Karte von Shikoku mit den 88 Haupt- und 20 Nebentempeln


Montag, 14. Juni 2010

Mittwoch, 22.04.2009, Utazu Town, Ryokan Sanuki

Der 38. Tag in Japan
Da es heute das Frühstück erst um 6.30 Uhr gibt, habe ich meine Sachen schon vorher gepackt und bin nach dem Essen abmarschbereit. Meine Pläne sehen vor, heute Tempel Nr.79 und Nr. 80 zu besuchen, das wäre so um die 12 km. Die beiden folgenden Tempel Nr. 81 und 82 liegen jeweils auch um die 6 km voneinander entfern, allerdings in den Bergen, was mein Planung erschwert. Ich könnte auch vor Nr. 80 eine kürzere Bergroute wählen, um erst Nr. 81 zu besuchen, dann müsse ich aber nur für Nr.80 ins Tal steigen und den gleichen Weg erneut bezwingen. Aber ich muss jetzt erst mal den Weg zum Tennōji (Nr.79), dem Kaisertempel, finden.

Der Trail verläuft hier in der Stadt Sakaide direkt durch eine Einkaufspassage. Wieder begegne ich Schulkindern, die gemäß der Information meiner Wirtin aus dem Zentsuuji, ihrem Geschlecht entsprechend farbliche Schultaschen tragen. Aber wo geht es jetzt zum Tempel? In diesem Gebiet scheint es mehrere Tempel zu geben. Zum Glück ist im englischen Kartenmaterial immer neben dem Namen des Tempels in lateinischen Lettern (Romaji) auch der Name in japanischer Symbolschrift (Kanji) vermerkt. So kann ich zur Not die Kanji miteinander vergleichen. Im Tempelführer wird davor gewarnt, den Schrein mit dem Tempel zu verwechseln. Als ich bei einer Hütte vorbeikomme und die beiden anwesenden Damen nach dem „Tennoji“ frage, werde ich auch prompt weiter geschickt. Leider wusste ich zu diesem Zeitpunkt nicht, dass diese Hütte, in der man auch Tee und andere Leckereien kaufen kann, direkt neben der Yasoba genannten Quelle liegt, in der der Leichnam des Kaisers Sutoku „frisch gehalten“ worden ist (siehe 36. Tag – Kotohira Schrein). Etwas weiter treffe ich auch auf ein Schild, dem zu entnehmen ist, dass es hier in der Nähe auch einen Miniaturpilgerpfad gibt. Da die Zahl 33 erwähnt wird, könnte es einer der Kannon gewidmeten Pilgerpfade sein, zu denen die Saikoku (33 Tempel in Westjapan, Gebiet Kansai – Großraum Ōsaka und Kyoto), die Bandō (Gebiet Kanto – Kamakura und Großgraum Tokyo) und die Chichibu (34 Tempel; Saitama) gehören. (Siehe auch: http://www.onmarkproductions.com/html/kannon-pilgrim.shtml)
Auch in diesen Gebieten gibt es Shingon Tempel, denn das Wirken von Kōbō Daishi ist zwar auf Shikoku konzentriert, aber nicht beschränkt. Sowohl auf meiner späteren Kumano-Kodo Pilgertour zu den Großschreinen von Kumano, als auch auf der dort anschließenden Saikoku Tour, wird mir Kōbō Daishi in Tempeln und Legenden immer wieder begegnen.

(Infos über Kagawa siehe auch: http://waoe.org/steve/kagawa/)

