Karte von Shikoku mit den 88 Haupt- und 20 Nebentempeln


Dienstag, 29. Juni 2010

Samstag, 25.04.2009, Sanuki City, Takeyakiki Ryokan

Der 41. Tag in Japan
Hätte ich heute am Morgen gewusst, was mir bis zum Abend passiert, wäre es von mir wohl mit „Pleiten, Pech und Pannen“ überschrieben worden. Aber es fing alles schon gestern mit den Kommunikationsproblemen an. Als ich heute in meinem kleinen Zimmer erwache, ich hatte die Soji (Schiebetüren), die als Gardinenersatz dienen, offen gelassen, ist es dunkel und regnet. Ausgerechnet heute, wo ich eine recht weite Strecke wandern muss, noch dazu durch die Berge! Um 6.00 Uhr bereche ich auf. Die Dame an der Rezeption, mit der ich gestern das Missverständnis über die Übernachtungspreise hatte, checkt mich aus und drückt mir noch ein 1000-Yen-Schein in die Hand. Sie sagt mir es sei für „Pan“ (Brot), da ich sie aber nicht wieder brüskieren will, sie hatte mein Schrecken bzw. Ärger wohl durchaus verstanden, bedanke ich mich und mache mich auf den Weg zu Tempel Nr. 88.

Eigentlich wollte ich im Ryokan zwei Tage bleiben und mein schweres Gepäck hier deponieren. Aber jetzt bin ich gezwungen, mich mit meiner gesamten Habe zum Ōkuboji (Nr. 88) zu schleppen. Eventuell kann ich dort den Rucksack im Pilgerbüro lassen und den Weg zum Bangai Tempel Nr. 20 dann noch mit leichtem Gepäck antreten. Den Weg zum Ōkuboji Tempel hatte ich mir dann doch kürzer und leichter vorgestellt. Auch meine Freude, endlich den letzten Tempel der Hauptkette zu besuchen, ist getrübt und das nicht nur aufgrund des Regens. Es ist verdammt kalt geworden, der Regen fließt in Strömen. Zum Glück trage ich über meiner Doppeljacke einen Regenponcho, der mich mitsamt meines Rucksacks umhüllt. Er hätte vielleicht etwas länger sein können, denn ich bekomme recht schnell nasse Füße, aber eigentlich das optimale Teil für so eine regnerische Insel wie Shikoku. Ich brauche für die knapp 2,5 km bis zum Tempel eine halbe Stunde und bin so natürlich viel zu früh am Pilgerbüro.

Zum Glück kann man sich hier vor dem Tempelbüro unterstellen. Es gibt sogar Bänke zum Ausruhen. Ich schäle mich aus meinem „Zwiebel Look“ und beschließe, den ersten Mönch, der das Pilgerbüro öffnet, zu fragen, ob ich meinen Rucksack hier hinterlegen kann. Aber ich habe Pech, denn der alte Kauz besteht darauf, dass ich den Rucksack mitnehme, da der Bangai (Nebentempel) einfach zu weit weg ist. Es verkürzt die Strecke aber auch nicht, wenn ich mit vollem Gepäck laufe, denke ich so bei mir. Ich ärgere mich, verstehe aber auch sein Ansinnen. Denn was geschieht, sollte ich nicht vor Ablauf der Öffnungszeit wieder im Pilgerbüro erscheinen? Soll er dann meinen Rucksack vor die Tür stellen, wird er eventuell geklaut. Komme ich jedoch nach der Öffnungszeit wieder zum Tempel, finde ich niemanden, der mir mein „Gutes Stück“ wieder rausgeben kann. Niedergeschlagen trabe ich von Dannen. Bei dem Regen kann ich kein Foto vom Tempel machen, nehme mir aber bei nächster Gelegenheit vor, das nachzuholen. Ich werde versuchen, heute den Bangai Tempel zu erreichen. Je nachdem wie schnell oder langsam ich bin, werde ich den Rückweg zu Tempel Nr. 1 über Tempel Nr. 88 machen. Vielleicht gibt es kürzere Strecken, aber da mein Kartenmaterial begrenzt ist, wähle ich lieber die ausgewiesenen Pilgerstrecken, als mich querfeldein zu schlagen.

