Der neunte Tag in Japan
Für 6.00 Uhr ist Wecken angesagt, wir wollen früh raus, aber leider wache ich schon früher auf, da das Haus so hellhörig ist, dass ich die Klospülung höre. Beim Frühstück treffen wir wieder auf Herrn Akadama. Er zeigt uns, dass man die kleinen, getrockneten Fischchen zum Würzen vom Reis benutzt. „Niboshi“ heißen, glaube ich, die Mini-Sardinen, die, wenn man nicht genau hinsieht, aussehen wie etwas krümelige Nudeln mit Pünktchen. Jetzt stellt er sich uns sogar mit Namen vor und wir tauschen Adressen, die wir auf die kleinen Namenszettel (osame-fuda) geschrieben haben, aus. So reichlich wie das Abendessen war, so mager ist jetzt das Frühstück. Auch das Problem mit den gekochten Eiern, wir bekommen diesmal ein panaschiertes Ei ohne Schale, lässt sich wieder nicht lösen. Ja kennen die Japaner keine hartgekochten Eier?
Zusammen mit Herrn Akadama wollen wir zu Tempel Nr. 20 (Kakurinji), der nur ca. 3 km entfernt liegt, wandern. Um Zeit zu sparen, habe ich meinen Rucksack schon gestern gepackt. Da ich morgens nur die Zähne zu putzen brauche, wandert meine Zahnbürste in eine Seitentasche meines Rucksacks und schon bin ich abmarschbereit. Da ich nach dem abendlichen Bad in Ermangelung von Schlafkleidung immer gleich meine Wandermontur anziehe, muss ich mich morgens nicht noch umziehen.
Beim Verlassen des Ryokans bekommen wir von der Wirtin ein Bild von Kōbō Daishi geschenkt. Ich klemme es in den Plastikumschlag meines Pilgerbuchs, da bleibt es sauber und wird nicht geknickt. Mein Pilgerbuch hüte ich wie einen Schatz. Auch wenn wir unsere Rucksäcke irgendwo lagern dürfen, habe ich immer beiden Pilgerbücher (eins für die offiziellen 88 Tempel, das andere für die Bangai Tempel) in meiner kleinere Tasche in einem wasserfesten Plastikbeutel. Auch mein Netbook, auf dem ich meine Fotos speichere, wird in einer solchen Tüte verwahrt. Glücklicherweise hat es noch nicht so viel geregnet, wie man uns angedroht hatte. Um 7.15 Uhr brechen wir auf zu Tempel Nr. 20. Hajo sagt noch, dass wir Herrn Akadama nicht lange folgen werden können, wenn er mit dem gleichen Tempo den Berg hoch marschiert wie er es gestern getan hat. Wenn wir Glück haben, treffen wir ihn im Tempel. Wir lassen ihn also ziehen. Während er dem Trail folgt, müssen wir die Straße nehmen, da Hajos Füße die Steigung wohl nicht mitmachen würden.
Mein Gott – nein - Namu Daishi Hengyō Kongō, wie es hier in der Langesprache heißt! Ist das ein Gekrachsel – wo stand eigentlich, dass es nur zwischen Tempel 11 und 12 so richtig zur Sache geht? Dieser Bergtempel (nansho) gehört auch in die Gruppe der Tempel „wo ein Pilger fällt“ (henro-korogashi), wenn er nicht aufpasst und auch der nächste Tempel, der Tairyuuji (Nr. 21), gehört in diese Kategorie.
Aua, die Oberschenkel schmerzen, die Knie schlottern und ich hechle wie ein Marathonläufer nach der Ziellinie. Meine Devise heute: „Nur nicht hochgucken“, sonst vergeht einem die Laune. Der Pilgerhut tut ein Übriges, damit der Bildausschnitt auf die 2 m vor mir beschränkt wird. Die Hoffnung auf Befestigung des Trails oder auf eine Art Treppen, wie es sie anfangs gab, zerschlägt sich, der Trail mäandert hier lose den Berg hoch und ich muss in jeder Kurve pausieren. Ich ziehe mich an meinem Wanderstock hoch, jetzt weiß ich warum ich ihn gekauft habe. Während ich ihn auf Flachstrecken eher mit mir herumschleppe, muss mein „Kōbō Daishi“ mich in den Bergen hochziehen bzw. bergab als Sicherungs- oder drittes Bein fungieren.
Exkurs Tempel Nr. 20 Kakurinji (鶴林寺)
„Der Tempel des Kranichwaldes“ wurde von Kōbō Daishi gegründet. Als er hier religiöse Übungen durchführte, erschien ihm in einer Zeder eine kleine, goldene Jizō Bosatsu Statue, die von zwei Kranichen bewacht wurde. Er schnitze eine ca. 90 cm Jizō Bosatsu Statue, in der er die kleinere aufbewahrte. Kaiser Kanmu gab dem Tempel den Titel „Offizieller Kaiserlicher Tempel (Chokugan-sho). Der ganze Tempelkomplex, hier auf dem Berg Washigao (500 m), umfasst 7 Schreine und 15 angeschlossene Tempel. So wurde unter dem Priester Shinzen allein 7 Hallen errichtet und auch Yoritomo und Yoshitsune vom Minamoto Clan, ersterer Shogun, der andere berühmter Feldherr, waren Förderer des Tempels.
Die Haupthalle (Hondō) stammt aus dem Jahre 1604 und die dreistöckige Pagode wurde 1827 errichtet, sie beherbergt eine Statue von Gochi Nyorai (Nyorai der 5 Weisheiten) und wird zu den Kulturschätzen der Präfektur Tokushima gezählt. Zwar kann heutzutage der Tempel auch mit Auto bzw. Bus über eine Straße erreicht werden, doch wird der steile Wanderweg des Pilgertrails noch heute „munatsuki“, die „Brust stechenden 800 Meter“ genannt.
Ein Schild weist den Wanderweg mit 3,1 km und die Autostraße mit 5,2 km aus. Trotz Hajos Handicap wagen wir den Wanderweg. Aber wir haben Pech, d.h. wir schaffen zwar die Strecke zum Tempel, aber leider hüllt sich dieser in Planen und Gerüste. Die Kraniche, die Symbol für langes Leben und Glück sind, zieren das Tor und haben den Platz der Wächterfiguren eingenommen. Auch am Haupttempel sind sie zu finden. Besonders interessant finde ich die mit Grünspan überzogenen Jizō Statue vor der dreistöckigen Pagode, aber auch die Pagode selbst, mit ihren Schnitzereien, macht Eindruck. Hier treffen wir auch Herrn Akadama wieder, der sich gerade auf den Weg zu Tempel Nr. 21, dem Tairyuuji, macht. Nachdem wir unseren Pilgerverpflichtungen nachgekommen sind, ein kleines Päuschen eingelegt haben, machen auch wir uns auf den Weg. Es geht wieder ins Tal, die ganze Anstrengung, die wir in die Erklimmung des Tempelberges gesteckt haben, war umsonst. Jetzt geht es wieder von Null auf ca. 600 m, die wir den nächsten Berg (Sancho) zu Tempel Nr. 21 ersteigen müssen. Auf dem Weg passieren wir eine Treppe mit weißem Geländer, die schnurstracks ins Tal führt. Wer ist bloß auf die Idee gekommen, hier ein solches Ungetüm in die Natur zu stellen. Normalerweise achten die Japaner immer darauf, die Trails möglichst natürlich zu gestalten. Es werden Steine verwendet, Holzbohlen, ja auch mal Asphalt oder Bohlenimitate, die wie Holz aussehen, aber das alles dient der Sicherheit des Pilgers. Eine Aufmunterung bekommen wir im Tal, dort haben die Dorfbewohner auf einem mit Denkmal und Rasthütte gestalteten Platz, Zitrusfrüchte hinterlegt. Das ist jetzt eine willkommene Erfrischung, obwohl ich die herb schmeckenden Orangen, nicht von den einheimischen, wie Klementinen schmeckenden, Satsuma Früchten (mikan) unterscheiden kann, erwische ich die süßere Mikan. Hajo isst eine Art Pampelmusenkreuzung (vielleicht eine Hyūganatsu), diesmal noch im gepelltem Ganzen, aber wie wir später erfahren werden, isst man diese, „bunta“ genannten Früchte, indem man sie aus ihren Häuten befreit. Auf Shikoku gibt es eine Vielzahl von Zitrusfruchtplantagen, der Trail führt manchmal direkt hindurch. Aber mit den ganzen Kreuzungen kenne ich mich sogar als Biologin nicht aus, so unterscheidet man hier Mandarinen in Mandarinen, Clementinen, Satsuma/Mikan, Organgen in Apfelsinen, Bitterorangen/Pomeranzen und Bergamotten, Pampelmusen in Pamelmusen/Pumelo, Grapefruits und Pomelos. Wir bekommen immer wieder diesen Früchten als Osettai (Pilgergeschenk) geschenkt. Da es zur Pilgeretikette zählt, diese nicht abzulehnen, auch wenn sie uns zu sauer sind, nehmen wir sie dankend an. Osettai bedeutet nicht, dass man es nicht auch weiterschenken darf. Es ist sogar erwünscht Osettais mit anderen Pilgern zu teilen.
Wir überqueren den Naka-gawa Fluß, bei dem etwa genauso viel Wasser wie Kiesbett zu sehen ist, und folgen dem kleinen Wakasugi-tanigawa Seitenfluss bis es wieder bergaufwärts geht. Pilger haben hier kleine Steinhaufen aufgeschichtet, die wie kleine Pagoden aussehen. Es soll den Pilgern Mut zusprechen, denn jetzt folgt ein ca. 1,3 km langer Anstieg auf 628 m. Im Pilgerführer war zwar die Reden von einer Seilbahn, doch die liegt auf der anderen Seite des Berges und außerdem sind wir Wanderpilger und keine Weicheier. Dabei mache ich mir weniger Sorgen um mich, als um meinen Marathon Mann Hajo, dessen Gehwerkzeuge uns wohl bei der derzeitigen Belastung durch Bergtempel in näherer Zukunft, eine Zwangspause aufdrängen werden.
Exkurs Tempel Nr. 21 Tairyūji (太竜寺)
„Der Tempel des imposanten Drachens“ geht auf den Namen des Berges zurück, auf dem er steht. Hier erschien dem ersten Kaiser Japans, Kaiser Jinmu (660–585 v. Chr.), während eines Vereinigungsfeldzugs das Bildnis eines imposanten Drachens. 798 gründete Kōbō Daishi den Tempel auf Geheiß des damaligen Kaisers Kanmu (737- 806; 50. Kaiser Japans), schnitze die Figur des Kokuzō Bosatsu. In seinem Buch „Sango Shiiki“ beschreibt Kōbō Daishi sein esoterisches Training hier auf dem Berg Tairyuu und wie er auch durch das 1000-malige Rezitieren des Kokuzō Mantras die Erleuchtung nicht erlangen konnte, dies sollte ihm erst später mit der gleichen Technik am Kap Muroto gelingen. Das Mantra, welches auch der Hauptgottheit des Tairyuuji Kokuzō Bosatsu gewidmet ist, lautet im Japanischen „Nōbō akyasha kyarabaya on arikya mari bori sowaka“. Übersetzt bedeutet es in etwa: „Ehre Dir – Träger des Raums, der eine Blume hält und mit Girlande und Krone geschmückt ist – svâhâ“.
Das Tor ist das älteste in der Präfektur Tokushima. 1861 wurde die Pagode und 1992 die Seilbahn gebaut. Etwas abseits vom Tempelkomplex liegt der historische Ort, „minamishihashin katake“ genannt, an dem Kōbō Daishi 100 Tage lang das Mantra rezitiert hat. Sehenswert ist auch das Bildnis des Drachens, im Gebäude „Jibutsudo“, welches rechts vom Pilgerbüro liegt. Aber Achtung, da das Bild an der Decke ist, muss man sich schon den Hals verrenken, um es in voller Pracht bewundern zu können.
Als wir im Tairyuji ankommen, bin ich total verschwitzt. Wie schon bei Tempel Nr. 12 friere ich und kann gar nicht so schnell zittern. Nachdem wir unsere Sutra rezitiert und unser Pilgerbuch signiert haben lassen, besuchen wir die Seilbahnstation, in der uns eine Tasse heiße Brühe angeboten wird. Das kommt mir gerade recht, ein wenig Wärme von innen.
Das ist hier ein richtig großer Tempelkomplex, er wird nicht ohne Grund „Koya-san des Westens“ genannt. Koyasan, in den Kii-Bergen in der Nähe von ōsaka gelegen, ist das Hauptquartier der Shingon Sekte, umfasst 121 Tempel und ist, neben der Autostraße, auch mit einer Art Seilbahn, einem kabelgetriebenen Zug, zu erreichen.
Wir treffen hier auch Herr Akadama wieder, ganz so schnell scheint der alte Herr wohl doch nicht zu sein – oder wartet unser Mitpilger etwa auf uns, damit wir nicht verloren gehen?
Der Name „Tempel des imposanten Drachens“ wird hier alle Ehre gemacht. Neben dem bereits erwähnen Drachenbildnis, gibt es hier unzählig Drachenabbildungen - so z.B. die Wasserspeier am Becken, einen geschnitzten Drachen in den Gläubige Münzen geklemmt haben, Drachenschnitzereien an Tempel und Pagode, ein kleiner Teich mit Drachenfigur, vor der ein Frosch flüchtet. Es ist alles recht weitläufig, aber ob wir den Meditationsort Kōbō Daishis gesehen haben, kann ich bei der Fülle an Plätzen, Figuren und Ebenen gar nicht sagen.
Wir machen uns auf den Weg und, man ahnt es, es geht wieder bergab, aber der nächste Tempel liegt zum Glück wieder im Tal, aber 11 km entfernt. Wir passieren eine Pilgerunterkunft mit hübschem Steingarten, aber im Ort Asebi, benannt nach einem blühendem Strauch, verlieren wir den Trail. Wir können einfach keine Pilgerschilder mehr finden. Wir laufen die Straße rauf bis zu Raststätte Wajiki, fragen dort und man schickt uns wieder die Straße runter. An der Tankstelle will man uns wieder in Gegenrichtung schicken, da sehen wir ein Bushaltestellenschild. Doch kaum laufen wir in Richtung Bushaltestelle, da brüllt ein Japaner uns auch schon hinterher. Ein Mann, den wir nie gesehen haben, mit der Kleidung eines Priesters und eine Zigarette zwischen den Fingern, winkt uns zu, dass der Trail in seine Richtung führt. Schnell haben wir ihn eingeholt. Wir hätten von da, von wo wir den Ort Asebi betreten haben, einfach nur geradeaus weitergehen müssen. Der Herr stellt sich uns als Kenji K… vor bzw. unsere Adressen tauschen wir erst später aus. Er ist ehemaliger Polizist und jetzt buddhistischer Priester. Wir müssen gemeinsam noch einen kleineren Berg meistern und wandern dann durch ein Dorf mit Feldern und Wiesen – Hajo mit dem Mönch plauschend voran und ich Fotos knipsend immer hinterher. Als wir an einem Busch vorbeikommen, erklärt der Japaner mir, dass der Busch „Asebi“ heißt und die Ortschaft, die wir eben passiert haben, ihren Namen von diesem Strauch hat.
Als wir im Tempel Nr. 22 ankommen, ich atme erleichtert auf, da wir nicht wieder einen Berg erklimmen müssen, erklärt uns unser Mitpilger, dass er heute kein Gebet mit uns sprechen wird. Er will jetzt seine Unterkunft „Sazanka“ hier in der Nähe aufsuchen, um morgen seinen Tag mit der Sutra-Rezitation beginnen zu könne.
Exkurs Tempel Nr. 22 Byōdōji (平等寺)
„Der Tempel der Gleichheit“ heißt so, weil die Hauptgottheit Yakushi Nyorai jeden von Krankheit heilt, ungeachtet von Alter, Geschlecht oder Herkunft. Der Tempel wurde 815 von Kōbō Daishi gegründet, nachdem das Bildnis Yakushi Nyorais in einer fünffarbigen Wolke erblickte. Der Berg am Tempel wird auch „Weiß Wasser Berg“ genannt, nach dem milchig-weißem Wasser, das hier einer Quelle entspringt, die Kōbō Daishi gegraben hat. Er soll persönlich ein Bad darin genommen haben. Es wird besonders bei Augenleiden empfohlen, die Augen damit zu waschen bzw. auch ein Fläschchen zu füllen. Im Haupttempel haben Pilger, die auf der Pilgerreise Heilung ihrer Leiden erfahren haben, ihre Krücken, Beinschienen und andere Hilfsmittel zurückgelassen. Sehenswert sind auch die mit Blumenmotiven geschmückte Decke, sowie die Enma Halle mit den „10 Königen der anderen Welt“. Enma ist der Herrscher und Richter der Unterwelt, er befragt die Verstorbenen nach ihren Taten und kann sie wieder auf die Erde zurückschicken.
Als wir den Brunnen besuchen wundern wir uns, da es vielmehr eine Art Altar ist, der unten ein Loch hat, durch welches man das kostbare Nass schöpfen kann. Auf der Treppe zum Hondō (Haupthalle) liegen lauter blinkende 1 Yen Münzen. Auf jeder Stufe die gleiche Anzahl, so als hätte jemand bei jedem Schritt eine Münze fallen lassen. Auch am Tempelbüro sehe ich, wie Menschen 100 und 500 Yen Münzen in Kleingeld wechseln. Was es mit den Münzen auf sich hat, soll ich aber erst in Tempel Nr. 23 (Yakuōji) erfahren.
Nachdem wir uns von unserem Mönch verabschieden haben, überreicht er uns eine Art Waschlappen mit einem kleinen Mönch drauf, den er kurz zuvor im Tempelshop gekauft hat. Wir bedanken uns herzlich für diese Osettai (Pilgergeschenk) und tauschen Adressen aus. Da wir jetzt noch zum Bahnhof Aratano wandern werden, um den Zug Richtung Tempel Nr. 23 zu nehmen, der fast 20 km entfernt liegt, werden wir uns wahrscheinlich nicht mehr sehen.
Als wir am Bahnhof von Aratano ankommen, traue ich meinen Augen kaum, aber mir war so als hätte ich Junior, den Studenten, den wir im Tempel Nr. 19 getroffen haben, gesehen. Er hat nur kurz um die Ecke geguckt, doch dann war ich abgelenkt, weil wir uns nach dem Zug und den Preisen erkundigt haben. Endlich waren wir so weit, ein Ticket in Händen zu halten, da fällt Hajo auf, dass wir ein Expressticket gekauft haben, aber das Ticket für den Normalzug („lokal train“) nur die Hälfte kostet. Ich verdrehe ich Augen und denke, dass das wieder Stunden dauern kann, bis wir am Ticketschalter den richtigen Fahrschein bekommen. Aber – oh Wunder – der Umtausch ist kein Problem, obwohl es anfangs doch hieß, es gäbe gar keinen Normalzug, nur den Express? Leider müssen wir eine Stunde länger warten, doch dann fahren wird von Aratano nach Hiwasa, oder müssen wir noch in Yuki oder Kiki umsteigen?
Kurz nach 17.00 Uhr treffen wir in Hiwasa ein, aber der Tempel Nr. 23, der Yakuōji, hat schon geschlossen. Wir fragen uns nach dem Hiwasa Youth Hostel durch. Der Eingang liegt etwas versteckt im Dunkeln. Da wir nicht vorbestellt haben, gibt es auch kein Essen. Auch die Diskussion mit dem Herbergsvater, der kein Englisch versteht, übers Frühstück verläuft ins Leere, aber dafür haben wir erst einmal ein Zimmer im Japanischen Stil, d.h. Reisstrohmatten (Tatami) und Futons. Wir legen nur kurz unsere Rucksäcke ab, Wertsachen nehmen wir natürlich mit, und laufen die Straße entlang, bis wir auf ein kleines, nettes Lokal stoßen. Hier bestelle ich mir ein Salat mit Hähnchenfleisch und auch Hajo isst etwas Ähnliches. Alles super lecker und man wird auch davon satt. Wir fragen hier noch nach dem Hiwasa Chelonian Caretta Museum, das Hajo morgen besuchen will. Wir haben zwar die Information darüber im Tempelführer, doch komischer Weise fehlen Informationen über die Öffnungszeiten und den Eintritt. Nachdem wir zur Jugendherberge zurückgekehrt sind, nimmt Hajo ein Bad, währenddessen schreibe ich mein Pilgertagebuch, übertrage die Fotos auf das Netbook und lade meine Akkus. Als ich an der Reihe bin, Hajo hatte mich vor der anfänglichen „braunen Suppe“ aus dem Wasserhahn gewarnt, ziehe ich es dann doch vor, nur eine kurze, kalte Dusche zu nehmen. Der Laden ist mir einfach etwas zu siffig. Wir besprechen noch schnell die Pläne für morgen und dann heißt es „o yasumi nasai“ – gute Nacht!
Sonntag, 23. August 2009
Montag, der 23. März 2009, Tokushima, Komatsushima City, Tatsue, Tempel Nr. 19
Der achte Tag in Japan
Um 6.00 Uhr ist Wecken angesagt, da es Frühstück ab 6.30 Uhr gibt. Pünktlich sitzen wir mit allen Leuten vom Abendbrot wieder am flachen Tischchen im Esszimmer. Hier wird uns auch gezeigt, dass man die Seetangstreifen auf den Reis legt, sie dann vorsichtig um ein bisschen Reis hüllt und die Rolle geschickt mit den Essstäbchen in den Mund befördert. Das japanische Frühstück ist gewöhnungsbedürftig, da nicht jeder Fisch und eingelegtes Gemüse (tsukemono) schon so früh herunterkriegt. Ich liebe japanisches Essen, aber ich glaube mein Stoffwechsel läuft am besten, wenn ich morgens Brot und Butter zu mir nehme. Was Süßes im Austausch gegen die doch recht kräftige Frühstückssuppe oder die Scheibe Lachs, da hätte ich kein Problem. Heute gönne ich mir sogar eine Tasse Kaffe, wenn es auch nur Instand- Kaffee ist, aber man wird anspruchsloser mit der Zeit.
Um 6.00 Uhr ist Wecken angesagt, da es Frühstück ab 6.30 Uhr gibt. Pünktlich sitzen wir mit allen Leuten vom Abendbrot wieder am flachen Tischchen im Esszimmer. Hier wird uns auch gezeigt, dass man die Seetangstreifen auf den Reis legt, sie dann vorsichtig um ein bisschen Reis hüllt und die Rolle geschickt mit den Essstäbchen in den Mund befördert. Das japanische Frühstück ist gewöhnungsbedürftig, da nicht jeder Fisch und eingelegtes Gemüse (tsukemono) schon so früh herunterkriegt. Ich liebe japanisches Essen, aber ich glaube mein Stoffwechsel läuft am besten, wenn ich morgens Brot und Butter zu mir nehme. Was Süßes im Austausch gegen die doch recht kräftige Frühstückssuppe oder die Scheibe Lachs, da hätte ich kein Problem. Heute gönne ich mir sogar eine Tasse Kaffe, wenn es auch nur Instand- Kaffee ist, aber man wird anspruchsloser mit der Zeit.
Nachdem wir unsere Sachen gepackt haben und nochmals einen Kontrollblick ins Zimmer geworfen haben, zum Glück verstellen einem nicht allzu viele Möbel die Sicht, brechen wir um 7.00 Uhr auf. Herr Hinkebein erklärt Hajo, dass er noch zu Tempel Nr. 20 (Kakurinji) wandern wird, dann aber nach Hause zurückkehren muss. Da wir aber den Bangai Tempel Nr . 3 besuchen wollen, trennen sich hier wohl unsere Wege. Es ist schade, dass man so die vertrauten Gesichter aus den Tempeln aus den Augen verliert. Während die einen die 88 Tempel Tour laufen, gibt es Maßlose wie uns, die den Hals nicht voll kriegen und auch noch die 20 Bangai Tempel besuchen wollen. Aber man hat uns an Herz gelegt, wenn wir schon die Anstrengungen nicht scheuen, die Nebentempel zu besuchen, da sie den Besuch wert sind. Leider sind viele, aber nicht alle Bangai Temple so abgelegen, dass es meist einen ganzen Tag braucht, sie zu besuchen. Und einen ganzen Tag gegenüber einem anderen Wanderer aufzuholen, braucht des schon die doppelte Geschwindigkeit, dass ist kaum zu schaffen.
Auf unserem Weg zu Bangai Tempel Nr. 3 treffen wir Herrn Akadama wieder, der 70-jährige Japaner mit der „LR“ Aufschrift auf der Kappe. Er will ebenfalls zum Bangai Tempel und so bilden wir für kurze Zeit eine Wandergemeinschaft. Da die Bangai Tempel nicht in unserem englischsprachigem Kartenmaterial verzeichnet sind und wir auf die japanische Version unseres Kartenmaterials zurückgreifen müssen, ist es für uns ja fast lebensnotwendig, jemanden dabei zu haben, der auch Japanisch spricht bzw. zwischendurch vielleicht einmal nach dem Weg fragen kann. Da Hajo mal wieder eine Hüttenübernachtung geplant hat, kehren wir noch schnell bei einem Lawson Kombini ein und stocken unseren Proviant auf.
