wohl beobachtet hat, zeigt welchen Eingang ich nehmen muss und es ist wirklich stockfinster und recht eng. Hajo will sich nicht durch die Enge quetschen, aber später das Bild vom Altar sehen, das ich in der Statue gemacht habe. Die 5-Fuß-Pagode, sie könnte so ca. 1,6 m messen, finde ich leider nicht und auch die Quelle übersehe ich und merke erst später, dass ich ein Foto davon gemacht habe.
Leider ist nicht immer alles ausgeschildert oder wenn es doch beschildert ist, kann ich meist die Kanji (Schriftzeichen) nicht lesen. Von hier oben hat man eine gute Aussicht auf die Takaooka Ebene. Auf dem Rückweg bekomme ich von einem Obsthändler, der hier am Parkplatz seine Früchte verkauft, zwei Klementinen als Pilgergeschenk (osettai), doch schon wird der Platz von einem Strom Buspilger überflutet. Es werden auch ein paar Mönche oder sind es die dazugehörigen Gemeindevorsteher mit Taxis den Berg rauf gekarrt. Jetzt wird es hektische und wir beschließen den Rückzug anzutreten.
Wir holen unsere Rucksäcke beim Reifenhändler ab und verbringen unsere Mittagspause bei einem Lawson Kombini, der sogar mit Tischen und Stühlen vor der Tür ausgestattet ist. Man hat sich hier wohl auf die Pilger eingestellt, denn ich habe noch nie eine Sitzmöglichkeit in oder vor einem Kombini gesehen. Ganz im Gegenteil, meist setze ich mich auf den kleinen Vorsprung, den das große Schaufenster frei lässt. Das ist zwar nichts Halbes und nichts Ganzes, aber besser als Stehen oder auf dem Fußboden sitzen. Hajo probiert Oden, das ist eine Suppe, deren Einlage man sich aus einem großen Suppentopf selber zusammenstellen kann. Die Brühe ist also nicht der wichtige Teil dieses Gerichts, das sind vielmehr die in dem Sud gekochten Eier (tamago), Rettichstücke (daikon),“Fischwurst“ (kamaboko), Stärkeblöckchen aus Konyakuwurzelmehl (konyaku), Kartoffeln, Tofu usw.
Bis zum nächsten Tempel (Nr. 36) sind es ca. 12 km, eine recht ordentliche Strecke, wenn man keinen Bus findet. Aber wir laufen erst mal an einer sehr großen Straße in Tosa City entlang. Als wir an einem Sunny Mart Kombini abbiegen wollen, hält Hajo ein Auto an, um nach dem Weg zu fragen oder sich fahren zulassen, das weis man bei Hajo nie. Aber der Autofahrer will uns ein Stück mitnehmen bzw. eigentlich fährt er uns fast ganz bis zu Tempel Nr. 36. Hier vor der Usa-ohashi Brücke gäbe es eine Bushaltestelle, aber von wo man da hätte starten können ist mir schleierhaft. Auf alle Fälle sind wir unserem heutigen Ziel ein großes Stück näher gekommen. Wir bedanken uns beim Fahrer und ich winke ihm noch nach, als er wieder zurück fährt. Das ist hier eine tolle Trailführung! Durch so eine Art Moor oder ist es ein Naturschutzgebiet mit Seen führt ein Trampelpfad über eine kaputte Brücke zum Tempel Nr. 36. Der Weg ist hier so verwittert wie das nachfolgende Tempeltor mit seinen Wächtern. Früher, als es noch nicht die Usa-ohashi Brücke gab, sind die Pilger hier mit einer Fähre angelandet, aber heute ist alles per pedes (zu Fuß) erreichbar.
Exkurs Tempel Nr. 36 Shōryūji (青竜寺)
„Der Tempel des grünen Drachen“ wurde von Kōbō Daishi in Erinnerung an seinen chinesischen Meister Keika (Hui kuo), 7. Patriarch des Ching-lung Tempels in Chang-an, gegründet. Bevor Kōbō Daishi China verließ warf er eine Vajra (rituelles Kampfzepter, jap. auch tokko) in Richtung Japan. Der Legende nach fand er es in einer Pinie wieder, in deren Nähe er, unter Absprache mit dem Kaiser Saga, den Tempel gründete. Als Honzon (Hauptgottheit) für den Tempel schnitzte er einen Fudō Myōō, der als Beschützer der Fischer gilt und von ihnen auch „Drachen Fudōō“ genannt wird. „Shōryūji“ ist die japanische Übersetzung der chinesischen Schriftzeichen des Tempelnamens „Ching-lung Tempel in Chang-an“. Bis 1975 mussten die Pilger mithilfe eines Bootes den Tempel besuchen, doch in diesem Jahr wurde die Brücke gebaut. Von Interesse ist die Halle zu Ehren des 7. Patriarchen Keika, die sich vor dem Eingangstor befindet, sowie die von Fischern verehrte Namikiri Fudō Statue („Wellen zerschneidende Fudō“). Im Hondō (Haupthalle) steht ein Aizen Myōō (mit grimmigem Gesicht) und unzählige „Ema“ (Votivholztäfelchen), auf die Pilger ihre Wünsche schreiben können. Der Hafen von Usa liegt mehr oder weniger in der Nähe des Tempels, dessen Aufbau sehr an sein chinesisches Vorbild erinnert.
Die Pagode hier ist wirklich eindrucksvoll und der rote Baum davor sind ideale Fotomotive. Aber dass der Tempel hier direkt am Meer liegt heißt nicht, dass keine Treppen überwunden werden müssen. Ganz im Gegenteil, damit nicht jeder Taifun (Wirbelsturm) oder Tsunami (Riesenwelle v. a. durch Seebeben ausgelöst) den Tempel gleich hinwegfegen kann, ist er hier in sicherer Höhe an den Berg gebaut worden. Im Pilgerbüro sehen wir Ossis Buch in der Auslage, als wir fragen, ob man es kaufen kann, verneint die Frau, aber wir können uns die schönen Bilder anschauen.
Auf der Rückseite der Haupthallen (Honzon) fallen mir die kleinen Kōbō Daishi Figürchen auf, die haben wohl Pilger hier zum Dank aufgestellt. Es gibt auch eine Quelle, die über ca. 3 m bemooster Steine herunterplätschert. Leider finde ich in meinem Pilgerführer nichts zu dieser Quelle, aber wahrscheinlich ist Kōbō Daishi hier mit dem Großen Zeh gegen gestoßen. Vom Tempelbüro aus ruft jemand für uns im Kokuminshikushu Tosa Ryokan an, nicht auszudenken, wenn wir uns den ganzen Berg hoch gequält haben und es ist alles besetzt. Aber wir haben doppeltes Glück – wir bekommen ein Zimmer und der Hotelier persönlich holt uns mit dem Auto ab. Das nenne ich Service!
Schnell ist der Hoteleigner mit seinem silbernen Minibus den Berg heruntergeflitzt und packt uns und unser Gepäck ein. Er spricht hervorragend Englisch und Hajo schnackt erst mal eine Runde mit ihm. Beim Hochfahren, das Hotel liegt wirklich auf der Spitze des Berges, fällt mir immer wieder ein blau-weißes Schilder auf, das eine „Villa Santorini“ ankündigt. Und die Überraschung ist nicht geringer, als wir vor dem Hotel eintreffen, denn links vom doch eher postmodern wirkenden Hotelkomplex, leuchtet uns blau-weiß eine Anlage entgegen, die verdammt an das griechische Santorin erinnert. Der Hotelier erklärt uns, dass er so begeistert von griechischen Santorin war, dass er als er diesen Platz sah genau wusste, dass er sich sein kleines Santorin hier hinbauen wollte. Und nicht nur die Anlage selber, sondern auch die Aussicht ist hier atemberaubend. Wenn man sich eine Gelegenheit für ein heißes Bad (Onsen) nicht entgehen lassen sollte, dann ist es hier. Auch wenn man nicht unbedingt hier übernachten will, so sollte man jedoch ein Bad mit der dazugehörigen Aussicht genießen. Da wäre auch ein Fußmarsch über die ganzen Serpentinen gerechtfertigt.
Für 6800 Yen gibt es hier Übernachtung mit Frühstück und Abendessen, und nicht nur die Aussicht ist eine Superlative, sondern auch das Essen.
Als ich heute meine Onsen-Premiere habe, bin ich froh, dass ich fast alleine bin, da ich noch nicht so über die Regeln in so einem Freiluft- bzw. Thermalbad Bescheid weiß. Hier im Onsen baden Männlein und Weiblein getrennt, obwohl ich anfangs Hajos Stimme noch hören kann. „Dem werden die japanischen Männer schon zeigen, wie alles funktioniert“, denke ich so bei mir und bemerke nicht, dass ich mein „toru“ (Handtuch) bzw. Waschlappen, der im Zimmer auslag, vergessen haben. Zum Glück bin ich mit einer Japanerin allein. Ich seife mich ganz schnell unter den tief hängenden Duschen ab, denn es ist kalt. Wir haben Ende März, liegen hier direkt am Meer und ich mach’ einen auf Freiduscher. Schnell sitze ich im heißen Bad, der kleinen Frau gegenüber und sie versucht einen schüchternden Smalltalk. Ich versuche mit ihr zu kommunizieren und ersetze die japanischen Worte, die ich nicht kenne durch Englische Vokabeln, die ich etwas japanisiere. Viele japanische Worte haben ihren Ursprung im Englischen, so z.B. toru (towel – Handtuch), suripa (slippa – Hausschuhe), nekutai (tai – Schlips), baasu (bus) oder auch depaato (department store – Geschäft). Mit meiner alten Unterwäsche muss ich mich abtrocknen, aber das ist der einzige Wehrmutstropfen an diesem Tag. Wie gesagt, das Essen ist nicht nur vom Geschmack, sondern auch von der Präsentation, es wird in lackierten Holzboxen serviert, eine echte Wucht. Die Muschelschalen aus der Muschelsuppe behalte ich als Andenken. Von unserem Fenster aus, wie wohnen leider nicht in der griechisch angehauchten Villa, sondern in der danebenliegenden Bettenburg, haben wir trotzdem einen tollen Blick über die ganze Buch. Man kann die Autos sehen, die die Serpentinen hochgeflitzt kommen, die Pilger haben da schon weniger Tempo drauf. Wenn man Besucher erwartet, hält man einfach nur Ausschau und wenn sie in Blickfeld kommen, kann man schon man den Kaffee bzw. in Japan wohl eher Tee aufsetzen. Raubvögel kreisen in der Höhe und ein Foto von ihnen zu schießen, ist zum Scheitern verurteilt, da sie einfach zu schnell sind. Wir lernen noch einen Engländer kennen, der hier auch die Pilgertour läuft. Wir verabreden uns mit ihm zum Frühstück. In einer kleinen Ecke steht ein Computer, von dem aus man kostenlos ins Internet gehen kann. Während Hajo also seine Verbindung zur Heimat übers Internet aufrecht hält, scheint mir das Telefon das probatere Mittel zu sein, mich bei meinen Eltern zu melden.
Sonntag, 29.03.09, Kōchi, Engyojiguchi, Jugendherberge Sakenokuni
Der 14. Tag in Japan
Heute ist zwar Sonntag, aber um 7.00 Uhr klingelt Hajos Wecker. Schnell sind wir aufgestanden und haben unser japanisches Frühstück genossen. Ein japanischer Herr, den Hajo gestern kennengelernt hat, hat uns „Ume boshi“, eingelegte Pflaumen, angeboten. Die sollen hervorragend für den Magen sein, so preist der Herr seine super sauren Säurebomben an. Ich bin schon von früheren Japanaufenthalten gewarnt, was hier im Bezug auf Pflaumen als Delikatesse oder Naschwerk angeboten wird, aber diese Dinger ziehen einem echt alles zusammen. Also Vorsicht – diese hellroten Pflaumen zählen ebenso wie Natto (fermentierte Sojabohnen) und die Bitterorangen für den Gaijin (Ausländer) in die Kategorie „Einmal probiert ist noch zu viel“. Dabei sind diese Pflaumen eigentlich in Salz eingelegte und einer Milchsäuregärung unterzogene grüne Aprikosen. Sie werden von Japanern zu zweit, mehr kriegt man wohl nicht runter, zum Frühstück gegessen, und auch im Bentō (jap. Fast Food) symbolisiert eine solch hellrote Aprikose zusammen mit dem Reis die japanische Fahne (hinomaru bentō).
Unsere Pläne für heute sehen wie folgt aus: Besuch der Burg Kōchi, über den Sonntagsmarkt zurück zur Chikamori Klinik laufen, wo Hajo einen Termin um 11.00 Uhr hat, und danach keinesfalls Ausruhen, denn es müssen noch Tempel Nr. 34 und Nr. 32 besucht werden. Aber für mich ist erstmal wichtig, mein Portemonnaie wiederzufinden, d.h. ich weiß genau wo ich es verloren haben muss (Getränkeautomat) bzw. wenn es nicht mehr dort liegt, werde ich es im Bahnhofsschalter wiederfinden. Japaner sind, was verlorene Sachen angeht, sehr gewissenhaft. Da ich schon mal meinen Reispass an einem Kopierer in einem Kombini verloren habe, weiß ich aus erster Quelle, dass verlorene Sachen hier relativ einfach den Weg zurück zum Besitzer finden, nur die Bürokratie danach kostet einen Nerven. Und – siehe da, man hat mein Portemonnaie gefunden, ich kann auch den Inhalt beschreiben, ca. 4000 Yen, und Hajo unterstützt meine Aussagen und will als Zeuge fungieren. Umständlich erklärt man mir, dass der Finderlohn 10 % beträgt und ich mich doch beim Finder bedanken möge. Ein persönlicher Kontakt zum ehrlichen Finder, dass ist besonders wichtig, auch wenn ich gestehen muss, dass ich nicht glaube, dass es mit der Verständigung geklappt hätte, wenn ich denn ein Handy dabei haben würde. Froh, mein erstes Osettai (Pilgergeschenk) wiederzuhaben, hinterlasse ich dann auch 2000 Yen Finderlohn. Hauptsache, die Beamten hier fangen jetzt nicht noch mit mir an zu diskutieren, dass ich mehr bezahle, als eigentlich nötig ist. Aber ich habe Glück und alle sind zufrieden, ich will auch nicht davon anfangen, wie lange das jetzt wieder gedauert hat. Auf alle Fälle machen wir uns jetzt auf den Weg zum Schloss bzw. der Burg von Kōchi, immer die Augen nach einer Möglichkeit aufhaltend, Geld abzuheben. Im Bahnhof sind sogar die Streckenpläne der JR Shikoku ausgelegt, wir hatten erst vor kurzer Zeit so einen Plan von einem abgelegenen Bahnhof mitgehen lassen, aber jetzt habe ich einen in Reserve. Wir fragen uns so durch die Einkaufspassage von Kōchi, Hajo hatte gestern noch Adressen aus dem Internet gesucht, aber leider sind die Banken geschlossen und in den Kaufhäusern funktionieren unsere Karten nicht. Im Takashimaya, einer berühmten japanischen Kaufhauskette, bemüht sich eine Dame aus der Kosmetik Abteilung ganz rührend um uns. Sie spricht Englisch und rennt doch fast eine Stunde mit uns durch die Gegend, um neue Möglichkeiten aufzutun, wo wir Geld ziehen könnten. Leider erfolglos, aber das nenne ich Gastfreundschaft, dabei haben wir bei ihr noch nicht einmal was gekauft! Vielleicht hätten wir aber, wenn wir denn Geld gehabt hätten – würden – hätten – wollten…