Regen, Regen und nochmals Regen, ausgerechnet heute wo ich ihn nicht gebrauchen kann. Ich laufe wieder den Weg zurück zum Takeyakiki Ryokan, von hier muss ich wieder nach japanischer Karte laufen, die für die Strecke zum Bangai Tempel so ca. 20 km nennt. Unter einer Straßenunterführung mache ich kurz Pause. Warum es hier wohl eine Unterführung gibt, eine einfache Kreuzung wäre hier doch auch keine Problem gewesen, so wenige Autos wie hier fahren? Während auf der Karte eine längere Tour vermerkt ist, die erst um den Ōtaki Berg herumführt und hauptsächlich Autostraße beinhaltet, wähle ich den, in meinen Augen kürzeren Weg. Er beginnt an einer Art Staudamm mit WC und führt dann als Wandertrail, die Serpentinen der Autostraße abkürzend, direkt den Berg hinauf. Aber wie erwähnt, der Tag ist mit „Pleiten, Pech und Pannen“ überschrieben und so habe ich das Pech, dass ich den Einstieg zum Trail nicht finde. Stattdessen gibt mir ein Hinweisschild hier an der Straße Auskunft darüber, dass der Autoweg ca. 16 km lang ist. Diese Strecke ist für mich noch annehmbar, obwohl der Trail es auf 6 km verkürzt hätte. Aber ich habe jetzt Zeit, da ich die offizielle Pilgertour so gut wie abgeschlossen habe, will ich mich nicht durch so ein paar Widrigkeiten ärgern lassen.

Ich stapfe also die Autostraße hoch, die jedoch nicht mehr vollständigen in meiner Karte verzeichnet ist. Während ich mich noch frage, wo ich mich den eigentlich auf der Karte befinde, werden Minuten zu Stunden. Ich wandere im Regen, der Nebel verdeckt die Bergspitzen. Nur von Zeit zu Zeit denke ich, dass ich diese und jene Häusergruppe bzw. Blick auf irgendwelche Plantagen schon mal gesehen habe. Da ich mich hier am Berg aber stete nach oben bewege und jede Windung der Straße durchwandern muss, habe ich jedes Mal einen anderen Blickwinkel. Zwei große Reisebusse fahren an mir vorbei. Wie gerne wäre ich mit ihnen mitgefahren, denn mittlerweile bin ich dann doch ganz schön nass geregnet, obwohl der Regen nachgelassen hat. Da bin ich dann wenigstens auf dem richtigen Weg, denke ich so bei mir, als kurz vor mir ein Mauzen ertönt. Es ist ein klägliches Mauzen, einer noch kläglicher wirkenden Katze. Es ist so ein ganz heller Tiger, aber derart abgemagert, dass man trotz langhaarigem Fell die Knochen sehen kann. Tja, Kätzchen, denke ich so bei mir, da hast du dich hier verlaufen wie ich mich verlaufen habe. Und wieder ertönt ihr schwächliches Miau. Ich habe leider nichts mehr außer meinen Pilgerkeksen und ich bezweifle, dass du die frisst. Wenn so eine Hauskatze sich hier in der Wildnis verläuft und den Weg nach Hause nicht wieder findet, muss sie entweder verhungern oder sich auf ihre Urinstinkte besinnen und selber jagen. Aber diese arme Katze ist wohl so ein entlaufener Stubenhocker, der noch nie eine lebende Maus oder einen Vogel gejagt hat. Wie gerne würde ich ihr helfen, dabei kann ich mir ja nicht mal selber helfen. Wenn sie schlau ist, versucht sie das Fleisch der Krabben zu futtern, die hier alle paar Meter von Autos platt gefahren worden sind. Aber da ich selber nicht weiß, wie weit es bis zum Tempel ist, muss ich sie schweren Herzens am Straßenrand sitzen lassen.

Ich wandere weiter, immer die nebelverhüllten Gipfel im Auge, irgendwo da oben liegt der Ōtakiji Tempel. Der Gedanke motiviert mich, was habe ich heute schon geschafft, ganz vom Tal bin ich bis in diese Höhe gekommen. Doch ein Auto, das kurz vor mir bremst, reißt mich aus den Gedanken. Ein japanisches Ehepaar winkt mir energisch zu, während ich zwei Pilgerbusse und drei andere Autos ihrer Wege ziehen ließ, denke ich, dass ich für heute meinen guten Willen bewiesen habe. Und da ich nicht wie das Kätzchen im Regen enden möchte, nehme ich diese „Pilgererleichterung“ dankend an. Jetzt beginn hier aber wieder eine Achterbahnfahrt durch die Kurven, doch schneller als erwartet, hat diese Fahrt ein Ende. Es war, um in der Begrifflichkeit zu bleiben, nur noch ein Katzensprung bis zum Tempel.