Auf unserem Weg zu Bangai Tempel Nr. 3 treffen wir Herrn Akadama wieder, der 70-jährige Japaner mit der „LR“ Aufschrift auf der Kappe. Er will ebenfalls zum Bangai Tempel und so bilden wir für kurze Zeit eine Wandergemeinschaft. Da die Bangai Tempel nicht in unserem englischsprachigem Kartenmaterial verzeichnet sind und wir auf die japanische Version unseres Kartenmaterials zurückgreifen müssen, ist es für uns ja fast lebensnotwendig, jemanden dabei zu haben, der auch Japanisch spricht bzw. zwischendurch vielleicht einmal nach dem Weg fragen kann. Da Hajo mal wieder eine Hüttenübernachtung geplant hat, kehren wir noch schnell bei einem Lawson Kombini ein und stocken unseren Proviant auf.
Im Tempelführer habe ich etwas von einer Hina-Ausstellung gelesen. „Hina“ sind Puppen, die anlässlich des Hina-Matsuris, dem japanischen Mädchenfest am 3. März, auf so eine Art Treppe aufgebaut und ausgestellt werden. Sie symbolisieren den mittelalterlichen Hofstaat mit Kaiser und Kaiserin, Gediensteten und Samurai. Es sind kostbare, meist handgefertigte Puppen, die entweder von Generation zu Generation weitervererbt oder auch als Sammelversion Stück für Stück zusammengekauft werden. Obwohl wir an einem Schild vorbeikommen, das das Ende der Ausstellung mit dem 22.03., also gestern nennt, sind viele Läden in der Kleinstadt, durch die wir kommen, noch voller Puppen. Die haben wohl noch nichts von der Legende gehört, nach der, wenn man die Puppen über den 3. März hinaus stehenlässt oder vergiss sie abzubauen, sich das Eheglück erst später einstellen wird. Wir treffen zufällig auf unsere Bekannten aus dem Tempel Nr. 19: Junior, der Student, und Herr Hinkebein. Wir fotografieren uns gegenseitig vor einer Puppentreppe, danach können wir ein Stück zusammen wandern, da sich die Wege erst in einem Örtchen namens Katsuura trennen.
Hier hat auch Herr Akadama im Ryokan Kanekoya reserviert. Kurzerhand ändern wir unsere Pläne mit der Hüttenübernachtung und fragen, ob noch zwei Plätze frei sind. Es gibt kein Problem und so lassen wir unsere Rucksäcke im Vorraum (genkan) stehen, während wir mit leichtem Gepäck Herrn Akadama in Richtung Bangai Tempel Nr. 3 folgen. Der Trail führt zwar über Straßen, ist aber so einsam, dass wir niemandem begegnen. Wir kommen an einer ehemaligen Schule (Sakamoto) vorbei, die man zur Henro (Pilger) Unterkunft umgewandelt hat. Kein Wunder, die liegt derartig abgelegen. Jetzt geht der Trail steil bergauf, zu steil für Hajo, der immer noch mit seinem Fuß bzw. der Achillessehne zu tun hat. Dann geht auch noch Hajos Wanderstock, so ein zusammenschiebbarer Treckingstock, kaputt. Wir müssen also den längeren Weg über die Straße nehmen, während unser Japaner flux den schnellsten Weg über den Trail nehmen kann. Wir wollen uns oben am Tempel treffen.
Exkurs Bangai Tempel Nr. 3 Jigenji (慈眼寺)
„Der Tempel der Augen der Barmherzigkeit“ ist eigentlich eine Zweigstelle des Tempels Nr. 20 (Kakurinji), der etwa 12 km entfernt liegt. Nach einer Legende soll Kōbō Daishi hier im Alter von 19 Jahren einen Drachen mit Gebeten und Ritualen bezwungen und in eine Höhle gesperrt haben. War uns ein solcher Drache nicht schon bei Tempel Nr. 12 begegnet? Er hat ihn also in einer Höhle gefangen und eine 11-köpfige Kannon Statue als Honzon (Hauptgottheit) geschnitzt. Die Höhle gibt es heute noch und kann auch besichtigt werden, aber nur mit Kittel, den es im Pilgerbüro gibt und für 1000 Yen Eintrittsgeld. Das ist uns dann doch zu teuer, zumal davor gewarnt wird, wenn man zu groß oder zu dick ist. Die drei Kammern, von denen die letzte sich ca. 100 m hinter dem Eingang befindet, sollen derart eng sein, dass es als spiritueller Test gesehen wird, sich hier durchzuquetschen. Am Ende locken einen die Fähigkeit böse Geister aus seinem Körper zu vertreiben, eine leichte Geburt, Erfolg in Prüfungen, Gesundheit, Reichtum und allgemein großes Glück. Aber wer braucht das schon, wenn man riskieren muss, stecken zu bleiben. Für Japaner ganz OK, für uns Europäer eher nicht zu empfehlen, obwohl ich sonst für alles sehr aufgeschlossen bin.
Mich beeindruckt vor allem das seltsam anmutende Tor mit der Kannon Statue und der große Baum am Eingang. Hier treffen wir auch Herr Akadama wieder, der natürlich längst den Tempel erreicht hat. Es stand zwar im Tempelführer, dass es hier im Tempel eine Pilgerunterkunft gibt, aber das ist eine Fehlinformation. Vielleicht gibt es diese auch nur nach Voranmeldung, damit die Leute im Tempel eine Mindestanzahl zusammenkriegen, damit sich der Aufwand auch lohnt. Auf alle Fälle sind wir froh, einen Platz im Kanekoya gefunden zu haben und weder hier noch in irgendeiner Hütte unterkommen zu müssen. Wir wollen die Höhle hier nicht besuchen und auch für die Haupthalle, für die man noch etliche Stufen steigen muss, ist es heute keine guter Zeitpunkt, da Hajo immer noch mit seiner Hackse hadert und total kaputt ist. Wir versuchen für ihn einen Stock zu organisieren. Hier stehen auch eine ganze Menge hölzerner Wanderstöcke (kongozue) in einer Ecke, die von allzu eiligen Pilgern vergessen worden sind. Aber von denen will uns der Mönch aus dem Pilgerbüro keinen verkaufen und neue Stöcke gibt es hier auch nicht zu erwerben. Hajo „organisiert“ sich trotzdem einen und dann machen wir uns ganz schnell auf den Rückweg. Da der Trail für Hajo zu steil ist, lässt sich auch unser Japaner dazu überreden, mit uns gemeinsam den Rückweg über die Asphaltstraße anzutreten. Das ist zwar länger, ab auch sicherer. Also klingt es klack, klack, klack im Wanderstock Takt - hinab ins Sekigatani Tal.
Auf halber Strecke kommen wir an einem „Ding“ vorbei: Ein Turm aus Holzstämmen, die nur durch Keile gehalten werden. Auf einem Schild steht der Titel „Water Pagoda“, obwohl ich hier nicht viel Wasser sehen kann. Natürlich gibt es in der Umgebung viel Flüsse und auch einige kleine Wasserfälle, aber ob es sich um ein Kunstwerk oder lokales Brauchtum handelt ist mir schleierhaft. Bei einer späteren Internetrecherche stellt sich heraus, dass es eine Holzfäller Installation anlässlich des Nationalen Kulturfestival von Tokushima handelt, welches 2007 stattfand. Da wir jetzt einen anderen Weg zurück gehen, als den wir gekommen sind, gibt es einige Orientierungsprobleme. Aber unser Herr Akadamer kann sich durchfragen und so landen wir spät, aber wohlbehalten, im Kanekoya Ryokan.
Vor dem Essen wollen wir noch schnell ein Bad nehmen, da es hier ein Gemeinschaftsbad gibt, natürlich Männlein von Weiblein getrennt, muss man nicht warten, bis das Bad frei ist.
Ich entkleide mich also im Vorraum, lege meine Klamotten in den dafür vorgesehen Korb. Mit einem kleinen Handtuch als Waschlappen gewaffnet mache ich mich auf in den Waschraum. Bevor man sich im fast 40 Grad heißen Becken entspannen darf, muss man sich vorher gründlich einseifen und abspülen. Leider habe ich einige Probleme, das Wasser in Gang zu bringen, aber eine junge Japanerin zeigt mir, wie weit ich an der Armatur drehen darf, damit ich Wasser aus dem Duschkopf und nicht aus dem, in Kniehöhe liegenden, Hahn bekomme. Eigentlich holt man sich einen Hocker und schaufelt mit einer Schüssel das Wasser über den Kopf, doch da ich etwas in Eile bin, ziehe ich die schnelle Dusche dem Waschritual vor. Schnell noch ein paar Minuten im großen Becken entspannt, das schützt vor Muskelkater und tut auch sonst gut, und dann die Haare kurz angefönt, schnell angezogen, damit man fertig für das Abendesse ist. Aber ich habe mich ganz umsonst beeilt, gelangweilt sitzt Hajo auf so einem Massagesessel, der von den Füßen über den Rücken bis zum Hals alles massieren kann, und spielt damit rum. Wir holen uns aus einem Automaten schon mal, zur Einstimmung auf das Abendessen, eine Tasse Tee. Wir werden nicht enttäuscht: Das Essen ist lecker, reichlich und so hübsch dekoriert, das einem schon beim Anblick das Wasser im Mund zusammenläuft. Aber wir benötigen reichlich Kalorien, um die nächsten „Kilometer fressen“ zu können. Hajo bestellt sich Sake, den japanischen Reiswein, und stößt mit Herrn Akadama an. Leider landet der Reiswein, der in kleinen Flaschen serviert wird, größtenteils neben den viel zu kleinen Sake Schälchen, aber zum Probieren reicht es. Kanpai – Prost!
Hier hat auch Herr Akadama im Ryokan Kanekoya reserviert. Kurzerhand ändern wir unsere Pläne mit der Hüttenübernachtung und fragen, ob noch zwei Plätze frei sind. Es gibt kein Problem und so lassen wir unsere Rucksäcke im Vorraum (genkan) stehen, während wir mit leichtem Gepäck Herrn Akadama in Richtung Bangai Tempel Nr. 3 folgen. Der Trail führt zwar über Straßen, ist aber so einsam, dass wir niemandem begegnen. Wir kommen an einer ehemaligen Schule (Sakamoto) vorbei, die man zur Henro (Pilger) Unterkunft umgewandelt hat. Kein Wunder, die liegt derartig abgelegen. Jetzt geht der Trail steil bergauf, zu steil für Hajo, der immer noch mit seinem Fuß bzw. der Achillessehne zu tun hat. Dann geht auch noch Hajos Wanderstock, so ein zusammenschiebbarer Treckingstock, kaputt. Wir müssen also den längeren Weg über die Straße nehmen, während unser Japaner flux den schnellsten Weg über den Trail nehmen kann. Wir wollen uns oben am Tempel treffen.
Exkurs Bangai Tempel Nr. 3 Jigenji (慈眼寺)
„Der Tempel der Augen der Barmherzigkeit“ ist eigentlich eine Zweigstelle des Tempels Nr. 20 (Kakurinji), der etwa 12 km entfernt liegt. Nach einer Legende soll Kōbō Daishi hier im Alter von 19 Jahren einen Drachen mit Gebeten und Ritualen bezwungen und in eine Höhle gesperrt haben. War uns ein solcher Drache nicht schon bei Tempel Nr. 12 begegnet? Er hat ihn also in einer Höhle gefangen und eine 11-köpfige Kannon Statue als Honzon (Hauptgottheit) geschnitzt. Die Höhle gibt es heute noch und kann auch besichtigt werden, aber nur mit Kittel, den es im Pilgerbüro gibt und für 1000 Yen Eintrittsgeld. Das ist uns dann doch zu teuer, zumal davor gewarnt wird, wenn man zu groß oder zu dick ist. Die drei Kammern, von denen die letzte sich ca. 100 m hinter dem Eingang befindet, sollen derart eng sein, dass es als spiritueller Test gesehen wird, sich hier durchzuquetschen. Am Ende locken einen die Fähigkeit böse Geister aus seinem Körper zu vertreiben, eine leichte Geburt, Erfolg in Prüfungen, Gesundheit, Reichtum und allgemein großes Glück. Aber wer braucht das schon, wenn man riskieren muss, stecken zu bleiben. Für Japaner ganz OK, für uns Europäer eher nicht zu empfehlen, obwohl ich sonst für alles sehr aufgeschlossen bin.
Mich beeindruckt vor allem das seltsam anmutende Tor mit der Kannon Statue und der große Baum am Eingang. Hier treffen wir auch Herr Akadama wieder, der natürlich längst den Tempel erreicht hat. Es stand zwar im Tempelführer, dass es hier im Tempel eine Pilgerunterkunft gibt, aber das ist eine Fehlinformation. Vielleicht gibt es diese auch nur nach Voranmeldung, damit die Leute im Tempel eine Mindestanzahl zusammenkriegen, damit sich der Aufwand auch lohnt. Auf alle Fälle sind wir froh, einen Platz im Kanekoya gefunden zu haben und weder hier noch in irgendeiner Hütte unterkommen zu müssen. Wir wollen die Höhle hier nicht besuchen und auch für die Haupthalle, für die man noch etliche Stufen steigen muss, ist es heute keine guter Zeitpunkt, da Hajo immer noch mit seiner Hackse hadert und total kaputt ist. Wir versuchen für ihn einen Stock zu organisieren. Hier stehen auch eine ganze Menge hölzerner Wanderstöcke (kongozue) in einer Ecke, die von allzu eiligen Pilgern vergessen worden sind. Aber von denen will uns der Mönch aus dem Pilgerbüro keinen verkaufen und neue Stöcke gibt es hier auch nicht zu erwerben. Hajo „organisiert“ sich trotzdem einen und dann machen wir uns ganz schnell auf den Rückweg. Da der Trail für Hajo zu steil ist, lässt sich auch unser Japaner dazu überreden, mit uns gemeinsam den Rückweg über die Asphaltstraße anzutreten. Das ist zwar länger, ab auch sicherer. Also klingt es klack, klack, klack im Wanderstock Takt - hinab ins Sekigatani Tal.
Auf halber Strecke kommen wir an einem „Ding“ vorbei: Ein Turm aus Holzstämmen, die nur durch Keile gehalten werden. Auf einem Schild steht der Titel „Water Pagoda“, obwohl ich hier nicht viel Wasser sehen kann. Natürlich gibt es in der Umgebung viel Flüsse und auch einige kleine Wasserfälle, aber ob es sich um ein Kunstwerk oder lokales Brauchtum handelt ist mir schleierhaft. Bei einer späteren Internetrecherche stellt sich heraus, dass es eine Holzfäller Installation anlässlich des Nationalen Kulturfestival von Tokushima handelt, welches 2007 stattfand. Da wir jetzt einen anderen Weg zurück gehen, als den wir gekommen sind, gibt es einige Orientierungsprobleme. Aber unser Herr Akadamer kann sich durchfragen und so landen wir spät, aber wohlbehalten, im Kanekoya Ryokan.
Vor dem Essen wollen wir noch schnell ein Bad nehmen, da es hier ein Gemeinschaftsbad gibt, natürlich Männlein von Weiblein getrennt, muss man nicht warten, bis das Bad frei ist.
Ich entkleide mich also im Vorraum, lege meine Klamotten in den dafür vorgesehen Korb. Mit einem kleinen Handtuch als Waschlappen gewaffnet mache ich mich auf in den Waschraum. Bevor man sich im fast 40 Grad heißen Becken entspannen darf, muss man sich vorher gründlich einseifen und abspülen. Leider habe ich einige Probleme, das Wasser in Gang zu bringen, aber eine junge Japanerin zeigt mir, wie weit ich an der Armatur drehen darf, damit ich Wasser aus dem Duschkopf und nicht aus dem, in Kniehöhe liegenden, Hahn bekomme. Eigentlich holt man sich einen Hocker und schaufelt mit einer Schüssel das Wasser über den Kopf, doch da ich etwas in Eile bin, ziehe ich die schnelle Dusche dem Waschritual vor. Schnell noch ein paar Minuten im großen Becken entspannt, das schützt vor Muskelkater und tut auch sonst gut, und dann die Haare kurz angefönt, schnell angezogen, damit man fertig für das Abendesse ist. Aber ich habe mich ganz umsonst beeilt, gelangweilt sitzt Hajo auf so einem Massagesessel, der von den Füßen über den Rücken bis zum Hals alles massieren kann, und spielt damit rum. Wir holen uns aus einem Automaten schon mal, zur Einstimmung auf das Abendessen, eine Tasse Tee. Wir werden nicht enttäuscht: Das Essen ist lecker, reichlich und so hübsch dekoriert, das einem schon beim Anblick das Wasser im Mund zusammenläuft. Aber wir benötigen reichlich Kalorien, um die nächsten „Kilometer fressen“ zu können. Hajo bestellt sich Sake, den japanischen Reiswein, und stößt mit Herrn Akadama an. Leider landet der Reiswein, der in kleinen Flaschen serviert wird, größtenteils neben den viel zu kleinen Sake Schälchen, aber zum Probieren reicht es. Kanpai – Prost!
Samstag, 22. August 2009
Sonntag, der 22. März 2009, Tokushima, Tokushima City, Ryokan Sakura-ko
Der siebte Tag in Japan
Um 7.00 Uhr klingelt Hajos Wecker. Ich habe trotz Zuglärms und Bahnschrankengebimmel, doch recht gut geschlafen. Wer den ganzen Tag mit Gepäck an der frischen Luft durch die Gegend rennt, muss zwangsläufig gut schlafen! Wir nehmen noch kurz ein Kombini Frühstück ein und machen uns kurz nach 8.00 Uhr auf den Weg zum Busbahnhof. Er liegt direkt vor dem Hauptbahnhof hier in Tokushima. Da wir uns am Vorabend informiert haben, wissen wir, dass wir mit dem Bus (basu) Nummer 37 von der Bushaltestelle (noriba) 2 zurück nach Bando fahren können. Die Fahrt kostet 390 Yen, die man erst am Ende der Fahrt in den Automaten beim Fahrer einwirft. Hier gibt es auch einen Wechselautomaten für Münzen und Geldschreine, damit man immer passendes Kleingeld hat. Aber Vorsicht, man sollte immer 1000 Yen Scheine parat haben, da größere Scheine meist nicht angenommen bzw. gewechselt werden können. Normalerweise steigt man bei einem japanischen Nahverkehrsbus hinten ein, zieht eine Haltestellenmarke mit einer Nummer. Auf einer Tafel am vorderen Ausstieg kann man dann sehen, was man beim Aussteigen zu entrichten hat. In anderen Bussen bezahlt man beim Aussteigen eine Pauschale von 100 oder 200 Yen und kann dann an jeder Haltestelle bis zur Endstelle aussteigen. Der Bus kommt pünktlich um 8.26 Uhr. Schnell sind wir wieder an unserem Ausgangspunkt, Tempel Nr. 1, angekommen. Während Hajo zum Deutschen Haus läuft, er hatte sich gestern telefonisch angekündigt, sitze ich im Bushäuschen vorm Tempel und bewache unser Gepäck. Nicht, dass hier was zu holen wäre – mein Bargeld trage ich immer in meinem Geldgürtel am Körper. Aber auch was Diebstähle angeht, fühle ich mich hier in Japan relativ sicher. Wer bestiehlt schon einen Pilger – obwohl ich von jemandem gewarnt worden bin, auf mein Pilgerbuch zu achten, besonders, wenn ich die letzten Tempel ansteuere. Vollständig ausgefüllte Pilgerbücher sind begehrte „Sammelobjekte“, da allein die Materialkosten sich schon auf 30.000 Yen (ca. 220 Euro) belaufen. Als Hajo zurück kommt, macht er noch ein paar Fotos von Tempel Nr.1 – ihm war doch der Film im Tempel Nr. 13 gerissen. Ich kaufe mir im Pilgerladen ein Tenugui, eine Stück Baumwollstoff, das man als Kopf- oder Wischtuch benutzt und ein Set von Stoffstücken, in die man die Arme einschlägt, damit sie von der Sonne nicht verbrannt werden. Kaum bin ich zurück aus dem Laden, winkt mich doch eine Dame am Eingangstor zu sich und übergibt mir ein Osettai (Pilgergeschenk). Und was bekomme ich da geschenkt – richtig genau so ein Tenugui, wie ich es mir gerade gekauft habe und zwei Päckchen Taschentücher. Natürlich rechne ich mit jedem Gramm, dass ich schleppen muss. Das Tenugui habe ich mir gekauft, damit ich es als Kopftuch nutzen kann, da, wenn ich den Pilgerhut abnehme, ständigen meine Haare im Gesicht habe und aussehe, als hätte ich in die Steckdose gegriffen. Ich möchte den Pilgerhut nicht missen, er verhindert, dass ich mir einen Sonnenbrand hole und bei Regen muss ich mir nicht ständig die Brille putzen.
Wir warten nur kurz auf den Bus und schon sind wir wieder auf dem Rückweg nach Tokushima. Wir wollen vom Hauptbahnhof aus mit dem Zug weiterfahren, da Hajo seine Füße etwas schonen möchte. Als Marathonläufer kennt er diese Überlastungsreaktion, erklärt er mir, dann schaltet er einfach einen Gang zurück. Natürlich liegt es mir etwas quer, dass wir schon so früh unsere guten Vorsätze über Bord werfen, aber warten wir erst mal ab, was die nächsten Tage so bringen. Wir essen noch eine Kleinigkeit im Bahhof: Wir teilen uns eine Portion Takoyaki, dass sind Gemüsebällchen mit Tintenfischfüllung (Tako = Tintenfisch), mit Trockenfischflocken (Bonito) und Mayonaise.
Mit dem Zug fahren wir nach Tatsue, das ist die Bahnstation, die direkt am Tempel Nr. 19 (Tasueji) liegt. Am Bahnhof winkt uns ein Japaner entusiastisch, als wir aussteigen. Es ist der Japaner, den wir zwischen Tempel Nr. 13 und Nr. 14 getroffen haben und der uns Maronen (Esskastanien) angeboten hat. Er ist erfreut, uns wiederzusehen. Vielleicht grinst er auch nur, weil wir aus dem Zug steigen, denn das ist streng genommen ein Schummeln. Er erklärt uns, dass er jetzt mit dem Zug nach Hause zurück nach Tokyo fahren will, da sein Urlaub zu Ende ist. Es gibt nicht nur Fußpilger, die die Pilgertour in einem Rutsch machen (kechigan), sondern viele, vor allem Berufstätige, die jeweils ihren gering bemessenen Urlaub dazu nutzen, ein Teilstück des Pilgerwegs zu laufen. So kann es auch schon mal 5 Jahre dauern, bis man die Runde beendet hat. Wir wollen hier im Tempel Nr. 19 heute übernachten, Hajo hatte Patrick gebeten, für uns telefonisch zu reservieren. Wir können so unser Gepäck hierlassen und mit leichtem Gepäck, d.h. Pilgerbuch und kleiner Wegzehrung, Tempel Nr. 18 in Angriff nehmen, der nur ca. 4 km entfernt liegt. Als wir das Tempelgelände betreten, treffen wir auf alte Bekannte: Pink Lady, die mit dem Fotoapparat von Tempel Nr. 16 und Herr Blaukopf, den wir immer mal wieder auf dem Trail gesehen haben.
Exkurs Tempel Nr. 19 Tatsueji (立江寺)
„Der Tempel der ankommen Bucht „ klingt als Übersetzung aus dem englischen „Temple of Arising a Bay“ etwas holprig, aber ich denke es ist der Ortname „Tatsue“ gemeint. Da auch der Fluss so heißt, wir der Ort wohl nach dem Fluß benannt worden sein und der verlängert die Bucht bis sie in der Ortschaft ankommt. Der Tempel wurde von Gyōgi auf Geheiß des Kaisers Shōmu gegründet, um der Gattin des Kaisers, Kōmyō, eine leichte Geburt zu ermöglichen. Aus diesem Grund fertigte Gyōgi auch die Figur des Jizō Bosatsus aus einer speziellen Goldart (jambuna) und machte sie zum Honzon (Hauptgottheit). Später schnitze Kōbō Daishi noch eine größere Enmei Jizō Statue, in der er die ältere, aber nur 5,5 cm große Figur aufbewahrte. Diese Statue überstand auch als einzige die Niederbrennung durch Chōsokabe Truppen und einen Unfall 1974, bei dem ein Großbrand alle Gebäude in Schutt und Asche legte. 1977 wurde der Hondō (Haupthalle) wiederaufgebaut. Sowohl im 9. als auch im 16. Jahrhundert wurde der Tempel verlegt.
Auch hier gibt es wieder interessante Legenden über die Gründung bzw. Begebenheiten über Bekehrungen durch Kōbō Daishi. Bei der Gründung des Tempels soll ein weißer Reiher (shirasagi), sich auf eine naheliegende Brücke niedergelassen haben. Er ist ein Bote des Glücks und die Brücke heißt noch heute nach ihm „Shirasagi Brücke“.
Eine Legende aus dem 19. Jahrhundert berichtet von einem verbrecherischen Liebespaar, das nachdem sie gemeinsam den Ehemann der Frau ermordet haben, sich getarnt als Pilger unter die Leute von Shikoku gemischt haben, um sich der Strafverfolgung zu entziehen. Doch als die Frau namens Okyō, den großen Gong (waniguchi) vor der Haupthalle läuten will, verfangen sich ihre Haare im Seil und drohen sie zu strangulieren. Sie kann gerettet werden, doch bis auf eine mönchsartige Tonsur verbleibt ihr Skalp im Seil. Das Paar nimmt es als Warnung Kōbō Daishis und sie werden Nonne und Mönch, die den Rest ihres Lebens dem Tempel weihen. Das abgerissene Haar kann noch heute in einem Glaskasten bewundert werden.