Exkurs Tempel Nr. 79 Tennōji (天皇寺)
Die Tempelführer berichten nicht schlüssig, wer nun den „ Kaisertempel“ oder auch „Kaiser Sutokus Tempel“ gegründet haben soll. Ursprünglich wurde der Tempel jedoch Kōshō-in genannt. Der Legende nach war es Yamato Takeru (82-113), der auf Geheiß seines Vaters, Kaiser Keiko (60-130; 12. Tennō), einen Monster Fisch in der Seto-See besiegt haben soll. Das Ungetüm hatte schon 88 seiner Männer gefressen, als er ihm mit Feuer den Garaus machte. Das Monster war besiegt, aber seine Männer mehr tot als lebend, als plötzlich ein Jungen mit Wasser erschien. Das gute Wasser rettete allen Männer das Leben und die Quelle, Yasoba („Ort an dem 88 wiederbelegt wurden“), ist eben die Quelle des Tempels Nr. 79. Die gute Qualität dieses Wassers war wohl auch Ursache dafür, dass der Leichnam des Ex-Kaisers Sutoku hier 21 Tage lang aufgebart werden konnte bis er am Shiromine Berg (Tempel Nr. 81) eingeäschert wurde. Der eine Tempelführer berichtet, dass Nr. 79 von Gōgi (668-749) zu seinen Lebzeiten gegründet wurde, eine anderer grenzt es auf die Zeit zwischen 810 und 824 ein, wo Kōbō Daishi die Quelle besucht haben soll. Hier bekam er auch eine Inspiration die elfgesichtige Kannon Bosatu (juuichimen kannon) als Honzon und Amida Nyorai und Aizen Myōo als Begleiter zu schnitzen. Aizen Myō, ein ursprünglich aus dem Hinduismus (indische Religion) stammende Gottheit, brachte Kōbō Daishi persönlich aus China mit nach Japan. Er gehört zwar zusammen mit Fudō Myōō in die Kategorie der „5 Großen Weisheitskönig“, er kann Begierde in Erleuchtung umwandeln, wird aber nicht zu den 13 Buddhas des Shingon gezählt. Auch eine Steinstatue des Yakushi soll Kōbō Daishi geschaffen und sie der Quelle, die heute ca.100 m hinter der Haupthalle liegt, gewidmet haben. Im 12. Jahrhundert wurde, wie berichtet, Ex-Kaiser Sutoku nach der Hōgen Rebellion (1156) nach Sanuki ins Exil geschickt. Er wohnte in Konomaru Goten in Tsutsumigaoka, welches in der Nähe des Tempels liegt. Als er an einem Liederabend bzw. Literatentreffen teilnehmen wollte, wurde er ermordet. Kurze Zeit später wurde auf Anordnung des Kaisers Jijō (1143-1165; 78. Tennō, Sohn von Go-Shirakawa), der die Rache Sutokus fürchtete, ein Schrein („Niojo“) errichtet.
Zwischen 1573 und 1592 brannten alle Tempelgebäude nieder, erst 1682 wurde sie wiederaufgebaut. Während der Meiji-Zeit (1848-1912) verfiel der Tempel zunehmend bis der Haupttempel Kōshoin die Kontrolle über den Tennōji übernahm. Im Tempelführer wird berichtet, dass jährlich etwa 100.000 Pilger den Tempel besuchen, von denen ist aber nur ein einziger Ausländer, und der stammt meist aus Indien.

Als ich das Gelände betrete, ist es menschenleer. Mir ist fast etwas unheimlich, wenn es nicht Tag wäre und die Sonne so schön scheinen würde, müsste ich fürchten, dem Geist von Sutoku hier zu begegnen. Mir reicht aber schon eine kurze Stippvisite am Schrein, als ich etwas abseits endlich den Tempel finde. Auf mein Klingeln wird die Scheibe des Pilgerbüros mit einem Poltern aufgerissen, da bekomme ich dann doch einen Schreck. Diesmal wäre es mir wirklich lieber gewesen, der Tempel hätte vor Buspilgern nur so gewimmelt. Aber nach einem kleinen Päuschen verlasse ich diesen eigenartigen Ort. Ich frage mich noch, warum der Schrein hier so aufwendig gestaltet worden ist und habe die Geschichte von Sutoku im Hinterkopf. Während das rote Schrein Tōri (shintoistische Tor) mit seinen Seitentoren das auffälligste ist, das ich je gesehen habe, weist der Tempel gar kein Tor auf. Nur ein großer Fels und Steinstelen mit Schriftzeichen verkünden hier, dass es sich um den Kaisertempel handelt. Es folgt noch ein weiteres Beton Tōri, aber dann lasse ich den Tempel-Schrein-Komplex hinter mir. Ich passieren ein Schild, das neben der Aufschrift „koko wa abunai“ (Hier Gefahr!) einen verschreckten Fisch und einen Kappa (Gurken liebende Sagengestallt) zeigt, die wohl warnen sollen, damit hier niemand ertrinkt. Und schon wieder ein Love Hotel mit der Aufschrift C III – Tropical Asian.

Ich sollte laut Plan an einer Pilgerhütte vorbeikommen – doch wo ist die Pilgerhütte? Weil ich nicht ganz so neugierig wirken will, spaziere ich flotten Schrittes an einem Privathaus vorbei. Aber anscheinend gewähren sie hier den Pilgern Unterkunft, da ich Pilgerzeichen und einen am Eingang aufgehängten Pilgerhut entdecken kann. Außerdem steht hier so eine blaue Bank mit roter Schrift, wie ich sie sonst nur aus Tempelanlagen kenne. Eine Spende des Kerzenherstellers, der so Werbung für seine Produkte macht.

Da ich demnächst eine Bergetappe erwarte, stocke ich in einem kleinen Laden meinen Proviant auf und komplettiere mein Futterpaket mit einigen Kleinigkeiten aus dem nahe liegenden Lawson Kombini (24-h-Shop). Der Wind, der mich schon seit Marume begleitet, weht auch hier um die Ecken. Mir stockt fast das Herz, als ein Windstoß meint Kartenbuch erfasst und die wichtigen Seiten der noch zu besuchenden Tempel davon weht. Da kann aber einer mit vollem Gepäck schnell rennen! Mit einem Tritt auf die vor mir flatternden Seiten habe ich die Ausreißer dann doch wieder gestellt. Nicht auszudenken, wenn ich ausgerechnet jetzt, so kurz vor dem Ziel, die so wichtigen letzten Seiten verlieren würde. Da bei meinen Regenwanderungen das Kartenbuch immer ein paar Tropfen abgekommen hat und ich auch sonst etwas rabiat mit dem guten Stück umgegangen bin, hatten sich die Seiten gelöst, so dass ich mit einer Blattsammlung vorlieb nehmen musste. Das hatte aber auch seine Vorteile, da man so ein Blatt schnell wegstecken kann und es nicht so aufwendig ist, als würde man jedes Mal das ganze Buch rauskramen. Hier müsste ich eigentlich noch eine zweispurige Autobrücke überwinden, aber ich bin mir unschlüssig, wo es lang geht. Ich entscheide mich dann doch die Abfahrt entlang zu laufen und nicht erst auf die Brücke zu spazieren und liege richtig. Da der Tempel Nr. 80 hier nicht weit von der Straße liegt, muss ich nicht viel klettern, um zu ihm zu erreichen.

Exkurs Tempel Nr. 80 Kokubunji (国分寺)

„Der offizielle Staatstempel“ der Provinz Sanuki bzw. Kagawa wurde 741 von Gyōgi (668-749) auf Anordnung des Kaisers Shōmu (701-756; 45. Tennō) gegründet, um für die Sicherheit der Nation, eine gute Ernte und das Wohlergehen der Bevölkerung in diesen Provinzen zu beten. Der Tempel ist gemäß der ca. 5 m großen Kannon Statue (hibutsu), die sowohl elfgesichtig („juuichimen“) als auch tausendarmig („senju“) ist, der Göttin der Barmherzigkeit gewidmet. Ob Gyōgi auch noch eine kleinere, 5 cm messende Kannon für den Hondō (Haupthalle) geschnitzt hat, bleibt unklar. Auf alle Fälle soll Kōbō Daishi die große Statue nach einem Brand ausgebessert haben. Die Haupthalle (hondō) stammt aus dem 10. Jahrhundert, sie und der Glockenturm überstanden als einzige das 16. Jahrhundert als Chōsokabes Truppen brennend durch das Land zogen. 1901 wurde die große Kannon Statue zum „Wichtigen Nationalen Kulturgut“ gezählt, 1903 die Haupthalle (hondō). 1941 wurde die Kupferglocke, die zwischen 710 und 794 gegossen worden sein soll, zum „Nationalen Schatz“ erklärt. Letzte ist Hauptgegenstand vieler Legenden, von denen eine beschreibt, wie 1609 der Herrscher von Takamatsu, Ikomoa Kazumasa (1555-1610) die Glocke nach Schloss Takamatsu bringen ließ. Der Glocke aber war kein Laut zu entlocken und auch der Herrscher litt plötzlich an einer unbekannten Krankheit. Kazumasa übereignet die Glocke daraufhin wieder dem Kokubunji Tempel und - oh Wunder, er erholt sich von seiner Krankheit und die Glocke leutet mit lieblichem Klang! Auf dem Gelände des Kokubunji befinden sich heute noch 33 Grundsteine des Original-Hondōs (Haupthalle) und 15 Grundsteine der ehemals siebenstöckigen Pagode.

Dass dies der größer Kannon Hondō (Haupthalle) der Pilgerreise sein soll, fällt mir nicht unbedingt ins Auge, denn die schönen Pinien, die schon vor dem Haupttor wachsen, haben es mir angetan. Wie die Japaner mit Holzlatten und Draht es immer wieder schaffen die Bäume so wachsen zu lassen, wie sie wollen, ist beeindruckend. Da kann so ein Ast schon mal mehrere Meter lang werden und schützend über dem Tor entlang wachsen. Die eigentliche Attraktion, die riesige Hibutsu Kannon Statue, finde ich leider nicht. Leider vergesse ich dann auch danach zu fragen, da der Tempelbezirk vor lauter interessanten Statuen nur so wimmelt. Ich sehe natürlich eine steinerne Kōbō Daishi Statue, aber auch eine zum eigenhändigen Vergolden, ebenso ein Kaiserpaar, das wohl zum angrenzenden Schrein gehört. Die 7 Glücksgötter sind hier ebenso vertreten, wie Fudō Myōō und Buddhas Fußabdrücke (bosussoseki). Es gibt hier wieder eine Jizō Sammlung, die sich im Keller des angrenzenden Gebäudes fortsetzt. Die Göttin Benten, Schutzpatronen der schönen Künste, auch mal ohne ihre 6 Kollegen und weitere unzählige Details, von denen ich mich nicht losreißen mag, da ich weiß, dass der anstrengenste Teil des Tages oben in den Bergen auf mich wartet. Ein bewunderndes „sugoi“ (großartig, Wahnsinn) des Schreibers im Pilgerbüro beim Durchblättern meines Pilgerbuchs baut mich dann wieder auf. Nur noch 8 Tempel, dann habe ich mein Ziel erreicht, wenn ich von den drei letzten Bangai Tempeln (Nr. 19, Nr. 20 und Nr. 1) absehe. Ich mache mich also wieder auf, um in die Berge zu wandern. Anfangs führt die Straße noch an Häusern vorbei, ich passiere mal wieder ein Love Hotel und eine Bonsai Baumschule folgt. Die kleinen Bäumchen, die durch die kleine Blumenschale und regelmäßigen Schnitt so klein gehalten werden, sollen ein Abbild der Natur sein. Hierzu werden sie aber mit viel Draht erstmal in Form gebracht. Wie kleine Soldaten stehen sie hier in Reih und Glied, je Reihe eine andere Baumart. Kleine Schilder am Wegesrand, wohl von den Bewohnern aufgestellt, sprechen dem erschöpften Pilger Mut zu. Ganbaru – nihin ikimasu – („Geben sie Ihr Bestes – Zwei wandern“) heißt es auf so einem Schildchen und eine kleine Eule zeigt dem Pilger, wo hier der Weg lang geht. Mitten in der Wildnis finde ich hier ein gemauertes Toilettenhäuschen und wenig später, nachdem ich einen erodierten Abhang mit weißem Gestein passiert habe, eine nicht im Kartenmaterial aufgeführte Pilgerhütte. Von hier habe ich einen fantastischen Blick über Takamatsu City und auch Tempel Nr. 80 kann ich von hier aus erkennen. Ich hatte mir schon gedacht, dass es hier eine Hütte geben müsse, da ich vom Tempel Nr. 80 das braune Dach habe sehen können. Aber je höher ich steige desto mulmiger wird mir, da hier überall Schilder stehen, die sogar mit dem englischen Schriftzug „Keep out“ („Betreten Verboten“) versehen sind. Oh je, denke ich, militärisches Sperrgebiet! In der Stadt hatte ich schon Lastwagen mit Tarnfarbe gesehen, aber dass das Übungsgelände hier oben auf dem Goshikidai (fünf Farben) Plateau liegt, war mir nicht bekannt. Mein Weg führt mich jedoch weiter, vorbei an Militärbaracken. Es geht jetzt wieder bergab. Das muss ich nachher wieder alles hoch kraxeln, um zu Tempel Nr. 82 zu kommen. Aber der Tag ist noch jung und ich habe Zeit. In der Ferne höre ich ein Knallen, ob das Militär ausgerechnet heute Schießübungen abhält? Aber schließlich stehe ich dann doch noch vor dem Sanmon, dem ersten Tempeltor des Shiromineji, das zwar keine Tempelwächter hat, aber zu den Seiten noch jeweils zwei kleinere Dächer aufweist.

Exkurs Tempel Nr. 81 Shiromineji (白峯寺)
„Der Tempel der weißen Bergspitze“ wurde 815 von Kōbō Daishi gegründet, nachdem er einen Kristall (nyoi hōju) im Erdboden vergraben und eine Quelle (akai; „Weiß“) gegraben hatte. Der Honzon (Hauptgottheit) des Tempels ist Senju Kannon (tausendarmige Kannon) gewidmet, wer aber nun die Statue geschnitzt hat, der Daishi selber oder sein Neffe Chisho-Daishi (auch Enchin; 814-891), der hier 860 weilte, bleibt offen. Auf alle Fälle soll das Holz für das Kunstwerk ein sehr helles gewesen sein, ja – es soll geleuchtet haben. Beim Holzfund soll ein alter Mann, vielleicht der Gott des Shiromine Berges, folgendes gesagt haben: „Dies ist ein heiliger Ort, an dem sich das Rad des Dharma dreht und ins Samadhi eingeht.“ (Mit Samadhi ist hier ein Geisteszustand gemeint, in dem man mit den Dingen, über die man meditiert, eins wird. Man unterscheidet dann nicht mehr zwischen sich und der „Außenwelt“, man kann aber aus diesem Zustand auch wieder „herausfallen“. Doch das Samadhi kann tiefer werden, so dass man auch außerhalb der Meditation diesen Zustand aufrecht erhalten kann.)
Der Hondō (Haupthalle) des Tempels brannte vielfach nieder und der heutige Hondō stammt vermutlich noch aus dem Jahre 1599 und wurde Ikoma Chikanori, Herrscher von Takamatsu, errichtet. 1811 wurde der Daishidō (Daishi Halle) von Matsudaira Yoriyoshi Lehnsherr von Saijō (Provinz Iyo) und seinem Vasallen Satō Kamon erneuert. Das Mausoleum (Shirame goryo; 1414 erbaut) von Ex-Kaiser Sutoku liegt, wie bereits erwähnt, in Tempelnähe. Die Tansho-ji genannte Halle, sie ist größer als die Haupthalle (hondō), wurde ebenfalls Sutoku gewidmet. Eine Statue des Poeten Saiyo soll an eine Begebenheit erinnern, die sich 1168 zugetragen haben soll. Als der Poet, der auch Mönch war, hier auf den zornigen Geist des Ex-Kaisers traf, kam es zwischen dem Konfuzionisten (Chinesische Philosophie des Konfuzius) Suktoku und dem buddhistischen Mönch zu einer Diskussion, die damit endete, das der Mönch die Sutra der Weisheit für seinen verstorbenen Freund rezitierte. Es war also gar nicht so abwegig gewesen, den Geist des Sutoku Schreine wie den Kotohira zu weihen, damit der nicht seine ehemaligen Widersacher heimsucht.

Kōbō Daishi benannte die Berge der Umgebung (goshikidai) nach dem Buddha Mahavairocana (auch Vairocana), der als Zentralbuddha im Taizōkai Mandala des Shingon („Mandala des Mutterschoßes“) auftaucht und durch fünf Farben symbolisiert wird. Der Shiromineji Tempel liegt auf dem „Weißen Berg“, wobei die Bergkette noch aus dem Gelben, Schwarzen, Roten und Blauen Berg besteht.

