Karte von Shikoku mit den 88 Haupt- und 20 Nebentempeln


Montag, 5. Oktober 2009

Mittwoch, der 25. März 2009, Tokushima, Minami Town, Hiwasa Jugendherberge

Der zehnte Tag in Japan

Um 7.00 Uhr klingelt Hajos Wecker zum Aufstehen. Leider gibt es nur ein improvisiertes Frühstück, da wir mit dem Herbergsvater nicht reden können bzw. er auch mein Japanisch nicht versteht oder verstehen will. Wir haben hier nur Tee und Kaffee, aber zusammen mit unserer mitgebrachten Notration Kekse bekommen wir dann doch noch etwas in den Magen. Leider hat der Bäcker, ich kann den Namen „Sogoda“ vom Fenster aus lesen, auf der gegenüberliegenden Straßenseite noch nicht geöffnet. Hier machen die Geschäfte meist erst gegen 10.00 Uhr auf, es sei denn, die Besitzer sind Frühaufsteher oder es handelt sich um einen großen Supermarkt. Kombinis wie Lawson, Sunkus oder auch Daily Yamasaka haben 24 Stunden geöffnet, diesen Service gezahlt man aber auch mit höheren Preisen und geringerer Auswahlmöglichkeit.

Wir lassen unsere Rucksäcke im Youth Hostel (Jugendherberge), um zu Tempel Nr. 23 (Yakuōji) zu spazieren. Die Rucksäcke deponieren wir, in Ermangelung des Herbergsvaters, den man hätte fragen können, direkt am Ausgang. Bis zum Tempel Nr. 23 ist es nur ein Katzensprung

Exkurs Tempel Nr. 23 Yakuōji (薬王寺)
„Der Tempel des Medizin-Königs“, wie die direkte Übersetzung des Namens Yakushi Nyorai bedeutet, wurde vom Priester Gyōgi im 8. Jahrhundert gegründet. Wie schon im Tempel Nr. 22, in dem man Heilung seiner Leiden erfahren kann, wenn man der Hauptgottheit huldigt, geht man in diesem Tempel noch einen Schritt weiter und kann hier sogar von seinem Unglück befreit werden. Zu diesem Zweck hat Kōbō Daishi im Jahre 815, als er selber 42 Jahre alt war, eine Art Exorzismus abgehalten, der die Öffentlichkeit vor Unheil bewahren sollte. Nach japanischem Glauben gibt es Lebensjahre, in denen der oder die Betroffene besonders anfällig für Unglück und Missgeschicke ist. Die besonders gefährlichen Jahre des Unglücks sind für Männer 41, 42 und 61, für Frauen 32, 33 und 61. Ebenfalls noch gefährlich, wenn auch im geringerem Maße sind die Jahre 1, 6, 7, 15, 16, 19, 24, 25, 28, 34, 37, 43, 46, 51, 52, 55, 60, 64, 69, 70, 78, 79 und 82. Es gibt also für fast jedes Lebensjahr die Option, zum Priester zu gehen und ein Ritual abzuhalten, um sein Unglück zu wenden. Als „Yaku-Yoke“ wird dies im Japanischen bezeichnet, wobei man selbst „Schmied seines Glücks“ spielen darf. Denn hier im Tempel gibt es spezielle Treppen (yakuzaka; „Treppen des Unglücks“), mit 42 Stufen für Männer und 33 für Frauen, auf denen man nach dem Betreten das Mantra (Wortformel) von Yakushi Nyorai (Medizin-Buddha) rezitiert und je Stufe eine Münze (natürlich Kleingeld! 1- und 5-Yen-Münzen) niederlegt. Die Treppen enthalten 1000 Kopien des Medizin-Buddha Sutras, wobei jedes Zeichen bzw. Silbe auf einem Stein geschrieben wurde. Die letzte Treppe mit 61 Stufen bis zur Haupthalle ist wieder Symbol für das „verflixte“ 61. Lebensjahr bei Frauen und Männern.
Kōbō Daishi hat hier auf Geheiß des damaligen Kaisers Heizei (774-824; 51. Kaiser Japans - Tennō) nicht nur den Exorzismus abgehalten, sondern auch die Statuen des Yakushi Nyorai geschnitzt. Es handelt sich um zwei Statuen, die Rücken an Rücken sitzen (ushiro muki yakushi). Laut Legende soll im Jahre 1188, während eines Brandes, die eine Teilstatue entkommen und nach Westen zum Berg Tamazushi geflogen sein! Erst Später, nachdem Kaiser Gosaga (1220-1272; 88. Tennō) den Komplex wiederaufbauen ließ und eine neue Statue einweihen wollte, kam der Exilant zurück und nahm seinen alten Platz, Rücken an Rücken, mit der neuen Statue wieder ein.
Kōbō Daishi hat, da er selbst im 42. Lebensjahr stand, noch 12 weitere Statuen geschnitzt, die Mond, Sonne und Sterne symbolisieren und Yakushi Nyorai unterstützten sollten.
Der Gong am Haupttempel wird auch Zuikyū no kane („Gong von Zuikyū“) genannt: Läutet ein Pilger diesen in der Anzahl seiner Lebensjahre, so bringt es ihm Glück. Die 28 Pfeiler im Haupttempel sollen 28 Stern-Gottheiten repräsentieren. In einer Art Pagoden-Turm (Yugitō), der 1964 erbaut wurde und ein pagodenartiges Dach ohne Stufen besitzt, werden die Statuen von Gochi Nyorai und Dainichi Nyorai verehrt. Hier sind auch die Schiffsmodelle zu bewundern, deren Vorbilder aus Seenot gerettet worden sind. Der Tempel ist nämlich auch der Sicherheit von Seeleuten gewidmet. Von hier hat man einen tollen Blick auf die Bucht von Hiwasa und Hiwasa Castle. Doch Vorsicht, das allzu perfekte Fotomotiv der Insel mit dem Schloss wurde erst 1960 als Touristenattraktion erbaut.

Da Hajo gerade in seinem 61. Lebensjahr steht und ich mit meinen 37 Lenzen auch ein wenig mehr Fortuna gebrauchen könnte, ist dieser Tempel nicht nur aufgrund des Eintrags im Pilgerbuch (nōkyōcho) für uns interessant. Da wir diesmal die Erläuterungen zu den einzelnen Tempeln, die Hajo von der Turkington Seite im Internet ausgedruckt hat, bereits gestern Abend gelesen haben, wissen wir um die Bedeutung der Münzen auf den Treppenstufen und, dass es im Pagodenturm Schiffsmodelle zu sehen gibt.
Der Gong des Zuikyū ist aber kein Gong wie wir ihn als Waniguchi Gong mit Seil kennen, sondern eher eine Klangscheibe, die mit einem hölzernen Hammer angeschlagen wird. Als wir die Schiffsaustellung suchen, bekommt Hajo Hilfe von einem Fahrrad-Pilger, den er angequatscht hat. Zur gleichen Zeit frage ich im Pagodenturm die Putzfrau, wo denn die „fune“ (Schiffe) zu finden sind. Sie lässt uns rein und wir folgen der Dame in den Keller, wo neben den besagten Schiffsmodellen, noch ausgediente Tempelspitzen, Statuen, Mandalas und andere Bilder ausgestellt werden. Besonders interessant finde ich eine Bildreihe, die zeigt, wie ein toter Mensch über mehrere Verwesungsstadien wieder zu Staub wird, aber auch moderne Ölgemälde zieren hier die Wände. Die Frau lässt uns in Ruhe alles erkunden, da sie zurück zu ihrer Arbeit muss. Mir fällt gerade ein, dass wir nicht mal Eintritt bezahlen mussten!