Exkurs Bangai Tempel Nr. 20 Ōtakiji (大滝寺)
„Der Tempel des großen Wasserfalls“ wurde von Gōgi (668-749) gegründet und man sagt, er habe gleich 3 Statuen von Amida Nyorai als Honzon geschnitzt. Kōbō Daishi hat den Berg ebenfalls besucht, um auf seinem Gipfel die Morgensternmeditation (Gomonjihō) durchzuführen. Der Tempel ist berühmt für seine „Yakunagashi“, was so viel wie „das Unglück wegwaschen“ bedeutet, aber was sich dahinter verbirgt, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber wer ist jetzt wieder Saisho Daigongen, der hier als Honzon (Hauptgottheit) angegeben ist? Nishiteru Daigongen oder auch Amano Oshihi sind Bezeichnung für die gleiche Gottheit. Vermutlich eine Shinto Gottheit (kami), da sie den Titel „Daigongen“ trägt. Angeblich soll dieser Tempel der am höchstgelegenste der gesamten Shikoku Tour sein, sogar höher als das Hauptquartier des Shingon Buddhismus auf dem Koyasan.

Als ich mit meinem japanischen Ehepaar den Tempel betrete, ist da schon eine Pilgergruppe am Sutren rezitieren. Als ich im Tempelbüro einen Pilgerbucheintrag machen lassen, erzählt mich die Frau an. Sie soll mir von meinem großen Wanderkollegen, der vor vier Tagen (also am 21.04.) diesen Tempel besucht hat, liebe Grüße bestellen. Etwas irritiert frage ich nach, ob sie Hajo oder die beiden Berlinerinnen meint, die ich bei Tempel Nr. 46 getroffen habe. Aber ich habe schon richtig gehört, dass es Hajo war, der wohl mit der ausgezeichnet Englisch sprechenden Japanerin hier ein Pläuschchen geführt hat. Jetzt haben auch meine Auto fahrenden Japaner mich hier am Pilgerschalter entdeckt und fragen mich, ob sie mich wieder mit runter nehmen sollen. Ich verneine mit der Begründung, dass ich ein „Arukihenro“, ein Wanderpilger bin. Außerdem sollte der Rückweg, der jetzt nur noch bergab verläuft nicht mehr so schwierig sein. Bei letzterem habe ich mich ganz schön getäuscht und sortiere es unter Pleiten ein, denn mein Abstieg soll meine größte Pleite auf der ganzen Pilgertour werden.

Aber zurück zu meinen motorisierten Wohltätern, die mir als Osettai (Pilgergeschenk) noch eine Flasche Tee und frittierte Nudeln, sie schmecken so ähnlich wie ungesalzene Salzstangen, zukommen lassen. Ich bedanke mich und wir verabschieden uns voneinander. Da der ganze Berg im Nebel hängt, ist es ganz schön schwierig, den Trail zu finden. Doch als ich die Straße am Tempel in Gegenrichtung laufe, zu der ich gekommen bin, sehe ich ein Schild. Hier ist der Trail mit neonfarbenen Bändern markiert, die man bei dem Nebel noch relativ gut sehen kann. Ich folge also den Bändern, merke jedoch schnell, dass der Trail hier nicht ganz „ohne“ ist. Laub hat sich auf dem Weg angesammelt und durch den Regen ist es ziemlich rutschig, zumal es hier steil rauf und runter geht. Innerlich verfluche ich meine Entscheidung den Rückweg zu laufen schon wieder, aber eigentlich sollte die Wegführung des Trail mir nicht allzu große Probleme bereiten. Laut Karte muss ich immer nur, abgesehen von einigen Kurven, geradeaus den Berg herunterwandern, bis ich auf die Straße treffe, die ich hochgekommen bin und ob ich das letzte Stück bis zum Staudamm dann auf dem Trail oder der Straße laufe, „macht den Kohl auch nicht mehr fett“.

