Der 47. Tag in Japan
Auch diese Nacht schlafe ich wie ein Karnickel – ich schlafe nicht richtig tief, da ich befürchte, morgen nicht rechtzeitig aufzuwachen. Da meine beiden Zimmergenossinnen die Gardinen zugezogen haben, funktioniert mein Trick, die Vorhänge offen zu lassen, damit mich das erste Sonnenlicht weckt, nicht. Außerdem schnarcht die dickere der beiden leise vor sich hin. So komme ich nicht umhin, mitten in der Nacht um 3.30 Uhr meinerseits für Krach zu sorgen, als ich zur Toilette schleiche. Die schweren Türen in der Jugendherberge schließen von selbst und so muss man höllisch aufpassen, damit eine solche nicht laut ins Schloss fällt. Ich bin schon früh wach, ich habe ja nicht viel geschlafen und lauere auf das Frühstück, das es um 7.45 Uhr geben soll. Glücklicher Weise gibt es vor dem Frühstücksraum einen Internetterminal, wo man für 100 Yen 10 Minuten surfen kann. Nachdem ich mich beim Frühstück gestärkt habe, es gibt hier super leckere Minichroissants, mache ich mich auf den Weg zum Kansai Airport. Weder von der Fluggesellschaft noch von „Upandgo“ habe ich eine Antwort auf meine E-Mails erhalten. Ganz schön ärgerlich, wenn man so in einem fremden Land fest hängt und keinen Ansprechpartner hat.
Ich verlasse also den schönen Park, in der Japans größte Jugendherberge liegt, und schlendere zum Bahnhof Hagoromo. Von hier nehme ich den Llt. Express, der jedoch wieder einmal zwei Stationen vor dem Ziel Kansai Airport endet. Man sollte eben genau darauf achten bis zu welchem Bahnhof der Zug fährt („bound for“) und nicht in blind darauf vertrauen, dass hier alle Züge auf die künstliche Insel in der Buch von Ōsaka fahren. Ich steige also nochmals um und betrete kurz darauf die Flugschalterhalle. Den Flugschalter finde ich sofort, heute ist er auch geöffnet, da in nicht mal zwei Stunden ein Flieger nach Helsinki startet. Ich frage höflich am Schalter nach, ob sich mein Flug umbuchen lässt. Eigentlich glaube ich nicht, dass es möglich ist, da Mutter und Tochter aus Berlin auch nicht umbuchen konnten. Aber ich versuche es und die Stewardess am Schalter fragt telefonisch nach – das nährt meine Hoffung. Aber von der Aussicht heute endlich nach Hause fliegen zu können, meinen Eltern endlich von meinen Abenteuern berichten zu können, falle ich dann auf den Boden der Tatsachen zurück. Ein Umbuchen ist nicht möglich und für den heutigen Flug müsste ich 2500 Euro bezahlen. Ich verdrücke mir eine Träne - für das Geld könnte ich die Shikoku Tour fast nochmals laufen, aber auch für das Geld einer Neubuchung, es würde so 700 bis 800 Euro kosten, könnte ich noch einige Zeit hier in Japan überleben.
Ich beschließe also meine knapp 3 Wochen dazu zu nutzen, mir die Orte in Japan anzusehen, die ich noch nicht kenne. Aber das größte Problem ist, dass ich so aus dem Stehgreif keine Idee habe, was ich besuchen möchte und mich bei dem Überangebot an interessanten Orten auch nicht entscheiden kann. Da fällt mir die Touristeninformation ein, die ich schon am Anfang meiner Shikoku Reise zusammen mit Hajo besucht hatte. Hatte ich dort nicht ein Prospekt („World Heritage Pilgrimages Routes – Way of St. James & Kumano Kodo“) in der Hand, wo der japanische „Kumano-Kodo“ mit dem spanischen Jakobsweg verglichen wurde. Ich suche das Prospekt, leider ist in ihm nicht die exakte Route verzeichnet. Hier vor der Touristeninformation gibt es so eine Art Ruhezone mit Prospekten über viele Sehenswürdigkeiten in Japan – nicht über alles aber über vieles. Bei speziellen Fragestellungen einfach die Damen an der Information fragen, aber zunächst benutze ich hier den Internetterminal, um noch einige Informationen einzuholen. Aber an Kartenmaterial komme ich so schnell nicht. Deshalb frage ich bei den Damen in der Touristeninformation erstens nach Infomaterial über den Ise Schrein, nach Möglichkeiten, hier in Japan als Ausländer am Karatetraining teilzunehmen und ob es nicht Wanderkarten für den Kumono-Kodo gibt. Da ich nicht kreuz und quer durch Japan reisen möchte, mein Budget ist begrenzt, und außerdem möchte ich in der Nähe bleiben. Ich erkläre ihr, dass ich mich auch für die Saikoku, die Pilgerreise zu den 33 Tempeln