Da wir noch das Schildkrötenmuseum besuchen wollen, müssen wir uns jetzt aber von der herrlichen Aussicht über die Buch losreißen. Wir laufen die Straße zurück in Richtung Jugendherberge, sogar der Bäckerei - pardon - die Konfiserie, ist jetzt geöffnet. Hajo kauft sich eine, in meinen Augen viel zu kleine, Portion Crème brûlée und ich genehmige mir so ein mit Vanillecreme gefüllten Windbeutel, die wir am Strand verspeisen. Hier probiere ich auch das erste Mal Crème brûlée, eine französische Süßspeise, deren Deckel meist mit einem Bunsenbrenner karamellisiert wird. Nach dieser Stärkung besuchen wir das Schildkrötenmuseum. Es werden 600 Yen Eintritt fällig und wir durchwandern die menschenleere Ausstellung über Ursprung, Artenvielfalt und Fortpflanzung der Schildkröten. In große Aquarien werden diverse Arten gehalten und im Außenbereich gibt es Gehege, wo verletzte Tiere hochgepäppelt werden, um sie später wieder in die Freiheit zu entlassen. Zur Erinnerung machen wir noch einen Schildkrötenstempel auf ein Stück Papier. Japan ist das Land der Stempel und Stempelbild-Sammler, jedes Museum aber auch Bahnhof, der was auf sich hält, hat irgendwo eine Ecke eingerichtet, in der man Stempel und Stempelkissen findet. Meist kann man sogar noch das Datum einstellen, an dem man die Örtlichkeit besucht hat. Jetzt wird es aber Zeit, uns auf den Weg nach Sabase zu machen, wo wir den Bangai Tempel Nr. 4, den Saba Daishi, besuchen wollen. Da es Hajos Fuß noch immer nicht besser geht, die Achillessehen bzw. das Schienbein zwingen ihn zum Humpeln, geht es erstmal mit dem Zug weiter.

Am Bahnhof von Hiwasa, wir haben auf dem Hinweg unsere Rucksäcke aus der Jugendherberge geholt, ohne den Herbergsvater zu sehen, kaufen wir Fahrkarten. Doch man erklärt uns, dass wir in Mugi umsteigen müssen. Hier sitzen wir dann mal wieder eine Station vor dem Ziel fest, da nur wenige Züge fahren. Eine ältere Frau biete und so eine Art Kartoffelchips als Osettai (Pilgergeschenk) an. Als wir so dasitzen und unsere Chips mampfen, hält ein Taxi vor dem Bahnhof und ein Ausländer mit einer sehr großen Reisetasche springt heraus. Wir kommen ins Gespräch und er erzählt uns, dass er Engländer ist und die Familie seiner japanischen Frau besucht hat. Da er was von der Insel sehen wollte, haben die ihm gleich eine Pilgerrundreise vorgeschlagen und ihm ein Pilgerbuch (nōkyōcho) in die Hand gedrückt. Da er nur wenig Japanisch spricht, organisieren seine japanischen Freunde sein Vorankommen mit Bahn, Bus und Auto. Aber für einen Shikoku Reisenden hat er meiner Meinung nach die falsche Kleidung und viel zu viel Gepäck dabei. In Tokyo könnte er damit als Geschäftsmann durchgehen, aber hier auf Shikoku kommt er mit den edlen Tretern zu keinem Tempel hoch.
Wir erzählen ihm von unseren Reiseplänen, doch als er mich fragt, ob ich Hajos Frau bin, bin ich dann doch etwas beleidigt. Hallo, Hajo könnte mit den 24 Jahren Altersunterschied glatt mein Vater sein. Er rettet sich mit der Begründung, dass es hier in Japan durchaus üblich ist, dass ältere Männer 20 Jahre jüngere Frauen hätten. Das fällt nur nicht so auf, weil man als Ausländer das Alter der Japaner schlecht einschätzen könne. Leider trennen sich unsere Wege wieder, da er sich wohl doch überlegt hat, mit dem Zug zu fahren. Wir jedoch können nach einer längeren Wartezeit eine Station später am Bahnhof von Sabase aussteigen. Bahnhof, das impliziert eine Örtlichkeit mit einem Hof, doch hier ist lediglich ein kleiner Unterstand auf der verbreiterten Zugplattform errichtet worden. Und auch nach dem Bangai Tempel müssen wir etwas suchen, da kein Tor und keine Pagode uns den Weg weisen.