Und auch über den Binzuru, der heilungversprechenden Buddha Statue, die in vielen Tempeln zu finden ist, erfahre ich mehr. Er ist mit roter Farbe bemalt, weil sein Vorbild dem Alkohol sehr zugesprochen hat. Als er nun ein Gefolgsmann Buddhas wurde, versprach er dem Laster abzuschwören. Als Buddha nun gebeten wurde einen bösen Geist zu vertreiben, schickte er wegen Zeitmangels Binzuru, der den Geist auch bezwingen konnte. Doch bei einem Bankett zu Ehren Binzurus, das der Hausherr ausgerichtet hatte, um sich zu bedanken, verfiel Binzuru abermals dem Alkohol. Das Ende vom Lied war, dass Binzuru seine Kräfte verlor, der Geist zurückkehrte und Buddha Binzuru aus seiner Gefolgschaft verstieß. Doch Binzuru reiste Buddha hinterher, lauschte seinen Lehrreden in einigem Abstand und ließ auch sonst nicht vom Buddhismus ab. Als Buddha starb, rief er Binzuru zu sich und verzieh ihm, erklärte ihm jedoch, dass er niemals Nirvana (Ende des Wiedergeburtszyklus) erreichen könne und als Wächter über die Menschen in dieser Welt verbleiben müsse.
Der Pilger soll, wenn er im Tempel Nr. 19 ankommt innehalten und sich fragen, ob er bis jetzt den rechten Weg gegangen ist. Wenn nicht, es ist fast wie im Mensch-ärger-Dich-nicht Spiel, soll er zu Tempel Nr. 1 zurückkehren und erneut beginnen. Da wir aber noch Tempel Nr. 18 auf unserer heutigen Tagesliste haben, fragen wir uns später, ob wir das eingehalten haben, was wir (uns) versprochen haben.
Nachdem wir also unsere Herz-Sutra rezitiert haben, gehen wir ins Pilgerbüro und lassen unser Nokyochō ausfüllen. Hier fragen wir auch gleich, ob wir schon einchecken und unser Gepäck auf unser Zimmer bringen dürfen. Nachdem wir 7000 Yen für Übernachtung, Abendessen und Frühstück bezahlt haben, führt uns ein junger Mönch sogleich auf unsere Zimmer. Zeigt uns noch wo die Toiletten und das Bad sind und spricht die Badezeiten mit uns ab. Nach einer kurzen Teepause machen wir uns auf den Weg zu Tempel Nr. 18, dem Onzanji. Da das Wetter bedeckt ist, nehme ich vorsichtshalber meinen Regenponcho mit, der baumelt zusammengelegt im Beutel zwar etwas herum, wird sich aber noch als sehr nützlich erweisen.
Nachdem wir die "Brücke des Weißen Reihers" hinter uns gelassen haben, wandern wir durch die Wälder. Wir kommen durch einen herrlichen Bambushain, doch der Weg ist leider nur mäßig beschildert. In einem Tal mit Bauernhof, hier kann ich einen Blick auf die verdutzt guckenden Rindern werfen, müssen wir uns ausgiebig umschauen und nach dem Weg suchen. Am anderen Ende des Tals sehe ich eine Treppe und von oben kommen uns zwei Pilger entgegen. Mein Herz klopft immer, wenn der Trail direkt über die Grundstücke führt. Das ist mir immer etwas peinlich, denn es könnte gerade der Hausherr raukommen. Aber wenn es die Einheimischen stören würde, würden sie den Trail einfach etwas verlegen. Außerdem schätzen die Anwohner die Pilger, so haben sie manchmal Stühle und Tische für ein Päuschen aufgestellt oder Kannen mit Tee oder Kaffe bereitgestellt, so nehmen sie immer ein Stückchen an der Pilgerreise des anderen teil.
Exkurs Tempel Nr. 18 Onzanji (恩山寺)
„Der Tempel des Berges der Dankbarkeit“ wurde von Gyōgi gegründet, der auch die Statue des Yakushi Nyorai geschnitzt hat. Ursprünglich hieß der Tempel Mitsugenji und war ein Ort, wo man sein Unglück bannen konnte. Als Kōbō Daishis Mutter ihn jedoch hier besuchen wollte, zu diesem Zeitpunkt war es Frauen verboten heilige Orte wie Koya-san, Tempel Nr. 13 oder auch andere heilige Berge zu betreten, hielt er ein 17-tägiges Ritual ab. Danach wurde das Verbot aufgehoben und seine Mutter Tamayori durfte den Tempel betreten. Sie ließ sich die Haare abrasieren und sich zur Nonne weihen. Kōbō Daishi kümmerte sich hier um seine Mutter, schnitzte eine Statue von ihr und eine von sich selbst, die noch heute in der Daishi-Halle und in der daneben liegenden Mutter-Halle aufgewahrt werden. So unterstrich er die Dankbarkeit, die er gegenüber seiner Mutter empfand, was sich im Namen der Halle widerspiegelt. Auch soll er beim Empfang seiner Mutter einen Baum in der Nähe des Tores gepflanzt haben, der 1954 zum Natur Monument der Präfektur Tokushima ernannt worden ist. Nach ihrem Tod sollen ihre Knochen im Tempel begraben worden sein. Es können im Tempel u. a. frauenspezifische Glückbringer erworben werden, die zu einer leichten Geburt, Genesung von Frauenkrankheiten und eine erfolgreiche Schwangerschaft führen sollen.
Als wir endlich das Tor von Tempel Nr. 18 sehen, uns fallen sofort die riesigen Strohsandalen (waraji) am Tor auf, glauben wir den Tempel erreicht zu haben, aber gefehlt, der liegt noch um einiges weiter weg. Das Tor ist von einem Bienenschwarm in Besitz genommen worden und wir sind vorsichtiger als sonst, als wir uns verbeugen und das Tor durchschreiten. Der Tempel wimmelt von kleinen Jizō Figuren, aber auch eine Reihe von Arhats (Buddhas Jünger) kann man hier, geschützt durch ein kleines Dach, bewundern.
Auf dem Rückweg überrascht uns ein Regenguss, jetzt hat sich das Wetter so lange gehalten, aber bevor wir trockenen Fußes in den Tempelunterkunft gelangen, muss es noch eine Husche geben. Ich hatte meinen Poncho dabei, nur Hajo ist nass geworden. Er nimmt auch als erster ein Bad. Um 17.00 Uhr soll es ein Ritual im Hauptgebäude geben, während die sonst übliche Morgenmesse um 6.00 Uhr morgen nicht abgehalten wird. Glücklicher Weise, es regnet noch, kann man von der Pilgerunterkunft über Gänge direkt in den Altarraum gelangen. Hier treffen wir auf alte Bekannte. Herr Hinkebein, der uns beim Päuschen zwischen Tempel 11 und 12 Honigbonbons geschenkt hat, ist hier ebenso wie ein älterer Herr, den wir auf dem Trail gesehen haben und eine Kappe mit der Aufschrift „LR“ getragen hat. Man sitzt auf flachen Stühlen bzw. man könnte sich auch auf den weichen Boden setzen. Ein Büchlein, das bei unserer Ankunft auf dem niedrigen Tischlein in unserem Zimmer lag, haben wir leider vergessen, dafür haben wir die Übersetzung der Herz-Sutra (Hannya Shingyo) dabei. Das Büchlein enthält den Ablauf und die Texte der Zeremonie, die jetzt durchgeführt wir. Als die Herz-Sutra rezitiert wird, können wir im natürlich im Chor mitsprechen. Beim abschießenden, ich nenne es mal „Weihrauchritual“, nimmt man etwas Gewürzpulver zwischen die Fingerspitzen, führt sie zur Stirn und nickt mit dem Kopf, spricht leise ein Gebet und streut es dann auf einen kleinen glimmenden Hügel, den der Priester vorher in einer kleinen Schale angehäufelt hat. Das ganze Ritual wird mit einer Verbeugung eingefasst. Man sieht am besten seinem Vordermann zu und macht es einfach nach. Nach Abschluss der Abendandacht, eine Morgenandacht ist nicht geplant, zeigt uns der Priester die Mandala, die hier aufgehängt sind. Mandala sind bildhafte Darstellungen der buddhistischen Götter und Hierarchien und erklären dem Eingeweihten, wie die Welt funktioniert. Für uns Nichteingeweihte, sind es lediglich detailreiche Darstellungen von Buddhas, die in ihrer Anordnung irgendwie quadratisch, aber doch rund wirken. Im Shingon Buddhismus, dem Buddhismus des „Wahren Wortes“, welchen Kōbō Daishi gegründet hat, nachdem er von China zurückgekehrt war, sind mündliche Überlieferungen von Meister zu Schüler immer noch sehr wichtig. Er wird auch esoterischer Buddhismus genannt, da die Lehren, die für die Erkenntnis des Kerns der Lehre notwendig ist, verborgen gehalten werden. Nichteingeweihte kratzen lediglich an der Schale und eine Erleuchtung in diesem Leben kann nur durch eine geistige Durchdringung der ganzen Lehre erfolgen. Während der Zen-Buddhismus eine Erleuchtung durch Abschalten des Oberflächendenkens, geprägt durch Erfahrungen und Emotionen, versucht, konzentriert sich der Shingon Meditierende auf die Buddhas. Er versucht in der Meditation eins zu werden mit dem Buddha bzw. dessen Keimsilbe, die den Buddha repräsentiert. Beide Meditationsformen versuchen den Praktizierenden von seiner Ich-Gebundenheit zu befreien. Auf alle Fälle gibt es im Shingon Buddhismus ein Doppel-Mandala, das "Diament-Mandala" (kongo-kai) und das "Mandala des Mutterschosses" (taizo-kai), die hier beide im Tempel hängen.
Beim Essen sind wir eine kleine, gemütliche Runde von 10 Personen. Wir sitzen also im Essraum eines Tempels und ich erwarte vegetarische Speisen, wie es für Buddhisten üblich ist. Nicht, dass ich selbst überzeugte Vegetarierin bin, aber so ein bisschen Speck im Rührei oder etwas Putenbrust im Salat, das möchte ich nicht missen. Da wird mir doch Sushimi, roher Fisch, serviert und einer meiner Mitpilger hat sich eine Flasche Bier bestellt! Fleisch und Alkohol im Tempel, ich bin etwas verblüfft. Aber vielleicht hat man sich den Bedürfnissen der Pilger angepasst, die nicht nur Pilger, sondern auch Reisende sind. Wenn man sich schon den Tag über hat quälen müssen, dann sollte doch der japanischen Leidenschaft zum guten Essen nachgegeben werden, sonst pilgert am Ende gar keiner mehr zu Fuß. Wir bedienen uns gegenseitig, füllen unsere Reis- und Teeschälchen. Ein Mönch bespricht mit mir noch meine Badezeit. Ein älterer Herr, der auch an unserem Tisch sitzt, soll vor mir baden und höflich wie ich bin, zeige ich mich einverstanden. Da ich sowieso erst nach Hajo bade, wir haben es uns so angewöhnt, dass er als erster baden geht, während ich aufs Gepäck achte bzw. meine Fotos aufs Netbook lade und mir ein paar Notizen zum Tag mache.
Es wird zwar wenig Englisch gesprochen, doch mein Japanisch reicht aus, um die älteren Herrschaften zu verstehen, die mir den jungen Mann neben mir als Student vorstellen. Hajo plaudert angeregt mit Herrn Hinkebein. Zwar spricht Hajo kein Japanisch und der Japaner kein Englisch, dafür verstehen aber beide Spanisch. Es stellt sich heraus, das Herr Hinkebein, trotzt total versteiften Knies schon den Jacobsweg oder Camino nach Santiago de Compostelle in Spanien gelaufen ist und hierzu vorher Spanisch gelernt hat. Uns war Herr Hinkebein schon auf dem Trail zwischen Tempel 11 und 12 begegnet, wobei ich mich gefragt habe, da er ja nur mit dem einen Bein Treppen steigen kann, wie dieser dünne Kerl es schafft den Berg hochzukommen, wo wir mit unseren zwei gesunden Beinen schon Probleme haben. Und auch der Herr mit der Kappe, mit Namen „Akadama“ wie ich später erfahre, ist schon 70 Jahre alt und läuft auch uns später davon, da wir bei seinem Tempo nicht mithalten können. Da wird man plötzlich ganz klein, wenn ich bedenke wie lange ich mich vorbereitet habe, um fit für den Trail zu sein, im Vergleich zu diesen „Leistungssportlern“ muss man sich ja fast schämen noch so jung bzw. so langsam für sein Alter zu sein. Ich muss allerdings einräumen, dass die Herrschaften wirklich nur mit dem nötigsten Gepäck inform eins 35 l Rucksacks (6 kg) reisen, während sich unsere 80 l Rucksäcke mit 12 bzw. 17 kg einen, vor allem in den Bergtrails, doch recht bremsen. Wir müssen aber auch immer damit rechnen, dass wir keine Unterkunft finden und so unser Gepäck mit Isomatte und Schlafsack schon mal fast die Hälfte des Gewichts ausmacht.
Um 7.00 Uhr klingelt Hajos Wecker. Ich habe trotz Zuglärms und Bahnschrankengebimmel, doch recht gut geschlafen. Wer den ganzen Tag mit Gepäck an der frischen Luft durch die Gegend rennt, muss zwangsläufig gut schlafen! Wir nehmen noch kurz ein Kombini Frühstück ein und machen uns kurz nach 8.00 Uhr auf den Weg zum Busbahnhof. Er liegt direkt vor dem Hauptbahnhof hier in Tokushima. Da wir uns am Vorabend informiert haben, wissen wir, dass wir mit dem Bus (basu) Nummer 37 von der Bushaltestelle (noriba) 2 zurück nach Bando fahren können. Die Fahrt kostet 390 Yen, die man erst am Ende der Fahrt in den Automaten beim Fahrer einwirft. Hier gibt es auch einen Wechselautomaten für Münzen und Geldschreine, damit man immer passendes Kleingeld hat. Aber Vorsicht, man sollte immer 1000 Yen Scheine parat haben, da größere Scheine meist nicht angenommen bzw. gewechselt werden können. Normalerweise steigt man bei einem japanischen Nahverkehrsbus hinten ein, zieht eine Haltestellenmarke mit einer Nummer. Auf einer Tafel am vorderen Ausstieg kann man dann sehen, was man beim Aussteigen zu entrichten hat. In anderen Bussen bezahlt man beim Aussteigen eine Pauschale von 100 oder 200 Yen und kann dann an jeder Haltestelle bis zur Endstelle aussteigen. Der Bus kommt pünktlich um 8.26 Uhr. Schnell sind wir wieder an unserem Ausgangspunkt, Tempel Nr. 1, angekommen. Während Hajo zum Deutschen Haus läuft, er hatte sich gestern telefonisch angekündigt, sitze ich im Bushäuschen vorm Tempel und bewache unser Gepäck. Nicht, dass hier was zu holen wäre – mein Bargeld trage ich immer in meinem Geldgürtel am Körper. Aber auch was Diebstähle angeht, fühle ich mich hier in Japan relativ sicher. Wer bestiehlt schon einen Pilger – obwohl ich von jemandem gewarnt worden bin, auf mein Pilgerbuch zu achten, besonders, wenn ich die letzten Tempel ansteuere. Vollständig ausgefüllte Pilgerbücher sind begehrte „Sammelobjekte“, da allein die Materialkosten sich schon auf 30.000 Yen (ca. 220 Euro) belaufen. Als Hajo zurück kommt, macht er noch ein paar Fotos von Tempel Nr.1 – ihm war doch der Film im Tempel Nr. 13 gerissen. Ich kaufe mir im Pilgerladen ein Tenugui, eine Stück Baumwollstoff, das man als Kopf- oder Wischtuch benutzt und ein Set von Stoffstücken, in die man die Arme einschlägt, damit sie von der Sonne nicht verbrannt werden. Kaum bin ich zurück aus dem Laden, winkt mich doch eine Dame am Eingangstor zu sich und übergibt mir ein Osettai (Pilgergeschenk). Und was bekomme ich da geschenkt – richtig genau so ein Tenugui, wie ich es mir gerade gekauft habe und zwei Päckchen Taschentücher. Natürlich rechne ich mit jedem Gramm, dass ich schleppen muss. Das Tenugui habe ich mir gekauft, damit ich es als Kopftuch nutzen kann, da, wenn ich den Pilgerhut abnehme, ständigen meine Haare im Gesicht habe und aussehe, als hätte ich in die Steckdose gegriffen. Ich möchte den Pilgerhut nicht missen, er verhindert, dass ich mir einen Sonnenbrand hole und bei Regen muss ich mir nicht ständig die Brille putzen.
Wir warten nur kurz auf den Bus und schon sind wir wieder auf dem Rückweg nach Tokushima. Wir wollen vom Hauptbahnhof aus mit dem Zug weiterfahren, da Hajo seine Füße etwas schonen möchte. Als Marathonläufer kennt er diese Überlastungsreaktion, erklärt er mir, dann schaltet er einfach einen Gang zurück. Natürlich liegt es mir etwas quer, dass wir schon so früh unsere guten Vorsätze über Bord werfen, aber warten wir erst mal ab, was die nächsten Tage so bringen. Wir essen noch eine Kleinigkeit im Bahhof: Wir teilen uns eine Portion Takoyaki, dass sind Gemüsebällchen mit Tintenfischfüllung (Tako = Tintenfisch), mit Trockenfischflocken (Bonito) und Mayonaise.
Mit dem Zug fahren wir nach Tatsue, das ist die Bahnstation, die direkt am Tempel Nr. 19 (Tasueji) liegt. Am Bahnhof winkt uns ein Japaner entusiastisch, als wir aussteigen. Es ist der Japaner, den wir zwischen Tempel Nr. 13 und Nr. 14 getroffen haben und der uns Maronen (Esskastanien) angeboten hat. Er ist erfreut, uns wiederzusehen. Vielleicht grinst er auch nur, weil wir aus dem Zug steigen, denn das ist streng genommen ein Schummeln. Er erklärt uns, dass er jetzt mit dem Zug nach Hause zurück nach Tokyo fahren will, da sein Urlaub zu Ende ist. Es gibt nicht nur Fußpilger, die die Pilgertour in einem Rutsch machen (kechigan), sondern viele, vor allem Berufstätige, die jeweils ihren gering bemessenen Urlaub dazu nutzen, ein Teilstück des Pilgerwegs zu laufen. So kann es auch schon mal 5 Jahre dauern, bis man die Runde beendet hat. Wir wollen hier im Tempel Nr. 19 heute übernachten, Hajo hatte Patrick gebeten, für uns telefonisch zu reservieren. Wir können so unser Gepäck hierlassen und mit leichtem Gepäck, d.h. Pilgerbuch und kleiner Wegzehrung, Tempel Nr. 18 in Angriff nehmen, der nur ca. 4 km entfernt liegt. Als wir das Tempelgelände betreten, treffen wir auf alte Bekannte: Pink Lady, die mit dem Fotoapparat von Tempel Nr. 16 und Herr Blaukopf, den wir immer mal wieder auf dem Trail gesehen haben.
Exkurs Tempel Nr. 19 Tatsueji (立江寺)
„Der Tempel der ankommen Bucht „ klingt als Übersetzung aus dem englischen „Temple of Arising a Bay“ etwas holprig, aber ich denke es ist der Ortname „Tatsue“ gemeint. Da auch der Fluss so heißt, wir der Ort wohl nach dem Fluß benannt worden sein und der verlängert die Bucht bis sie in der Ortschaft ankommt. Der Tempel wurde von Gyōgi auf Geheiß des Kaisers Shōmu gegründet, um der Gattin des Kaisers, Kōmyō, eine leichte Geburt zu ermöglichen. Aus diesem Grund fertigte Gyōgi auch die Figur des Jizō Bosatsus aus einer speziellen Goldart (jambuna) und machte sie zum Honzon (Hauptgottheit). Später schnitze Kōbō Daishi noch eine größere Enmei Jizō Statue, in der er die ältere, aber nur 5,5 cm große Figur aufbewahrte. Diese Statue überstand auch als einzige die Niederbrennung durch Chōsokabe Truppen und einen Unfall 1974, bei dem ein Großbrand alle Gebäude in Schutt und Asche legte. 1977 wurde der Hondō (Haupthalle) wiederaufgebaut. Sowohl im 9. als auch im 16. Jahrhundert wurde der Tempel verlegt.
Auch hier gibt es wieder interessante Legenden über die Gründung bzw. Begebenheiten über Bekehrungen durch Kōbō Daishi. Bei der Gründung des Tempels soll ein weißer Reiher (shirasagi), sich auf eine naheliegende Brücke niedergelassen haben. Er ist ein Bote des Glücks und die Brücke heißt noch heute nach ihm „Shirasagi Brücke“.
Eine Legende aus dem 19. Jahrhundert berichtet von einem verbrecherischen Liebespaar, das nachdem sie gemeinsam den Ehemann der Frau ermordet haben, sich getarnt als Pilger unter die Leute von Shikoku gemischt haben, um sich der Strafverfolgung zu entziehen. Doch als die Frau namens Okyō, den großen Gong (waniguchi) vor der Haupthalle läuten will, verfangen sich ihre Haare im Seil und drohen sie zu strangulieren. Sie kann gerettet werden, doch bis auf eine mönchsartige Tonsur verbleibt ihr Skalp im Seil. Das Paar nimmt es als Warnung Kōbō Daishis und sie werden Nonne und Mönch, die den Rest ihres Lebens dem Tempel weihen. Das abgerissene Haar kann noch heute in einem Glaskasten bewundert werden.
Und auch über den Binzuru, der heilungversprechenden Buddha Statue, die in vielen Tempeln zu finden ist, erfahre ich mehr. Er ist mit roter Farbe bemalt, weil sein Vorbild dem Alkohol sehr zugesprochen hat. Als er nun ein Gefolgsmann Buddhas wurde, versprach er dem Laster abzuschwören. Als Buddha nun gebeten wurde einen bösen Geist zu vertreiben, schickte er wegen Zeitmangels Binzuru, der den Geist auch bezwingen konnte. Doch bei einem Bankett zu Ehren Binzurus, das der Hausherr ausgerichtet hatte, um sich zu bedanken, verfiel Binzuru abermals dem Alkohol. Das Ende vom Lied war, dass Binzuru seine Kräfte verlor, der Geist zurückkehrte und Buddha Binzuru aus seiner Gefolgschaft verstieß. Doch Binzuru reiste Buddha hinterher, lauschte seinen Lehrreden in einigem Abstand und ließ auch sonst nicht vom Buddhismus ab. Als Buddha starb, rief er Binzuru zu sich und verzieh ihm, erklärte ihm jedoch, dass er niemals Nirvana (Ende des Wiedergeburtszyklus) erreichen könne und als Wächter über die Menschen in dieser Welt verbleiben müsse.
Der Pilger soll, wenn er im Tempel Nr. 19 ankommt innehalten und sich fragen, ob er bis jetzt den rechten Weg gegangen ist. Wenn nicht, es ist fast wie im Mensch-ärger-Dich-nicht Spiel, soll er zu Tempel Nr. 1 zurückkehren und erneut beginnen. Da wir aber noch Tempel Nr. 18 auf unserer heutigen Tagesliste haben, fragen wir uns später, ob wir das eingehalten haben, was wir (uns) versprochen haben.
Nachdem wir also unsere Herz-Sutra rezitiert haben, gehen wir ins Pilgerbüro und lassen unser Nokyochō ausfüllen. Hier fragen wir auch gleich, ob wir schon einchecken und unser Gepäck auf unser Zimmer bringen dürfen. Nachdem wir 7000 Yen für Übernachtung, Abendessen und Frühstück bezahlt haben, führt uns ein junger Mönch sogleich auf unsere Zimmer. Zeigt uns noch wo die Toiletten und das Bad sind und spricht die Badezeiten mit uns ab. Nach einer kurzen Teepause machen wir uns auf den Weg zu Tempel Nr. 18, dem Onzanji. Da das Wetter bedeckt ist, nehme ich vorsichtshalber meinen Regenponcho mit, der baumelt zusammengelegt im Beutel zwar etwas herum, wird sich aber noch als sehr nützlich erweisen.
Nachdem wir die "Brücke des Weißen Reihers" hinter uns gelassen haben, wandern wir durch die Wälder. Wir kommen durch einen herrlichen Bambushain, doch der Weg ist leider nur mäßig beschildert. In einem Tal mit Bauernhof, hier kann ich einen Blick auf die verdutzt guckenden Rindern werfen, müssen wir uns ausgiebig umschauen und nach dem Weg suchen. Am anderen Ende des Tals sehe ich eine Treppe und von oben kommen uns zwei Pilger entgegen. Mein Herz klopft immer, wenn der Trail direkt über die Grundstücke führt. Das ist mir immer etwas peinlich, denn es könnte gerade der Hausherr raukommen. Aber wenn es die Einheimischen stören würde, würden sie den Trail einfach etwas verlegen. Außerdem schätzen die Anwohner die Pilger, so haben sie manchmal Stühle und Tische für ein Päuschen aufgestellt oder Kannen mit Tee oder Kaffe bereitgestellt, so nehmen sie immer ein Stückchen an der Pilgerreise des anderen teil.