Natürlich ist das Sanmon (einfaches Tempeltor; „Bergtor“) nicht das einzige, das nächste Tor ist mit riesigen Strohsandalen (waraji) bestückt. Wie man die wohl herstellt? Erstmal muss man ja ziemlich dicke Seile haben und wie werden die dann verflochten? Hilft da die ganze Gemeinde mit oder fällt so etwas an eine Sondertruppe „Sandalenflechten“? Jedenfalls fände ich es um einiges interessanter, etwas über die Herstellung der Sandalen zu erfahren, als die Sandalen selbst zu besichtigen. Groß ist einfach nur groß, aber wie verfährt man mit der Herstellung, da sich einer nicht einfach hinstellen und so ein „Mamutstrohseil“ knoten kann. Aber es gibt so vieles Interessantes zu entdecken. So viele Hallen und Gebäude, wie soll man da den Überblick behalten. Wo ist noch gleich das Mausoleum von Sutoku? Wenn es so ein etwas erhöhter, mit einem Steinzaun umgebener, Hügel ist, habe ich ihn wohl gesehen. Ich finde hier Steinfiguren aus dem chinesisch-japanischen Horoskop, jedes steht vor einem eigenen Gebäude. Und erst mal das bunte Steintürmchen, es sieht wie eine fünfstöckige Pagode aus, auf das die Pilger Münzen gelegt haben. Eine ganze Schar Winkekatzen (maneki neko) haben sich an einer Laterne kurz hinter dem Eingang versammelt, und auch eine Tengu Statue (Bergkobold) fäll mir ins Auge. Ich mache mich jetzt wieder, nachdem ich noch einen Abstecher über den Tempelfriedhof gemacht habe, auf den Rückweg bzw. den Weg zu Tempel Nr. 82, der zwar auch auf dem Goshikidai Plateau liegt, das aber dann doch nicht ganz so flach ist, wie das Wort „Plateau“ erwarten ließ. Der Wanderweg zwischen den beiden Tempeln ist als Naturkundepfad ausgebaut, es stehen hier überall Schilder, die die einheimischen Vögel, Reptilien oder Insekten zeigen. Hier stibitze ich mir auch so einen süßen „Henrowimpel“ als Andenken. Er zeigt einen kleinen betenden Mönch. Um es japanisch auszudrücken, der Wimpel ist „kawai“ (süß, entzückend, niedlich), ein Modewort, das der Japaner für alles niedliche benutzt. Besonders die holde Weiblichkeit in Japan ist auf dem Kawai-Tripp: Da werden süße Hundbabies oder Katzenkinder auf alles Mögliche gedruckt, allein das Miniaturisieren von Alltagsgegenständen wie in einer Puppenstube, oder die Kindchenschema triefenden Maskottchen der Werbung – alles ist kawai! Da der Wimpel mir direkt vor der Nase hängt und der Weg ansonsten gut ausgeschildert ist, wandern wir jetzt zu dritt – mein Kōbo Daishi Stock, das Mönchlein und ich!
Als ich wieder auf eine geteerte Straße treffe, bin ich beruhig, denn ich kann mich wieder orientieren. Jetzt noch am Ashio Daimyo-in Schrein vorbei, den Abzweiger zur Goshikidai Skyline lasse ich im wahrsten Sinne es Wortes links liegen, passiere ich noch ein WC-Häuschen und eine Pilgerhütte. Ich werfe einen kurzen Blick ins Michikusa Restaurant, aber der Tempel ruft und so habe ich die 1000 m bis zum Tempel schnell überwunden.