der Gottheit Kanon im Gebiet Kansai (Westjapan), interessiere. Für letzteres erhalte ich lediglich eine Liste mit den Tempelnamen, was mich nicht wirklich weiter bringt. Beim Ise Schrein und dem Kumano Kodo hat die Damen mehr Glück. Stolz präsentiert sie mir eine Broschüre mit der Aufschrift „Kumano Kodo – Walking Guide Map – Ise-ji Routes“. In diesem Heftchen sind Tagestouren so um die 10 km eingetragen, die meist von einem Bahnhof zum nächsten führen. Ein „Access Guide“ am Ende listet alle Möglichkeiten auf, mit welcher Zug-, Buslinie oder über welche Autobahn man an die Startpunkte gelangt. So etwas habe ich gesucht! Aber soll ich wirklich weiter wandern oder besser meinem Körper eine Pause gönne? Ich fühle mich noch relativ fit, aber meine Laune ist zurzeit nicht die beste, da ich die Hoffnung auf Heimkehr erstmal aufgeben musste. Es ist mittlerweile 14.03 Uhr, ich sitze hier schon fast 2 Stunden und als ein Mann von Sicherheitsdienst mich anspricht, ob es mir gut gehen würde, sehe ich mich endlich genötigt, meinen Arsch wieder in Bewegung zu setzen: Ich werde noch eine tolle Zeit hier in Japan haben, muntere ich mich auf, das ist doch bis jetzt fast alles super gelaufen, da werde ich am Ende mich doch durch so eine kleine Verzögerung nicht runterziehen lassen. Neue Wanderwege wollen von mir erkundet werden, neue Begegnungen und neue Abenteuer warten auf mich!
Ich mache mich also auf den Weg, zunächst einmal will ich nach Ōsaka ins Kikue, einem Businesshotel, dass ich schon von einer früheren Japanreise kenne. Ōsaka um die Namba Station ist für mich ein bisschen Heimat, da ich die Gegend recht gut kenne. Aber Vorsicht, der riesige Bahnhof von Namba, der noch dazu in eine supergroße Einkaufspassage (Namba Walk) übergeht und vor Shops nur so wimmelt, ist mit seinen vielen Eingängen ein wahres Labyrinth. Auch diesmal habe ich das Problem, den richtigen Ausgang Richtung „Denden Town“ zu finden. „Denden Towen“ ist so eine Art Akihabara (Stadtteil von Tokyo) von Ōsaka. Es ist ein Elektronik-Viertel, in dem alles, was mit Strom läuft, verkauft wird. Touristen können hier steuerfrei einkaufen, da die Steuer hier in Japan aber nur 5 % beträgt und Japan teuer ist, muss man gründlich recherchieren, um hier noch ein Schnäppchen zu machen. Zu dieser Zeit wäre ein „Nindo DaySi“ aktuell, da es diesen in Deutschland erst in zwei Monaten gibt. Aber ich spare mein Geld lieber, da ich jetzt nicht mehr im „Pilgerland“ bin, sondern die hiesigen Touristenpreise bezahlen muss. Auch wird mir die Unterkunftssuche schwerer fallen, da keine Unterkünfte im Wanderführer eingetragen sind.
Aber erstmal frage ich im Kikue, ob sie ein Zimmer für mich frei haben. Ach, da werden Erinnerungen an meine letzte Japanreise wach, als ich die Insel Okinawa besuch habe, den Fuji-san (höchste Erhebung in Japan; Wahrzeichen Japans) im Alleingang bezwang und ausgiebig in Kyoto und Nara „getempelt“ und „geschreint“ habe. Damals noch in voller Sommerhitze des August, habe ich jetzt (Anfang Mai) gemäßigte Temperaturen. Doch auch die hier vorherrschenden 24°C, sind ein Kontrastprogramm zum kühlen Koyasan und auch die letzten Shikoku Tage. Ich habe etwas Kopfschmerzen, als ich mich im Bereich um den Nankai Bahnhof umsehe – das ist wohl die Wetterumstellung. Im Namba Walk fröne ich der Fastfood Kultur: Bei McDoof hier in Japan gibt es leider keine Curry-Sauce zu den Hähnchenstücken, aber die Japan exklusive Senfsoße („Masutado Sozu“). Sogar Hotdogs sind hier in Japan im Sortiment. Mit meiner Tüte eingepacktem Essen ziehe ich mich in den als „Parks“ bezeichneten Bereich des Namba City Kaufhauses zurück. Es ist so eine Art Park, den man über mehrere Stockwerke, ähnlich einer Dachterrasse angelegt hat. So richtig mit Bäumen und Sträuchern. Es ist immer wieder faszinierend zu sehen, wie der Japaner seine geliebte Natur in der Betonwüste der Großstadt inszeniert. Nicht nur die traditionellen kleinen Gärten, zu denen sich die Zimmer öffnen, sondern auch richtige Parkanlagen auf den Dächern der Hochhäuser sind ein Beweiß dafür, dass der Japaner ohne seine Natur und den damit verbundenen Wechsel der Jahreszeiten nicht leben kann. Da