Exkurs Bangai Tempel Nr. 4 Saba Daishi Honbō/Yasakaji (鯖大師/八坂時)
Der Tempelname Saba Daishi („Makrele des Daishi“) hat etwas mit einer Legende zu tun, aber auch andere Name Yasakaji („Tempel der 8 Steigungen“), erschließt sich dem Pilger nicht ohne Weiteres. Gegründet von Kōbō Daishi, aber ursprünglich von Gyōgi erbaut, beruft man sich bei der Verehrung Kōbō Daishis in diesem Tempel auf folgende Legende: Als Kōbō Daishi auf seiner Wanderpilgerschaft hier einen Mann bat, der ein mit getrockneten Makrelen beladenes Pferd mit sich führte, ihm doch eine Makrele zu schenken, lehnte der Mann dies ab und ging seiner Wege. Doch plötzlich brach das Pferd mit Kolik zusammen, und es schoss dem Mann durch den Kopf, dass es wohl eben der berühmte Priester gewesen ist, von dem er schon so viel Gutes gehört hatte. Er lief also schnell zu Kōbō Daishi zurück und bat um Vergebung und fragte ihn, ob er nicht sein krankes Pferd heilen könnte. Kōbō Daishi verwandelte Seewasser in Medizin für das Pferd, welches augenblicklich genesen war. Nun fragte der Priester den Mann abermals nach einer Makrele. Als er diese erhielt, warf er sie ins Meer und das Tier ward wieder lebendig und schwamm davon. Der Mann jedoch war sich jetzt sicher, Kōbō Daishi vor sich zu haben: Er kniete nieder und schwor sein Leben dem Buddhismus zu weihen. Ein Standbild Kōbō Daishis mit einer Makrele in Händen erinnert noch heute an diese Begebenheit. Der Name „Tempel der 8 Steigungen“ rührt daher, dass der Tempel im Nationalpark von Yasaka Yama liegt, der hier 8 Steigungen und 8 Strände umfasst, wobei der Tempel zwischen Strand Nr. 4 und Steigung Nr. 5 liegt.

Es gibt kein hölzernes Tor, dafür stehen hier die Wärterfiguren in Stein vor dem Daishi- (Dasihi-Halle), die die Statue Kōbō Daishis mit einer Makrele in der Hand zeigt. Aber auch andere Makrelen in Holz und in Stein kann man hier besichtigen. Ein Kran steht zurzeit hinter der Haupthalle, die Kōbō Daishi gewidmet ist. Wenn ich die Schilder richtig deute, die hier aufgestellt sind, so wird wohl gerade eine zweistufige Pagode errichtet. Meist haben Pagoden entweder 5 Stufen, für die fünf Elemente (Raum, Wind, Feuer, Wasser und Erde) und werden dann Gojūtō genannt bzw. die dreistufigen Sanjūtō. Man stellt diese mehrstufigen Pagoden (tajūtō) den einstufigen, sogenannten Schatzpagoden (tahōtō) gegenüber. Solche Schatzpagoden sind nur im Shingon Buddhismus verbreitet.
Als Nebengottheit gibt es eine Kannon Statue, es ist eine der seltenen Kannon Bildnisse, die einen Pferdekopf (Bato Kannon) aufweisen, eine Fudō Myōō Wächter Statue und etliche klein Jizō Figuren. Es gibt hier einen Gang, in dem wohl alle 88 offiziellen Haupttempel der Pilgerreise in Form von Standbildern dargestellt sind. In manchen Tempeln, nicht nur hier auf Shikoku, gibt es die Möglichkeit eine kleine Express-Pilgerreise durchzuführen, indem man an solcher Sammlung von steinernen Bildnissen, die für die einzelnen Tempel stehen, sein Gebet spricht.
Leider habe ich nicht so genau die Schilder studiert, sonst wäre mir wohl aufgefallen, das es zwei Gänge sind: Der eine Gang mit den 88 Tempeln von Shikoku führt zur achteckigen Halle außerhalb des eigentlichen Tempelgeländes, während der andere wohl die 33 Tempel einer Kannon Pilgertour symbolisieren soll und in einem Gebäude endet, das hier als Pilgerhalle bezeichnet wird. Da es mehrere Kannon Pilgerreisen gibt, die Saikoku im Gebiet Kansai (ōsaka und Kyoto), die Banō im Gebiet Kanto (um Tokyo) und Chichibu im Saitama Gebiet, weiß ich nicht welche Pilgertour hier aufgebaut ist. Doch auch hier müssen wir uns jetzt loseisen, da wir heute noch bis Kap Muroto bzw. bis zum Tempel Nr. 24, dem Hotsumisakiji, kommen wollen.