Exkurs Tempel Nr. 82 Negoroji (根香寺)
„Der Tempel des wohlriechenden Holzes“ wurde 804 von Kōbō Daishi, d.h. vor seiner Studienreise nach China, noch unter dem Namen Kedō-in („Haus des Blumenregens“?) gegründet. Der Name der Präfektur hier, Kagawa, „Fluss des Wohldufts“, geht auf den Fluss zurück, dessen Ursprung an den Wurzel eines großen Baumes im Tempel liegen soll. Aber es könnte auch der Neffe des Daishi, Chiso-Daishi (auch Enchin; 814-891), gewesen sein, der hier 832 auf Wunsch der örtlichen Gottheit, Ichinose Myojin, den Tempel gegründet und den Honzon (Hauptgottheit) Senju Kannon (tausendarmige Kannon) aus wohlriechendem Holz geschnitzt hat. Er war der Gottheit, die von einem Affen als Schüler begleitet wurde, auf dem Berg begegnet und sie wies ihn auf die Heiligkeit des Ortes hin, den er fortan Senju-in („Haus der tausend Arme“) nannte. Unter dem Schutz des Kaisers Go-Shirakawa (127-1192; 77. Tennō) erblühte der Tempel und besaß zu einen besten Zeiten an die 100 Zweigtempel. Allerdings wurden viele dieser Subtempel im 16. Jahrhundert durch Chōsokabe Truppen niedergebrannt. Erst 1664 wurde der im Krieg zerstörte Tempel durch Yorishige Matsudaira, Oberhaut des Takamatsu Klans, unter dem Name „Negoroji“ wiederaufgebaut. Bemerkenswert sind die unzähligen, laut Tempelführer 10.000, Kannon Statuen, der 100 Jahre alte Zelkova Baum (Keyaki) und die riesige Statue des Ushi-oni (Ochsen Dämon). Einer Legende nach soll der Ochsen Dämon, mit Ochsenkopf und Fuchskörper sowie Flügeln und 4 Fingern, im 16. Jahrhundert die Einwohner terrorisiert haben. Ein mutiger Samurai namens Kurando Yamada streckte das Vieh mit Pfeil und Bogen nieder, schnitt ihm den Kopf ab und bracht ihn zum Tempel. Die Leute sagen, der Kopf hätte die Kraft das Böse zu läutern. Später wurde noch eine Statue des Ushi-oni an einer Quelle des Tempels errichtet. Heute hängt ein Shimenawa, ein shintoistisches Strohseil, das die Welt der Shinto Götter von der anderen Welt trennt, an der Statue.

Von einem Schild am Eingangstor erfahre ich, dass die Kannon Statue nur alle 33 Jahre gezeigt wird, aber wo ist der kupferfarbene Ushi Oni (Ochsen Dämon), den mir der Tempelführer großmundig angekündigt hat? So ein Ding am Eingang müsste doch auffallen. Ich habe sogar ein Bild davon im Tempelführer gesehen. Aber ich habe Pech, wie sooft finde ich manche Sehenswürdigkeiten nicht, aber vielleicht beim nächsten Mal, wenn es denn ein nächstes Mal gibt. Es ist schon kurz nach 16.00 Uhr, wenn ich mich beeile, der Weg zu Bangai Nr. 19 geht von hier nur noch bergab, kann ich noch den Bangai besuchen und dann im Momoya, einem Ryokan am Bahnhof Kinashi übernachten. Dann müsste ich aber noch einige Kilometer schaffen – aber was habe ich zu verlieren – nichts!

Ich fliege geradezu den Berg in Richtung Küste hinunter. Aber hier windet sich der Weg derartig, noch dazu muss ich wieder nach japanischer Karte wandern. Ich versuche mich an den Wasserreservoirs zu orientieren. Gehetzt sehe ich immer wieder auf die Uhr. Das schaffe ich nicht mehr! Als ich an einem Teich vorbeikomme, an dem eine Hütte steht, denke ich so bei mir, das es eine schöne Unterkunft für die Nacht wäre, wenn ich nicht mehr weiter könnte. Aber ich habe mich verirrt, ich muss irgendwie total ab vom Trail sein, da ich meinen jetzigen Standort einfach nicht in der Karte wiederfinde. Hier auf dem kleinen, grünen Hügel am Teich ist ein Shinto Schrein, dabei suche ich doch einen Tempel! Verzweifelt spreche ich einen Japaner an, um nach dem Weg zu fragen. Kein Problem antwortet mir der Mann in Joggingklamotten, folgen sie mir bitte. Er stürmt davon und ich hinterher. Er erklärt mir noch, dass er Gemeindemitglied des gesuchten Tempels ist, aber er läuft und läuft und läuft. Jetzt ist es schon halb sechs und meine Hoffnung schwindet, einen Eintrag von Nr. 19 in mein Pilgerbuch zu bekommen, da die Stempelstellen meist um 17.00 Uhr dicht machen. Auf alle Fälle weis ich nachher, wo der Tempel ist, dann muss ich eben die Nacht am Teich verbringen und dann morgens wieder zum Tempel zurücklaufen. Aber wir sind schon so weit weg vom meinem potentiellen Schlafplatz, dass ich bezweifle, dass ich den Weg wiederfinden werden. Ich habe schon vor etlichen Abzweigern gedacht, dass der Tempel jetzt in Sichtweite kommen müsste, aber anstatt eines Tempels rennen wir fast einen anderen Pilger um, der hier in der Straße auf etwas zu warten scheint. Nach einem kurzen Gespräch übergibt mein Jogger mich an den Pilger, einen junger Mann mit großem Rucksack. Jetzt kann die Konversation in Englisch weitergehen. Ich bedanke mich sehr herzlich bei meinem Fremdenführer und schon ist er wieder verschwunden. Als ich mit dem jungen Mann den Tempel betrete, schwinden meine Hoffnungen auf einen Pilgerbucheintrag, da ich das Pilgerbüro leer vorfinde. Ohne zu zögern drückt mein Begleiter auf eine Klingel und mir rutscht das Herz in die Hose. Ich will hier doch keinen aus dem wohlverdienten Feierabend holen! Als aber eine junge Frau so um die 20 erscheint, bin ich doch etwas erleichtert, dass ich jetzt keine Standpauke von so einem großen Brummbären von Tempelvorsteher über mich ergehen lassen muss.