Aber wie die Überschrift „Pleiten, Pech und Pannen“ schließen lässt, läuft heute nichts glatt, so verwechsle ich den eigentlichen Trail mit der Feuerschneise. Auf Feuerschneisen, die natürlich durch Bänder markiert sind, werden alljährlich die Bäume und Sträucher zurückgeschnitten, damit das Feuer keine Nahrung finden, um sich weiter auf dem Berg auszubreiten. Nun ja und durch die Kennzeichnung mit den Bändern habe ich wohl den Trail und die Feuerschneise verwechselt. Da ich der Meinung war, dass der Tempel schon am höchsten Punkt lag, ich dementsprechend nur noch talwärts wandern musste, bin ich anstatt den Berg noch weiter hoch zu kraxeln auf der absteigenden Feuerschneise gelandet. Dies bedeutete für mich auf den „absteigenden Ast“ zu sein, da die Schneise um einiges steiler und schwieriger zu überwinden war. Zumal hatte ich meinen, um die 14 kg wiegenden, Rucksack auf dem Buckel, der einen mächtig den Hang herunterziehen kann. Mit einem Stoßgebet an Kōbō Daishi und dem Versprechen es endlich kapiert zu haben, rutsche ich auf dem Hosenboden die Feuerschneise hinab. Wenn ich jetzt an einem betonierten Steilhang rauskomme, bekomme ich echte Probleme, wie soll ich da runter kommen? Ich bin zwar schon an solchen Konstruktionen herausgekommen, doch diese waren immer abgesichert gewesen, da der Trail an ihnen vorbei führte. Wenn ich jetzt auf einen Fluss treffe, hätte ich noch mal Glück gehabt, den an seinen Ufern kann man entlang laufen und ich hätte wieder einen Orientierungspunkt, von dem ich abschätzen könnte, wo ich denn gelandet bin. Nachdem ich so einen kleinen Bach, der hier vom Berg plätschert überwunden habe, komme ich an einem Platz mit Baumaschinen raus. Natürlich kein Mensch in der Nähe, den man hätte fragen können, denn heute ist Samstag, da arbeiten nur die Wenigsten. Hauptsache ich bin wieder im Tal gelandet, dann folge ich einfach der Straße bis in die nächste Ortschaft, doch die Ortschaft lässt auf sich warten. Ich laufe also den ganzen Weg, den ich mich vor Stunden hoch gequält hatte erneut oder warum kamen mir manche Kurven so bekannt vor? Laufe ich nun in Richtung Damm oder wieder in Richtung Tempel, gibt es denn hier nicht mal Straßenschilder, die mir Auskunft darüber geben können, auf welcher Straße ich eigentlich laufe? „Namu daishi henjo kongō“, denke ich bei mir, nur nicht fluchen oder die Ruhe verlieren.

Ich quäle mich erneut die Straßen hoch, doch endlich sehe ich ein Haus. Doch leider sind alle ausgeflogen. Als ich klopfe rührt sich nichts im Inneren. Ich wandere weiter, doch ich merke, dass das Wandern ohne das Ziel zu kennen bzw. ohne zu wissen, dass man auf den richtigen Weg ist, ganz schön anstrengend ist. Wenn ich mich früher damit motiviert habe, dass ich das, was ich jetzt am Berg an Höhenmeter erarbeite beim Abstieg genießen kann, weiß ich jetzt nicht einmal weiß, ob ich in die richtige Richtung laufe. Auch dass der Berg meilenweit von der nächsten Stadt entfernt liegt, baut mich nicht gerade auf. Ich fühle mich jetzt wie die nasse Katze von vorhin. Nass, hungrig und allein.

Plötzlich überholt mich ein Auto, aber ich war so im Gedanken versunken, dass ich nicht gleich reagieren kann. Das nächste Auto stoppst du, denke ich so bei mir, und wenn das Bergmonster persönlich am Steuer sitzt. Das schaffst du vor Sonnenuntergang nicht mehr, du bis zu kaputt. Und oh Wunder, mein Bitte wird erhört, obwohl sich meine Bergmonster dann als greiser Japaner herausstellte, der kein Wörtchen Englisch versteht und dessen Japanisch auch mir unverständlich ist und auch das Auto eigentlich zu klein ist, als dass ich mich hätte hineinquetschen können. Aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg! Und als der alte Herr, ich hatte ihm berichtet, mich auf dem Rückweg zum Tempel verlaufen zu haben, mich an mein Ziel bring, schießen mir dann doch die Tränen in die Augen. Anstelle mich in der nächsten Ortschaft rauszuschmeißen, hat er mich doch wieder zum Tempel Nr. 20 gefahren!

Aber mal ehrlich - bei den ganzen Kurven, bin ich mir nicht mal sicher, dass wir an der richtigen Seite des Berges entlang gefahren sind. Aber so bedanke ich mich recht herzlich und stehe wieder wie der sprichwörtlich begossene Pudel – Pardon - Kätzchen vor dem Pilgerschalter. Ich klingle und mir wird aufgetan, ich erzähle der netten Frau des Tempeloberhaupts von meiner Odyssee und frage nach Abschluss meiner Erzählung, ob es im Tempel eine Übernachtungsmöglichkeit gibt. Leider nicht, da zurzeit alles renoviert wird. Wenn es dicke kommt, dann extrem! Völlig aufgelöst reicht man mir eine Tasse „Milch- Tee“ und der Tempelvorsteher holt einen Fön, damit ich meine Schuhe trocknen kann. Die Frau ist mit dem Tempelpriester verheiratet. Priestern ist es in Japan nämlich erlaubt zu heiraten, wenn sie nicht gerade das Zölibat geschworen haben. So ein Priester ist ein Ausbildungsberuf wie jeder andere, nach mehrjähriger Ausbildung erhält derjenige, der sich bis zum Ende durchschlägt, sogar eine offizielle Lizenz, die bestätigt, dass er einen Tempel führen darf und mit allen Ritualen vertraut ist.