Als wir am Bahnhof, in der „Bahnhütte“ sitzen, fällt mir ein Streckenplan der Shikoku Bahn ins Auge: Das ist ja toll, auf der einen Seite alles in Japanisch – so mit Kanji (japanische Schriftzeichen) und auf der anderen Seite alle in Romaji (lateinische Zeichen), noch dazu regensicher in Folie eingeschweißt. Kurzerhand ziehen wir unserem neuen Reisebegleiter die Reiszwecken aus den Ecken, mit den er am der Holzwand befestigt ist, und verhelfen ihm so zu neuen Abenteuern, die er sicherlich mit uns haben wird, wenn wir ihn aus unserer Tasche zücken.

Für 380 Yen fahren wir von Sabase nach Kaifu, steigen hier um, um für weitere 350 Yen nach Kan-noura zu fahren. Hier endet die Asa-Kaigan Railway. Ab hier geht es mit dem Bus weiter zum Kap Muroto. Die Strecke ist mindestens 40 km lang und mit schlechtem Gewissen sehen wir die „ordentlichen“ Fußpilger, die die Straße entlang laufen. Unser schlechtes Gewissen wir noch größer, als uns mitreisende Pilger, natürlich alles ältere Herrschaften, auch noch Klementinen als Osettai anbieten. Wir sind nicht viele in diesem Bus, aber am Ende mampfen alle Klementinen – eine Runde Vitamin C für alle!
Auf dieser Strecke verlassen wir auch die Präfektur Tokushima, wir haben unser erstes Dōjō (Trainingsraum) von vieren durchquert. Es gibt nicht nur 4 Präfekturen auf Shikoku, Shikoku bedeutet so viel wie „4 Länder“, sondern jeder Präfektur wird auf dieser Pilgerschaft eine Art Trainingsraum zugewiesen: Tokushima steht für das Erwachen (des Glaubens), unsere nächste Präfektur Kochi für die religiöse Disziplin, die Präfektur Ehime für die Erleuchtung und die letzte Präfektur Kagawa für Nirvana, also das Ende der Wiedergeburten.

Auf dem Weg sehe ich wundervolle Fotomotive, Küsten, Strände, bizarre Felsformationen und sogar eine riesige, weiße Kōbō Daishi Figur - vielleicht vom Mikuradō Tempel? Aber das kann ich leider nicht erfragen, weil ich im Bus sitze und all die herrlichen Eindrücke nur durch eine regenfleckige Scheibe an mir vorbeiflitzen sehe. Wir steigen an der Muroto-misaki Bushaltestelle aus, finden aber den Muroto-so Ryokan nicht. In einem kleine Cafe fragen wir nach und treffen auf ein Grüppchen von drei Damen, die wir glaube ich schon mal im Tempel Nr. 23 gesehen haben. Mit der Hilfe dieser Damen schaffen wir es, die Kellnerin dazu zu bewegen, doch für uns im Muroto-so anzurufen. Es wäre doch ärgerlich, wenn wir bis dorthin wandern würden und alle Zimmer wären belegt. Es läuft alles glatt, wir bedanken uns recht herzlich bei unserem „Cafe-Kränzchen“. Auf dem Weg zum Ryokan kommen wir an einem Samurai Standbild vorbei. Ich habe lange im Internet recherchieren müssen, um herauszufinden, dass es sich um Shintaro Nakaoka (1838-1867; ich ziehe, wie in Europa üblich, die Familiennamen nach) handelt. Er war Freund und Weggefährte von Ryoma Sakamoto, einem Samurai, der Wegbereiter für die sogenannte Meiji-Restauration 1868 war, in der die politische Macht von Shōgun (Militärmachthaber) wieder auf den Tennō (Kaiser) übertragen wurde und dies Ausgangspunkt für tiefgreifende Modernisierung und Umstrukturierung des japanischen Gesellschaft war. Aber später mehr zu Ryoma Sakamoto, einem der berühmtesten Männer Japans. Dieses Standbild soll in Richtung Kochi blicken, wo am Strand von Katsurahama als Pendant ein Standbild von Ryoma Sakamoto errichtet ist. Als wir dem Ryokan näher kommen, steht schon eine Frau vor dem Haus und winkt uns zu.

Wir beziehen schnell unser Zimmer, legen unser überschüssiges Gepäck ab und eilen den steilen Weg, der einige Meter vor dem Ryokan in Richtung Berg geht, hoch. Wir kommen an der Höhle vorbei, in der Kōbō Daishi die Erleuchtung erlangt haben soll, passieren noch so ein eigenartiges Denkmal aus Beton.

Exkurs Tempel Nr. 24 Hotsumisakiji (最御崎寺)
Im Jahre 797, als Kōbō Daishi 23 Jahre alt war, habe er hier am Kap Muroto in der sogenannten Mikuradō Höhle die Erleuchtung erlangt, indem er die Kokuzō Gumonji Sutra 1 Mio. mal rezitiert hat, was 3 Jahre gedauert haben soll. Danach sei ihm der Morgenstern in den Mund geflogen und er wurde sich der Heiligkeit dieses Ortes bewusst. Er änderte seinen Namen in Kūkai, was so viel wie „Himmel und Meer“ bedeutet, da sein Herz so hoch wie der Himmel und so weit wie das Meer sein sollte, damit er die Menschheit retten konnte.
815 gründete Kūkai den „Tempel von Kap Muroto“ oder auch „Der Tempel des Ostens“ wie er im Bezug zum übernächsten Tempel der Pilgertour, dem „Tempel des Westens“ (Nr. 26 Kongōchōji) genannt wurde. Kūkai oder Kōbō Daishi („Großer Meister der Dharma-Verbreitung“), wie sein Ehrentitel nach seinem Tod lautet, schnitze die Hauptgottheit Kokuzō Bosatsu. Viele aufeinanderfolgende Kaiser und auch Mitglieder des Ashikaga Shogunats (1338-1573) haben diesen Tempel für ihre Gebete für die Provinz Tosa ausgewählt, so erblühte der Tempel durch die Spenden seiner Gönner. Heute gibt es noch bemerkenswerte Bildnisse der Nyoirin Kannon, die eine Wunscherfüllungsperle in der Hand hält, von Gakkō, der Mondlicht Gottheit, und Yakushi, dem Buddha der Medizin und Heilung, die als Nationale Schätze geführt werden. Frauen war der Zugang zum Tempel, der ca. 300 Höhenmeter über der Mikuradō Höhle liegt, früher verboten. Einer Legende zufolge soll Kōbō Daishi in der Höhle der „sich drehenden Winde“ den vom Ozean kommenden Wind, unter dem die Einwohner zu leiden hatten, umgelenkt haben. Es wird gesagt, dass diese Höhle jetzt Zuflucht für Seelen von verstorbenen Kindern sei. Bemerkenswert sind ferner die „Glockensteine“, die hier im Tempelbezirk aufgestellt sind und deren Klang in die „andere Welt hinüber klingen“ soll. Sie sind so gelagert, dass wenn man mit einem kleinen Stein auf sie schlägt, anstelle eines „Klack“, wie man es von Steinen gewohnt ist, eher ein „Klang“ hören kann. Ich denke, diese Steine weisen einen hohen Metallanteil auf, so dass sie sich wie Glocken anschlagen lassen. Leider konnte ich keine näheren Infos zum Thema finden.

Der Pfad ist hier mal wieder sehr steil, aber mit unserem leichten Gepäck, haben wir auch die letzten Treppen schnell überwunden. Wir treffen hier im Tempel, nachdem wir unseren Pilgerverpflichtungen nachgegangen sind, sogar unseren Fahrradfahrer von Tempel Nr. 23 wieder. Die Aussicht von hier oben, vor allem, wenn man die kleine Straße bis zum Leuchtturm läuft, ist atemberaubend. Wir hätten natürlich auch die Autostraße hoch laufen können, aber die mäandert hier derartig am Berg, dass wir wohl nicht mehr pünktlich im Tempel angekommen wären. Hajo erzählt mir, dass unser Fahrradfahrer im gleichen Ryokan untergekommen ist wie wir. Hajo hat sich mit ihm zum Abendessen verabredet, da der Bursche richtig gut Englisch spricht. Auf dem Rückweg von unserem Ausguck über dem Meer besuchen wir noch die Mikuradō Höhle, obwohl ich mir anfangs gar nicht so sicher bin, das es sich um die berühmte Höhle handelt, da alles voller Grünzeug ist. Hätten wir die Steinfiguren nicht gesehen, wären wir an dem dunklen Loch doch glatt vorbeigelaufen. Noch ein kurzer Abstecher zum Strand, wo ich einige Steinchen und Korallenstücke einsammle, um ein Andenken an Kap Muroto zu haben, und schon sind wir wieder in unserem Ryokan und bereiten uns auf das Abendessen vor. Mir ist das Wasser im Bad mal wieder viel zu heiß und ich nehme nur eine kurze, aber heiße Dusche. Als ich im Vorraum auf die Waage steige, bin ich etwas verwundert, da ich trotz der Strapazen der letzten Zeit, nicht ein Gramm abgenommen habe. „Fett wird durch Muskeln ersetzt“, denke ich so bei mir und hoffe, dass ich recht behalte. Als wir dann, zur Feier des Tages in Yukata (Baumwollkimono; Ryokan Kleidung) in den Esssaal kommen, sitzt da schon unser Radler. Hajo fällt ein Tischnachbar auf, der dem Oberhaupt der tibetischen Buddhisten, dem Dalai Lama, verblüffend ähnlich sieht. Später frage ich den total verwunderten Japaner, ob ich ein Foto von ihm machen darf, das mit der Ähnlichkeit erwähne ich natürlich nicht. Während des Essens erfahren wir von unserem Fahrradpilger, dass er jetzt Koch bei seinem Vater ist, und der hat ihn auch dazu „genötigt“ diese Pilgerreise zu machen. Es mit dem Rad zu absolvieren, war seine Idee, aber eigentlich ist er passionierter Karate Lehrer. Leider hat sich einer seiner Schüler beim Training einen Arm gebrochen, das hat ihn dann so aus der Bahn geworfen, dass er keinen mehr unterrichten mag. Das klingt jetzt etwas hart, aber hier in Japan werden noch andere Karate Stilrichtungen praktiziert und beim Kyoshin Kai Karate, in dem Bruchtests mit Holzlatten zum Prüfungsprogramm gehören, ist eine Verletzung nicht selten. Aber er ist ein junger Trainer und muss selber erst lernen Trainer zu sein, erkläre ich ihm. Später, als ich wieder in Deutschland bin, bekomme ich von ihm sogar noch eine E-Mail. Ich ermuntere ihn, seinen Traum nicht an den Nagel zu hängen, da er auf mich wirklich einen verantwortungsvollen und enthusiastischen Eindruck gemacht hat. Was wäre aus den großen Karateka (Karatekämpfer) Japans geworden, wenn sie sich nicht zugestanden hätten, auch mal Fehler zu machen und daraus gelernt hätten. Man muss immer einmal mehr aufstehen als dass man hingefallen ist, dann geht die Rechnung auf.

Als ich mich an diesem Abend in meinen Futon kuschle, bemerke ich, dass mein Handgelenk schmerzt. Eine Überlastung durch meinen Gehstock oder habe ich etwa zu viele Fotos geschossen und mir jetzt so eine Art Sehnenscheidenentzündung geholt. Der morgige Tag wird es ans Licht bringen, ab jetzt laufe ich mit dem Wanderstock in der linken Hand.

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