Exkurs Bangai Tempel Nr. 19 Kōzaiji (番西寺)
„Der Tempel der Westwache“ ist eine etwas freie Übersetzung von mir, da ich keine Informationen im Netz finden kann, die in Englisch sind. Er soll von Gyōgi (668-749) gegründet worden und Enmei Jizō Bosatsu, einem speziellen Jizō, der langes Leben verheißt, gewidmet worden sein. Der Kōzaiji und Tempel Nr. 18 haben der Ausbildung sowohl von Shingon Priestern als auch der Allgemeinheit gedient. Kōbō Daishi ist der erste gewesen, der auch Nicht-Adligen, eine schulische Ausbildung ermöglicht hat und so Ahnvater des öffentlichen Schulwesens gilt.

Die Frau erklärt mir, dass sie die Tochter des Tempelvorstehers ist. Sie macht einen Eintrag in mein Pilgerbuch und erklärt mir noch anhand mehrerer zusammengeklebter Kopien wie ich zum nächsten Tempel, dem Ichinomiyaji (Tempel Nr. 83), gelange. Sie schenkt mir die Kopien und ich habe einige Schwierigkeiten die Blätter ordentlich zu verstauen. Sie verabschiedet sich und geht ins Haus zurück. Ich halte noch ein kurzes Gespräch mit dem Japaner, er hat ein Stativ aufgebaut, um ein Bild von uns beiden zu machen. Leider drehe ich geistig derart am Rad, dass ich vergesse, meinerseits ein Bild von uns zu schießen. Als es mir einfällt, ist er jedoch schon verschwunden. Schade, aber ich mache noch ein paar Bilder vom Tempel, um mich danach auf den Weg zum Ryokan zu machen. An einem Lawson-Kombini (24-h-Shop) kaufe ich einen Okonomiaki (jap. Pizza), da es schon spät ist und ich nicht glaube, dass ich um die Uhrzeit noch was zu Essen in meine Unterkunft bekomme. Erst mal gucken, ob ich überhaupt unterkomme! Ich will noch eine Telefonkarte kaufen, werde vom Verkäufer aber auf den nächstgelegenen Family Mart (ebenfalls 24-h-Shop) verwiesen. Dort läuft alles sehr kompliziert. Da ich am Automaten keine Karte, sondern nur einen Zettel erhalte, den ich dann an der Kasse bezahlen muss. Da ich den Automaten nicht selber bedienen kann, er läuft komplett auf Japanisch, muss mir der Kassierer ohnehin assistieren. Bis zum Momoya ist es noch ein ganzes Stück, doch als ich dort ankomme, der Eingang zum eigentlichen Ryokan ist verschlossen, frage ich im angrenzenden Restaurant nach und bekomme dann doch noch ein Zimmer. Restaurant und Ryokan gehören nämlich zusammen. Ich bezahle 3500 Yen für die Übernachtung, die aber nicht erholsam ist, da in regelmäßigen Abständen ein teuflisches Erdbeben mein Zimmer heimsucht. Das rührt von den Zügen, die kurz vor dem Gebäude in den Bahnhof Kinashi einfahren. Von dem Gebimmel der drei angrenzenden Bahnübergänge mal ganz zu schweigen.

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