die oberste Etage japanischer Kaufhäuser meist eine Art „Fressmeile“ mit den unterschiedlichsten Restaurants und Cafes bildet, ist auch ein Park zum Rumspazieren keine Seltenheit. Nahrung für den Körper und für die Seele! Aber auch kleinere Tiere fehlen hier nicht, so habe ich bei meinem letzten Japanaufenthalt eine tolle Libelle auf dem Dach des Busterminals von Ōsaka fotografieren können. Nach dem Essen durchstöbere ich im Takashimaya, einer renommierten Kaufhauskette aus dem Jahre 1829, die Abteilungen für Traditionelle Kleidung, sprich Kimono und Kimonozubehör, sowie die Kunst- bzw. Handwerkabteilung, die Lackarbeiten und Holzgeschirr in allen Variationen und natürlich auch Preisklassen für den geneigten (reichen) Kunden bereit hält. Ich sehe mich an den bunten bis prächtigen Kimonostoffen statt, leider gibt es hier nur die japanische Einheitsgröße, die mir nicht passt, da ich zu lange Arme habe. So ein Baumwollkimono (Yukata) würde mir schon gut stehen, aber man verweist mich dann immer in die Souvenirabteilung, in denen es die typischen blau-weißen Yukata in Übergrößen, speziell für Ausländer, zu kaufen gibt. Ich schwärme für die traditionellen Kimono und die geschmackvolle Zusammenstellung von Kimono, Gürtel und Accessoires wie Spangen, Schnüre (himo) und Kragen (eri). Wenn man am guten Geschmack der Japaner zweifelt, weil die Jugend allzu bunt, allzu kurz und allzu schrill auf sich aufmerksam machen will, dann sollte man sich eine Kimonoträgerin ansehen - das ist dann wie Watte und Balsam für die Sinne. Ich wundere mich immer wieder wie harmonisch die traditionelle Kleidung zusammengestellt wird. Farbe und Motiv der Jahreszeit entsprechend, die jüngeren Damen mit kräftigen Farben und langen Ärmeln (Furisode Kimono) und die älteren in gedeckten Farben oder mit der schlichten Eleganz eines schwarzen Kurotomesode, bei dem lediglich der untere Rand einige Motive aufweisen kann. Was für uns der „Schwarze Anzug“ oder das „Kleine Schwarze“ ist, findet in Japan sein Gegenstück in Kimono und Hakama (Hosenrock der Männer). Aber die ganzen Geschäfte und die Geschäftigkeit hier um den Bahnhof können einen ganz schwindelig machen. Ich mag die japanischen Großstädte nicht, alles ist zu viel – zu laut, zu warm, zu bunt, zu wimmelnd – einfach nervtötend.
Ich bin froh, als ich nach meiner Shoppingtour wieder im Kikue lande. Hier schmiede ich nun Pläne wie meine verbleibende Zeit in Japan verbringen möchte. Um es kurz zu machen, da ich noch keine Zeit hatte, die restlichen Notizen zu Papier bzw. Computer zur bringen: Als erstes werde ich mit dem Zug zum Ise-Schrein (http://www.isejingu.or.jp/english/) fahren, von dort weiter nach Umegadani, wo der Startpunkt auf meiner Wanderkarte ist. Doch zuvor werde ich noch per Zufall an einem Matsuri, einem traditionellen Schreinfest, in einem kleinen Dörfchen namens Tokida http://maps.google.com/maps?hl=de&rlz=1R2IRFC_deDE341&q=tokida&lr=&oq=&um=1&ie=UTF-8&sa=N&tab=il;%20http://hisaai-hp.hp.infoseek.co.jp/JRCentral/ka/Sg_s_eg.html)
teilnehmen. Als einzige Ausländerin werde ich zum gefragten Interviewstar, da ich gleich von drei mutigen Lokalreportern um ein paar Wort gebeten werde. Mein Weg wird mich einige Tage über den Kumano Kodo (http://www.kumadoco.net/kodo_eng/
führen, es werden auch einige Regentage dabei sein. Doch beim letzten der drei Kumano Schreine werde ich auf den Megangji Tempel treffen. Er ist der erste der 33 Tempel der Saikoku Pilgerreise (http://www.taleofgenji.org/saigoku_pilgrimage.html), von denen ich auch noch einige besuchen werde. Nicht mehr alles zu Fuß, sondern jeweils vom nächstmöglichen Bahnhof. Meine Reise wird mich einmal um die Wakayama Halbinsel mit den Kii-Bergen herumführen, über Ōsaka, Nara und Kyoto bis zur Schreininsel im Biwa See und einem Abstecher nach Ueno zum Iga Ninja Museum (http://www.iganinja.jp/en/). Doch um diese Geschichten aufzuschreiben, fehlt mir im Moment die Zeit, denn auch mein Blog (http://www.shikokuhenro.blogspot.com/) verlangt nach stetem Ausbau. Ob es vielleicht einmal einen Blog „kumanokodohenro“ oder saikokuhenro“ gibt, weiß ich nicht.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen