Karte von Shikoku mit den 88 Haupt- und 20 Nebentempeln


Freitag, 21. August 2009

Montag, 16. März 2009, Tokushima, Bando

Der erste Tag in Japan

Von der Touristeninformation schleppen Hajo und ich unsere Rucksäcke zur Bushaltestelle vor dem Flughafengebäude. Hier entsteht auch das einzige Foto unserer Reise, das uns zusammen zeigt, da sich ein Herr vom Busunternehmen zur Verfügung gestellt hat. Der sogenannten „Limousine Bus Service“ (http://www.kate.co.jp/pc/index_e.html) besteht aus einem Netzwerk von Bussen, die die Flughäfen und Hauptstädte verbinden bzw. Fluggäste aus den ländlicheren Regionen einsammeln und zu den Flughäfen kutschieren. Mein Vorschlag mit dem Bus nach Tokushima auf Shikoku zu fahren und dort den Tempelbus direkt zu Tempel Nr. 1 zu nehmen, war Hajo zu umständlich. So wollen wir schon an der Haltestelle „Naruto Highway“ aussteigen und mit der Bahn von "JR Naruto" über "Ikenotani" nach "Bando" fahren. Auf der Busfahrt gibt es einen Vorgeschmack auf die Natur und Sehenswürdigkeiten von Shikoku. Die grünen Bambuswälder an den Berghängen wirken wie kleine Farnwedel und von der Akashi-Kaikyo und Naruto Brücke können wir aus dem Bus heraus einen Blick auf die Algenzucht Anlagen und die berühmten Wasserwirbel werfen. Die Entfernung von der Bushaltestelle zum JR (Japan Railways) Bahnhof Naruto hatten wir allerdings unterschätzt, so dass wir erst bei einer weiteren Touristeninformation nachfragen müssen, wo es den zum Bahnhof geht. Mit einem weiteren Bus geht es quer durch Naruto und dann zum „Naruto eki mae“ (vorm Naruto Bahnhof). Mit dem ganzen Umsteigen und Umhergefahre war es dann doch umständlicher als der Umweg über Tokushima, aber letzten Endes landen wir dann doch am Bahnhof Bando und schlurren etwas erschöpft zu unserem Ryokan Kadoya tsubakiso (Ryokan: wörtlich „Reisegasthaus“; traditionell japanisches Hotel). Zum Glück kann ich die ersten Silben auf dem Schild „Kadoya“ lesen, da es in japanischer Silbenschrift (Hiragana) geschrieben ist, während ich der japanischen Schriftzeichen (Kanji) für „tsubakiso“ noch nicht mächtig bin.
Hier werden wir auch gleich typisch japanisch begrüßt: Die nicht mehr ganz so taufrische Japanerin schmeißt sich vor uns auf die Knie, verbeugte sich fast bis zum Boden und begrüßte uns mit einigem Gemurmel. Dass Japaner sich viel stehender Weise verbeugen kannte ich schon, aber dass die ältere Dame nun auf den Holzboden herum rutscht, tat mir dann doch etwas leid. Wir ziehen unsere Schuhe, wie in einem traditionell japanischen Gasthaus üblich, im Vorraum (genkan) aus und schieben sie in das dafür vorgesehene Regal. Am Ende der drei Stufen warten schon Hausschuhe auf uns, die natürlich viel zu klein sind. Aber wir machten bei dem Spiel erstmal mit. Wir bezahlen erst einmal die zwei Übernachtungen, die telefonisch gebucht worden waren. Als die Wirtin uns das Gepäck abnehmen will, lehnen wir dankend ab, das ist nun wirklich zu schwer für so ein kleines, zartes Mütterchen. Wir merken schnell, dass sie weder Englisch spricht noch versteht. Viele Japaner sind Ausländern gegenüber sehr zurückhaltend, nur weil sie kein Englisch sprechen, heißt das noch lange nicht, dass sie auch kein Englisch verstehen! Da die nette Frau von der Touristeninformation uns angekündigt und das Zimmer ohne Essen bestellt hatte, versuchen wir der Wirtin klarzumachen, dass wir hier doch gerne zu Abend essen wollen. Als das Wort „bangohan „ (Abendessen) fällt und sie uns die Uhrzeit „Acht“ nennt, sind wir sicher, dass die Kommunikation doch nicht so schwierig sein wird.
Sie zeigt uns ein Raum, der mit Reisstrohmatten (tatami) ausgelegt ist und eine Schmucknische (tokonoma) mit Rollbild (kakemono) und Fernseher aufweist. Ich hatte mich vorher mit Hajo geeinigt, dass wir gemeinsam ein Zimmer beziehen wollen, da die Toiletten und Waschräume ohnehin separat sind. Vor dem Betreten des Zimmers ziehen wir, wie in Japan üblich, die Hausschuhe wieder aus. Im Raum befinden sich nur ein flacher Tisch mit Sitzkissen, eine Art Mülleimer, ein Tresor, der nicht gerade zum traditionell japanischen Interieur passt und ein Kasten mit Baumwollkimono (yukata) und Handtüchern. Die inneren papierbespannten Schiebetüren (shoji) werden zurückgeschoben und machen so den Blick durch eine weitere gläserne Schiebetür frei, durch die man in den kleinen Garten sehen kann. Es gibt eine große papierbespannte Deckenleuchte, ein Wandtelefon und eine Notfall-Taschenlampe. Mit einer Handbewegung winkt die Wirtin uns aus dem Zimmer und führt uns über Gänge tiefer ins Haus. Sie zeigt uns die Toiletten (toire oder otearai), das im Gang befindliche „Badezimmer“ (senmenjo) mit Waschbecken (senmen-ki), der daneben stehenden Waschmaschine (sentaku-ki) und Trockner (kanoo-ki). Etwas weiter kommen wir zum Gemeinschaftsbad, dem O-furo, welches aber streng nach Männlein und Weiblein getrennt wird. Hier wird sich in einem Vorraum entkleidet. An einer Art niedrigen Dusche, auf einem kleinen Plastikschemel sitzend, wird sich erstmal gründlich gewaschen, bevor man das eigentliche Bad genießen darf. Das kleine Handtuch, was man im Zimmer vorgefunden hat, wird als Waschlappen benutzt. Und erst wenn man wirklich sauber ist, darf man in das, für europäische Verhältnisse, sehr heiße japanische Bad steigen. Wobei es auch nicht so eine Badewanne ist, in die man sich räkeln kann. Es ist vielmehr eine Art Badezuber, in den man sich reinsetzt und hauptsächlich entspannen soll. Meist ist das Bad mit einer Rollmatte abgedeckt, damit es nicht auskühlt, da alle weiblichen bzw. männlichen Gäste das gleiche Badewasser nutzen.
Kaum haben wir für unsere Rucksäcke im Zimmer den richtigen Platz gefunden und uns am niedrigen Tisch auf den Sitzkissen niedergelassen, kommt die Wirtin abermals. Sie bringt uns heißes Wasser, eine Teekanne mit kleinen Teetassen und in Papier eingeschlagene Kekse. In einer Teedose sind zwei kleine Beutel mit Grünem Tee und weitere Zutaten, die ich leider nicht identifizieren kann. Der Tee schmeckt aber irgendwie kräftiger, als wäre da noch etwas Geröstetes dabei. Hajo als passionierter Teetrinker bereitet den Tee zu, während ich neugierig die mit Schiebetüren versehenen Wandschränke inspiziere. Hier liegen Berge von Matratzen, Überdecken und einfachen Wolldecken. „Futon“ nennt der Japaner sein einfaches Nachtlager, das aus, z. T. mit einer dünnen Schaumstoffmatratze als Unterlage, einer gesteppten Matte als Zwischenlage und einer großen, weichen, aber sehr schweren Zudecke besteht. Komplettiert wird das Gebilde durch ein mit Reis gefülltes Kopfkissen, was aufgrund des harten Inhalts nicht unbedingt mit unserem Feder gefüllten Kopfkissen verglichen werden sollte. Da in Japan Platz Mangelware ist, werden die Futons über Tag wieder in die Wandschränke geräumt. Beruhigt atme ich auf, trotz der noch recht kalten Temperaturen, musste ich nicht fürchten, in der Nacht zu frieren. Es gibt zwar meist eine Klimaanlage, doch ist die hauptsächlich für die wärmere Jahreszeit gedacht. Zentralheizung kennt man in diesem Teil Japans nicht, es werden allenfalls kleine transportable Ölöfen bzw. elektrische Wärmestrahler aufgestellt.
Aber der Tag ist noch jung und ich bin auch noch nicht zu müde. So beschließen wir, die Umgebung ein bisschen zu erkunden und schon mal Tempel Nr.1, der direkt in der Verlängerung unserer Straße liegt, einen kurzen Besuch abzustatten. Wir laufen also die Straße entlang und suchen die beiden anderen Unterkünfte, die in unserem englischsprachigen Plan eingetragen sind und, laut Dame an der Touristeninformation, ausgebucht waren: Minshuku Tsushimaya und Minshuku Awa. Minshukus sind eine Art Familienpension - alles ist etwas einfacher und familiärer, da kann man schon mal mit der Wirtsfamilie an einem Tisch essen.
Jetzt stehen wir vor dem Tor zu Tempel Nr. 1 und grinsen uns an, weil direkt vor dem Tor ein breiter Zebrastreifen mit Ampel entlang läuft. Auch die mit Pilgerkleidung versehene Schaufensterpuppe im Eingang lässt bei uns einen anderen Eindruck aufkommen, als dass hier die älteste Pilgertour der Welt beginnt. Hoffentlich überfällt uns hier nicht der Kitsch, den ich von den Souvenir Shops aus Osaka und Tokyo kenne. Aber weit gefehlt, es gibt hier zwar insgesamt 3 Läden: einen außerhalb des Tempelgeländes mit angeschlossenem Teehaus, einer in der Haupthalle (Hondō) und einen direkt am Busparkplatz, doch wird hier nicht überdurchschnittlich viel Schnickschnack und Kitsch verkauft. Jedenfalls nicht mehr als in anderen Tempeln. Dass hier viele Sachen aus Plastik sind und eventuelle auch „made in china“, daran hat sich der Durchschnittsjapaner längst gewöhnt, weil traditionelle Handarbeit und Holzarbeiten wohl viel zu teuer wären. Wir betreten den Tempel durch das Tor. Noch sind wir Touristen, beim nächsten Mal werden wir uns vor dem Tor verbeugen und dem Ritual der Pilger folgen.