http://www.pref.kochi.lg.jp/english/tourism-castle.html
Die Burg von Kōchi (Kōchi-jō; engl. Kōchi Castle) ist eine Burg bzw. ein Schloss, das 1601 bis 1611 erbaut wurde. Bemerkenswert ist hier, dass es keine Replik aus der Nachkriegszeit ist, wie so viele Burgen in Japan, sondern eine der wenigen, die noch im Original erhalten ist. „Hat man eine Burg gesehen, hat man sie alle gesehen“, diesen Spruch musste ich mir mal von einem Touristen hier in Japan anhören. Natürlich sehen die Burgen alle recht ähnlich aus, das gilt aber auch für die Tempel. Auf die Kleinigkeiten kommt es an. Die meisten Burgen lassen sich auf einen Grundbauplan wie folgt zurückführen: Ein großer Wassergraben umgibt einen Sockel von Felsblöcken, auf dem die eigentliche Burg, meist in Holz, gebaut worden ist. Die Modulbauweise, d.h. ein rechteckiger Raum auf dem anderen bis hin zum Turm ist ebenfalls Form bestimmend, sowie die hochgezogenen Dächer und die weißen Wände. Allein vom Aufbau könnte ich nicht sagen, um welche Burg es sich handelt, da es hier auf Shikoku noch in Uwajima, ōzu, Matsuyama und Marugame Burgen gibt. Meist bleiben einem vor allem die schönen, goldenen Dachreiter im Gedächtnis. Sie sollen die Burg vor Feuersbrünsten schützen, da ihnen nachgesagt wird, sie könnten Regen machen. Es ist so eine typisch japanische Tiermischung (Chimera) aus Tigerkopf und Karpfenkörper und wird shachihoko (鯱; Fischtiger) genannt. Die Burg ist von einem Park umgeben, in dem sich zurzeit die Kirschblüte voll entfaltet. Es ist zwar noch vormittags, aber die Leute strömen in Scharen hierher, um hier Hanami (Blütenschau) unter den Kirschbäumen zu betreiben bzw. ein Picknick zu veranstalten. Es sind Stände aufgebaut, an denen man von Getränken, Süßigkeiten bis hin zu kompletten Mahlzeiten alles kaufen kann, was man für ein Picknick benötigt. Aber wir wollen das Schloss besichtigen und müssen am Eingang erstmal aus unseren Schuhen in Plastikslipper tauschen. Das ist hier in Japan leider so – entweder muss man Plastiklatschen anziehen, oder so Schuhüberzieher anlegen, wenn man die alten Gemäuer besuchen möchte. Hat man sich erst mit den Schlabberlatschen die viel zu engen und steilen Treppen hinaufgekämpft, man beachte die Laufrichtung, sonst kommt man in den Gegenverkehr, und ist jedem zu tief liegendem Dachbalken mit dem Kopf ausgewichen, dann hat man vom Turm aus eine tolle Aussicht über die ganze Stadt. Aber die Burg beherbergt auch eine Art Museum mit Rüstungen, Waffen, Kleidung und einem Modelle, wie die Burg und das Ländereien im Mittelalter ausgesehen haben. Es werden Szenen aus der damaligen Zeit dargestellt, wie die Bauern auf dem Acker arbeiten, wie ein Wal gefangen und zerlegt wird. Ich kann von hier sogar einen Blick auf den Sonntagsmarkt werfen, den wir als nächstes besuchen werden. Auf dem Weg dorthin fallen mir wieder zwei Pilger auf, die hier mit ihrer Schale in der Hand stehen und so um Almosen bitten. Der Kōchi Sunday Market ist einer der berühmtesten Märkte in Japan, auf dem von Lebensmitteln über Kunsthandwerk und Antiquitäten bis hin zu Dingen des täglichen Bedarfs alles verkauft wird. Es sind Freiluftstände, die jeweils sonntags aufgebaut werden. Das ist nicht üblich hier in Japan, wo die Märkte meist in dafür vorgesehene überdachten Passagen abgehalten werden. Wir sind etwas spät dran, aber deshalb muss Hajo noch lange nicht hier so durchpreschen. Ich kann mich an den Ständen gar nicht satt sehen, aber kaufen kann ich leider nichts, da ich das sonst die ganze Tour mit mir herumschleppen muss. Es gibt Baumstümpfe, an denen man Pilze ziehen kann, Messerstände, Stände von denen einen Tanuki (mythologischer Marderhund) Figuren anlachen, Stände mit unübersehbar vielen Sorten von Bohnen, Würzfischchen, Pilzen, Zitrusfrüchten und eingelegten Gemüse (tsukemono). Hajo rennt voran, ich kann ihn aufgrund seiner Größe zwar gut sehen, doch der Abstand wird immer größer, da ich selber bei dem Gewusel nicht so recht vorankomme. Ich weis, wo das Krankenhaus ist, zur Not werde ich ihn da wiederfinden, wenn er denn bis dahin bemerkt, dass er mich verloren hat
Aus dem Krankenhaus sind wir schnell wieder raus, aber da am Sonntag die Klinikapotheke nicht geöffnet hat, müssen wir in eine andere Apotheke, die außerhalb des Gebäudes liegt, um Hajos Medikamente zu besorgen. Leider ist da wohl irgendetwas schief gelaufen, da Hajo schon im Krankenhaus bezahlt hat oder soll er hier nochmals zahlen. Die beiden Damen rücken nicht mit der Sprache raus und telefonieren wie wild. Schließlich und endlich dürfen wir dann doch mit den Medikamenten diese Örtlichkeit verlassen und ich bin heilfroh, denn ich weiß wie Japaner an ihren Vorschriften festhalten und wie Chaos entsteht, wenn die Sachen eben nicht nach „Schema F“ laufen. Aber jetzt geht es auf zu Tempel Nr. 34!
Mit dem Bus fahren wir zu Tempel Nr. 34, da wir jetzt wissen von wo die Busse abfahren, haben wir auch keine Probleme so wie gestern. Wir steigen allerdings an der falschen Haltestelle (irgendwo an der Straße 56) aus und müssen dafür umso weiter laufen. Wir passieren wieder ein Samurai-Denkmal, aber Ryoma Sakamoto ist es nicht. Kurz vorm Tempeleingang steht mal wieder ein Eisverkäufer, der hofft wohl auf einen Bus mit Pilgern, denn von den paar Leuten, die sich hier gerade herumtreiben, wir er wohl nicht leben können. Eine ganz besondere Art von Pilger sehen wir auf dem Tempelgelände, nein leider nicht den Pilger, aber sein Wägelchen, dass er hier abgestellt hat. Aber ob nun Pilger oder Landstreicher, wie gesagt, der Unterschied hier auf Shikoku ist fließend.
Exkurs Tempel Nr. 34 Tanemaji (種間寺)
„Der Tempel des Säens“ wurde von Kōbō Daishi gegründet und so benannt, da er nach seiner Rückkehr aus China hier Samen (tane) von 5 verschiedenen Getreidesorten gepflanzt (maku) haben soll. Der Tempel ist Yakushi Nyorai, dem Medizinbuddha, gewidmet, dessen Statue von einem koreanischen Künstler um das Jahre 578 geschaffen worden ist, als der vom damaligen Kaiser Bidatsu (30. Tennō, 538-585) zusammen mit anderen Künstlern, Architekten und Priestern eingeladen worden war, um mit am Tennoji Tempel in Naniwa (heute ōsaka) zu arbeiten. Als er dann nach Korea zurückkehren wollte, kam er kurz vor Kōchi in Seenot, aus der er aber wohlbehalten gerettet worden ist. Aus diesem Grunde schnitzte er eine Statue des Yakushi als den Beschützer der See, die später als Honzon (Hauptgottheit) im Tanemaji diente. Viele Male wurde der Tempel von Taifunen heimgesucht und zerstört. In der frühen Meiji Periode (1867-1912) verfiel der Tempel zunehmend, wurde aber 1888 wiederaufgebaut. Der Medizinbuddha, Yakushi Nyorai, soll denjenigen Frauen, die ihm huldigt eine leichte Niederkunft bescheren. Hierzu bringt die Schwangere eine Schöpfkelle in den Tempel. Der Priester vollzieht ein Ritual, bei dem der Schöpfkelle der Boden durchschlagen wird. Danach kann die zukünftige Mutter die kaputte Schöpfkelle in der Tokonoma (Ziernische) ihres Zuhauses aufbewahren. Nach einer leichten Geburt bringen die Frauen die Schöpfkellen zum Dank zurück zum Tempel, wo sie als Ermutigung zur Schau gestellt werden. Interessant sind hier ferner eine erhalten gebliebene Kopie der Tripitaka, eine Sammlung buddhistischer Schriften, sowie die Tatsache, das ein Teil der Tempelgemeinde nach Amerika ausgewandert ist und dort nun Mitglieder des Koya-san Tempels in Kalifornien sind.
Da der Tempel zu ebener Erde liegt, müssen wir also keine Treppen erklimmen. Eine willkommene Erleichterung für Hajos ohnehin geschädigte Gehwerkzeuge. Endlich mal ein Tempel für wirklich Kranke, die wohl kaum so einen Berg mit tausenden von Treppen erklimmen können – heute schon mit dem Bus, aber damals. Dem Medizinbuddha gewidmet, liegt der Tempel inmitten von Reisfeldern. Die kaputten Schöpfkellen hängen hier überall, sogar den Glockenturm - pardon - es ist wie ein Glockenturm aufgebaut, beherbergt aber eine Yakushi Nyorai Statue, ziert eine Galerie von Kellen. Als wir den Tempel verlassen, wollen wir noch etwas Wegzehrung wie Kekse kaufen und besuchen den Laden, der direkt vor dem Eingang liegt. Als Hajo gelbe Bunta Früchte auf dem Tisch liegen sieht, fragt er ob er mal probieren dürfte, aber er futtert sie so schnell weg, das der Japaner ihm nicht zeigen kann, wie man sie aus der weißen Hülle bekommt. Der japanische Fachmann benutzt dazu so ein kleines Werkzeug, das wie ein Brieföffner aussieht, aber mit versteckter Klinge, damit man sich nicht in die Finger schneidet. Er erklärt uns, dass die Früchte „Bunta“ genannt werden. Auch ich probiere und die Bunta macht mich munter, nein – die schmecken richtig lecker, nicht so sauer, wie die hellgelbe, pampelmusenartige Schalenfarbe vermuten ließe. Wenn wir jetzt noch Tempel Nr. 32 besuchen wollen, müssen wir uns sputen, da wir noch nicht wissen, wie wir hier wieder weg kommen sollen. Wir laufen deshalb bis Haruno zurück und wollen eigentlich vom Haruno-yakuba-mae Busstopp wieder nach Kōchi fahren. Leider ist diese Bushaltestelle verweist und auch angesprochene Passanten können uns keine Auskunft darüber geben, ob der Bus gar nicht oder nur sonntags nicht fährt. Wir wandern erstmal die Straße 36 zurück in Richtung unserer ursprünglichen Bushaltestelle. Es kommt uns ein Auto entgegen und wir nutzen die Gunst der Stunde, halten es an und fragen nach der nächstmöglichen Bushaltestelle. Aber die Fahrerin fordert uns kurzerhand auf, einzusteigen und fährt uns zu unserer Bushaltestelle. So kommen wir aus der Pampa dann doch wieder nach Kōchi, wo wir abermals einen Bus besteigen, um für heute unser letztes Ziel, Tempel Nr. 32, in Angriff zu nehmen. Es stellt sich eine ältere Damen zur Verfügung, um uns gegebenenfalls Bescheid zu sagen, sollten wir nicht an der richtigen Bushaltestelle aussteigen. Und das ist auch nötig, da die Strecke doch recht lang ist und wir von Kōchi bis Nankoku City fahren müssen. Über mehrere Brücken und Tunnel, vorbei am Sekido Teich, steigen wir am Mineiji-dori Bus Stopp aus, der direkt vor einem Tunnel liegt. Auf diesem Tunnel bzw. den darüberliegenden Berg steht der Tempel Nr. 32. „Wir haben aber nur knapp eine Stunde, wenn wir mit dem letzten Bus zurück nach Kōchi fahren wollen“, mahnt mir Hajo und wir hetzen los. Im Laufschritt voran, nehmen wir den kleinen Hügel innerhalb von wenigen Minuten, auch wenn wir in der Eile fast den Weg zum Tempel verpassen.
Exkurs Tempel Nr. 32 Zenjibuji (禅師峰寺)
Dies ist ein Tempel mit vielen Namen. Eigentlich der „Tempel der Meister der Chan-Spitze“ oder auch kurz „Tempel der Meister“, wird er von Einheimischen nur Minedera, „Gipfeltempel“ genannt. Er hat auch den gleichen Namen wie der Berg, auf dem er steht. Da der Berg wie ein achtblättriger Lotos aussieht, wird der Tempel auch Hachiyōzan genannt oder nach dem Gumonji-Ritus, das Kōbō Daishi hier abgehalten hat, „Gumonjiin“.
Die besondere Struktur des Berges, dem Lotus ähnlich, drängt einem auch den Vergleich mit dem Wohnsitz der Gottheit Kannon Bosatsu auf, die in Südindien, in einer Art Paradies, dem „Reinen Land Kannons“, wohnen soll. Und so ist dieser Tempel auch Kannon Bosatsu gewidmet, die als elfgesichtige Kannon die Oberherrschaft über die Schiff und das Meer hier haben soll. Während Gyōgi zwischen 724 und 728 die Hauptgottheit geschaffen und ein Gebäude errichtet haben soll, hat Kōbō Daishi später auf Geheiß des Kaisers Saga (52. Tenno Japans; 786-942) diesen Tempel etabliert und den Gumonji Ritus gelehrt.
Zwischen dem 16. und 17. Jahrhundert betete Yamauchi Kazutoyao, Lord von Tosa, hier für eine sichere Seereise. Die Kannon Statue wird deshalb noch heute Funadama Kannon („Geist der Schiffe Kannons“) genannt. Die Haupthalle (Hondō) stammt aus dem frühen 19. Jahrhundert, die Daishi-Halle (Daishi-dō) aus dem Jahre 1984 und das Tor mit den Wächterstatuen wurde 1291 von einem Künstler namens Jōmei geschaffen. Diese Statuen zählen heute zum wichtigen nationalen Kulturgut.
Exkurs Gumonji Ritual - auch Morgenstern-Meditation (gumonji-hō)
Die Morgenstern-Meditation ist eine Übung, bei der das Mantra (Wortformel) des Bodisattva Kokūzō in einer festgelegten Zeitspanne ein Million und achtzigtausend Mal rezitiert wird:
„Nōbō akyasha kyarabaya on arikya mari bori sowaka“ (Japanisch)
„Ehre Dir, großer Träger der Leere, der eine Blume in der Hand hält, geschmückt mit Girlande und einer juwelenbesetzten Krone – svâhâ“ (das Sanskritwort svâhâ lässt sich nicht übersetzen)
Der Begriff „gumonji-hō“ bedeutet wörtlich „Technik, das Gehörte zu behalten“, das heißt, nach dieser Übung soll man fähig sein, sich alles, was man sieht und hört, zu merken. In der Tat wurde die Morgenstern-Meditation in Japan schon früher mit dem Ziel geübt, das Gedächtnis zu schulen und Sutren besser auswendig zu lernen. Sie wird auch Morgenstern-Meditation genannt, weil sie die Visualisierung der Gottheit Kokūzō beinhaltet, und zwar in Gestalt des Planeten Venus, des Morgensterns. Nachdem der Übende Zeremonien zur Körper- und Geist-Reinigung vollzogen (Aka/Nußeibe-Wasserritual), den Morgenstern verehrt hat, betritt er die spezielle Meditationshalle, deren Wände den Blick auf eine unberührte Naturlandschaft in der Ferne freilässt und ein verhängtes Bildnis Kokūzōs aufweist. Nachdem der Gottheit Ehrerweisungen und Opfergaben dargeboten wurden, das Bildnis wird enthüllt, beginnt die Meditation, mit einer gegenseitigen Kraftübertragung zwischen Übenden und Gottheit. In Kokūzōs Brust visualisiert man eine Mondscheibe, in der die Silben des Mantra (Wortformel) erscheinen. Das Mantra stahlt goldenes Licht aus und strömt so von der Gottheit weg durch den Scheitel des Übenden hinein, verlässt ihn durch den Mund und tritt durch die Füße wieder in Kokūzō ein. Stets mit derselben Mudra-Haltung der Hände (rechts „Wunscherfüllungsjuwel“; links „Vajra-Faust“) visualisiert der Übende seine eigene Rezitation in dieser Art, bis die vorgeschriebenen Anzahl von Mantras erreicht ist, die durch einen speziellen, 54 Holzperlen aufweisenden, Rosenkranz (juzu) und ein Steckbrett mitgezählt werden. Früher liefen solche Meditationen über 100 Tag, heute sind es meist 50 Tage. Diese werden mit einem speziellen Einführungs- und Abschlussritus beendet, ansonsten jedoch gleichförmig und auch nach der eigentlichen Meditation, Essen, Baden, Schlafen laufen ebenfalls ritualisiert weiter. So z.B. jeden Morgen um 2.00 Uhr aufstehen und nach Eingangsritualen zwei Perioden von insgesamt 10 Stunden meditieren.
Traditionell wird die Halle für die Morgenstern-Meditation in einer einsamen, unberührten Gegend errichtet, an einem Ort, wo man Himmel und Sterne sehen kann. In alter Zeit wurde sie im Freien durchgeführt. Es gibt heutzutage nur noch wenige Tempel wo man diese Meditation übt: Tairyuu-ji (Tempel Nr. 21) in der Region Awa auf Shikou, Kongō-ji in Kōchi, der Berg Misen auf der Inlandsee-Insel Miyajima und Shinbessho auf dem Koyasan.
An klaren Tagen soll man hier sowohl Kap Muroto als auch Kap Ashizuri sehen können, aber mir fallen vor allem die, die Küste säumenden, Gewächshäuser ins Auge. Im Tempel entdecke ich eine Tanuki Figur (Dachshund) im Mönchsgewand und sogar die hinter den Gebäuden liegenden „shio no senman“ Felsen entgehen mir heute nicht. Wir hetzen durch den Tempel, holen uns Stempel und Kalligraphie im Pilgerbüro und sprinten wieder den Berg runter. Das ist Gift für Hajos Bein, denke ich, und als ich auf die Uhr gucke, haben wir bis zum letzten Bus noch eine halbe Stunde. Wir fahren also pünktlich mit dem Bus nach Kōchi zurück, inspizieren noch den Weg zum Postamt, welches wir morgen, gezwungener Maßen, besuchen müssen, da wir bis jetzt noch keinen Geldautomaten gefunden haben, der unsere Kreditkarten akzeptiert. Auch auf den Zug nach Engyojiguchi müssen wir wieder warten, aber kommen doch noch rechtzeitig zum leckeren Abendessen. Wir machen unsere Wäsche, damit wir die nächsten Tage Ruhe haben und kalkulieren unsere Route. Wenn wir so weitermachen, sind wir Ende April mit unserer Shikoku Tour fertig. Und was soll ich die restlichen 3 Wochen machen? Hajo will noch zum Koya-san, Kyōto, Tokyo und Nikko besuchen, um dann vom Tokyoter Flughafen Narita wieder nach Deutschland zu fliegen. „Ich lad’ Dich nach Kyōto ein“, sagt Hajo großkotzig, aber erstens kenne ich Kyōto schon und zweitens weiß ich auch, dass wir mit dem Budget, was wir hier verbrauchen auf dem „Festland“ nicht hinkommen werden. In Kyōto musst du für jeden Tempel Eintritt bezahlen, für jede Extraausstellung oder Tempelgebäude wird zusätzlich Yen verlangt, mal ganz davon abgesehen, dass wir hier die günstigsten Unterkünfte und Restaurants in unseren Karten verzeichnet haben. Da hetzt man sich nur, um dann zu erfahren, dass man viel zu schnell ist. Am späteren Abend trudeln dann noch Amerikaner in der Jugendherberge ein, die fragen wir auch nach Kartenautomat.
Ich fühle mich durchgefroren, das ganze Warten auf die Busse und die paar Sonnenstrahlen wärmen einen bei der steifen Briese, die hier weht, auch nicht mehr auf. Da hilft auch eine heiße Dusche am Abend nicht mehr. Buspilgern ist Sch…! Man kann nicht fotografieren, man sitzt nur rum und wartet…
Heute ist zwar Sonntag, aber um 7.00 Uhr klingelt Hajos Wecker. Schnell sind wir aufgestanden und haben unser japanisches Frühstück genossen. Ein japanischer Herr, den Hajo gestern kennengelernt hat, hat uns „Ume boshi“, eingelegte Pflaumen, angeboten. Die sollen hervorragend für den Magen sein, so preist der Herr seine super sauren Säurebomben an. Ich bin schon von früheren Japanaufenthalten gewarnt, was hier im Bezug auf Pflaumen als Delikatesse oder Naschwerk angeboten wird, aber diese Dinger ziehen einem echt alles zusammen. Also Vorsicht – diese hellroten Pflaumen zählen ebenso wie Natto (fermentierte Sojabohnen) und die Bitterorangen für den Gaijin (Ausländer) in die Kategorie „Einmal probiert ist noch zu viel“. Dabei sind diese Pflaumen eigentlich in Salz eingelegte und einer Milchsäuregärung unterzogene grüne Aprikosen. Sie werden von Japanern zu zweit, mehr kriegt man wohl nicht runter, zum Frühstück gegessen, und auch im Bentō (jap. Fast Food) symbolisiert eine solch hellrote Aprikose zusammen mit dem Reis die japanische Fahne (hinomaru bentō).
Unsere Pläne für heute sehen wie folgt aus: Besuch der Burg Kōchi, über den Sonntagsmarkt zurück zur Chikamori Klinik laufen, wo Hajo einen Termin um 11.00 Uhr hat, und danach keinesfalls Ausruhen, denn es müssen noch Tempel Nr. 34 und Nr. 32 besucht werden. Aber für mich ist erstmal wichtig, mein Portemonnaie wiederzufinden, d.h. ich weiß genau wo ich es verloren haben muss (Getränkeautomat) bzw. wenn es nicht mehr dort liegt, werde ich es im Bahnhofsschalter wiederfinden. Japaner sind, was verlorene Sachen angeht, sehr gewissenhaft. Da ich schon mal meinen Reispass an einem Kopierer in einem Kombini verloren habe, weiß ich aus erster Quelle, dass verlorene Sachen hier relativ einfach den Weg zurück zum Besitzer finden, nur die Bürokratie danach kostet einen Nerven. Und – siehe da, man hat mein Portemonnaie gefunden, ich kann auch den Inhalt beschreiben, ca. 4000 Yen, und Hajo unterstützt meine Aussagen und will als Zeuge fungieren. Umständlich erklärt man mir, dass der Finderlohn 10 % beträgt und ich mich doch beim Finder bedanken möge. Ein persönlicher Kontakt zum ehrlichen Finder, dass ist besonders wichtig, auch wenn ich gestehen muss, dass ich nicht glaube, dass es mit der Verständigung geklappt hätte, wenn ich denn ein Handy dabei haben würde. Froh, mein erstes Osettai (Pilgergeschenk) wiederzuhaben, hinterlasse ich dann auch 2000 Yen Finderlohn. Hauptsache, die Beamten hier fangen jetzt nicht noch mit mir an zu diskutieren, dass ich mehr bezahle, als eigentlich nötig ist. Aber ich habe Glück und alle sind zufrieden, ich will auch nicht davon anfangen, wie lange das jetzt wieder gedauert hat. Auf alle Fälle machen wir uns jetzt auf den Weg zum Schloss bzw. der Burg von Kōchi, immer die Augen nach einer Möglichkeit aufhaltend, Geld abzuheben. Im Bahnhof sind sogar die Streckenpläne der JR Shikoku ausgelegt, wir hatten erst vor kurzer Zeit so einen Plan von einem abgelegenen Bahnhof mitgehen lassen, aber jetzt habe ich einen in Reserve. Wir fragen uns so durch die Einkaufspassage von Kōchi, Hajo hatte gestern noch Adressen aus dem Internet gesucht, aber leider sind die Banken geschlossen und in den Kaufhäusern funktionieren unsere Karten nicht. Im Takashimaya, einer berühmten japanischen Kaufhauskette, bemüht sich eine Dame aus der Kosmetik Abteilung ganz rührend um uns. Sie spricht Englisch und rennt doch fast eine Stunde mit uns durch die Gegend, um neue Möglichkeiten aufzutun, wo wir Geld ziehen könnten. Leider erfolglos, aber das nenne ich Gastfreundschaft, dabei haben wir bei ihr noch nicht einmal was gekauft! Vielleicht hätten wir aber, wenn wir denn Geld gehabt hätten – würden – hätten – wollten…
http://www.pref.kochi.lg.jp/english/tourism-castle.html
Die Burg von Kōchi (Kōchi-jō; engl. Kōchi Castle) ist eine Burg bzw. ein Schloss, das 1601 bis 1611 erbaut wurde. Bemerkenswert ist hier, dass es keine Replik aus der Nachkriegszeit ist, wie so viele Burgen in Japan, sondern eine der wenigen, die noch im Original erhalten ist. „Hat man eine Burg gesehen, hat man sie alle gesehen“, diesen Spruch musste ich mir mal von einem Touristen hier in Japan anhören. Natürlich sehen die Burgen alle recht ähnlich aus, das gilt aber auch für die Tempel. Auf die Kleinigkeiten kommt es an. Die meisten Burgen lassen sich auf einen Grundbauplan wie folgt zurückführen: Ein großer Wassergraben umgibt einen Sockel von Felsblöcken, auf dem die eigentliche Burg, meist in Holz, gebaut worden ist. Die Modulbauweise, d.h. ein rechteckiger Raum auf dem anderen bis hin zum Turm ist ebenfalls Form bestimmend, sowie die hochgezogenen Dächer und die weißen Wände. Allein vom Aufbau könnte ich nicht sagen, um welche Burg es sich handelt, da es hier auf Shikoku noch in Uwajima, ōzu, Matsuyama und Marugame Burgen gibt. Meist bleiben einem vor allem die schönen, goldenen Dachreiter im Gedächtnis. Sie sollen die Burg vor Feuersbrünsten schützen, da ihnen nachgesagt wird, sie könnten Regen machen. Es ist so eine typisch japanische Tiermischung (Chimera) aus Tigerkopf und Karpfenkörper und wird shachihoko (鯱; Fischtiger) genannt. Die Burg ist von einem Park umgeben, in dem sich zurzeit die Kirschblüte voll entfaltet. Es ist zwar noch vormittags, aber die Leute strömen in Scharen hierher, um hier Hanami (Blütenschau) unter den Kirschbäumen zu betreiben bzw. ein Picknick zu veranstalten. Es sind Stände aufgebaut, an denen man von Getränken, Süßigkeiten bis hin zu kompletten Mahlzeiten alles kaufen kann, was man für ein Picknick benötigt. Aber wir wollen das Schloss besichtigen und müssen am Eingang erstmal aus unseren Schuhen in Plastikslipper tauschen. Das ist hier in Japan leider so – entweder muss man Plastiklatschen anziehen, oder so Schuhüberzieher anlegen, wenn man die alten Gemäuer besuchen möchte. Hat man sich erst mit den Schlabberlatschen die viel zu engen und steilen Treppen hinaufgekämpft, man beachte die Laufrichtung, sonst kommt man in den Gegenverkehr, und ist jedem zu tief liegendem Dachbalken mit dem Kopf ausgewichen, dann hat man vom Turm aus eine tolle Aussicht über die ganze Stadt. Aber die Burg beherbergt auch eine Art Museum mit Rüstungen, Waffen, Kleidung und einem Modelle, wie die Burg und das Ländereien im Mittelalter ausgesehen haben. Es werden Szenen aus der damaligen Zeit dargestellt, wie die Bauern auf dem Acker arbeiten, wie ein Wal gefangen und zerlegt wird. Ich kann von hier sogar einen Blick auf den Sonntagsmarkt werfen, den wir als nächstes besuchen werden. Auf dem Weg dorthin fallen mir wieder zwei Pilger auf, die hier mit ihrer Schale in der Hand stehen und so um Almosen bitten. Der Kōchi Sunday Market ist einer der berühmtesten Märkte in Japan, auf dem von Lebensmitteln über Kunsthandwerk und Antiquitäten bis hin zu Dingen des täglichen Bedarfs alles verkauft wird. Es sind Freiluftstände, die jeweils sonntags aufgebaut werden. Das ist nicht üblich hier in Japan, wo die Märkte meist in dafür vorgesehene überdachten Passagen abgehalten werden. Wir sind etwas spät dran, aber deshalb muss Hajo noch lange nicht hier so durchpreschen. Ich kann mich an den Ständen gar nicht satt sehen, aber kaufen kann ich leider nichts, da ich das sonst die ganze Tour mit mir herumschleppen muss. Es gibt Baumstümpfe, an denen man Pilze ziehen kann, Messerstände, Stände von denen einen Tanuki (mythologischer Marderhund) Figuren anlachen, Stände mit unübersehbar vielen Sorten von Bohnen, Würzfischchen, Pilzen, Zitrusfrüchten und eingelegten Gemüse (tsukemono). Hajo rennt voran, ich kann ihn aufgrund seiner Größe zwar gut sehen, doch der Abstand wird immer größer, da ich selber bei dem Gewusel nicht so recht vorankomme. Ich weis, wo das Krankenhaus ist, zur Not werde ich ihn da wiederfinden, wenn er denn bis dahin bemerkt, dass er mich verloren hat
Aus dem Krankenhaus sind wir schnell wieder raus, aber da am Sonntag die Klinikapotheke nicht geöffnet hat, müssen wir in eine andere Apotheke, die außerhalb des Gebäudes liegt, um Hajos Medikamente zu besorgen. Leider ist da wohl irgendetwas schief gelaufen, da Hajo schon im Krankenhaus bezahlt hat oder soll er hier nochmals zahlen. Die beiden Damen rücken nicht mit der Sprache raus und telefonieren wie wild. Schließlich und endlich dürfen wir dann doch mit den Medikamenten diese Örtlichkeit verlassen und ich bin heilfroh, denn ich weiß wie Japaner an ihren Vorschriften festhalten und wie Chaos entsteht, wenn die Sachen eben nicht nach „Schema F“ laufen. Aber jetzt geht es auf zu Tempel Nr. 34!