Exkurs Tempel Nr. 18 Onzanji (恩山寺)
„Der Tempel des Berges der Dankbarkeit“ wurde von Gyōgi gegründet, der auch die Statue des Yakushi Nyorai geschnitzt hat. Ursprünglich hieß der Tempel Mitsugenji und war ein Ort, wo man sein Unglück bannen konnte. Als Kōbō Daishis Mutter ihn jedoch hier besuchen wollte, zu diesem Zeitpunkt war es Frauen verboten heilige Orte wie Koya-san, Tempel Nr. 13 oder auch andere heilige Berge zu betreten, hielt er ein 17-tägiges Ritual ab. Danach wurde das Verbot aufgehoben und seine Mutter Tamayori durfte den Tempel betreten. Sie ließ sich die Haare abrasieren und sich zur Nonne weihen. Kōbō Daishi kümmerte sich hier um seine Mutter, schnitzte eine Statue von ihr und eine von sich selbst, die noch heute in der Daishi-Halle und in der daneben liegenden Mutter-Halle aufgewahrt werden. So unterstrich er die Dankbarkeit, die er gegenüber seiner Mutter empfand, was sich im Namen der Halle widerspiegelt. Auch soll er beim Empfang seiner Mutter einen Baum in der Nähe des Tores gepflanzt haben, der 1954 zum Natur Monument der Präfektur Tokushima ernannt worden ist. Nach ihrem Tod sollen ihre Knochen im Tempel begraben worden sein. Es können im Tempel u. a. frauenspezifische Glückbringer erworben werden, die zu einer leichten Geburt, Genesung von Frauenkrankheiten und eine erfolgreiche Schwangerschaft führen sollen.
Als wir endlich das Tor von Tempel Nr. 18 sehen, uns fallen sofort die riesigen Strohsandalen (waraji) am Tor auf, glauben wir den Tempel erreicht zu haben, aber gefehlt, der liegt noch um einiges weiter weg. Das Tor ist von einem Bienenschwarm in Besitz genommen worden und wir sind vorsichtiger als sonst, als wir uns verbeugen und das Tor durchschreiten. Der Tempel wimmelt von kleinen Jizō Figuren, aber auch eine Reihe von Arhats (Buddhas Jünger) kann man hier, geschützt durch ein kleines Dach, bewundern.
Auf dem Rückweg überrascht uns ein Regenguss, jetzt hat sich das Wetter so lange gehalten, aber bevor wir trockenen Fußes in den Tempelunterkunft gelangen, muss es noch eine Husche geben. Ich hatte meinen Poncho dabei, nur Hajo ist nass geworden. Er nimmt auch als erster ein Bad. Um 17.00 Uhr soll es ein Ritual im Hauptgebäude geben, während die sonst übliche Morgenmesse um 6.00 Uhr morgen nicht abgehalten wird. Glücklicher Weise, es regnet noch, kann man von der Pilgerunterkunft über Gänge direkt in den Altarraum gelangen. Hier treffen wir auf alte Bekannte. Herr Hinkebein, der uns beim Päuschen zwischen Tempel 11 und 12 Honigbonbons geschenkt hat, ist hier ebenso wie ein älterer Herr, den wir auf dem Trail gesehen haben und eine Kappe mit der Aufschrift „LR“ getragen hat. Man sitzt auf flachen Stühlen bzw. man könnte sich auch auf den weichen Boden setzen. Ein Büchlein, das bei unserer Ankunft auf dem niedrigen Tischlein in unserem Zimmer lag, haben wir leider vergessen, dafür haben wir die Übersetzung der Herz-Sutra (Hannya Shingyo) dabei. Das Büchlein enthält den Ablauf und die Texte der Zeremonie, die jetzt durchgeführt wir. Als die Herz-Sutra rezitiert wird, können wir im natürlich im Chor mitsprechen. Beim abschießenden, ich nenne es mal „Weihrauchritual“, nimmt man etwas Gewürzpulver zwischen die Fingerspitzen, führt sie zur Stirn und nickt mit dem Kopf, spricht leise ein Gebet und streut es dann auf einen kleinen glimmenden Hügel, den der Priester vorher in einer kleinen Schale angehäufelt hat. Das ganze Ritual wird mit einer Verbeugung eingefasst. Man sieht am besten seinem Vordermann zu und macht es einfach nach. Nach Abschluss der Abendandacht, eine Morgenandacht ist nicht geplant, zeigt uns der Priester die Mandala, die hier aufgehängt sind. Mandala sind bildhafte Darstellungen der buddhistischen Götter und Hierarchien und erklären dem Eingeweihten, wie die Welt funktioniert. Für uns Nichteingeweihte, sind es lediglich detailreiche Darstellungen von Buddhas, die in ihrer Anordnung irgendwie quadratisch, aber doch rund wirken. Im Shingon Buddhismus, dem Buddhismus des „Wahren Wortes“, welchen Kōbō Daishi gegründet hat, nachdem er von China zurückgekehrt war, sind mündliche Überlieferungen von Meister zu Schüler immer noch sehr wichtig. Er wird auch esoterischer Buddhismus genannt, da die Lehren, die für die Erkenntnis des Kerns der Lehre notwendig ist, verborgen gehalten werden. Nichteingeweihte kratzen lediglich an der Schale und eine Erleuchtung in diesem Leben kann nur durch eine geistige Durchdringung der ganzen Lehre erfolgen. Während der Zen-Buddhismus eine Erleuchtung durch Abschalten des Oberflächendenkens, geprägt durch Erfahrungen und Emotionen, versucht, konzentriert sich der Shingon Meditierende auf die Buddhas. Er versucht in der Meditation eins zu werden mit dem Buddha bzw. dessen Keimsilbe, die den Buddha repräsentiert. Beide Meditationsformen versuchen den Praktizierenden von seiner Ich-Gebundenheit zu befreien. Auf alle Fälle gibt es im Shingon Buddhismus ein Doppel-Mandala, das "Diament-Mandala" (kongo-kai) und das "Mandala des Mutterschosses" (taizo-kai), die hier beide im Tempel hängen.
Beim Essen sind wir eine kleine, gemütliche Runde von 10 Personen. Wir sitzen also im Essraum eines Tempels und ich erwarte vegetarische Speisen, wie es für Buddhisten üblich ist. Nicht, dass ich selbst überzeugte Vegetarierin bin, aber so ein bisschen Speck im Rührei oder etwas Putenbrust im Salat, das möchte ich nicht missen. Da wird mir doch Sushimi, roher Fisch, serviert und einer meiner Mitpilger hat sich eine Flasche Bier bestellt! Fleisch und Alkohol im Tempel, ich bin etwas verblüfft. Aber vielleicht hat man sich den Bedürfnissen der Pilger angepasst, die nicht nur Pilger, sondern auch Reisende sind. Wenn man sich schon den Tag über hat quälen müssen, dann sollte doch der japanischen Leidenschaft zum guten Essen nachgegeben werden, sonst pilgert am Ende gar keiner mehr zu Fuß. Wir bedienen uns gegenseitig, füllen unsere Reis- und Teeschälchen. Ein Mönch bespricht mit mir noch meine Badezeit. Ein älterer Herr, der auch an unserem Tisch sitzt, soll vor mir baden und höflich wie ich bin, zeige ich mich einverstanden. Da ich sowieso erst nach Hajo bade, wir haben es uns so angewöhnt, dass er als erster baden geht, während ich aufs Gepäck achte bzw. meine Fotos aufs Netbook lade und mir ein paar Notizen zum Tag mache.
Es wird zwar wenig Englisch gesprochen, doch mein Japanisch reicht aus, um die älteren Herrschaften zu verstehen, die mir den jungen Mann neben mir als Student vorstellen. Hajo plaudert angeregt mit Herrn Hinkebein. Zwar spricht Hajo kein Japanisch und der Japaner kein Englisch, dafür verstehen aber beide Spanisch. Es stellt sich heraus, das Herr Hinkebein, trotzt total versteiften Knies schon den Jacobsweg oder Camino nach Santiago de Compostelle in Spanien gelaufen ist und hierzu vorher Spanisch gelernt hat. Uns war Herr Hinkebein schon auf dem Trail zwischen Tempel 11 und 12 begegnet, wobei ich mich gefragt habe, da er ja nur mit dem einen Bein Treppen steigen kann, wie dieser dünne Kerl es schafft den Berg hochzukommen, wo wir mit unseren zwei gesunden Beinen schon Probleme haben. Und auch der Herr mit der Kappe, mit Namen „Akadama“ wie ich später erfahre, ist schon 70 Jahre alt und läuft auch uns später davon, da wir bei seinem Tempo nicht mithalten können. Da wird man plötzlich ganz klein, wenn ich bedenke wie lange ich mich vorbereitet habe, um fit für den Trail zu sein, im Vergleich zu diesen „Leistungssportlern“ muss man sich ja fast schämen noch so jung bzw. so langsam für sein Alter zu sein. Ich muss allerdings einräumen, dass die Herrschaften wirklich nur mit dem nötigsten Gepäck inform eins 35 l Rucksacks (6 kg) reisen, während sich unsere 80 l Rucksäcke mit 12 bzw. 17 kg einen, vor allem in den Bergtrails, doch recht bremsen. Wir müssen aber auch immer damit rechnen, dass wir keine Unterkunft finden und so unser Gepäck mit Isomatte und Schlafsack schon mal fast die Hälfte des Gewichts ausmacht.
Samstag, der 21. März 2009, Tokushima, Ishii Town, B&B Yasuragi
Der 6. Tag in Japan
Ich habe von 22.00 bis 6.30 Uhr geschlafen, trotz Klimaanlage und Lüfter, der im Badezimmer lief, um die Wäsche zu trocknen. Um 7.30 Uhr klingelt Hajos Wecker und mahnt uns zum Aufstehen. Leider ist Wäsche nicht ganz trocken. Während die Funktionskleidung wie T-Shirts und Treckingbluse relativ schnell trocknen, sind meine Unterhosen aus Baumwolle und die Treckingsocken immer noch feucht.
Ich habe nur leichten Muskelkater in den Waden, was mich bei der gestrigen Bergetappe doch recht erstaunt. Dafür entdecke ich eine Scheuerstelle an meiner Schulter. Ich hatte meine orange Umhängetasche mit im Rucksack, damit sie mir beim Steigen nicht an den Oberschenkeln baumelt, so dass das gesamte Gewicht auf den Schulterriemen gelastet hat und jetzt wurde mir die Naht im T-Shirt zum Verhängnis. Hajo bietet mir an, eine von seinen Einlegesohlen als Scheuerschutz unter das T-Shirt zu klemmen, aber ich denke, dass das erst recht scheuern wird. Außerdem haben wir die Bergetappe erstmal hinter uns und ich kann mein Packgewicht wieder auf Rucksack und Umhängetasche verteilen. Meine Füße weisen nicht eine Blase auf, dafür fühlen sich meine Großen Zehen etwas taub an und sind irgendwie weißer als die anderen Zehen. Hajos Schuh ist jetzt auch noch an der Sohle gebrochen, dass er schon vorher kaputt war, hatte er mir bereits erzählt. Er war ihm schon zuhause an der Hacke eingebrochen, da hat er ihn mit Zellstoff aufgepolstert und mit einer Einlegesohle verstärkt. Das ist der Horror eines jeden Japanreisenden mit großen Füßen – kaputtes Schuhwerk und keine Möglichkeit hier in Japan, dem Land der doch etwas kleineren und zarteren Füße, ein Paar Schuhen in der richtigen Größe finden zu müssen. Aber mal ehrlich, wer reist denn auch schon mit kaputten Schuhen an? Ich selber habe meine Treckingschuhe zwar eingelaufen, aber nicht ausgelatscht. Nicht auszudenken, wenn das wichtigste Werkzeug auf dieser Tour plötzlich kaputt geht. Ich bin schon auf die Männerschuhgröße 43 ausgewichen, weil ich so große Füße habe.
Zum Frühstück werden uns rohe Eier serviert. Das weiche oder hartgekochte Frühstücksei ist im japanischen Frühstück nicht vorgesehen. Man schlägt die rohen Eier hier über den Reis, der zusätzlich mit einigen Schnipseln getrockneten Seetangs gewürzt wird. Wir versuchen der Köchin klar zu machen, sie möge doch die Eier kochen, damit wir sie als Wegzehrung einstecken können. Eine grauhaarige Dame von der Gruppe mit der wir gestern Abend gescherzt haben, kommt uns zur Hilfe, so dass wir doch noch zu unseren „boiled eggs“ kommen. Leider sind die aber eher pouchiert und ohne Schale, so dass sie als Snack auf dem Weg ausfallen.
Zum Frühstück gibt es sogar Natto, das sind gekochte und mit Natto-Kinase fermentierte Sojabohnen. Sie riechen etwas streng und ziehen käseartige Fäden, wenn man die zerquetschten Bohnen mit den Essstäbchen durchrührt. Natto spaltet die japanische Nation: Während die einen sich ein Frühstück ohne Natto nicht vorstellen können, lehnen die anderen Natto strikt ab. Auch ein zusätzliches Würzen mit Frühlingszwiebeln und Senf (!) kann diese Leute nicht überzeugen, ja nicht einmal der gesundheitliche Nutzen kann sie motivieren, das Zeug in ihren Speiseplan aufzunehmen. Meine Wenigkeit übergießt Natto immer mit etwas Grünen Tee, dann schmeckt es ganz passabel. Es zieht dann keine Fäden, die überall kleben bleiben, nimmt aber eine etwas gewöhnungsbedürftige, gelartige Konsistenz an. Itadakimasu – guten Appetit!
Wir verlassen unsere gastliche Herberge und laufen durchs Dorf. Als wir an einem kleinen Lädchen vorbeikommen, will Hajo Kleber für seine Schuhe kaufen. Wir zeigen der Ladenbesitzerin die gebrochene Sohle von Hajo und abermals wird die freundliche Art der Leute deutlich. Da sie keinen geeigneten Kleber im Angebot hat, holt sie kurzer Hand eine Tube Gummikleber aus ihrem Privatbesitz. Nun sitzt Hajo vor ihrem Laden und versucht mit einem Spatel den Kleber in die Risse zu füllen. Leider wartet er nicht die angegebenen 10 Minuten und so nimmt das Unglück seinen Lauf. Wir wollen heute noch bis Tempel Nr. 17 kommen und vom Bahnhof Tokushima zurück nach Bando fahren, um die Ersatzschuhe von Hajo zu holen, die er im Deutschen Haus deponiert hat. Für den Superkleber verlangt die gute Dame keinen Yen, aber das schlechte Gewissen plagt uns und so kaufen wir noch etwas Wegzehrung bei ihr.
Als erstes steht der Bangai Tempel Nr. 2 auf unserer Liste, den können wir nur durch den Dōgakuji Tunnel erreichen. Unser erster Tunnel auf unserer Pilgertour, von denen noch etliche folgen werden.
Exkurs Bangai Tempel Nr. 2 Dōgakuji (童学寺)
Der Name „Tempel des Lernen in der Kindheit“ bezieht sich darauf, das Kōbō Daishi hier im Alter von acht oder neun Jahren seine erste Schulerziehung genoss haben soll bis er zum Universitätsstudium in die Hauptstadt ziehen musste. Obwohl es bezweifelt wird, dass Kōbō Daishi das berühmte Iroha Gedicht verfasst hat, gibt es hier eine Quelle, deren Wasser von Kindern der Umgebung für ihre Kalligraphie (Shodō) benutzt wird. Das Iroha Gedicht benutzt jede Silbe des japanischen Kana Silbenalphabets (47 Zeichen) nur ein einziges Mal und wurde früher verwendet, um Kindern dieses Alphabet beizubringen. Es fasst die Buddhistische Lehre mit einfachsten Worten zusammen:
i ro ha ni ho he to
chi ri nu ru wo
wa ka yo ta re so
tsu ne na ra mu
u yi no o ku ya ma
ke fu ko e te
a sa ki yu me mi shi
ye hi mose su
Obwohl die Farben (die Blüten) duften,
sie sind abgefallen.
Was ist im Laufe unserer Welt beständig?
Die fernen Berge des Wandels überschreiten,
gibt es keinen leichten Traum,
keine Haften im Rausch.
Auch dieser Tempel wurde im 16. Jahrhundert von Chōsokabe und seiner Armee niedergebrannt. Die heutige Daishi-Halle, welche früher die Haupthalle gewesen ist, stammt aus dem 16. Jahrhundert und die Figur des Yakushi Nyorai aus dem Hondō (Haupthalle) wird als "Nationaler Schatz" geführt. In einem kleinen Garten gibt es eine Quelle, in der schon Kōbō Daishi sein Pinsel getaucht haben soll, um das Iroha Gedicht zu schreiben.
Es gibt hier sehr viele Steinstatuen, so u.a. eine Sammlung, welche die 88 Tempel der Shikoku Pilgerreise symbolisiert, eine Sammlung der 20 Bangai Tempel und der 33 Tempel der Kannon Pilgerreise im Gebiet Kanto (um ōsaka; Saikoku Sanjūsan-sho). Es soll auch eine Darstellung eines schlafenden Kōbō Daishi zu finden sein, die zurückgeht auf eine Begebenheit, bei der er als Bettelmönch keine Unterkunft finden konnte und gezwungen war, unter einer Brücke zu schlafen. Doch dies ist eigentlich die Legende des Bangai Tempels Nr. 8, des Eitokuji. Als ich mir die Figur näher ansehe, denke ich so bei mir, dass das wohl eher ein schlafender Buddha als Kōbō Daishi ist. Neben der Haupthalle steht noch ein Gebäude das „Kankidō“ genannt wird, es ist der sexuellen Ekstase gewidmet, die der religiösen sehr verwandt sein soll. Die ist bei männlichen Pilgern sehr beliebt – natürlich der religiösen Ekstase wegen!
Da ich von Natur aus neugierig bin, teste ich einen Automaten auf dem „Omikuji“ steht. Doch anstatt einen Bund Weihrauchstäbchen für meine 100 Yen in Händen zu halten, die doch so gut riechen, erhalte ich einen Orakelzettel. Da ich nicht davon ausgehe, dass dieser Orakelzettel eine englische Übersetzung hat, wie ich es aus großen Schreinen kenne, stecke ich ihn ein. Vielleicht werde ich ihn, wenn ich besser Japanisch kann einmal lesen können, aber bis dahin wird das, was er mir vielleicht unter einer Abstufung von „Großer Segen“ bis hin zum „Großer Fluch“ verkünden wollte, wohl sein Geheimnis bleiben. Wir laufen zurück durch den Dōgakuji Tunnel und dann immer am Akui Fluss entlang bis wir zum Tempel Nr. 13, dem Dainichi, nebst angeschlossenem Schrein kommen.
Exkurs Tempel Nr. 13 Dainichiji (大日寺)
Dieser Tempel wird wie schon Nr. 4, „Tempel der großen Sonne“ genannt. Er wurde von Kōbō Daishi gegründet, dem bei einem sogenannten Goma Ritual, der kosmische Buddha Dainichi Nyorai auf einer lilafarbenen Wolke erschienen ist. Es gab zwei Nyorai Statuen, eine von Kōbō Daishi, die andere von dem Wandermönch Gyōgi beschnitzt. Ursprünglich waren Tempel und der Ichinomiya Schrein auf der anderen Seite der Straße eng miteinander assoziert, wurden jedoch in der Meiji Zeit, bei der offiziellen Trennung von Buddhismus und Shintoismus, wieder getrennt. Es gab eine Zeit, da wurden die shintoistischen Gottheiten als buddhistische Bosatsus verehrt. Aus dieser Zeit stammt auch die Hauptgottheit des Dainichiji, die 11-köpfige Kannon, die ursprünglich im Schrein verehrt worden ist. Während heute also Juuichimen Kannon Bosatsu (11-köpfige Kannon) im Tempel verehrt wird und Dainichi Nyorai eine Art Nebenstatue darstellt, ist die Nyorai Statue von Gyōgi im Schrein untergebracht. Auf dem Tempelgelände gibt es eine Shiawase Kannon (Kannon des Glücks) genannte Statue, die in zwei riesigen Händen untergebracht ist. Hier können die Pilger um Glück beten, ebenso wie beim Binzuru Daishi, der Wünsche erfüllen soll, wenn man ihn gleichzeitig reibt.
Binzuru ist einer der Arhats, also ein Jünger Buddhas, dem heilende Kräfte zugesprochen werden. Meist ist er in Form einer, leuchtend Rot bemalten, Statue dargestellt, die, wenn man die korrespondierenden Körperteile reibt, die Krankheit aus den betroffenen Bereichen vertreiben soll. Ebenso wie der Wächter der Kinder, Jizō, mit Lätzchen und Mützchen versehen, soll er Babys und Kleinkinder vor Krankheiten beschützen. Nun fürchte ich weder Krankheiten, noch hätte ich zurzeit irgendeinen anderen Wunsch, den es zu erfüllen gibt. Diese Tour gesund zu beenden hängt von mir ab und mit Kōbō Daishi als Wanderstock an meiner Seite, vertrau ich in meine und seine Stärke. Aber ein kleines Geschenk lasse ich dennoch beim Binzuru Daishi: Meine grüne Gebetskette (jōzu), die ich seit meinem letzten Japanaufenthalt trage. Sie ist das Symbol für mein Versprechen, nach Japan zurückzukehren. Jetzt muss ich mich aber etwas sputen, denn mir müssen, wenn wir heute noch nach Tokushima City kommen wollen, noch die Tempel 14 bis 17 besuchen. Bei der Stippvisite im tempeleigenen Toilettenhäuschen besteht übrigens die Gefahr, dass man sich den Kopf stößt, da der Weg durch einen Gang unter dem Tempelgang lang läuft.
Exkurs Tempel Nr. 14 Jōrakuji (常楽)
„Der Tempel des ewig Friedens“ wurde von Kōbō Daishi gegründet, nachdem ihm der "Buddha der Zukunft", Miroku Bosatsu, erschienen ist. Der Tempel brannte (Chōsokabe) mehrfach nieder, nur die Statue des Miroku überstand die Feuersbrünste unbeschadet. Der Legende nach trug eine Frau ihren verkrüppelten Ehemann fünfmal die Pilgerreise entlang, immer in der Hoffnung, der Ehemann würde geheilt werden. Bei der sechsten Runde schworen sie gemeinsam Selbstmord zu begehen, doch oh Wunder – als sie Tempel Nr. 14 betraten, war der Mann geheilt und sie konnten beide, gesunden Fußes, den Rest der Pilgerreise absolvieren. Der felsige Untergrund hier wird auch „Garten der Felsen des laufenden Wassers“ (Ryusuigan no niwa) genannt, man hat den Eindruck als befinde man sich auf dem Mond. Zwischen Haupthalle (Hondō) und Daishi-Halle (Daishidō) wächst ein Baum mit der lächelnden Statue des Araragi Daishi über den ich aber nichts finden konnte. Weitere „Wundertätige“ sind hier ein roter Binzuru (Medizin Arhat) und die 11-köpfige Kannon Statue, die der Pilgerin eine leichte Geburt gewähren soll. Als Souvenir kann man hier Essstäbchen erwerben, die einem ein langes Leben schenken sollen.
In diesem Tempel fragt mich eine Japanerin mit pinkem Fotoapparat, ob ich ein Foto von ihr machen kann. Natürlich komme ich der Bitte nach, da ich endlich mal wieder einen Satz in Japanisch verstanden habe. Pink schein ihre Lieblingsfarbe zu sein, da ihr komplettes Outfit diese Farbe hat. Ich führe sie unter dem Namen Pink Lady, ohne an die Apfelsorte zu denken, da ich ihr später nochmals begegnen werden.
Wir wollen gerade den Felsentempel verlassen, als ein Japaner mit Karton uns heranwinkt. Er verteilt Osettais – Pilgergeschenke - in Form von handgearbeiteten Stoffbeuteln, die mit Bonbons gefüllt sind. In meiner Karte habe ich mir Bangai Nr. 3 (Jigenji) gleich nebenan notiert, aber das ist wohl eine Fehlinformation. Wir fragen noch einige Pilger, die sich in der Gegend aufhalten, doch Fehlanzeige. Als ich eine lange Treppe finde, steige ich natürlich rauf, während Hajo es vorzieht ein Päuschen zu machen. Leider Sackgasse, am Ende der Treppe befindet sich zwar ein Rasthütte, aber kein Tempel. Ich habe ein Handy auf den Stufen gefunden, dass ich, in Ermangelung von anwesenden Personen, auf eine im Unterstand liegende Tasche lege. Vielleicht gehören beide Sachen dem gleichen Besitzer? Wenn nicht, dann wird derjenige hoffentlich wissen, wo man hier Fundsachen abgeben kann. Wir verwerfen die Idee, dass es hier den Bangai Tempel Nr. 3 gibt und laufen etwas gehetzt weiter, da wir noch bis Tempel Nr. 17 kommen müssen, wenn wir morgen von Tokushima aus die Ersatzschuhe für Hajo bei Tempel Nr. 1 holen wollen.