Exkurs: Pilgeretikette
Nach Verbeugung und Durchschreiten des Haupttores (mon) geht man zum Wasserbecken (chōzubachi), wäscht Hände und spült den Mund, geht weiter zum Glockenturm (tahōtō), schlägt die Glocke und verrichtet sein Gebet an der Haupthalle (Hondō). Hier können nach Belieben Räucherstäbchen oder Kerzen entzündet werden. Der Gong (waniguchi) an der Halle kündigt der Gottheit (honzon) an, dass man ihr huldigen möchte. Namenszettel (osame fuda), auf denen Name, Datum und Grund des Besuches vermerkt sind, kommen in die dafür vorgesehene Box, auch für handschriftlich kopierte Sutren steht eine Box zur Verfügung. Nach einer kleinen Münzspende (osaisen) in den Opferkasten, nimmt man den buddhistischen Rosenkranz (juzu) und das Sutrabüchlein zur Hand, wenn man das Sutra noch nicht auswendig kann. Das Rezitieren erfolgt schnell oder langsam, puristisch wie ein Gedicht oder theatralisch fast wie ein Singstück. Mal laut oder auch ganz leise, der eine flüstert, der andere brummt es im vollen Brustton. Experten des Shingon wissen genau, wann welche Sutra (buddh. Gebet), Mantra (Wortformel) oder Goeka (buddh. Lied) zu rezitieren sind, aber für uns „Trecking-Buddhisten“ reicht eigentlich schon das Kōbō Daishi Mantra („Namu Daishi Henjō Kongō“) und die Herz-Sutra (Hannya Shingyo). Gleiches passiert nochmals vor der Daishi Halle (daishidō), die zu Ehren des Sektengründers Kōbō Daishi (Mönchsname Kukai) errichtet worden ist. Danach darf man sich den Besuch im Pilgerbüro (nōkyōsho) dokumentieren lassen.
Wir schauen uns um, machen ein paar Fotos und wundern uns, dass hier die Gebäudeanzahl doch recht übersichtlich ist. Trotz der Wichtigkeit als Startpunkt der Pilgerreise steht hier kein großer Tempelkomplex mit vielen Nebengebäuden. Ein netter, kleiner Tempel eben, mit einem kleinen Teich mit Kois (japanische Zierkarpfen) vor der Kukai-Halle (daishidō), einer Haupthalle (hondō) in der der Amida Nyorai verehrt wird, einer kleinen Pagode, ein paar Standbildern, Steinfiguren und einem Platz, wo sich die Buspilgergruppen fotografieren lassen können.