Mit dem Bus fahren wir zu Tempel Nr. 34, da wir jetzt wissen von wo die Busse abfahren, haben wir auch keine Probleme so wie gestern. Wir steigen allerdings an der falschen Haltestelle (irgendwo an der Straße 56) aus und müssen dafür umso weiter laufen. Wir passieren wieder ein Samurai-Denkmal, aber Ryoma Sakamoto ist es nicht. Kurz vorm Tempeleingang steht mal wieder ein Eisverkäufer, der hofft wohl auf einen Bus mit Pilgern, denn von den paar Leuten, die sich hier gerade herumtreiben, wir er wohl nicht leben können. Eine ganz besondere Art von Pilger sehen wir auf dem Tempelgelände, nein leider nicht den Pilger, aber sein Wägelchen, dass er hier abgestellt hat. Aber ob nun Pilger oder Landstreicher, wie gesagt, der Unterschied hier auf Shikoku ist fließend.
Exkurs Tempel Nr. 34 Tanemaji (種間寺)
„Der Tempel des Säens“ wurde von Kōbō Daishi gegründet und so benannt, da er nach seiner Rückkehr aus China hier Samen (tane) von 5 verschiedenen Getreidesorten gepflanzt (maku) haben soll. Der Tempel ist Yakushi Nyorai, dem Medizinbuddha, gewidmet, dessen Statue von einem koreanischen Künstler um das Jahre 578 geschaffen worden ist, als der vom damaligen Kaiser Bidatsu (30. Tennō, 538-585) zusammen mit anderen Künstlern, Architekten und Priestern eingeladen worden war, um mit am Tennoji Tempel in Naniwa (heute ōsaka) zu arbeiten. Als er dann nach Korea zurückkehren wollte, kam er kurz vor Kōchi in Seenot, aus der er aber wohlbehalten gerettet worden ist. Aus diesem Grunde schnitzte er eine Statue des Yakushi als den Beschützer der See, die später als Honzon (Hauptgottheit) im Tanemaji diente. Viele Male wurde der Tempel von Taifunen heimgesucht und zerstört. In der frühen Meiji Periode (1867-1912) verfiel der Tempel zunehmend, wurde aber 1888 wiederaufgebaut. Der Medizinbuddha, Yakushi Nyorai, soll denjenigen Frauen, die ihm huldigt eine leichte Niederkunft bescheren. Hierzu bringt die Schwangere eine Schöpfkelle in den Tempel. Der Priester vollzieht ein Ritual, bei dem der Schöpfkelle der Boden durchschlagen wird. Danach kann die zukünftige Mutter die kaputte Schöpfkelle in der Tokonoma (Ziernische) ihres Zuhauses aufbewahren. Nach einer leichten Geburt bringen die Frauen die Schöpfkellen zum Dank zurück zum Tempel, wo sie als Ermutigung zur Schau gestellt werden. Interessant sind hier ferner eine erhalten gebliebene Kopie der Tripitaka, eine Sammlung buddhistischer Schriften, sowie die Tatsache, das ein Teil der Tempelgemeinde nach Amerika ausgewandert ist und dort nun Mitglieder des Koya-san Tempels in Kalifornien sind.
Da der Tempel zu ebener Erde liegt, müssen wir also keine Treppen erklimmen. Eine willkommene Erleichterung für Hajos ohnehin geschädigte Gehwerkzeuge. Endlich mal ein Tempel für wirklich Kranke, die wohl kaum so einen Berg mit tausenden von Treppen erklimmen können – heute schon mit dem Bus, aber damals. Dem Medizinbuddha gewidmet, liegt der Tempel inmitten von Reisfeldern. Die kaputten Schöpfkellen hängen hier überall, sogar den Glockenturm - pardon - es ist wie ein Glockenturm aufgebaut, beherbergt aber eine Yakushi Nyorai Statue, ziert eine Galerie von Kellen. Als wir den Tempel verlassen, wollen wir noch etwas Wegzehrung wie Kekse kaufen und besuchen den Laden, der direkt vor dem Eingang liegt. Als Hajo gelbe Bunta Früchte auf dem Tisch liegen sieht, fragt er ob er mal probieren dürfte, aber er futtert sie so schnell weg, das der Japaner ihm nicht zeigen kann, wie man sie aus der weißen Hülle bekommt. Der japanische Fachmann benutzt dazu so ein kleines Werkzeug, das wie ein Brieföffner aussieht, aber mit versteckter Klinge, damit man sich nicht in die Finger schneidet. Er erklärt uns, dass die Früchte „Bunta“ genannt werden. Auch ich probiere und die Bunta macht mich munter, nein – die schmecken richtig lecker, nicht so sauer, wie die hellgelbe, pampelmusenartige Schalenfarbe vermuten ließe. Wenn wir jetzt noch Tempel Nr. 32 besuchen wollen, müssen wir uns sputen, da wir noch nicht wissen, wie wir hier wieder weg kommen sollen. Wir laufen deshalb bis Haruno zurück und wollen eigentlich vom Haruno-yakuba-mae Busstopp wieder nach Kōchi fahren. Leider ist diese Bushaltestelle verweist und auch angesprochene Passanten können uns keine Auskunft darüber geben, ob der Bus gar nicht oder nur sonntags nicht fährt. Wir wandern erstmal die Straße 36 zurück in Richtung unserer ursprünglichen Bushaltestelle. Es kommt uns ein Auto entgegen und wir nutzen die Gunst der Stunde, halten es an und fragen nach der nächstmöglichen Bushaltestelle. Aber die Fahrerin fordert uns kurzerhand auf, einzusteigen und fährt uns zu unserer Bushaltestelle. So kommen wir aus der Pampa dann doch wieder nach Kōchi, wo wir abermals einen Bus besteigen, um für heute unser letztes Ziel, Tempel Nr. 32, in Angriff zu nehmen. Es stellt sich eine ältere Damen zur Verfügung, um uns gegebenenfalls Bescheid zu sagen, sollten wir nicht an der richtigen Bushaltestelle aussteigen. Und das ist auch nötig, da die Strecke doch recht lang ist und wir von Kōchi bis Nankoku City fahren müssen. Über mehrere Brücken und Tunnel, vorbei am Sekido Teich, steigen wir am Mineiji-dori Bus Stopp aus, der direkt vor einem Tunnel liegt. Auf diesem Tunnel bzw. den darüberliegenden Berg steht der Tempel Nr. 32. „Wir haben aber nur knapp eine Stunde, wenn wir mit dem letzten Bus zurück nach Kōchi fahren wollen“, mahnt mir Hajo und wir hetzen los. Im Laufschritt voran, nehmen wir den kleinen Hügel innerhalb von wenigen Minuten, auch wenn wir in der Eile fast den Weg zum Tempel verpassen.
Exkurs Tempel Nr. 32 Zenjibuji (禅師峰寺)
Dies ist ein Tempel mit vielen Namen. Eigentlich der „Tempel der Meister der Chan-Spitze“ oder auch kurz „Tempel der Meister“, wird er von Einheimischen nur Minedera, „Gipfeltempel“ genannt. Er hat auch den gleichen Namen wie der Berg, auf dem er steht. Da der Berg wie ein achtblättriger Lotos aussieht, wird der Tempel auch Hachiyōzan genannt oder nach dem Gumonji-Ritus, das Kōbō Daishi hier abgehalten hat, „Gumonjiin“.