Exkurs Tempel Nr. 15 Kokubunji (国分寺)
„Der Tempel des offiziellen Staates“ wie es in der Übersetzung heißt, wurde von Gyōgi auf Geheiß des Kaisers Shomu gegründet, der für jede der damals 66 Provinz Japans einen offiziellen Provinztempel haben wollte. So war der Kokubunji für die Provinzen Awa/Tokushima zuständig, Tempel Nr. 29 für Tosa/Kochi, Tempel Nr. 59 für Iyo/Ehime und Tempel Nr. 80 für Sanuki/Kagawa zuständig. Ursprünglich ein Tempel des Hossōshu Budddhismus, unter Kōbō Daishi zum Shingon Buddhismus gewechselt und nach Niederbrennung durch Chōsokabe Truppen als Sōtō Zen Tempel (1742) wiederaufgebaut, wird bis heute die von Gyōgi geschnitzte Figur des Yakushi Nyorai verehrt. Es können hier Papier Amulette erworben werden, die an die Badezimmerwände geklebt, vor Termiten und anderem Unglück schützen sollen.
Wir wollen uns die Sache etwas einfacher machen und laufen einem Japaner mit orangem Rucksack hinterher. Als der jedoch quer durch die Felder stapft, müssen wir erkennen, dass er sich hier nicht auskennt. Er fragt noch ein paar Einheimische wie man zum Tempel Nr. 16 (Kannonji) kommt und wird uns nach dem Tempel verlassen, da er vom Bahnhof Kou aus nach Tokushima möchte und nicht wie wir noch Tempel Nr. 17 besuchen will.
Exkurs Tempel Nr. 16 Kanonji (観音寺)
„Der Tempel des Avalokitesvara“ bzw. Kannon Bosatsu wie er hier in Japan heißt, wurde 741 auf Befehl des Kaisers Shōmu gegründet, da er den Buddhismus im Land fördern wollte. Als Kōbō Daishi 816 hierher kam, schuf er die lebensgroße Kannon Statue mit den elf Gesichtern und als Wächter Statuen noch Fudō Myōō und Bishamonten.
Fudō Myōō ist der „Bewahrer der Lehre“. Er ist meist dreiäugig, mit zornverzehrtem Gesichtsausdruck und mehrarmig. Seine Werkzeuge sind das Schwert, zur Verteidigung der Lehre und der Hilfsbedürftigen, die Vajra (Donnerkeil) eine Art Kampfzepter, das Beil und Seil, um Dämonen zu bannen. Bishamonten, einer der 6 japanischen Götter des Glücks, ist eigentlich der Gott des Krieges bzw. Schutzpatron der Krieger. Er verteilt Reichtum, schützt vor Dämonen und Krankheiten und wird als Wächter der Himmelsrichtungen dem Norden zugeordnet. Er trägt volle Rüstung und einen Speer, meist tritt er auf einen am Boden liegenden Dämon. Beides keine friedvollen Bosatsus, sondern Wächter und harte Kämpfer für den Glauben. Weitere Statuen im Tempelgelände sind Yonaki Jizō, der Wächter der weinenden Kinder, und Mizuko Jizō, Wächter der ungeborenen Kinder. Wenn Yonaki Jizō ein rotes Lätzchen trägt, ist das der Dank eines Elternpaares, weil ihr Kind des Nachts nicht mehr weint. Hier gibt es auch wieder eine Legende, die auf eine Begebenheit im 19. Jahrhundert zurück geht. Damals wäre eine Pilgerin namens Shiyo fast bei dem Versuch verbrannt, die nasse Pilgerkleidung trocknen zu wollen. Sie nahm es als Strafe Kōbō Daishis auf, da sie in der Vergangenheit wohl nicht sehr rechtschaffen gelebt und ihre Schwiegermutter mit einem brennenden Stock maltretiert hatte. Sie spendete dem Tempel das Bild einer brennenden Frau, das andere davon abhalten sollte, die gleichen Fehler zu begehen wie sie.
Laut Tempelführer sollen hier immer wieder Krücken aufgestellt worden sein, die von geheilten Pilgern stammen. Doch bei meinem Besuch habe ich keine gesehen, ebenso wie ich das Bild nicht finden konnte. Dafür habe ich aber noch den roten Binzuru (Medizin Arhat) gesehen, den man kaum in seinem kleinen Häuschen erkennen kann, und einen Fußabdruck Buddhas (bussokuseki). Leider drängt die Zeit und ich habe keine Muße, mich weiter umzuschauen. Schnell noch schnell noch zum Tempel Nr. 17 (Idoji) und dann mit Bus nach Tokushima in die Jugendherberge.
Exkurs Tempel Nr. 17 Idoji (井戸寺)
Der Name „Der Tempel des Brunnens“ geht auf eine Begebenheit zurück, bei der Kōbō Daishi einen Brunnen mit seinem Wanderstab bohrte und so die Wasserknappheit der Gegend beheben konnte. Er soll seine Reflexion im Wasser auf einen Stein übertragen haben, dem Hikagiri Saishi. Der Brunnen ist 5 m tief und es bringt Glück, wenn man seine Spiegelung sehen kann und Unglück, wenn man es nicht sehen kann. Gegründet 673 von Kaiser Tenmu beherbergt der Tempel eine Vielzahl von Statuen. Die Hauptgottheit Shichibutsu Yakushi Nyorai, der Medizin Buddha, soll von einem Prinz Shōtoku geschnitzt worden sein, er u. a. auf dem 10.000 Yen-Schein abgebildet ist. Da er von 574 bis 622 lebte, bin ich mir aber nicht sicher, ob es die gleiche Person ist, oder ob man es wieder unter der Rubrik Mythen und Sagen abhaken sollte. Gyōgi hat die Statue von Nikko und Bakko Bosatsu geschnitzt, als Begleiter des Yakushi Nyorai, stehen sie für Sonnen- und Mondlicht.
Kōbō Daishi selbst hat eine 2,4 m große 11-gesichtige Kannon Statue, 12 Himmlische Generäle, die ebenfalls Yakushi Nyorai unterstützen, und 4 Himmelskönige geschnitzt, die für die vier Himmelsrichtungen stehen und zu denen auch, oben erwähnter Bishamonten zählt.
Zweimal komplett heruntergebrannt, brannte der Hondō (Haupthalle) das letzte Mal 1967 nieder und wurde 1970 nach Plänen eines modernen Architekten aus Beton wieder aufgebaut. Das Haupttor (Niōmon) mit den Wächterfiguren (Niō) soll das größte auf ganz Shikoku sein.
Als wir von der Telefonzelle auf dem Tempelgelände aus in der Jugendherberge anrufen, wird uns gesagt, dass sie für heute voll sind. Schade, aber im Tempelführer stehen noch weitere Adressen, die man vor Ort abklappern kann. Da es schon spät ist und langsam dunkel wir, wollen mit dem Bus, die Bushaltestelle liegt direkt um die Ecke, nach Tokushima fahren. Leider können wir den Fahrplan nicht lesen und fragen insgesamt 4 Japaner, vom älteren Herrn bis zum Fahrrad fahrenden Teenager, ob und wann der Bus fährt. Langsam wird es kalt, aber dann kommt endlich doch noch ein Bus. Aber zu früh gefreut, der Busfahrer winkt ab, vielleicht nimmt er uns auf der Rücktour mit? Schließlich und endlich landen wir dann doch noch in einem Bus, der uns zum Hauptbahnhof von Tokushima bringt. Auf dem Weg lernen wir einen jungen Japaner kennen, den wir fragen, ob er uns ein preiswertes Hotel empfehlen kann. Hajo lässt nicht locker, so dass der hilfsbereite Japaner uns zum Ryokan Sakura-ko führt, und noch bei der Auskunft den Bus für morgen nach Bando erfragt. Wir bedanken uns natürlich sehr herzlich und checken im Sakura-ko ein. Hier gibt es erstmal, wie in Japan üblich, Tee und Kekse, obwohl der Nachmittag schon lange vorbei ist. Für den größeren Hunger finden wir im Hauptgebäude des Bahnhofs ein Nudelsuppen Restaurant. Nach einem kurzen Abstecher in ein Sunkus Kombini, wo wie unser Frühstück dür morgen und Proviant einkaufen, kehren wir ins Sakura-ko zurück. Anhand der Schuhe, die hier stehen, folgere ich, dass hier viele Ausländer zu Gast sind, der Blick ins Gästebuch bestätigt meine Annahme: Fast nur Ausländer – kaum japanische Namen. Nach einer schnellen Dusche, das Ofuro war mir einfach zu heiß, geht es wieder in die Futons.
Ich habe von 22.00 bis 6.30 Uhr geschlafen, trotz Klimaanlage und Lüfter, der im Badezimmer lief, um die Wäsche zu trocknen. Um 7.30 Uhr klingelt Hajos Wecker und mahnt uns zum Aufstehen. Leider ist Wäsche nicht ganz trocken. Während die Funktionskleidung wie T-Shirts und Treckingbluse relativ schnell trocknen, sind meine Unterhosen aus Baumwolle und die Treckingsocken immer noch feucht.
Ich habe nur leichten Muskelkater in den Waden, was mich bei der gestrigen Bergetappe doch recht erstaunt. Dafür entdecke ich eine Scheuerstelle an meiner Schulter. Ich hatte meine orange Umhängetasche mit im Rucksack, damit sie mir beim Steigen nicht an den Oberschenkeln baumelt, so dass das gesamte Gewicht auf den Schulterriemen gelastet hat und jetzt wurde mir die Naht im T-Shirt zum Verhängnis. Hajo bietet mir an, eine von seinen Einlegesohlen als Scheuerschutz unter das T-Shirt zu klemmen, aber ich denke, dass das erst recht scheuern wird. Außerdem haben wir die Bergetappe erstmal hinter uns und ich kann mein Packgewicht wieder auf Rucksack und Umhängetasche verteilen. Meine Füße weisen nicht eine Blase auf, dafür fühlen sich meine Großen Zehen etwas taub an und sind irgendwie weißer als die anderen Zehen. Hajos Schuh ist jetzt auch noch an der Sohle gebrochen, dass er schon vorher kaputt war, hatte er mir bereits erzählt. Er war ihm schon zuhause an der Hacke eingebrochen, da hat er ihn mit Zellstoff aufgepolstert und mit einer Einlegesohle verstärkt. Das ist der Horror eines jeden Japanreisenden mit großen Füßen – kaputtes Schuhwerk und keine Möglichkeit hier in Japan, dem Land der doch etwas kleineren und zarteren Füße, ein Paar Schuhen in der richtigen Größe finden zu müssen. Aber mal ehrlich, wer reist denn auch schon mit kaputten Schuhen an? Ich selber habe meine Treckingschuhe zwar eingelaufen, aber nicht ausgelatscht. Nicht auszudenken, wenn das wichtigste Werkzeug auf dieser Tour plötzlich kaputt geht. Ich bin schon auf die Männerschuhgröße 43 ausgewichen, weil ich so große Füße habe.
Zum Frühstück werden uns rohe Eier serviert. Das weiche oder hartgekochte Frühstücksei ist im japanischen Frühstück nicht vorgesehen. Man schlägt die rohen Eier hier über den Reis, der zusätzlich mit einigen Schnipseln getrockneten Seetangs gewürzt wird. Wir versuchen der Köchin klar zu machen, sie möge doch die Eier kochen, damit wir sie als Wegzehrung einstecken können. Eine grauhaarige Dame von der Gruppe mit der wir gestern Abend gescherzt haben, kommt uns zur Hilfe, so dass wir doch noch zu unseren „boiled eggs“ kommen. Leider sind die aber eher pouchiert und ohne Schale, so dass sie als Snack auf dem Weg ausfallen.
Zum Frühstück gibt es sogar Natto, das sind gekochte und mit Natto-Kinase fermentierte Sojabohnen. Sie riechen etwas streng und ziehen käseartige Fäden, wenn man die zerquetschten Bohnen mit den Essstäbchen durchrührt. Natto spaltet die japanische Nation: Während die einen sich ein Frühstück ohne Natto nicht vorstellen können, lehnen die anderen Natto strikt ab. Auch ein zusätzliches Würzen mit Frühlingszwiebeln und Senf (!) kann diese Leute nicht überzeugen, ja nicht einmal der gesundheitliche Nutzen kann sie motivieren, das Zeug in ihren Speiseplan aufzunehmen. Meine Wenigkeit übergießt Natto immer mit etwas Grünen Tee, dann schmeckt es ganz passabel. Es zieht dann keine Fäden, die überall kleben bleiben, nimmt aber eine etwas gewöhnungsbedürftige, gelartige Konsistenz an. Itadakimasu – guten Appetit!
Wir verlassen unsere gastliche Herberge und laufen durchs Dorf. Als wir an einem kleinen Lädchen vorbeikommen, will Hajo Kleber für seine Schuhe kaufen. Wir zeigen der Ladenbesitzerin die gebrochene Sohle von Hajo und abermals wird die freundliche Art der Leute deutlich. Da sie keinen geeigneten Kleber im Angebot hat, holt sie kurzer Hand eine Tube Gummikleber aus ihrem Privatbesitz. Nun sitzt Hajo vor ihrem Laden und versucht mit einem Spatel den Kleber in die Risse zu füllen. Leider wartet er nicht die angegebenen 10 Minuten und so nimmt das Unglück seinen Lauf. Wir wollen heute noch bis Tempel Nr. 17 kommen und vom Bahnhof Tokushima zurück nach Bando fahren, um die Ersatzschuhe von Hajo zu holen, die er im Deutschen Haus deponiert hat. Für den Superkleber verlangt die gute Dame keinen Yen, aber das schlechte Gewissen plagt uns und so kaufen wir noch etwas Wegzehrung bei ihr.
Als erstes steht der Bangai Tempel Nr. 2 auf unserer Liste, den können wir nur durch den Dōgakuji Tunnel erreichen. Unser erster Tunnel auf unserer Pilgertour, von denen noch etliche folgen werden.
Exkurs Bangai Tempel Nr. 2 Dōgakuji (童学寺)
Der Name „Tempel des Lernen in der Kindheit“ bezieht sich darauf, das Kōbō Daishi hier im Alter von acht oder neun Jahren seine erste Schulerziehung genoss haben soll bis er zum Universitätsstudium in die Hauptstadt ziehen musste. Obwohl es bezweifelt wird, dass Kōbō Daishi das berühmte Iroha Gedicht verfasst hat, gibt es hier eine Quelle, deren Wasser von Kindern der Umgebung für ihre Kalligraphie (Shodō) benutzt wird. Das Iroha Gedicht benutzt jede Silbe des japanischen Kana Silbenalphabets (47 Zeichen) nur ein einziges Mal und wurde früher verwendet, um Kindern dieses Alphabet beizubringen. Es fasst die Buddhistische Lehre mit einfachsten Worten zusammen:
i ro ha ni ho he to
chi ri nu ru wo
wa ka yo ta re so
tsu ne na ra mu
u yi no o ku ya ma
ke fu ko e te
a sa ki yu me mi shi
ye hi mose su
Obwohl die Farben (die Blüten) duften,
sie sind abgefallen.
Was ist im Laufe unserer Welt beständig?
Die fernen Berge des Wandels überschreiten,
gibt es keinen leichten Traum,
keine Haften im Rausch.
Auch dieser Tempel wurde im 16. Jahrhundert von Chōsokabe und seiner Armee niedergebrannt. Die heutige Daishi-Halle, welche früher die Haupthalle gewesen ist, stammt aus dem 16. Jahrhundert und die Figur des Yakushi Nyorai aus dem Hondō (Haupthalle) wird als "Nationaler Schatz" geführt. In einem kleinen Garten gibt es eine Quelle, in der schon Kōbō Daishi sein Pinsel getaucht haben soll, um das Iroha Gedicht zu schreiben.
Es gibt hier sehr viele Steinstatuen, so u.a. eine Sammlung, welche die 88 Tempel der Shikoku Pilgerreise symbolisiert, eine Sammlung der 20 Bangai Tempel und der 33 Tempel der Kannon Pilgerreise im Gebiet Kanto (um ōsaka; Saikoku Sanjūsan-sho). Es soll auch eine Darstellung eines schlafenden Kōbō Daishi zu finden sein, die zurückgeht auf eine Begebenheit, bei der er als Bettelmönch keine Unterkunft finden konnte und gezwungen war, unter einer Brücke zu schlafen. Doch dies ist eigentlich die Legende des Bangai Tempels Nr. 8, des Eitokuji. Als ich mir die Figur näher ansehe, denke ich so bei mir, dass das wohl eher ein schlafender Buddha als Kōbō Daishi ist. Neben der Haupthalle steht noch ein Gebäude das „Kankidō“ genannt wird, es ist der sexuellen Ekstase gewidmet, die der religiösen sehr verwandt sein soll. Die ist bei männlichen Pilgern sehr beliebt – natürlich der religiösen Ekstase wegen!
Da ich von Natur aus neugierig bin, teste ich einen Automaten auf dem „Omikuji“ steht. Doch anstatt einen Bund Weihrauchstäbchen für meine 100 Yen in Händen zu halten, die doch so gut riechen, erhalte ich einen Orakelzettel. Da ich nicht davon ausgehe, dass dieser Orakelzettel eine englische Übersetzung hat, wie ich es aus großen Schreinen kenne, stecke ich ihn ein. Vielleicht werde ich ihn, wenn ich besser Japanisch kann einmal lesen können, aber bis dahin wird das, was er mir vielleicht unter einer Abstufung von „Großer Segen“ bis hin zum „Großer Fluch“ verkünden wollte, wohl sein Geheimnis bleiben. Wir laufen zurück durch den Dōgakuji Tunnel und dann immer am Akui Fluss entlang bis wir zum Tempel Nr. 13, dem Dainichi, nebst angeschlossenem Schrein kommen.
Exkurs Tempel Nr. 13 Dainichiji (大日寺)
Dieser Tempel wird wie schon Nr. 4, „Tempel der großen Sonne“ genannt. Er wurde von Kōbō Daishi gegründet, dem bei einem sogenannten Goma Ritual, der kosmische Buddha Dainichi Nyorai auf einer lilafarbenen Wolke erschienen ist. Es gab zwei Nyorai Statuen, eine von Kōbō Daishi, die andere von dem Wandermönch Gyōgi beschnitzt. Ursprünglich waren Tempel und der Ichinomiya Schrein auf der anderen Seite der Straße eng miteinander assoziert, wurden jedoch in der Meiji Zeit, bei der offiziellen Trennung von Buddhismus und Shintoismus, wieder getrennt. Es gab eine Zeit, da wurden die shintoistischen Gottheiten als buddhistische Bosatsus verehrt. Aus dieser Zeit stammt auch die Hauptgottheit des Dainichiji, die 11-köpfige Kannon, die ursprünglich im Schrein verehrt worden ist. Während heute also Juuichimen Kannon Bosatsu (11-köpfige Kannon) im Tempel verehrt wird und Dainichi Nyorai eine Art Nebenstatue darstellt, ist die Nyorai Statue von Gyōgi im Schrein untergebracht. Auf dem Tempelgelände gibt es eine Shiawase Kannon (Kannon des Glücks) genannte Statue, die in zwei riesigen Händen untergebracht ist. Hier können die Pilger um Glück beten, ebenso wie beim Binzuru Daishi, der Wünsche erfüllen soll, wenn man ihn gleichzeitig reibt.
Binzuru ist einer der Arhats, also ein Jünger Buddhas, dem heilende Kräfte zugesprochen werden. Meist ist er in Form einer, leuchtend Rot bemalten, Statue dargestellt, die, wenn man die korrespondierenden Körperteile reibt, die Krankheit aus den betroffenen Bereichen vertreiben soll. Ebenso wie der Wächter der Kinder, Jizō, mit Lätzchen und Mützchen versehen, soll er Babys und Kleinkinder vor Krankheiten beschützen. Nun fürchte ich weder Krankheiten, noch hätte ich zurzeit irgendeinen anderen Wunsch, den es zu erfüllen gibt. Diese Tour gesund zu beenden hängt von mir ab und mit Kōbō Daishi als Wanderstock an meiner Seite, vertrau ich in meine und seine Stärke. Aber ein kleines Geschenk lasse ich dennoch beim Binzuru Daishi: Meine grüne Gebetskette (jōzu), die ich seit meinem letzten Japanaufenthalt trage. Sie ist das Symbol für mein Versprechen, nach Japan zurückzukehren. Jetzt muss ich mich aber etwas sputen, denn mir müssen, wenn wir heute noch nach Tokushima City kommen wollen, noch die Tempel 14 bis 17 besuchen. Bei der Stippvisite im tempeleigenen Toilettenhäuschen besteht übrigens die Gefahr, dass man sich den Kopf stößt, da der Weg durch einen Gang unter dem Tempelgang lang läuft.
Exkurs Tempel Nr. 14 Jōrakuji (常楽)
„Der Tempel des ewig Friedens“ wurde von Kōbō Daishi gegründet, nachdem ihm der "Buddha der Zukunft", Miroku Bosatsu, erschienen ist. Der Tempel brannte (Chōsokabe) mehrfach nieder, nur die Statue des Miroku überstand die Feuersbrünste unbeschadet. Der Legende nach trug eine Frau ihren verkrüppelten Ehemann fünfmal die Pilgerreise entlang, immer in der Hoffnung, der Ehemann würde geheilt werden. Bei der sechsten Runde schworen sie gemeinsam Selbstmord zu begehen, doch oh Wunder – als sie Tempel Nr. 14 betraten, war der Mann geheilt und sie konnten beide, gesunden Fußes, den Rest der Pilgerreise absolvieren. Der felsige Untergrund hier wird auch „Garten der Felsen des laufenden Wassers“ (Ryusuigan no niwa) genannt, man hat den Eindruck als befinde man sich auf dem Mond. Zwischen Haupthalle (Hondō) und Daishi-Halle (Daishidō) wächst ein Baum mit der lächelnden Statue des Araragi Daishi über den ich aber nichts finden konnte. Weitere „Wundertätige“ sind hier ein roter Binzuru (Medizin Arhat) und die 11-köpfige Kannon Statue, die der Pilgerin eine leichte Geburt gewähren soll. Als Souvenir kann man hier Essstäbchen erwerben, die einem ein langes Leben schenken sollen.
In diesem Tempel fragt mich eine Japanerin mit pinkem Fotoapparat, ob ich ein Foto von ihr machen kann. Natürlich komme ich der Bitte nach, da ich endlich mal wieder einen Satz in Japanisch verstanden habe. Pink schein ihre Lieblingsfarbe zu sein, da ihr komplettes Outfit diese Farbe hat. Ich führe sie unter dem Namen Pink Lady, ohne an die Apfelsorte zu denken, da ich ihr später nochmals begegnen werden.
Wir wollen gerade den Felsentempel verlassen, als ein Japaner mit Karton uns heranwinkt. Er verteilt Osettais – Pilgergeschenke - in Form von handgearbeiteten Stoffbeuteln, die mit Bonbons gefüllt sind. In meiner Karte habe ich mir Bangai Nr. 3 (Jigenji) gleich nebenan notiert, aber das ist wohl eine Fehlinformation. Wir fragen noch einige Pilger, die sich in der Gegend aufhalten, doch Fehlanzeige. Als ich eine lange Treppe finde, steige ich natürlich rauf, während Hajo es vorzieht ein Päuschen zu machen. Leider Sackgasse, am Ende der Treppe befindet sich zwar ein Rasthütte, aber kein Tempel. Ich habe ein Handy auf den Stufen gefunden, dass ich, in Ermangelung von anwesenden Personen, auf eine im Unterstand liegende Tasche lege. Vielleicht gehören beide Sachen dem gleichen Besitzer? Wenn nicht, dann wird derjenige hoffentlich wissen, wo man hier Fundsachen abgeben kann. Wir verwerfen die Idee, dass es hier den Bangai Tempel Nr. 3 gibt und laufen etwas gehetzt weiter, da wir noch bis Tempel Nr. 17 kommen müssen, wenn wir morgen von Tokushima aus die Ersatzschuhe für Hajo bei Tempel Nr. 1 holen wollen.
Exkurs Tempel Nr. 15 Kokubunji (国分寺)
„Der Tempel des offiziellen Staates“ wie es in der Übersetzung heißt, wurde von Gyōgi auf Geheiß des Kaisers Shomu gegründet, der für jede der damals 66 Provinz Japans einen offiziellen Provinztempel haben wollte. So war der Kokubunji für die Provinzen Awa/Tokushima zuständig, Tempel Nr. 29 für Tosa/Kochi, Tempel Nr. 59 für Iyo/Ehime und Tempel Nr. 80 für Sanuki/Kagawa zuständig. Ursprünglich ein Tempel des Hossōshu Budddhismus, unter Kōbō Daishi zum Shingon Buddhismus gewechselt und nach Niederbrennung durch Chōsokabe Truppen als Sōtō Zen Tempel (1742) wiederaufgebaut, wird bis heute die von Gyōgi geschnitzte Figur des Yakushi Nyorai verehrt. Es können hier Papier Amulette erworben werden, die an die Badezimmerwände geklebt, vor Termiten und anderem Unglück schützen sollen.
Wir wollen uns die Sache etwas einfacher machen und laufen einem Japaner mit orangem Rucksack hinterher. Als der jedoch quer durch die Felder stapft, müssen wir erkennen, dass er sich hier nicht auskennt. Er fragt noch ein paar Einheimische wie man zum Tempel Nr. 16 (Kannonji) kommt und wird uns nach dem Tempel verlassen, da er vom Bahnhof Kou aus nach Tokushima möchte und nicht wie wir noch Tempel Nr. 17 besuchen will.
Exkurs Tempel Nr. 16 Kanonji (観音寺)
„Der Tempel des Avalokitesvara“ bzw. Kannon Bosatsu wie er hier in Japan heißt, wurde 741 auf Befehl des Kaisers Shōmu gegründet, da er den Buddhismus im Land fördern wollte. Als Kōbō Daishi 816 hierher kam, schuf er die lebensgroße Kannon Statue mit den elf Gesichtern und als Wächter Statuen noch Fudō Myōō und Bishamonten.
Fudō Myōō ist der „Bewahrer der Lehre“. Er ist meist dreiäugig, mit zornverzehrtem Gesichtsausdruck und mehrarmig. Seine Werkzeuge sind das Schwert, zur Verteidigung der Lehre und der Hilfsbedürftigen, die Vajra (Donnerkeil) eine Art Kampfzepter, das Beil und Seil, um Dämonen zu bannen. Bishamonten, einer der 6 japanischen Götter des Glücks, ist eigentlich der Gott des Krieges bzw. Schutzpatron der Krieger. Er verteilt Reichtum, schützt vor Dämonen und Krankheiten und wird als Wächter der Himmelsrichtungen dem Norden zugeordnet. Er trägt volle Rüstung und einen Speer, meist tritt er auf einen am Boden liegenden Dämon. Beides keine friedvollen Bosatsus, sondern Wächter und harte Kämpfer für den Glauben. Weitere Statuen im Tempelgelände sind Yonaki Jizō, der Wächter der weinenden Kinder, und Mizuko Jizō, Wächter der ungeborenen Kinder. Wenn Yonaki Jizō ein rotes Lätzchen trägt, ist das der Dank eines Elternpaares, weil ihr Kind des Nachts nicht mehr weint. Hier gibt es auch wieder eine Legende, die auf eine Begebenheit im 19. Jahrhundert zurück geht. Damals wäre eine Pilgerin namens Shiyo fast bei dem Versuch verbrannt, die nasse Pilgerkleidung trocknen zu wollen. Sie nahm es als Strafe Kōbō Daishis auf, da sie in der Vergangenheit wohl nicht sehr rechtschaffen gelebt und ihre Schwiegermutter mit einem brennenden Stock maltretiert hatte. Sie spendete dem Tempel das Bild einer brennenden Frau, das andere davon abhalten sollte, die gleichen Fehler zu begehen wie sie.
Laut Tempelführer sollen hier immer wieder Krücken aufgestellt worden sein, die von geheilten Pilgern stammen. Doch bei meinem Besuch habe ich keine gesehen, ebenso wie ich das Bild nicht finden konnte. Dafür habe ich aber noch den roten Binzuru (Medizin Arhat) gesehen, den man kaum in seinem kleinen Häuschen erkennen kann, und einen Fußabdruck Buddhas (bussokuseki). Leider drängt die Zeit und ich habe keine Muße, mich weiter umzuschauen. Schnell noch schnell noch zum Tempel Nr. 17 (Idoji) und dann mit Bus nach Tokushima in die Jugendherberge.
Exkurs Tempel Nr. 17 Idoji (井戸寺)
Der Name „Der Tempel des Brunnens“ geht auf eine Begebenheit zurück, bei der Kōbō Daishi einen Brunnen mit seinem Wanderstab bohrte und so die Wasserknappheit der Gegend beheben konnte. Er soll seine Reflexion im Wasser auf einen Stein übertragen haben, dem Hikagiri Saishi. Der Brunnen ist 5 m tief und es bringt Glück, wenn man seine Spiegelung sehen kann und Unglück, wenn man es nicht sehen kann. Gegründet 673 von Kaiser Tenmu beherbergt der Tempel eine Vielzahl von Statuen. Die Hauptgottheit Shichibutsu Yakushi Nyorai, der Medizin Buddha, soll von einem Prinz Shōtoku geschnitzt worden sein, er u. a. auf dem 10.000 Yen-Schein abgebildet ist. Da er von 574 bis 622 lebte, bin ich mir aber nicht sicher, ob es die gleiche Person ist, oder ob man es wieder unter der Rubrik Mythen und Sagen abhaken sollte. Gyōgi hat die Statue von Nikko und Bakko Bosatsu geschnitzt, als Begleiter des Yakushi Nyorai, stehen sie für Sonnen- und Mondlicht.
Kōbō Daishi selbst hat eine 2,4 m große 11-gesichtige Kannon Statue, 12 Himmlische Generäle, die ebenfalls Yakushi Nyorai unterstützen, und 4 Himmelskönige geschnitzt, die für die vier Himmelsrichtungen stehen und zu denen auch, oben erwähnter Bishamonten zählt.
Zweimal komplett heruntergebrannt, brannte der Hondō (Haupthalle) das letzte Mal 1967 nieder und wurde 1970 nach Plänen eines modernen Architekten aus Beton wieder aufgebaut. Das Haupttor (Niōmon) mit den Wächterfiguren (Niō) soll das größte auf ganz Shikoku sein.
Als wir von der Telefonzelle auf dem Tempelgelände aus in der Jugendherberge anrufen, wird uns gesagt, dass sie für heute voll sind. Schade, aber im Tempelführer stehen noch weitere Adressen, die man vor Ort abklappern kann. Da es schon spät ist und langsam dunkel wir, wollen mit dem Bus, die Bushaltestelle liegt direkt um die Ecke, nach Tokushima fahren. Leider können wir den Fahrplan nicht lesen und fragen insgesamt 4 Japaner, vom älteren Herrn bis zum Fahrrad fahrenden Teenager, ob und wann der Bus fährt. Langsam wird es kalt, aber dann kommt endlich doch noch ein Bus. Aber zu früh gefreut, der Busfahrer winkt ab, vielleicht nimmt er uns auf der Rücktour mit? Schließlich und endlich landen wir dann doch noch in einem Bus, der uns zum Hauptbahnhof von Tokushima bringt. Auf dem Weg lernen wir einen jungen Japaner kennen, den wir fragen, ob er uns ein preiswertes Hotel empfehlen kann. Hajo lässt nicht locker, so dass der hilfsbereite Japaner uns zum Ryokan Sakura-ko führt, und noch bei der Auskunft den Bus für morgen nach Bando erfragt. Wir bedanken uns natürlich sehr herzlich und checken im Sakura-ko ein. Hier gibt es erstmal, wie in Japan üblich, Tee und Kekse, obwohl der Nachmittag schon lange vorbei ist. Für den größeren Hunger finden wir im Hauptgebäude des Bahnhofs ein Nudelsuppen Restaurant. Nach einem kurzen Abstecher in ein Sunkus Kombini, wo wie unser Frühstück dür morgen und Proviant einkaufen, kehren wir ins Sakura-ko zurück. Anhand der Schuhe, die hier stehen, folgere ich, dass hier viele Ausländer zu Gast sind, der Blick ins Gästebuch bestätigt meine Annahme: Fast nur Ausländer – kaum japanische Namen. Nach einer schnellen Dusche, das Ofuro war mir einfach zu heiß, geht es wieder in die Futons.
Freitag, 21. August 2009
Freitag, der 20. März 2009, Tokushima, Kamiyama Town, Pilgerhütte kurz hinter Nr. 11
Der fünfte Tag in Japan
Heute habe ich noch weniger geschlafen als sonst. Die Hüfte und die Knie tun mir weh, da die schmalen Holzbänke einem nicht viel Gelegenheit geben, sich zu drehen. Ich habe das Gefühl, dass ich nur kurz weggesackt bin und dann schlagartig wieder wach war, weil ich vom Zahnarzt geträumt habe. Käuzchen haben in der Nacht geschrien, Hajo hat geröchelt und am Morgen haben sich zwei, ich nenne sie mal „Fxxxyou“-Vögel, ein Singduell geliefert. Überraschender Weise habe ich in dieser Nacht nicht gefroren, obwohl es erst Ende März ist und wir uns in den Bergen befinden. Kurz nach dem Frühstück, als wir gerade unsere Sachen gepackt hatten, fängt es an zu regnen. Wir warten den Schauer ab und mein Regenponcho hat seinen ersten Regeneinsatz. Ich hoffe, dass das Wetter sich nicht einregnet, da wir heute einen schwierig zu erreichenden Bergtempel besuchen wollen. Der Trail ist nass und rutschig, aber glücklicherweise sind wir heute Morgen nicht allein unterwegs. Es ziehen mehrere Fußpilger an uns vorbei, denen wir den Weg freimachen, da sie doch weniger schleppen als wir und somit auch schneller sind.
Wir wandern vorbei an Teesträuchern, kommen an einem Unterstand vorbei, der die „Hashiyama Rest Hut“ sein könnte. Wir haben gut daran getan, auf unseren „Ziegenbart“ zu hören, denn diese Hütte wäre zum Übernachten nicht geeignet gewesen, da in der Mitte nur ein Tisch mit Hockern steht und sie auch keinen Schutz vor Regen beboten hätte. Der Regen lässt nach, aber der Nebel hängt noch in den Bergen. Schnell wandere ich nur noch mit Bluse bekleidet, da die Anstiege so anstrengend sind, dass ich aus allen Poren schwitze. Hier gibt es zeitweilig nur noch Treppen zu steigen, die mäanderförmig den Berg hochziehen. Ich schnaufe, bleibe fast in jeder Wegbiege stehen, gestützt auf meinen Wanderstock. Zum Glück geht es Hajo nicht besser. Ich muss mir also keine Sorgen machen, dass mein Marathon Mann einfach davonzieht. Er läuft mit der Karte als Navigator voran, ich folge ihm in einigem Abstand.
Für die schönen Bambus- und Zedernwälder haben wir im Moment kein Auge, es geht daran den Berg hochzukommen. Und große Enttäuschung, als wir das lichtere Waldgebiet der Bergspitze passieren, ist da kein Tempel. Hajo erklärt mir, dass es erstmal ziemlich auf und ab gehen wird, bevor wir vor dem Tempel Nr. 12, der auf 800 Metern liegt, nochmals eine heftige Steigung erklimmen müssen. Wir machen eine kurze Pause, in der sich drei japanische Herren zu uns gesellen. Ich habe noch einige Kräcker, die ich an meine Leidensgenossen verteile. Ich merke, dass mich die Schulter schmerzt. Ich habe in der Vorbereitung meine Kleidung extra auf eventuelle Scheuernähte überprüft. Da ich jetzt aber die kleine Umhängetasche in den Rucksack gepackt habe, damit sie mir beim Steigen nicht vor den Beinen baumelt, muss ich jetzt die vollen 12 kg auf den Schultern tragen. Das macht sich doch bemerkbar, wo ich vorher eine ausgewogen Verteilung von 4 zu 8 kg hatte.
Der in der Karte als „Fountain“ eingetragenen Brunnen entpuppt sich als Frosch verseuchtes Wasserloch, es könnte Schwierigkeiten mit der Trinkwasserversorgung geben. So viel Trinkwasser-Ballast wollten wir dann doch nicht schleppen, aber dass wir so viel schwitzen würden, hätten wir nicht gedacht. Es gibt zwar viele Wasserrohre, die zu einer Art Trinkbecken führen, Hajo bedient sich ausgiebig, aber da ich Probleme mit dem Magen habe, halte ich mich lieber zurück. Wir machen einen Zwischen-Stopp am Chōdo-an Tempel. Er sieht verlassen aus, dass hier noch Zeremonien abgehalten werden bezweifle ich, aber es ist eine gute Möglichkeit sich auszuruhen und dient als Orientierungspunkt. Wir quälen uns bergauf und bergab, passieren schmale Pässe zwischen zwei Bergen, an denen es links uns rechts steil abfällt. Die Schilder weisen uns den Weg und auch Durchhalteparolen, die andere Pilger und Leute aus der Umgebung hinterlassen haben, machen es leicht, den Weg zu finden.
Es geht wieder bergab, aber leider ist das Gebäude vor uns nicht der ersehnte Tempel Nr. 12, sondern der Ryuusui-an Tempel. Hier werden wir schon von einer Delegation Freiwilliger erwartet, die heiße Getränke und kleine Snacks verteilen. Ich bin begeistert von dieser Form des Pilgergeschenks (Osettai). Dass nach so einer Bergetappe den müden Wanderer, fernab von jeglicher Zivilisation, eine so angenehme Erholungsmöglichkeit geboten wird, lässt einen die Strapazen fast vergessen. Hier treffen wir auch alte Bekannte wie die drei älteren Damen, Herrn Hinkebein, Herrn Grüner Rucksack und Herrn Blaukopf wieder. Selbst die Pilger, die vorher an uns vorbeigezogen sind, haben wir hier wieder eingeholt. Da sie sich nicht von dieser netten Runde losreißen können. Wir bekommen Schwarzen Tee mit viel Zucker, kleine Kekse, und auch die Pilger verteilen untereinander Süßigkeiten, die sie aus ihrer Heimat mitgebracht haben. „Omiage“ nenne der Japaner kleine Leckereien wie Keks, Reiscracker oder Teegebäck, die für eine Region spezifisch sind und als Reisemitbringsel für die Daheimgebliebenen gekauft werden. So kommen wir in den Genuss von Honigbonbons von Herrn Hinkebein und Schokoladentäfelchen von Herrn Blaukopf. Ich suche die Toilette auf bzw. das Plumpsklo. So modern auch die Hightech Toiletten in Japans Städten sein mögen, so primitiv sind die Plumpsklos in den Bergen. Man folgt einfach dem Geruch und sollte besser sein eigenes Toilettenpapier immer parat haben. Wir müssen uns jetzt aber losreißen, damit wir heute nicht wieder in der Wildnis übernachten müssen. Wir verlassen die gastliche Runde und treffen kurz hinter dem Ryuusui-an auf die luxuriöseste Pilgerhütte, die man je sehen hat: Eine geschlossene Hütte mit Tatamis, Wasser- und Stromversorgung sowie WC.
Wir machen am Joren-an nochmals eine Pause, wandern ins Tal und müssen jetzt den Aufstieg zum Shōsanji packen. Der Schweiß läuft mir in die Augen, mir ist so heiß und mir zittern die Beine. „Warum tut man sich so was freiwillig an?“, frage ich Hajo. Mit dem Gedanken, dass es nach dem Tempel nur noch bergab geht, motiviert mich durchzuhalten. Mit dem Mantra „Namu Daishi Hengyō Kongō“ auf den Lippen erklimme ich den Berg. Es geht tatsächlich besser – vielleicht hat das was mit der Atmung zu tun. Jetzt weiß ich auch warum ich den Pilgerhut trage: Er verhindert, dass ich allzu weit nach oben sehen kann, da er auf meinem Rucksack drückt, wenn ich den Kopf in den Nacken legen will. Man soll zwar wissen wohin es geht, aber den Blick auf das Hier und Jetzt gerichtet haben. Ich beherzige diese Lektion – jeden Schritt plane ich. Nicht zu groß und nicht zu klein. Sind die Treppen zu hoch, trete ich seitlich in die Vegetation, um mir eine kleinere Stufen zu schaffen. Wenn ich früher hinter jeder Biegung, die ich nicht einsehen konnte, ein Plateau oder die Bergspitze vermutet habe und natürlich enttäuscht wurde, wandere ich jetzt mit den 2 bis 3 Metern vor mir. Man soll das Ziel kennen, die Motivation Durchzuhalten holt man sich aber auf den Zwischenetappen. Nie mitten auf dem Weg stehenbleiben, immer eine möglichst geraden Teil zum Verpusten aussuchen, immer noch ein paar Schritte vielleicht bis zum Richtungswechsel laufen, so kommt man den Berg einigermaßen hoch. Und endlich der heißersehnte Tempel Nr. 12
Exkurs Tempel Nr. 12 Shōzanji (焼山寺)
„Der Tempel des brennenden Berges“ erhielt seinen Namen aufgrund einer Legende um einen feuerspeienden Drachen, der die Bewohner dieser Gegend terrorisierte. Vom Tempelgründer Enno Gyōja, einem asketischen Wanderer, wurde der Drachen besiegt und gebannt. Eine Statue am Gipfel des Berges erinnert heute noch an seinen Sieg über das Untier. 100 Jahre später war es nun an Kōbō Daishi den Drachen erneut zu bannen, was ihm mit Hilfe von Kokuzō Bosatsu auch gelang. Kōbō Daishi schnitze zwei Wächterstatuen, die die Höhle, in der sich der Drache befand, schützen sollten. Zu den Tempelschätzen zählt ein Brief des Kaisers Daigo (885-930), der Förderer des gleichnamigen Shingon Tempels in Kyoto war.
Von Interesse ist auch das Grab von Emon Saburō (Joshi-an), das einige Kilometer talwärts liegt. Der Legende nach soll Kōbō Daishi vor dem Haus des Emon Saburō gebettelt haben, eine für einen Wandermönch typische Tätigkeit. Anstatt jedoch dem Mönch etwas in die Schale zu werfen, zerschlug Saburō diese in 8 Teile. An den folgenden der 8 Tage starben seine 8 Söhne. Da wurde ihm sein Fehler bewusst, da er in dem bettelnden Mönch Kōbō Daishi erkannte. Es gelang ihm auch nach 20 Pilgerrunden nicht, Kōbō Daishi einzuholen. Bei seiner 21. Runde, die er in umgekehrter Reihenfolge unternahm, brach er jedoch vor Erschöpfung zusammen. Da erschien der Mönch, vergab ihm und fragte nach einem Wunsch für die Zukunft. Er wollte in seiner damaligen Familie, die die Provinz Ivo beherrschten wiedergeboren werden. Kōbō Daishi drückte dem Sterbenden einen Stein mit der Aufschrift “Emon Saburō kommt wieder“ in die Hand. Als er gestorben war, wuchs sein Wanderstock zu einer mächtigen Zeder aus. Der Stein und ein Teil des Nachlasses von Emon Saburō sind bis heute im Besitzt des Tempels Nr. 51 (Ishiteji).
Ich bin total verschwitz und jetzt, wo wir es geschafft haben bringt mich der kalte Wind hier oben zum Frieren. Ich zittere am ganzen Körper, obwohl ich mir schon meine Fleech- und meine Überjacke angezogen habe. Während wir nach unserem Gebet noch einige Fotos machen, geht Hajos Film kaputt. Er hatte mir schon berichtet, dass die alte Knipse schon mal Probleme mit dem Filmtransport hat, aber jetzt ist der Film von der Spule gerissen. „Zum Glück habe ich ja noch die Fotos meiner Digitalkamera“, tröste ich ihn, „dann sind nicht alle Bilder verloren“.
Hier gibt es einen großen Raum mit Bewirtung. An den überall aufgestellten Ölöfen wärmen wir uns und versuchen unsere Kleidung ein wenig zu trocknen. Von innen spendet uns eine große Portion Udon Nudeln, die es hier schon für 200 Yen gibt, die nötige Wärme. Ich wundere mich heute noch, dass ich mir hier nicht den Tod geholt habe. So wie ich gefroren habe, hätte das locker eine Erkältung mit 5-8 Tagen Bettruhe werden können.
Jetzt müssen wir uns aber beeilen, um den Abstieg nach Kamiyama Town noch bei Tageslicht zu bewerkstelligen. Leider ist das, was hier als Stadt bezeichnet wird, nicht viel mehr als ein Dorf, welches nur eine Unterkunftsmöglichkeit bietet. Wir fragen uns zum Uemura Ryokan durch, aber als ich dann ein Haus betrete und frage ob besagter Ryokan nun links oder rechts die Straße runter liegt, antwortet man mir mit „koko“ (hier). Es dauert eine Weile, bis ich aus den Brocken, die ich verstehen kann, schließe, dass ich wirklich im Uemura Ryokan stehe, es aber keine freien Zimmer mehr gibt. Es fallen ein paar Brocken English und man ruft bei B&B Yasuragi an, eine Pension, die ca. 7 km entfern liegt. Der Wirt will uns mit dem Auto abholen, da es auch schon dämmert. Während der Wartezeit spiele ich mit einem kleinen Jungen. Ich versuche meine japanischen Sprachkenntnisse anzuwenden und erzähle ihm was von der Comic Katze, deren Bild auf dem Becher ist, mit dem er mich immer wieder bewirft.
Nee, das ist keine „neko“, sondern eine „cato“ und die Maus heißt hier „Mouse“ und nicht „nezumi“, erklärt der Kleine mir. Mein Gott die japanische Sprache wird auch immer weiter „amerikanisiert“ oder kommen diese Vokabeln aus dem Englischunterricht aus dem Kindergarten? Er hat auf einen kleinen Zettel eine Maus gemalt und ich muss jetzt mit dem Katzenbecher in der Hand so tun, als würde der Becher pardon die Katze vor der Maus fliegen.
Doraemon, die Katze aus der Zukunft, ist ein berühmtes Comic bzw. Manga hier in Japan. Wohl die einzige Katze, die Angst vor Mäusen hat, da Mäuse ehemals der Roboterkatze (!) die Ohren abgefressen haben.
Als der Wirt mit seinem Auto angerast kommt, atmen wir erleichtert auf – er spricht Englisch! Wir bedanken und verabschieden uns bei den Ryokan Besitzern. Auf Weg ins Hotel will der Wirt noch eine Pilgerin im Auto mitnehmen, aber sie lehnt ab. Wir werden sie später noch beim Essen treffen, ebenso wie die lustige Frauengruppe, die im Aufenthaltsraum sitz, als wir einchecken. Da das Essen um 19.00 Uhr beginnt und es nur eine halbe Stunde bis dahin ist, legen wir nur kurz unsere Klamotten ins Doppelzimmer. Nach dem Essen waschen wir Wäsche im Badezimmer. Mir fällt die Stoffbezogenen Toilettenbrille auf – wenn es einen warmen Popo macht, aber wie hygienische ist das?
Heute habe ich noch weniger geschlafen als sonst. Die Hüfte und die Knie tun mir weh, da die schmalen Holzbänke einem nicht viel Gelegenheit geben, sich zu drehen. Ich habe das Gefühl, dass ich nur kurz weggesackt bin und dann schlagartig wieder wach war, weil ich vom Zahnarzt geträumt habe. Käuzchen haben in der Nacht geschrien, Hajo hat geröchelt und am Morgen haben sich zwei, ich nenne sie mal „Fxxxyou“-Vögel, ein Singduell geliefert. Überraschender Weise habe ich in dieser Nacht nicht gefroren, obwohl es erst Ende März ist und wir uns in den Bergen befinden. Kurz nach dem Frühstück, als wir gerade unsere Sachen gepackt hatten, fängt es an zu regnen. Wir warten den Schauer ab und mein Regenponcho hat seinen ersten Regeneinsatz. Ich hoffe, dass das Wetter sich nicht einregnet, da wir heute einen schwierig zu erreichenden Bergtempel besuchen wollen. Der Trail ist nass und rutschig, aber glücklicherweise sind wir heute Morgen nicht allein unterwegs. Es ziehen mehrere Fußpilger an uns vorbei, denen wir den Weg freimachen, da sie doch weniger schleppen als wir und somit auch schneller sind.
Wir wandern vorbei an Teesträuchern, kommen an einem Unterstand vorbei, der die „Hashiyama Rest Hut“ sein könnte. Wir haben gut daran getan, auf unseren „Ziegenbart“ zu hören, denn diese Hütte wäre zum Übernachten nicht geeignet gewesen, da in der Mitte nur ein Tisch mit Hockern steht und sie auch keinen Schutz vor Regen beboten hätte. Der Regen lässt nach, aber der Nebel hängt noch in den Bergen. Schnell wandere ich nur noch mit Bluse bekleidet, da die Anstiege so anstrengend sind, dass ich aus allen Poren schwitze. Hier gibt es zeitweilig nur noch Treppen zu steigen, die mäanderförmig den Berg hochziehen. Ich schnaufe, bleibe fast in jeder Wegbiege stehen, gestützt auf meinen Wanderstock. Zum Glück geht es Hajo nicht besser. Ich muss mir also keine Sorgen machen, dass mein Marathon Mann einfach davonzieht. Er läuft mit der Karte als Navigator voran, ich folge ihm in einigem Abstand.
Für die schönen Bambus- und Zedernwälder haben wir im Moment kein Auge, es geht daran den Berg hochzukommen. Und große Enttäuschung, als wir das lichtere Waldgebiet der Bergspitze passieren, ist da kein Tempel. Hajo erklärt mir, dass es erstmal ziemlich auf und ab gehen wird, bevor wir vor dem Tempel Nr. 12, der auf 800 Metern liegt, nochmals eine heftige Steigung erklimmen müssen. Wir machen eine kurze Pause, in der sich drei japanische Herren zu uns gesellen. Ich habe noch einige Kräcker, die ich an meine Leidensgenossen verteile. Ich merke, dass mich die Schulter schmerzt. Ich habe in der Vorbereitung meine Kleidung extra auf eventuelle Scheuernähte überprüft. Da ich jetzt aber die kleine Umhängetasche in den Rucksack gepackt habe, damit sie mir beim Steigen nicht vor den Beinen baumelt, muss ich jetzt die vollen 12 kg auf den Schultern tragen. Das macht sich doch bemerkbar, wo ich vorher eine ausgewogen Verteilung von 4 zu 8 kg hatte.
Der in der Karte als „Fountain“ eingetragenen Brunnen entpuppt sich als Frosch verseuchtes Wasserloch, es könnte Schwierigkeiten mit der Trinkwasserversorgung geben. So viel Trinkwasser-Ballast wollten wir dann doch nicht schleppen, aber dass wir so viel schwitzen würden, hätten wir nicht gedacht. Es gibt zwar viele Wasserrohre, die zu einer Art Trinkbecken führen, Hajo bedient sich ausgiebig, aber da ich Probleme mit dem Magen habe, halte ich mich lieber zurück. Wir machen einen Zwischen-Stopp am Chōdo-an Tempel. Er sieht verlassen aus, dass hier noch Zeremonien abgehalten werden bezweifle ich, aber es ist eine gute Möglichkeit sich auszuruhen und dient als Orientierungspunkt. Wir quälen uns bergauf und bergab, passieren schmale Pässe zwischen zwei Bergen, an denen es links uns rechts steil abfällt. Die Schilder weisen uns den Weg und auch Durchhalteparolen, die andere Pilger und Leute aus der Umgebung hinterlassen haben, machen es leicht, den Weg zu finden.
Es geht wieder bergab, aber leider ist das Gebäude vor uns nicht der ersehnte Tempel Nr. 12, sondern der Ryuusui-an Tempel. Hier werden wir schon von einer Delegation Freiwilliger erwartet, die heiße Getränke und kleine Snacks verteilen. Ich bin begeistert von dieser Form des Pilgergeschenks (Osettai). Dass nach so einer Bergetappe den müden Wanderer, fernab von jeglicher Zivilisation, eine so angenehme Erholungsmöglichkeit geboten wird, lässt einen die Strapazen fast vergessen. Hier treffen wir auch alte Bekannte wie die drei älteren Damen, Herrn Hinkebein, Herrn Grüner Rucksack und Herrn Blaukopf wieder. Selbst die Pilger, die vorher an uns vorbeigezogen sind, haben wir hier wieder eingeholt. Da sie sich nicht von dieser netten Runde losreißen können. Wir bekommen Schwarzen Tee mit viel Zucker, kleine Kekse, und auch die Pilger verteilen untereinander Süßigkeiten, die sie aus ihrer Heimat mitgebracht haben. „Omiage“ nenne der Japaner kleine Leckereien wie Keks, Reiscracker oder Teegebäck, die für eine Region spezifisch sind und als Reisemitbringsel für die Daheimgebliebenen gekauft werden. So kommen wir in den Genuss von Honigbonbons von Herrn Hinkebein und Schokoladentäfelchen von Herrn Blaukopf. Ich suche die Toilette auf bzw. das Plumpsklo. So modern auch die Hightech Toiletten in Japans Städten sein mögen, so primitiv sind die Plumpsklos in den Bergen. Man folgt einfach dem Geruch und sollte besser sein eigenes Toilettenpapier immer parat haben. Wir müssen uns jetzt aber losreißen, damit wir heute nicht wieder in der Wildnis übernachten müssen. Wir verlassen die gastliche Runde und treffen kurz hinter dem Ryuusui-an auf die luxuriöseste Pilgerhütte, die man je sehen hat: Eine geschlossene Hütte mit Tatamis, Wasser- und Stromversorgung sowie WC.
Wir machen am Joren-an nochmals eine Pause, wandern ins Tal und müssen jetzt den Aufstieg zum Shōsanji packen. Der Schweiß läuft mir in die Augen, mir ist so heiß und mir zittern die Beine. „Warum tut man sich so was freiwillig an?“, frage ich Hajo. Mit dem Gedanken, dass es nach dem Tempel nur noch bergab geht, motiviert mich durchzuhalten. Mit dem Mantra „Namu Daishi Hengyō Kongō“ auf den Lippen erklimme ich den Berg. Es geht tatsächlich besser – vielleicht hat das was mit der Atmung zu tun. Jetzt weiß ich auch warum ich den Pilgerhut trage: Er verhindert, dass ich allzu weit nach oben sehen kann, da er auf meinem Rucksack drückt, wenn ich den Kopf in den Nacken legen will. Man soll zwar wissen wohin es geht, aber den Blick auf das Hier und Jetzt gerichtet haben. Ich beherzige diese Lektion – jeden Schritt plane ich. Nicht zu groß und nicht zu klein. Sind die Treppen zu hoch, trete ich seitlich in die Vegetation, um mir eine kleinere Stufen zu schaffen. Wenn ich früher hinter jeder Biegung, die ich nicht einsehen konnte, ein Plateau oder die Bergspitze vermutet habe und natürlich enttäuscht wurde, wandere ich jetzt mit den 2 bis 3 Metern vor mir. Man soll das Ziel kennen, die Motivation Durchzuhalten holt man sich aber auf den Zwischenetappen. Nie mitten auf dem Weg stehenbleiben, immer eine möglichst geraden Teil zum Verpusten aussuchen, immer noch ein paar Schritte vielleicht bis zum Richtungswechsel laufen, so kommt man den Berg einigermaßen hoch. Und endlich der heißersehnte Tempel Nr. 12
Exkurs Tempel Nr. 12 Shōzanji (焼山寺)
„Der Tempel des brennenden Berges“ erhielt seinen Namen aufgrund einer Legende um einen feuerspeienden Drachen, der die Bewohner dieser Gegend terrorisierte. Vom Tempelgründer Enno Gyōja, einem asketischen Wanderer, wurde der Drachen besiegt und gebannt. Eine Statue am Gipfel des Berges erinnert heute noch an seinen Sieg über das Untier. 100 Jahre später war es nun an Kōbō Daishi den Drachen erneut zu bannen, was ihm mit Hilfe von Kokuzō Bosatsu auch gelang. Kōbō Daishi schnitze zwei Wächterstatuen, die die Höhle, in der sich der Drache befand, schützen sollten. Zu den Tempelschätzen zählt ein Brief des Kaisers Daigo (885-930), der Förderer des gleichnamigen Shingon Tempels in Kyoto war.
Von Interesse ist auch das Grab von Emon Saburō (Joshi-an), das einige Kilometer talwärts liegt. Der Legende nach soll Kōbō Daishi vor dem Haus des Emon Saburō gebettelt haben, eine für einen Wandermönch typische Tätigkeit. Anstatt jedoch dem Mönch etwas in die Schale zu werfen, zerschlug Saburō diese in 8 Teile. An den folgenden der 8 Tage starben seine 8 Söhne. Da wurde ihm sein Fehler bewusst, da er in dem bettelnden Mönch Kōbō Daishi erkannte. Es gelang ihm auch nach 20 Pilgerrunden nicht, Kōbō Daishi einzuholen. Bei seiner 21. Runde, die er in umgekehrter Reihenfolge unternahm, brach er jedoch vor Erschöpfung zusammen. Da erschien der Mönch, vergab ihm und fragte nach einem Wunsch für die Zukunft. Er wollte in seiner damaligen Familie, die die Provinz Ivo beherrschten wiedergeboren werden. Kōbō Daishi drückte dem Sterbenden einen Stein mit der Aufschrift “Emon Saburō kommt wieder“ in die Hand. Als er gestorben war, wuchs sein Wanderstock zu einer mächtigen Zeder aus. Der Stein und ein Teil des Nachlasses von Emon Saburō sind bis heute im Besitzt des Tempels Nr. 51 (Ishiteji).
Ich bin total verschwitz und jetzt, wo wir es geschafft haben bringt mich der kalte Wind hier oben zum Frieren. Ich zittere am ganzen Körper, obwohl ich mir schon meine Fleech- und meine Überjacke angezogen habe. Während wir nach unserem Gebet noch einige Fotos machen, geht Hajos Film kaputt. Er hatte mir schon berichtet, dass die alte Knipse schon mal Probleme mit dem Filmtransport hat, aber jetzt ist der Film von der Spule gerissen. „Zum Glück habe ich ja noch die Fotos meiner Digitalkamera“, tröste ich ihn, „dann sind nicht alle Bilder verloren“.
Hier gibt es einen großen Raum mit Bewirtung. An den überall aufgestellten Ölöfen wärmen wir uns und versuchen unsere Kleidung ein wenig zu trocknen. Von innen spendet uns eine große Portion Udon Nudeln, die es hier schon für 200 Yen gibt, die nötige Wärme. Ich wundere mich heute noch, dass ich mir hier nicht den Tod geholt habe. So wie ich gefroren habe, hätte das locker eine Erkältung mit 5-8 Tagen Bettruhe werden können.
Jetzt müssen wir uns aber beeilen, um den Abstieg nach Kamiyama Town noch bei Tageslicht zu bewerkstelligen. Leider ist das, was hier als Stadt bezeichnet wird, nicht viel mehr als ein Dorf, welches nur eine Unterkunftsmöglichkeit bietet. Wir fragen uns zum Uemura Ryokan durch, aber als ich dann ein Haus betrete und frage ob besagter Ryokan nun links oder rechts die Straße runter liegt, antwortet man mir mit „koko“ (hier). Es dauert eine Weile, bis ich aus den Brocken, die ich verstehen kann, schließe, dass ich wirklich im Uemura Ryokan stehe, es aber keine freien Zimmer mehr gibt. Es fallen ein paar Brocken English und man ruft bei B&B Yasuragi an, eine Pension, die ca. 7 km entfern liegt. Der Wirt will uns mit dem Auto abholen, da es auch schon dämmert. Während der Wartezeit spiele ich mit einem kleinen Jungen. Ich versuche meine japanischen Sprachkenntnisse anzuwenden und erzähle ihm was von der Comic Katze, deren Bild auf dem Becher ist, mit dem er mich immer wieder bewirft.
Nee, das ist keine „neko“, sondern eine „cato“ und die Maus heißt hier „Mouse“ und nicht „nezumi“, erklärt der Kleine mir. Mein Gott die japanische Sprache wird auch immer weiter „amerikanisiert“ oder kommen diese Vokabeln aus dem Englischunterricht aus dem Kindergarten? Er hat auf einen kleinen Zettel eine Maus gemalt und ich muss jetzt mit dem Katzenbecher in der Hand so tun, als würde der Becher pardon die Katze vor der Maus fliegen.
Doraemon, die Katze aus der Zukunft, ist ein berühmtes Comic bzw. Manga hier in Japan. Wohl die einzige Katze, die Angst vor Mäusen hat, da Mäuse ehemals der Roboterkatze (!) die Ohren abgefressen haben.
Als der Wirt mit seinem Auto angerast kommt, atmen wir erleichtert auf – er spricht Englisch! Wir bedanken und verabschieden uns bei den Ryokan Besitzern. Auf Weg ins Hotel will der Wirt noch eine Pilgerin im Auto mitnehmen, aber sie lehnt ab. Wir werden sie später noch beim Essen treffen, ebenso wie die lustige Frauengruppe, die im Aufenthaltsraum sitz, als wir einchecken. Da das Essen um 19.00 Uhr beginnt und es nur eine halbe Stunde bis dahin ist, legen wir nur kurz unsere Klamotten ins Doppelzimmer. Nach dem Essen waschen wir Wäsche im Badezimmer. Mir fällt die Stoffbezogenen Toilettenbrille auf – wenn es einen warmen Popo macht, aber wie hygienische ist das?
Donnerstag, der 19. März 2009, Tokushima, Awa City, Business Hotel - Access Awa
Der vierte Tag in Japan
Um 7.00 Uhr klingelt der eingebaute Wecker. Da ich mich in einem Business Hotel befinde, habe ich auch mein eigenes Badezimmer. Es ist ein kleiner Container mit Tür, der im eigentlichen Zimmer steht. Hier sind Toilette, Waschbecken und Bad-Duschkombination auf engstem Raum untergebracht. Nachdem ich mich angezogen und gewaschen habe, packe noch kurz mein Zeug zusammen, damit wir nach dem Frühstück schnell aufbrechen können. Ich habe hier in einer Art Nachthemd geschlafen und Waschzeug wie Zahnbürste, Pasta, Rasierer und Seife stehen hier ebenfalls zur Verfügung genau so wie Duschgel und Shampoo.
Ich treffe Hajo um 8.00 Uhr beim Frühstück. Leider gibt es hier nur europäisches Frühstück also Brötchen mit Marmelade, Kaffee oder Tee, sowie hartgekochte Eier. Aber die Brötchen hier sind nicht mit den in Deutschland zu vergleichen. Es sind vielmehr kleine, weiche Brioche Brötchen, die man mit den stumpfen Messerchen eher aufreißt als schneidet. Aber ich bin schon froh, dass es hier aus einem Automaten „Kaffee satt“ gibt, damit kann ich den Schlafmangel der letzten Zeit kompensieren. Wir essen noch ein gekochtes Ei, wobei zwei weitere in unseren Taschen verschwinden. Ich fülle ein leeres Zuckertütchen mit etwas Salz aus dem Streuer, um für den Snack zwischendurch gerüstet zu sein.
Wir wollen zunächst zu Tempel Nr. 9 marschieren, dort unsere schweren Rucksäcke lassen, um den, von uns gestern links liegen gelassenen, Tempel Nr. 8 in unser Pilgerbuch eintragen zu lassen. Tempel Nr. 10 und vielleicht noch Tempel Nr. 11 könnte man heute schaffen und dann zwischen Nr. 11 und 12 in einer Pilgerhütte übernachten.
Bevor wir jedoch in Richtung Tempel Nr. 9 abmarschieren, will Hajo sich noch was im “Kusuri“, dem Drogeriegroßmarkt in der Nähe, kaufen. Wenn wir dem Weg hinter dem Hotel folgen, müssten wir eigentlich direkt zum Tempel Nr. 9, dem Hōrinji, gelangen.
Exkurs Tempel Nr. 9 Hōrinji (法輪寺)
Kōbō Daishi hat den „Tempel des Rades des Dharma“ gegründet. Mit dem Rad ist hier der ewige Kreislauf von Geburt und Wiedergeburt gemeint, aus dem der Buddhist versucht auszubrechen. Kōbō Daishi hat auch das, für japanische Verhältnisse seltene, liegende Standbild Buddhas (nehan-zo) geschaffen. Es zeigt den historischen Buddha Shakyamuni, wie er in Indien ums Jahr 480 v. Chr. endgültig und vollkommen ins Nirvana eingeht und so das oben erwähnte Rad verlässt. Erleuchtet war der Buddha schon zu Lebzeiten, doch mit seinem Tod, löst sich seine Existenz und dass, was wiedergeboren werden kann, ins Nichts (Nirvana) auf. Während der Tempel ebenfalls durch Chōsokabes Truppen niedergebrannt wurde, überstand diese Darstellung Buddhas das zerstörerische 16. Jahrhundert und wird heute den Pilgern, leider nur alle 5 Jahre präsentiert. Nach dem Wiederaufbau an der derzeitigen Stelle brannte der Komplex, mit Ausnahme des Glockenturms, im 19. Jahrhundert nochmals nieder. Man kann heute noch in ca. 6 km Entfernung die Ruinen und Grundsteine aus dem 16. Jahrhundert vorfinden. Dem Honzon (Hauptgottheit) Shaka Nyorai werden heilende Fähigkeiten im Bezug auf Füße zugesprochen.
Wir laufen auf Trampelpfaden an Reisfelder entlang. Es ist ein Katzensprung vom Hotel nach Tempel Nr. 9. Hier fallen mir Palmen und Bäume auf, zu denen ich leider nichts im Pilgerführer finde. Es gibt vor dem Pilgerbüro ein eine Art „Zen Gärtchen“ mit Steinen und eine überdachter Sitzgelegenheit. Eine japanische Frau schenkt uns Bonbons als Osettai. Es gibt meist Obst oder Süßigkeiten als Pilgergeschenk, da dass neue Energie für den Weg gibt, andere Geschenke würden ohnehin nur das Packgewicht steigern. Wir fragen im Tempelbüro, ob wir unsere Rucksäcke hier deponieren können: “Nimotsu o chozō suru ka“ (Gepäck aufbewahren?), vielleicht nicht gerade richtig, aber die Mönche haben verstanden und winken, wir sollen die Rucksäcke in die Ecke stellen. Mit „domō arigatō gozaimasu“ (Herzlichen Dank) verabschieden wir uns und machen uns auf den Weg zum Tempel Nr. 8. Es geht bergaufwärts und ich komme ganz schön ins Schwitzen. Die Sonne kann hier ganz schön beißen, aber zum Glück habe ich meinen Sonnenblocker 50+++ dabei.
Exkurs Tempel Nr. 8 Kumataniji (熊谷寺)
„Der Tempel im Tal des Bären“ wurde von Kōbō Daishi gegründet, nachdem ihm während eines esoterischen Rituals die Shintogottheit von Kumano erschienen ist. Sie hat ihm eine kleine Kannon Bosatsu Statue überreicht, die er in eine, vorher im Akagatani Tal geschnitzte, tausendarmige Kannon Statue (Senju Kannon Bosatsu) aufbewarte. 29 der 88 Tempel sind Kannon gewidmet, da dieser meist mit weiblichen Zügen dargestellte Buddha, das universellen Mitgefühls bereits im Namen („die Stimmen der Welt hörend“) führt. Leider fielen die beiden Statuen 1927 einem Feuer zum Opfer und wurden 1971 durch eine Statue von einem Künstler aus Nagoya ersetzt. Bemerkenswert ist weiterhin das Tor, welches 1687 erbaut und zu den größten Toren der Pilgerreise zählt. Auch der Glockenturm (tahōtō) aus dem Jahre 1774 ist der älteste auf Shikoku und beherbergt einige Buddha Statuen.
In unserem Tempelführer von der Homepage von David Turkington lesen wir, dass diese Tor das erlesenste bzw. schönste Tor („finest of all temples“) der Pilgertour sein soll. Wir finden beide, dass das Tor, vor dem wir stehen, einen nicht gerade vom Hocker reißt. Aber vielleicht ist ja das andere Tor gemeint, dass direkt vor dem Tempel steht. Mit seinen geschnitzten und kolorierten Wächterstatuen sieht dieses Tor schon eher nach einer Superlative aus. Nachdem wir unseren Pilgerverpflichtungen nachgegangen sind, liest Hajo mir erneut aus seinem Tempelführer vor. Sogar der Daimyō (Landesherr) von Awa soll hier während des Tokugawa-Shogunats (1603–1867) mit seinen Kriegern eine Mondschein Party gefeiert haben.
Es soll hier auch eine Pinie (garyuu no matsu) geben, die wie ein Drache aussehen soll. Leider finde ich sie nicht, obwohl ich solche Pflanzen und vor allem die Geschichten dazu liebe. Weiter fallen mir ein paar sehr junge Pilger auf, die mit ihren Skateboards unterwegs sind. Von Fahrradpilgern hatte ich schon gehört, aber diese modernere Form der „schnellen bergab Fortbewegung“ kannte ich noch nicht. Man trifft immer wieder sehr junge Leute, die in den Ferien mit Bergen von Pilgerbüchern oder Rollbildern bewaffnet, die Pilgerbüros stürmen. Sie verdienen sich mit dem Abstempeln wohl etwas Geld nebenbei oder finanzieren sich die Pilgerreise durch den Verkauf der vollständig gestempelten Pilgerutensilien.
Es geht weiter zur Tempel Nr. 10, der für uns ca. 8 km entfernt liegt, da wir wieder zurück zu Nr. 9 müssen, um unsere Rucksäcke zu holen. Wir laufen auf der Straße, vorbei an den Tempeln Enkōji und Shōnenji, die ebenfalls in unseren Karten eingetragen sind, aber weder zu den 88 „Haupttempeln“ (fudasho) noch zu den 20 nicht nummerierten („unnumbered“; bangai fudasho) „Nebentempeln“ gehören.
An der Straße zum Tempel Tempel Nr. 10 Kirihataji gibt es eine Gasse mit Geschäften und Gaststätten. Wir fragen in einer Suppenküche, ob wir unsere Rucksäcke da lassen können und machen uns auf den Weg. Während wir den Aufstieg über den Pilgertrail machen, bekommen wir einen Vorgeschmack auf die noch folgenden Bergtempel. Die Rücktour werden wir auf der Autostraße entlang laufen, da der liebe Hajo mit seinen Füßen hardert.
Exkurs Tempel Nr. 10 Kirihataji (切幡寺)
„Der Tempel des Webens und Schneidens“ hat seinen Namen von einer Legende, die sich hier zugetragen haben soll: Als Kōbō Daishi sich hier religiösen Praktiken widmete, wurde er von einer jungen Weberin mit Essen versorgt. Als er sie um ein Stück Stoff für eine Hose bat, gab sie ihm ohne Zögern so viel Stoff, dass er eine ganzes Mönchsgewand schneidern konnte. Er fragte sie nach ihrer Herkunft und sie erzählt ihm von ihrem schweren Schicksal. Ihre Mutter war eine Adlige, die einer Intrige am Kaiserhof zu Opfer gefallen war, während ihr Vater in der Verbannung leben musste. Die schwangere Mutter betete am Tempel Kiumizudera in Kyoto zu Kannon, sie möge eine Tochter gebären, so dass ihr Kind vor den Auswirkungen des Skandals sicher sei. Kurz nachdem das Kind geboren war, erschien Kannon und wies die Mutter an, mit dem Kind nach Sikoku zu fliehen.
Bewegt durch diese Geschichte schnitzte Kōbō Daishi eine Kannon Statue. Die Weberin bat ihn, sie als Nonne zu ordinieren und ihr die Haare zu rasieren. Alsbald wurde diese Nonne erleuchtet und nahm die Gestalt einer Kannon Statue an. Zum Gedenken an diese Begebenheit gründete Kōbō Daishi diesen Tempel, der auch unter dem Namen Tokudozan Kanjōjo (Berg der Ordination) bekannt ist und machte die beiden Kannon Statuen zum Honzon.
330 Stufen führen hier zur Haupthalle (Hondō), zur Pagode noch einige mehr. Der Tempel beherbergt trotz zweimaliger Zerstörung durch Feuer zahlreiche Schätze u. A. Sutren Manuskripte.
Nach der Rückkehr in die Suppenküche, die als Spezialität Udon in allen Variationen anbietet, bestelle ich „Kake Udon“ und Hajo „Tempura Udon“. Udon sind Nudeln, die nicht wie Soba aus Buchweizenmehl hergestellt werden, sondern Weizenmehl. Sie sind auch nicht so dünn wie, die bei uns aus japanischen Fertiggerichten bekannten, Ramen Nudeln. Sie werden in einer heißen Brühe serviert, die im Falle des Kake Udon noch Frühlingszwiebeln und Kamaboko enthält. Kamaboko ist eine wurstartige Fischmasse, die gekocht, zT. rotgefärbt und in Scheiben geschnitten (naruto), in vielen Suppen zu finden ist. Tempura ist die japanische Bezeichnung für frittiertes Gemüse, aber auch fittierter Tofu (aburaage) findet sich in Hajos Suppenschüssel. Sollten keine Löffel serviert werden, kann man die Suppentasse an den Mund führen und genüsslich schlürfen. Die Nudeln werden meist zuvor mit den Stäbchen herausgefischt. Auch hier ist ein geräuschvolles Einsaugen überlebensnotwendig, da man die Nudeln mit der Frischluftzufuhr abkühlt und sich so nicht den Mund verbrennt.
Gut gestärkt wollen wir jetzt die knapp 10 km zu Tempel Nr. 11 (Fujiidera) angehen. Wir durchqueren die Flussniederungen des Yoshino-gawa, der an dieser Stelle aus zwei Armen besteht. Hier wird viel Landwirtschaft betrieben. Geschäftige Menschen arbeiten auf den Feldern, alle in Handschuhen, die Frauen mit großen Hüten und Mützen vermummt, um sich vor der bissigen Sonne zu schützen. Ich denke, es sind die ersten schönen Tage des Frühlings, aber wenn die Sonne scheint, hat diese schon richtig Kraft. Es werden Plastikbahnen aufgespannt und Bahnen mit Erde angehäufelt. Es sind nicht so große Felder, wie ich sie aus Deutschland kenne, wo fast alles maschinell gemacht werden kann, hier herrscht noch echte Handarbeit vor. Wir überqueren eine schmale Brücke, die gerade mal Platz für ein Auto hat. In kleinen Nothaltebuchten muss der Gegenverkehr ausweichen. Ich frage mich immer wieder, wann weiß ein Japaner, dass er ausweichen bzw. anhalten muss? Die Reglung des Straßenverkehrs, der wohl sehr auf gegenseitige Rücksichtnahme beruht, wird mir bis zum Ende meiner Reise ein Rätsel bleiben.
Wir treffen Herr Blaukopf wieder und Hajo hält ein Schwätzchen, danach gelangen wir über einen Deich in die Stadt. Hier sehen wir auch ein Pilgerhäuschen, das recht komfortabel wirkt und wir hoffen, dass unsere heutiges Nachtlager die gleichen Vorzüge besitz. Wir folgen einem jungem Mann und einer Gruppe von drei älteren Damen. Als diese jedoch abbiegen, nimmt das Schlamassel seinen Lauf: Da wir noch Proviant aus einem Lawson Kombini kaufen wollen, können wir ihnen nicht folgen. Als wir aus dem Laden kommen verfehlen wir wohl irgendwie den richtigen Weg und landen in einem Wohngebiet. Kaum ein Mensch auf der Straße oder in den Gärten, den man fragen könnte und wenn man jemanden findet, dann wissen die Leute meist auch nicht wo den der Fujiidera Tempel liegt. Aber das Glück ist uns abermals hold oder hatte Kōbō Daishi ein Einsehen mit uns Gaijin (Ausländer), jedenfalls finden wir einen Pilger, dem wir bis zum Tempel Nr. 11 folgen können. Hier treffen mir auch unseren Tent Boy (Zelt Jungen) wieder, den wir auf dem Weg gestern verloren haben.