Auf alle Fälle erklärt mir diese Frau, ich schätze sie so um die 50 (obwohl das bei Japanerin immer recht schwierig ist), dass sie sich in ihrer Jugend auch verlaufen hatte. Sie ist auch auf der Pilgerreise der 88 Tempel gewesen, als sie sich vor Tempel Nr. 13, ich erinnere einen Bergtempel mit steilen Treppen, stundenlang im Wald verlaufen hatte. Sie ist dann auf nette Leute getroffen, die ihr geholfen haben und jetzt möchte sie dies mir angedeihen lassen. Sie fragt mich, ob ich mit ihr und ihrem Sohn einen Onsen (Thermalbad) besuchen möchte. Ein heißes Bad kann nicht schaden, denke ich so bei mir, und wo ein Bad ist, muss doch auch eine Ortschaft sein, wo mit größtem Glück auch ein Hotel zu finden ist. Aber alles der Reihe nach. Wir fahren also mit dem Auto ihres Sohnes zum Onsen. Meine Güte fegt er um die Ecken, das ist wie besagte Achterbahnfahrt. Aber auch der Weg, vom Gefühl fährt er den Weg zurück, den ich mit den anderen Pilgern per Auto absolviert hatte, verläuft hier total verschlungen.

Die Frau erklärt mir, als wir im Onsen eintreffen, dass ich zuerst ein Zimmer beziehen soll, danach werden wir gemeinsam zu Abend essen und uns dann dem heißen Wasser der Thermalquelle hingeben. Mir ist zurzeit alles egal, selbst als sie mir sagt, dass das ein Pilgergeschenk an mich ist, kann ich nicht lange Widerstand leisten und bedanke mich herzlich. Beim Essen plaudere ich mit ihr und ihrem Sohn, er ist der zweitälteste und soll den Tempel mal übernehmen, über die Shikoku Pilgerreise, dass ihr ältester Sohn in den USA als Molekularbiologe arbeitet und wie ich nun mit Hajo zusammenhänge. Nach dem Essen, will ich noch ein Handtuch und frische Wäsche aus meinem Zimmer holen. Der junge Mann gibt mir noch die Telefonnummer von einem „Kult-san“, der viele Sprachen u.a. auch Deutsch sprechen soll und auf dem Koya-san lebt. Da ich weiß, dass die japanischen Bäder je nach Geschlecht getrennt werden, verabschiede ich mich von dem jungen Mann, ihn werde ich heute wohl nicht mehr sehen. Aber mit der Mutter würde ich jetzt gerne zusammen ein Bad nehmen. Ungläubig erklärt sie mir, dass da unten laute nackte Japanerinnen sein werden, die wirklich „splitterfasernackt“ sind. Das ist mir klar, erkläre ich ihr, denn das ist nicht mein erstes Mal in einem japanischen Bad. Als ich dann noch die Begriffe „Ofuro“ (japanisches Bad) und „Sentaku“ (jap. Wäsche wie Waschmaschine) durcheinander bringe, bekommen ihre Augen doch wieder so einen fragenden Blick. Apropos Fragen – ich würde gerne noch wissen, wo ich mich denn hier eigentlich befinde. Aber als ich ihr die japanische Karte hinhalte, findet sie es nicht. Na ja, zur Not kann ich an der Rezeption morgen fragen. Auf ins heiße Ofuro, das habe ich mir heute redlich verdient! Leider trage ich im Bad keine Brille, so dass ich nach den erfolgten Badegängen einer falschen Frau in die Umkleide folge. Ich bin schon fertig, als meine nette Priestergattin schließlich den Umkleideraum betritt und erst da bemerke ich meinen Fehler. Ich bedanke mich nochmals herzlich bei ihr, dabei habe ich schon eine Revanche im Hinterkopf, so ein „Care-Paket“ aus Deutschland zur Weihnachtszeit. Ich verabschiede mich und gehe wieder auf mein Zimmer. In dieser Nacht kann ich wie ein Murmeltier schlafen, da ich mich heute mental wie physisch total verausgabt habe.

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