Es ist schon kurz vor 17 Uhr. Das heißt für den versierten Pilger, dass das Pilgerbüro (nōkyōsho), wo man nach erfolgtem Gebet das Pilgerbuch (nōkyōcho) stempeln und beschriften lassen kann, gleich schließen wird und auch im Lädchen räumt man schon die Waren weg. Wir verlassen den Tempel, machen aber noch einen Abstecher in den Laden vor dem Tempelgelände. Hier erstehen wir beide ein Pilgerbuch (nōkyōcho). Es ist etwas größer als die anderen Bücher und zeigt auf einer Seite eine kleine Zeichnung vom Tor, der Haupthalle oder irgendetwas Charakteristisches vom jeweiligen Tempel. Hier kaufe ich auch meinen Wanderstock (kongozue) mit Brokatstoffgriff und Glöckchen. Wir laufen noch ein wenig in der Gegend herum und finden Teile der Gedenkstätte des Gefangenlagers, in dem im Ersten Weltkrieg deutsche Gefangene untergebracht waren. In der Karte steht auch was von einem „Deutschen Haus“ und einem Filmset für den Film „Symphony of Joy“, aber es wird langsam dunkel und wir wollen zurück zum Ryokan.

Bei der Ankunft im Ryokan nimmt die Wirtin meinen Wanderstock und stelle ihn in die Schmucknisch (tokonoma). Das ist so üblich, da der Stock den Sektengründer verkörpert und man so Kōbō Daishi in Person bei sich beherbergt. Nachdem wir unser Bad auf die traditionell japanische Weise genommen haben, es gab zwar einen Schlüssel für unser Zimmer, dennoch haben wir nicht gleichzeitig gebadet, da einer immer ein Auge auf unsere Sachen haben musste, warten wir auf das Abendessen. Aber es kommt nur ein Anruft von unserer Wirtin, in dem sie uns eine gute Nacht wünscht („o yasumi nasai“). Verdattert gehen wir in die Küche und fragen nach. Aber die Wirtin besteht darauf, dass wir kein Essen bestellt haben. Aber warum hat sie denn was von 8.00 Uhr geschnackt? Etwas verärgert ziehen wir ab, aber da wir in der Straße beim Tempel einen „Lawson“ Kombini, eine Art 24-Stunden Supermarkt, gesehen haben, holen wir uns unser erstes japanisches Abendessen von dort und kaufen auch gleich etwas für das Frühstück ein. Nachdem unser Hunger gestillt ist, kriechen wir in unsere Futons. Wohlweislich habe ich 4 Wolldecken über dem Futon ausgebreitet, um nicht zu frieren. Da mir die Hüften wehtun, ich bin das Schlafen direkt auf dem Boden nicht gewöhnt, falte ich die Unterlage einmal, so dass sie jetzt zwei Lagen dick, aber nur halb so breit ist. Ich kann aber trotzdem nicht schlafen, da Hajo immer dann zu husten beginnt, wenn er kurz vorm Einschlafen ist. Er hatte die Woche vor dem Abflug noch eine heftige Erkältung gehabt und die sein wohl noch nicht auskuriert, erklärt er mir später.

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