Die besondere Struktur des Berges, dem Lotus ähnlich, drängt einem auch den Vergleich mit dem Wohnsitz der Gottheit Kannon Bosatsu auf, die in Südindien, in einer Art Paradies, dem „Reinen Land Kannons“, wohnen soll. Und so ist dieser Tempel auch Kannon Bosatsu gewidmet, die als elfgesichtige Kannon die Oberherrschaft über die Schiff und das Meer hier haben soll. Während Gyōgi zwischen 724 und 728 die Hauptgottheit geschaffen und ein Gebäude errichtet haben soll, hat Kōbō Daishi später auf Geheiß des Kaisers Saga (52. Tenno Japans; 786-942) diesen Tempel etabliert und den Gumonji Ritus gelehrt.
Zwischen dem 16. und 17. Jahrhundert betete Yamauchi Kazutoyao, Lord von Tosa, hier für eine sichere Seereise. Die Kannon Statue wird deshalb noch heute Funadama Kannon („Geist der Schiffe Kannons“) genannt. Die Haupthalle (Hondō) stammt aus dem frühen 19. Jahrhundert, die Daishi-Halle (Daishi-dō) aus dem Jahre 1984 und das Tor mit den Wächterstatuen wurde 1291 von einem Künstler namens Jōmei geschaffen. Diese Statuen zählen heute zum wichtigen nationalen Kulturgut.
Exkurs Gumonji Ritual - auch Morgenstern-Meditation (gumonji-hō)
Die Morgenstern-Meditation ist eine Übung, bei der das Mantra (Wortformel) des Bodisattva Kokūzō in einer festgelegten Zeitspanne ein Million und achtzigtausend Mal rezitiert wird:
„Nōbō akyasha kyarabaya on arikya mari bori sowaka“ (Japanisch)
„Ehre Dir, großer Träger der Leere, der eine Blume in der Hand hält, geschmückt mit Girlande und einer juwelenbesetzten Krone – svâhâ“ (das Sanskritwort svâhâ lässt sich nicht übersetzen)
Der Begriff „gumonji-hō“ bedeutet wörtlich „Technik, das Gehörte zu behalten“, das heißt, nach dieser Übung soll man fähig sein, sich alles, was man sieht und hört, zu merken. In der Tat wurde die Morgenstern-Meditation in Japan schon früher mit dem Ziel geübt, das Gedächtnis zu schulen und Sutren besser auswendig zu lernen. Sie wird auch Morgenstern-Meditation genannt, weil sie die Visualisierung der Gottheit Kokūzō beinhaltet, und zwar in Gestalt des Planeten Venus, des Morgensterns. Nachdem der Übende Zeremonien zur Körper- und Geist-Reinigung vollzogen (Aka/Nußeibe-Wasserritual), den Morgenstern verehrt hat, betritt er die spezielle Meditationshalle, deren Wände den Blick auf eine unberührte Naturlandschaft in der Ferne freilässt und ein verhängtes Bildnis Kokūzōs aufweist. Nachdem der Gottheit Ehrerweisungen und Opfergaben dargeboten wurden, das Bildnis wird enthüllt, beginnt die Meditation, mit einer gegenseitigen Kraftübertragung zwischen Übenden und Gottheit. In Kokūzōs Brust visualisiert man eine Mondscheibe, in der die Silben des Mantra (Wortformel) erscheinen. Das Mantra stahlt goldenes Licht aus und strömt so von der Gottheit weg durch den Scheitel des Übenden hinein, verlässt ihn durch den Mund und tritt durch die Füße wieder in Kokūzō ein. Stets mit derselben Mudra-Haltung der Hände (rechts „Wunscherfüllungsjuwel“; links „Vajra-Faust“) visualisiert der Übende seine eigene Rezitation in dieser Art, bis die vorgeschriebenen Anzahl von Mantras erreicht ist, die durch einen speziellen, 54 Holzperlen aufweisenden, Rosenkranz (juzu) und ein Steckbrett mitgezählt werden. Früher liefen solche Meditationen über 100 Tag, heute sind es meist 50 Tage. Diese werden mit einem speziellen Einführungs- und Abschlussritus beendet, ansonsten jedoch gleichförmig und auch nach der eigentlichen Meditation, Essen, Baden, Schlafen laufen ebenfalls ritualisiert weiter. So z.B. jeden Morgen um 2.00 Uhr aufstehen und nach Eingangsritualen zwei Perioden von insgesamt 10 Stunden meditieren.
Traditionell wird die Halle für die Morgenstern-Meditation in einer einsamen, unberührten Gegend errichtet, an einem Ort, wo man Himmel und Sterne sehen kann. In alter Zeit wurde sie im Freien durchgeführt. Es gibt heutzutage nur noch wenige Tempel wo man diese Meditation übt: Tairyuu-ji (Tempel Nr. 21) in der Region Awa auf Shikou, Kongō-ji in Kōchi, der Berg Misen auf der Inlandsee-Insel Miyajima und Shinbessho auf dem Koyasan.
An klaren Tagen soll man hier sowohl Kap Muroto als auch Kap Ashizuri sehen können, aber mir fallen vor allem die, die Küste säumenden, Gewächshäuser ins Auge. Im Tempel entdecke ich eine Tanuki Figur (Dachshund) im Mönchsgewand und sogar die hinter den Gebäuden liegenden „shio no senman“ Felsen entgehen mir heute nicht. Wir hetzen durch den Tempel, holen uns Stempel und Kalligraphie im Pilgerbüro und sprinten wieder den Berg runter. Das ist Gift für Hajos Bein, denke ich, und als ich auf die Uhr gucke, haben wir bis zum letzten Bus noch eine halbe Stunde. Wir fahren also pünktlich mit dem Bus nach Kōchi zurück, inspizieren noch den Weg zum Postamt, welches wir morgen, gezwungener Maßen, besuchen müssen, da wir bis jetzt noch keinen Geldautomaten gefunden haben, der unsere Kreditkarten akzeptiert. Auch auf den Zug nach Engyojiguchi müssen wir wieder warten, aber kommen doch noch rechtzeitig zum leckeren Abendessen. Wir machen unsere Wäsche, damit wir die nächsten Tage Ruhe haben und kalkulieren unsere Route. Wenn wir so weitermachen, sind wir Ende April mit unserer Shikoku Tour fertig. Und was soll ich die restlichen 3 Wochen machen? Hajo will noch zum Koya-san, Kyōto, Tokyo und Nikko besuchen, um dann vom Tokyoter Flughafen Narita wieder nach Deutschland zu fliegen. „Ich lad’ Dich nach Kyōto ein“, sagt Hajo großkotzig, aber erstens kenne ich Kyōto schon und zweitens weiß ich auch, dass wir mit dem Budget, was wir hier verbrauchen auf dem „Festland“ nicht hinkommen werden. In Kyōto musst du für jeden Tempel Eintritt bezahlen, für jede Extraausstellung oder Tempelgebäude wird zusätzlich Yen verlangt, mal ganz davon abgesehen, dass wir hier die günstigsten Unterkünfte und Restaurants in unseren Karten verzeichnet haben. Da hetzt man sich nur, um dann zu erfahren, dass man viel zu schnell ist. Am späteren Abend trudeln dann noch Amerikaner in der Jugendherberge ein, die fragen wir auch nach Kartenautomat.
Ich fühle mich durchgefroren, das ganze Warten auf die Busse und die paar Sonnenstrahlen wärmen einen bei der steifen Briese, die hier weht, auch nicht mehr auf. Da hilft auch eine heiße Dusche am Abend nicht mehr. Buspilgern ist Sch…! Man kann nicht fotografieren, man sitzt nur rum und wartet…
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