Exkurs Tempel Nr. 11 Fujiidera (藤井寺)
Der Fujiidera ist der Tempel der Glyzinien oder des Brunnens voller Glyzinien, wie die direkte Übersetzung lautet. Glyzinien oder auch Wisteria, wie sie im Englischen Sprachraum genannt werden, sind bei uns unter der Bezeichnung „Blauregen“ bekannt. In Japan dient diese verholzende Kletterpflanze vor allem um Lauben und Unterständen ein lebendiges Dach aus Blättern und Blüten zu verschaffen. Kōbō Daishi soll hier, nachdem der den Tempel gegründet (815) und die Statue von Yakushi Nyorai geschaffen hat, eine fünffarbige Glyzinie gepflanzt haben. Noch heute zeugen die Muster der Dachziegel und die vielen Glyzinien der Umgebung davon. Die Statue des Yakushi Nyorai, hat als einziger Tempelbestandteil die Feuer überstanden und soll vor Naturkatastrophen schützen. Nach neuen Erkenntnissen stammt die Statue aus dem 13. Jahrhundert und wird als Nationalschatz geführt. Seit 1681, nach seinem Wiederaufbau, der Rinzai Sekte des Zen Buddhismus zugehörig, ist es einer von drei Zen Tempeln, in der sonst shingonbuddhistischen Pilgerroute. Eine Mini Shikoku Pilgertour befindet sich hinter dem Hondō (Haupthalle).
Nachdem wir unsere Sutra rezitiert und unsere Nōkyochō (Pilgerbuch) haben abstempeln lassen, kommen wir mit einigen Pilgern ins Gespräch. Ich lerne einen Herrn aus Kamakura kennen. Kamakura ist auch so ein Tempel Hotspot wie Kyoto oder Nara. Ich kenne es recht gut, da ich es oft besucht habe, als ich noch in Yokohama gelebt habe. Hier habe ich auch meine Leidenschaft zu Tempeln und Schreinen entdeckt und das erste Mal ein Pilgerbuch gekauft. Eine Japanerin, die geradezu den Kontakt zur mir sucht, erklärt mir sie sei Christin. Ich grinse verlegen, nun ich komme zwar aus einer christlichen Kultur, mache mir aber mehr aus dem Buddhismus als aus dem Christum. „Immer das was man nicht hat zieht einen an“, erkläre ich ihr.
Hajo unterhält sich mit Händen und Füßen mit so einem zahnarmen Opa mit Ziegenbart. Als ich näher komme, schlägt mir der Geruch von Alkohol in die Nase. Wenn wir den Sake-Pilger richtig verstehen, ist die „Hashiyama Rest Hut“, in der wir unser Nachlager aufschlagen wollten, kaputt und „Ryuusui-an“ zu weit weg. Er selber will wieder in die Stadt, um dort beim Kamo Onzen oder Kamo-no-yu kostenlos zu übernachten. Als wir uns daran machen, den Pilgerweg in die Berge zu nehmen, kommt der Typ hinterher. Ungeachtet des Verfolgers wandern wir den Trail entlang, bis Meister Ziegenbart uns einholt und auf eine kleine Brücke aus Beton weist. Er will uns einen Unterschlupf zeigen, der nicht in den Karten verzeichnet ist. Es stellt sich als stabile Holzhütte heraus, die zwar keine Seitenwände hat, aber bei nicht allzu schlechtem Wetter, mit ihren Bänken doch eine willkommene Schlafgelegenheit bietet.
Kaum sitzen wir in der Hütte, beginn es zu regnen. „Schwein gehabt“, denke ich. Jetzt kann ich meine selbstaufblasbare Isomatte und meinen Schlafsack ausprobieren und zusätzlich mindestens 5000 Yen für eine Unterkunft sparen. Proviant für Abendessen und Frühstück haben wir auch dabei. Nur ein Getränkeautomat für den heißen Tee am Morgen und eine adäquate Toilette fehlen. Prophylaktisch gehe ich noch in der Dämmerung „hintern Busch“ bzw. an den Hang. Aber man muss hier aufpassen, dass man nicht von der Anhöhe kugelt, denn direkt auf unserem Plateau stehen viele kleinen Schreinen, denen man aus Pietätsgründen nicht zu nah kommen möchte. Hajo hat einen Biwak-Sack dabei, einen regenfesten Überzug für den Schlafsack. Ich selber begnüge mich damit über meinen Schlafsack einen Regenponcho anzuziehen und mein freies Fußende in einen blauen Müllsack zu hüllen. Ich ziehe noch meine zweite Treckinghose und Handschuhe an. Eine Mütze ziehe ich mir noch über die Augen, eine bessere Schlafhilfe gibt es nicht. So müsste es eigentlich gehen. Hajo empfiehlt mir, meine Schuhe umgedreht auf die Sitzbank zu legen, damit ich am Morgen keine Überraschung mit ungebeten Insekten oder Schlagen habe. Obwohl ich nicht glaube, dass so früh schon Schlagen unterwegs sind, fürchte ich eher einem Wildschein zu begegnen.
Nach dem Abendessen besprechen wir noch kurz den Plan für morgen. Es steht ein „henro korogashi“, ein „wo ein Pilger fällt“-Tempel an. So werden die Trails zu den Tempeln Nr. 12, 20, 21, 27, 60, 66, 81 und 82 bezeichnet, die sehr steil und anstrengend zu steigen sind. Es sind alles Bergtempel zu denen man nur gelangt, nachdem man etliche Berge, Bergrücken und Pässe überwunden hat.
Um 7.00 Uhr klingelt der eingebaute Wecker. Da ich mich in einem Business Hotel befinde, habe ich auch mein eigenes Badezimmer. Es ist ein kleiner Container mit Tür, der im eigentlichen Zimmer steht. Hier sind Toilette, Waschbecken und Bad-Duschkombination auf engstem Raum untergebracht. Nachdem ich mich angezogen und gewaschen habe, packe noch kurz mein Zeug zusammen, damit wir nach dem Frühstück schnell aufbrechen können. Ich habe hier in einer Art Nachthemd geschlafen und Waschzeug wie Zahnbürste, Pasta, Rasierer und Seife stehen hier ebenfalls zur Verfügung genau so wie Duschgel und Shampoo.
Ich treffe Hajo um 8.00 Uhr beim Frühstück. Leider gibt es hier nur europäisches Frühstück also Brötchen mit Marmelade, Kaffee oder Tee, sowie hartgekochte Eier. Aber die Brötchen hier sind nicht mit den in Deutschland zu vergleichen. Es sind vielmehr kleine, weiche Brioche Brötchen, die man mit den stumpfen Messerchen eher aufreißt als schneidet. Aber ich bin schon froh, dass es hier aus einem Automaten „Kaffee satt“ gibt, damit kann ich den Schlafmangel der letzten Zeit kompensieren. Wir essen noch ein gekochtes Ei, wobei zwei weitere in unseren Taschen verschwinden. Ich fülle ein leeres Zuckertütchen mit etwas Salz aus dem Streuer, um für den Snack zwischendurch gerüstet zu sein.
Wir wollen zunächst zu Tempel Nr. 9 marschieren, dort unsere schweren Rucksäcke lassen, um den, von uns gestern links liegen gelassenen, Tempel Nr. 8 in unser Pilgerbuch eintragen zu lassen. Tempel Nr. 10 und vielleicht noch Tempel Nr. 11 könnte man heute schaffen und dann zwischen Nr. 11 und 12 in einer Pilgerhütte übernachten.
Bevor wir jedoch in Richtung Tempel Nr. 9 abmarschieren, will Hajo sich noch was im “Kusuri“, dem Drogeriegroßmarkt in der Nähe, kaufen. Wenn wir dem Weg hinter dem Hotel folgen, müssten wir eigentlich direkt zum Tempel Nr. 9, dem Hōrinji, gelangen.
Exkurs Tempel Nr. 9 Hōrinji (法輪寺)
Kōbō Daishi hat den „Tempel des Rades des Dharma“ gegründet. Mit dem Rad ist hier der ewige Kreislauf von Geburt und Wiedergeburt gemeint, aus dem der Buddhist versucht auszubrechen. Kōbō Daishi hat auch das, für japanische Verhältnisse seltene, liegende Standbild Buddhas (nehan-zo) geschaffen. Es zeigt den historischen Buddha Shakyamuni, wie er in Indien ums Jahr 480 v. Chr. endgültig und vollkommen ins Nirvana eingeht und so das oben erwähnte Rad verlässt. Erleuchtet war der Buddha schon zu Lebzeiten, doch mit seinem Tod, löst sich seine Existenz und dass, was wiedergeboren werden kann, ins Nichts (Nirvana) auf. Während der Tempel ebenfalls durch Chōsokabes Truppen niedergebrannt wurde, überstand diese Darstellung Buddhas das zerstörerische 16. Jahrhundert und wird heute den Pilgern, leider nur alle 5 Jahre präsentiert. Nach dem Wiederaufbau an der derzeitigen Stelle brannte der Komplex, mit Ausnahme des Glockenturms, im 19. Jahrhundert nochmals nieder. Man kann heute noch in ca. 6 km Entfernung die Ruinen und Grundsteine aus dem 16. Jahrhundert vorfinden. Dem Honzon (Hauptgottheit) Shaka Nyorai werden heilende Fähigkeiten im Bezug auf Füße zugesprochen.
Wir laufen auf Trampelpfaden an Reisfelder entlang. Es ist ein Katzensprung vom Hotel nach Tempel Nr. 9. Hier fallen mir Palmen und Bäume auf, zu denen ich leider nichts im Pilgerführer finde. Es gibt vor dem Pilgerbüro ein eine Art „Zen Gärtchen“ mit Steinen und eine überdachter Sitzgelegenheit. Eine japanische Frau schenkt uns Bonbons als Osettai. Es gibt meist Obst oder Süßigkeiten als Pilgergeschenk, da dass neue Energie für den Weg gibt, andere Geschenke würden ohnehin nur das Packgewicht steigern. Wir fragen im Tempelbüro, ob wir unsere Rucksäcke hier deponieren können: “Nimotsu o chozō suru ka“ (Gepäck aufbewahren?), vielleicht nicht gerade richtig, aber die Mönche haben verstanden und winken, wir sollen die Rucksäcke in die Ecke stellen. Mit „domō arigatō gozaimasu“ (Herzlichen Dank) verabschieden wir uns und machen uns auf den Weg zum Tempel Nr. 8. Es geht bergaufwärts und ich komme ganz schön ins Schwitzen. Die Sonne kann hier ganz schön beißen, aber zum Glück habe ich meinen Sonnenblocker 50+++ dabei.
Exkurs Tempel Nr. 8 Kumataniji (熊谷寺)
„Der Tempel im Tal des Bären“ wurde von Kōbō Daishi gegründet, nachdem ihm während eines esoterischen Rituals die Shintogottheit von Kumano erschienen ist. Sie hat ihm eine kleine Kannon Bosatsu Statue überreicht, die er in eine, vorher im Akagatani Tal geschnitzte, tausendarmige Kannon Statue (Senju Kannon Bosatsu) aufbewarte. 29 der 88 Tempel sind Kannon gewidmet, da dieser meist mit weiblichen Zügen dargestellte Buddha, das universellen Mitgefühls bereits im Namen („die Stimmen der Welt hörend“) führt. Leider fielen die beiden Statuen 1927 einem Feuer zum Opfer und wurden 1971 durch eine Statue von einem Künstler aus Nagoya ersetzt. Bemerkenswert ist weiterhin das Tor, welches 1687 erbaut und zu den größten Toren der Pilgerreise zählt. Auch der Glockenturm (tahōtō) aus dem Jahre 1774 ist der älteste auf Shikoku und beherbergt einige Buddha Statuen.
In unserem Tempelführer von der Homepage von David Turkington lesen wir, dass diese Tor das erlesenste bzw. schönste Tor („finest of all temples“) der Pilgertour sein soll. Wir finden beide, dass das Tor, vor dem wir stehen, einen nicht gerade vom Hocker reißt. Aber vielleicht ist ja das andere Tor gemeint, dass direkt vor dem Tempel steht. Mit seinen geschnitzten und kolorierten Wächterstatuen sieht dieses Tor schon eher nach einer Superlative aus. Nachdem wir unseren Pilgerverpflichtungen nachgegangen sind, liest Hajo mir erneut aus seinem Tempelführer vor. Sogar der Daimyō (Landesherr) von Awa soll hier während des Tokugawa-Shogunats (1603–1867) mit seinen Kriegern eine Mondschein Party gefeiert haben.
Es soll hier auch eine Pinie (garyuu no matsu) geben, die wie ein Drache aussehen soll. Leider finde ich sie nicht, obwohl ich solche Pflanzen und vor allem die Geschichten dazu liebe. Weiter fallen mir ein paar sehr junge Pilger auf, die mit ihren Skateboards unterwegs sind. Von Fahrradpilgern hatte ich schon gehört, aber diese modernere Form der „schnellen bergab Fortbewegung“ kannte ich noch nicht. Man trifft immer wieder sehr junge Leute, die in den Ferien mit Bergen von Pilgerbüchern oder Rollbildern bewaffnet, die Pilgerbüros stürmen. Sie verdienen sich mit dem Abstempeln wohl etwas Geld nebenbei oder finanzieren sich die Pilgerreise durch den Verkauf der vollständig gestempelten Pilgerutensilien.
Es geht weiter zur Tempel Nr. 10, der für uns ca. 8 km entfernt liegt, da wir wieder zurück zu Nr. 9 müssen, um unsere Rucksäcke zu holen. Wir laufen auf der Straße, vorbei an den Tempeln Enkōji und Shōnenji, die ebenfalls in unseren Karten eingetragen sind, aber weder zu den 88 „Haupttempeln“ (fudasho) noch zu den 20 nicht nummerierten („unnumbered“; bangai fudasho) „Nebentempeln“ gehören.
An der Straße zum Tempel Tempel Nr. 10 Kirihataji gibt es eine Gasse mit Geschäften und Gaststätten. Wir fragen in einer Suppenküche, ob wir unsere Rucksäcke da lassen können und machen uns auf den Weg. Während wir den Aufstieg über den Pilgertrail machen, bekommen wir einen Vorgeschmack auf die noch folgenden Bergtempel. Die Rücktour werden wir auf der Autostraße entlang laufen, da der liebe Hajo mit seinen Füßen hardert.
Exkurs Tempel Nr. 10 Kirihataji (切幡寺)
„Der Tempel des Webens und Schneidens“ hat seinen Namen von einer Legende, die sich hier zugetragen haben soll: Als Kōbō Daishi sich hier religiösen Praktiken widmete, wurde er von einer jungen Weberin mit Essen versorgt. Als er sie um ein Stück Stoff für eine Hose bat, gab sie ihm ohne Zögern so viel Stoff, dass er eine ganzes Mönchsgewand schneidern konnte. Er fragte sie nach ihrer Herkunft und sie erzählt ihm von ihrem schweren Schicksal. Ihre Mutter war eine Adlige, die einer Intrige am Kaiserhof zu Opfer gefallen war, während ihr Vater in der Verbannung leben musste. Die schwangere Mutter betete am Tempel Kiumizudera in Kyoto zu Kannon, sie möge eine Tochter gebären, so dass ihr Kind vor den Auswirkungen des Skandals sicher sei. Kurz nachdem das Kind geboren war, erschien Kannon und wies die Mutter an, mit dem Kind nach Sikoku zu fliehen.
Bewegt durch diese Geschichte schnitzte Kōbō Daishi eine Kannon Statue. Die Weberin bat ihn, sie als Nonne zu ordinieren und ihr die Haare zu rasieren. Alsbald wurde diese Nonne erleuchtet und nahm die Gestalt einer Kannon Statue an. Zum Gedenken an diese Begebenheit gründete Kōbō Daishi diesen Tempel, der auch unter dem Namen Tokudozan Kanjōjo (Berg der Ordination) bekannt ist und machte die beiden Kannon Statuen zum Honzon.
330 Stufen führen hier zur Haupthalle (Hondō), zur Pagode noch einige mehr. Der Tempel beherbergt trotz zweimaliger Zerstörung durch Feuer zahlreiche Schätze u. A. Sutren Manuskripte.
Nach der Rückkehr in die Suppenküche, die als Spezialität Udon in allen Variationen anbietet, bestelle ich „Kake Udon“ und Hajo „Tempura Udon“. Udon sind Nudeln, die nicht wie Soba aus Buchweizenmehl hergestellt werden, sondern Weizenmehl. Sie sind auch nicht so dünn wie, die bei uns aus japanischen Fertiggerichten bekannten, Ramen Nudeln. Sie werden in einer heißen Brühe serviert, die im Falle des Kake Udon noch Frühlingszwiebeln und Kamaboko enthält. Kamaboko ist eine wurstartige Fischmasse, die gekocht, zT. rotgefärbt und in Scheiben geschnitten (naruto), in vielen Suppen zu finden ist. Tempura ist die japanische Bezeichnung für frittiertes Gemüse, aber auch fittierter Tofu (aburaage) findet sich in Hajos Suppenschüssel. Sollten keine Löffel serviert werden, kann man die Suppentasse an den Mund führen und genüsslich schlürfen. Die Nudeln werden meist zuvor mit den Stäbchen herausgefischt. Auch hier ist ein geräuschvolles Einsaugen überlebensnotwendig, da man die Nudeln mit der Frischluftzufuhr abkühlt und sich so nicht den Mund verbrennt.
Gut gestärkt wollen wir jetzt die knapp 10 km zu Tempel Nr. 11 (Fujiidera) angehen. Wir durchqueren die Flussniederungen des Yoshino-gawa, der an dieser Stelle aus zwei Armen besteht. Hier wird viel Landwirtschaft betrieben. Geschäftige Menschen arbeiten auf den Feldern, alle in Handschuhen, die Frauen mit großen Hüten und Mützen vermummt, um sich vor der bissigen Sonne zu schützen. Ich denke, es sind die ersten schönen Tage des Frühlings, aber wenn die Sonne scheint, hat diese schon richtig Kraft. Es werden Plastikbahnen aufgespannt und Bahnen mit Erde angehäufelt. Es sind nicht so große Felder, wie ich sie aus Deutschland kenne, wo fast alles maschinell gemacht werden kann, hier herrscht noch echte Handarbeit vor. Wir überqueren eine schmale Brücke, die gerade mal Platz für ein Auto hat. In kleinen Nothaltebuchten muss der Gegenverkehr ausweichen. Ich frage mich immer wieder, wann weiß ein Japaner, dass er ausweichen bzw. anhalten muss? Die Reglung des Straßenverkehrs, der wohl sehr auf gegenseitige Rücksichtnahme beruht, wird mir bis zum Ende meiner Reise ein Rätsel bleiben.
Wir treffen Herr Blaukopf wieder und Hajo hält ein Schwätzchen, danach gelangen wir über einen Deich in die Stadt. Hier sehen wir auch ein Pilgerhäuschen, das recht komfortabel wirkt und wir hoffen, dass unsere heutiges Nachtlager die gleichen Vorzüge besitz. Wir folgen einem jungem Mann und einer Gruppe von drei älteren Damen. Als diese jedoch abbiegen, nimmt das Schlamassel seinen Lauf: Da wir noch Proviant aus einem Lawson Kombini kaufen wollen, können wir ihnen nicht folgen. Als wir aus dem Laden kommen verfehlen wir wohl irgendwie den richtigen Weg und landen in einem Wohngebiet. Kaum ein Mensch auf der Straße oder in den Gärten, den man fragen könnte und wenn man jemanden findet, dann wissen die Leute meist auch nicht wo den der Fujiidera Tempel liegt. Aber das Glück ist uns abermals hold oder hatte Kōbō Daishi ein Einsehen mit uns Gaijin (Ausländer), jedenfalls finden wir einen Pilger, dem wir bis zum Tempel Nr. 11 folgen können. Hier treffen mir auch unseren Tent Boy (Zelt Jungen) wieder, den wir auf dem Weg gestern verloren haben.
Exkurs Tempel Nr. 11 Fujiidera (藤井寺)
Der Fujiidera ist der Tempel der Glyzinien oder des Brunnens voller Glyzinien, wie die direkte Übersetzung lautet. Glyzinien oder auch Wisteria, wie sie im Englischen Sprachraum genannt werden, sind bei uns unter der Bezeichnung „Blauregen“ bekannt. In Japan dient diese verholzende Kletterpflanze vor allem um Lauben und Unterständen ein lebendiges Dach aus Blättern und Blüten zu verschaffen. Kōbō Daishi soll hier, nachdem der den Tempel gegründet (815) und die Statue von Yakushi Nyorai geschaffen hat, eine fünffarbige Glyzinie gepflanzt haben. Noch heute zeugen die Muster der Dachziegel und die vielen Glyzinien der Umgebung davon. Die Statue des Yakushi Nyorai, hat als einziger Tempelbestandteil die Feuer überstanden und soll vor Naturkatastrophen schützen. Nach neuen Erkenntnissen stammt die Statue aus dem 13. Jahrhundert und wird als Nationalschatz geführt. Seit 1681, nach seinem Wiederaufbau, der Rinzai Sekte des Zen Buddhismus zugehörig, ist es einer von drei Zen Tempeln, in der sonst shingonbuddhistischen Pilgerroute. Eine Mini Shikoku Pilgertour befindet sich hinter dem Hondō (Haupthalle).
Nachdem wir unsere Sutra rezitiert und unsere Nōkyochō (Pilgerbuch) haben abstempeln lassen, kommen wir mit einigen Pilgern ins Gespräch. Ich lerne einen Herrn aus Kamakura kennen. Kamakura ist auch so ein Tempel Hotspot wie Kyoto oder Nara. Ich kenne es recht gut, da ich es oft besucht habe, als ich noch in Yokohama gelebt habe. Hier habe ich auch meine Leidenschaft zu Tempeln und Schreinen entdeckt und das erste Mal ein Pilgerbuch gekauft. Eine Japanerin, die geradezu den Kontakt zur mir sucht, erklärt mir sie sei Christin. Ich grinse verlegen, nun ich komme zwar aus einer christlichen Kultur, mache mir aber mehr aus dem Buddhismus als aus dem Christum. „Immer das was man nicht hat zieht einen an“, erkläre ich ihr.
Hajo unterhält sich mit Händen und Füßen mit so einem zahnarmen Opa mit Ziegenbart. Als ich näher komme, schlägt mir der Geruch von Alkohol in die Nase. Wenn wir den Sake-Pilger richtig verstehen, ist die „Hashiyama Rest Hut“, in der wir unser Nachlager aufschlagen wollten, kaputt und „Ryuusui-an“ zu weit weg. Er selber will wieder in die Stadt, um dort beim Kamo Onzen oder Kamo-no-yu kostenlos zu übernachten. Als wir uns daran machen, den Pilgerweg in die Berge zu nehmen, kommt der Typ hinterher. Ungeachtet des Verfolgers wandern wir den Trail entlang, bis Meister Ziegenbart uns einholt und auf eine kleine Brücke aus Beton weist. Er will uns einen Unterschlupf zeigen, der nicht in den Karten verzeichnet ist. Es stellt sich als stabile Holzhütte heraus, die zwar keine Seitenwände hat, aber bei nicht allzu schlechtem Wetter, mit ihren Bänken doch eine willkommene Schlafgelegenheit bietet.
Kaum sitzen wir in der Hütte, beginn es zu regnen. „Schwein gehabt“, denke ich. Jetzt kann ich meine selbstaufblasbare Isomatte und meinen Schlafsack ausprobieren und zusätzlich mindestens 5000 Yen für eine Unterkunft sparen. Proviant für Abendessen und Frühstück haben wir auch dabei. Nur ein Getränkeautomat für den heißen Tee am Morgen und eine adäquate Toilette fehlen. Prophylaktisch gehe ich noch in der Dämmerung „hintern Busch“ bzw. an den Hang. Aber man muss hier aufpassen, dass man nicht von der Anhöhe kugelt, denn direkt auf unserem Plateau stehen viele kleinen Schreinen, denen man aus Pietätsgründen nicht zu nah kommen möchte. Hajo hat einen Biwak-Sack dabei, einen regenfesten Überzug für den Schlafsack. Ich selber begnüge mich damit über meinen Schlafsack einen Regenponcho anzuziehen und mein freies Fußende in einen blauen Müllsack zu hüllen. Ich ziehe noch meine zweite Treckinghose und Handschuhe an. Eine Mütze ziehe ich mir noch über die Augen, eine bessere Schlafhilfe gibt es nicht. So müsste es eigentlich gehen. Hajo empfiehlt mir, meine Schuhe umgedreht auf die Sitzbank zu legen, damit ich am Morgen keine Überraschung mit ungebeten Insekten oder Schlagen habe. Obwohl ich nicht glaube, dass so früh schon Schlagen unterwegs sind, fürchte ich eher einem Wildschein zu begegnen.
Nach dem Abendessen besprechen wir noch kurz den Plan für morgen. Es steht ein „henro korogashi“, ein „wo ein Pilger fällt“-Tempel an. So werden die Trails zu den Tempeln Nr. 12, 20, 21, 27, 60, 66, 81 und 82 bezeichnet, die sehr steil und anstrengend zu steigen sind. Es sind alles Bergtempel zu denen man nur gelangt, nachdem man etliche Berge, Bergrücken und Pässe überwunden hat.
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